Bonnie & Clyde! Was für eine rasante Story.
Frank Wildhorn! Was für ein genialer Komponist!
Beides zusammen! Der absolute Wahnsinn – möchte man meinen.
Warum ich aber doch enttäuscht bin von meinem Musicalabend am 4.8. im Stadttheater Baden, fasse ich euch hier kurz zusammen.
Bonnie & Clyde ist ein vergleichsweise junges Musical. Die deutschsprachige Erstaufführung fand 2014 statt. Für die Premiere auf österreichischem Boden war nun das Theater in Baden bei Wien zuständig.
Es geht um eine Geschichte von Armut und dem Traum, diese zu überwinden. Sie erzählt von der Kompromisslosigkeit bei der Wahl des Weges, von Liebe und Loyalität.
Inhalt
Bonnie Parker ist ein junges Mädchen, das davon träumt, eines Tages auf der Bühne zu stehen. Reichtum und Glamour der Schauspiel-Welt ziehen sie magisch an. Sie sieht sich als Weltstar in Schauspiel, Musik und Poesie und passt damit sogar nicht in die harte Realität des Amerikas der 20er Jahre. Dort ist alles geprägt von Armut und Eintönigkeit. An keiner Ecke steht es, das große Glück. Da bleibt Bonnie nur das Kellnern in einem Café.
Clyde Barrow hat ebenfalls Träume. Schon als Junge ist ihm das Gangster-Spiel das Liebste. Er eifert Jesse James und Al Capone nach. In der lässigen Gesetzlosigkeit dieser Männer sieht er die einzige Möglichkeit, seinem tristen und armen Alltag zu entkommen. Seine ganze Hoffnung, seinen ganzen Lebenstil hat er darauf ausgerichtet, eines Tages mit Verbrechen sein Geld zu verdienen. In starrem Wahn lässt er sich von diesem Vorhaben nicht abbringen, auch wenn er schon früh immer wieder Diebstähle begeht und deswegen schließlich wenig glamourös hinter Gittern landet.
Gemeinsam mit seinem Bruder Marvin „Buck“ Barrow bricht er aus. Buck kehrt zurück in den Frisiersalon seiner Frau, die ihn zwar zunächst versteckt, dann aber dazu drängt, sich zu stellen. Clyde trifft auf die attraktive Bonnie. Hals über Kopf verlieben sich beide. Bonnie ist zunächst nicht von Clydes Ideen überzeugt und würde auch lieber ein ehrbares Leben mit ihm führen. Aber die Liebe zu ihm ist schließlich stärker: Clyde wird verhaftet und zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Hinter Gittern aber wird er unter Duldung der Aufseher von einem Mithäftlinge immer wieder so schwer misshandelt, dass er diesen mit einem Stein erschlägt. Es ist Bonnie, die ihm nach diesem ersten Mord durch eine geschmuggelte Pistole zur Flucht verhilft. Von da an beschreiten sie den Weg des Verbrechens gemeinsam. Doch plötzlich geht ein Überfall schief, Clyde erschießt einen Menschen und aus dem Kleinkriminellen ist ein Schwerverbrecher geworden. Bonnie möchte daraufhin Clyde verlassen, doch die symbiotische Beziehung der beiden lässt das nicht zu. Sie kann nicht ohne Clyde leben, will das auch gar nicht und ist von da an bereit, diesen Weg kompromisslos und mit allen Konsequenzen zu gehen. Es erfüllt sich dabei für Bonnie sogar noch ein winzig kleines Stückchen ihres großen Traumes: ob ihrer Kompromisslosigkeit werden beide bald zu den Helden der armen Bevölkerung. Jede Titelseite hat sie zum Thema und bei einem Überfall wird Bonnie doch glatt um ein Autogramm gebeten. Durch ihre „Berühmtheit“ werden sie nur weiter angestachelt und geraten immer tiefer in diesen Rausch. Aus Pistolen werden Sturmgewehre, aus Lebensmittelläden werden Banken.
Die Polizei versucht zunächst auf allen legalen und schließlich auch auf illegalen Wegen, die beiden unschädlich zu machen. Buck, Clydes Bruder, erfährt, dass Clyde bei einem Überfall angeschossen wurde und nimmt dies zum Vorwand, ihm zur Seite zu stehen. In Wahrheit bewundert er ihn und ist fasziniert von dem Leben, von dem er glaubt, dass es auch ihm mehr Freiheit böte als sein eigenes. Nach einer heftigen Auseinandersetzung mit seiner gläubigen Ehefrau, die Clyde und seine Lebensweise verachtet, macht er sich auf den Weg und trifft seinen Bruder und Bonnie. Zu dritt gehen sie weiter ihrem „Gewerbe“ nach. Und auch Blanche ist mit ihrem Mann gekommen. Zwar hatte sie ihm vorher noch die Wahl gelassen: Er oder ich. Aber als er sich aber für Clyde und das Verbrecherleben entscheidet, kann auch sie nicht anders und folgt ihrer großen Liebe. Doch plötzlich ist das Appartment, in das sich Clyde, Bonnie und Buck zu Blanche nach einem weiteren Überfall zurückgezogen haben, umstellt. Bei dem Versuch, sich den Weg freizuschießen und zu entkommen, stirbt Buck in den Armen seiner Frau, die wegen Unterstützung der Gangster verhaftet wird.
Bonnie versucht Clyde zu trösten, der sich zum ersten Mal in seinem Leben richtige Vorwürfe macht. Sie weiß, dass auch Ihnen nicht mehr viel Zeit bleibt. Aber es ist der Preis, den sie zu zahlen bereit ist. Auf dem Weg, heimlich ihre Familie zu treffen, werden Bonnie&Clyde in ihrem Auto erschossen.
Kritik
Ich schreibe nicht gern darüber, dass ich von einem Stück enttäuscht bin. Es sind so viele Gewerke dabei, die ihr bestes geben und bis so ein Stück aufgeführt wird, wirft jeder, der beteiligt ist, sein ganzes Können und seine Leidenschaft mit hinein. Und doch muss ich an dieser Stelle auseinanderbröseln, dass da meines Erachtens nichts zueinander passt. Ich hoffe, mir gelingt das, denn ich möchte keine Generalabrechnung schreiben und nicht allen alle Fehler anlasten. Man muss trennen: Das Stück selbst, wie es inszeniert wurden und wie es schlussendlich durch die Darsteller interpretiert wird.
Skript
Die Geschichte eines sich liebenden, räuberisches Pärchens, die durch Verbrechen Berühmtheit erlangen, sich dabei aber immer wieder die Frage stellen müssen, wie weit sie gehen sollen und dürfen, wem gegenüber sie sich weiterhin loyal verhalten und was dieser Weg mit ihnen und der Umgebung macht: Das hat großes Potential. Schon im Vorfeld hab ich mich unbändig gefreut auf Liebe und Action und vielleicht tiefe Zerrissenheit. Diesem Erwartungsdruck meinerseits hat das Musical nicht standgehalten. Action eher wenig bis gar nicht, dafür umso mehr laue Gefühlsduselei. Innere Zerissenheit ebenfalls selten, tritt dann aber auch nicht immer offen zu Tage. Aber der Reihe nach:
Mir gefällt absolut nicht, dass der Großteil der Figuren keine Entwicklung durchmacht und wenn, dass diese nicht augenscheinlich auf der Bühne passiert:
Dass Clyde von Anfang an Verbrecher sein will, es auch wird und bleibt, ist noch ganz in Ordnung. Am Beginn wird das durch einen Kinderdarsteller verdeutlicht, der schon (sehr professionell) davon singt, wie er sich sein Leben vorstellt. Hin und wieder steht dieser kleine Clyde auch im Verlauf an der Seite des Großen, so dass klar wird, dass da ein Weg vorgezeichnet war. An diesen Stellen ist Clyde authentisch, wenn er in ruhigen Momenten reflektiert. Abseits dieses Ideals gibt sich Clyde wie ein lässiger Sonnyboy. Nur an ganz wenigen Stellen, zum Beispiel, als er zum ersten Mal einen Mensch erschießt, hält er inne. Oder als Buck stirbt. Diese Szenen sind gut und wichtig, aber sie gehen schnell vorbei und die Eindrücke, die dem Zuschauer vom Charakter Clydes gegeben werden, sind plötzlich wie weggewischt.
Die Liebe zwischen ihm und Bonnie erfährt keinerlei Entwicklung. Er trifft sie, er liebt sie und bleibt dabei lässig, cool und für einen kompromisslosen Menschen sehr sehr romantisch. Ständig wird geküsst und Süßholz geraspelt. Mehr passiert nicht. Einmal, ja, als dieser erste Mensch durch Clyde den Tod findet, gerät Bonnie in Konflikt zu ihrer Liebe und will gehen. Das ist eine intensive Szene. Sie packt ihren Koffer und will gehen, Clyde will sie zurückhalten. Das geht hin und her und plötzlich bleibt sie, ohne dass ich als Zuschauer mitbekommen habe, warum. Und schon ist die Szene vorbei und es wird wieder geküsst und gesäuselt.
Der Wandel von Bonnie, deren größter Traum ein glamouröses Leben ist, zu der Frau, die raubend und mordend mit ihrem Partner unterwegs ist, vollzieht sich schon irgendwie, aber nicht sehr glaubhaft auf der Bühne. Sie entscheidet sich, zu bleiben und so ist es dann auch. Von dem Moment an ist sie ähnlich lässig wie ihr Geliebter. Das ist schwer nachzuvollziehen und gänzlich unspannend gelöst. Dabei möchte sie zunächst Clyde noch überreden, sich zu stellen, dann holt sie ihn raus aus dem Gefängnis und dann, nachdem sie sich entscheiden hat, nach seinem ersten Mord bei ihm zu bleiben, findet sie das alles doch irgendwie total toll. Scheinbar gefällt ihr der Ruhm, den sie dadurch erreicht. Aber das wird in genau einer Szene abgehandelt (die mit dem Autogramm beim Überfall) und dann ist es auch wieder vorbei und es ist ab da halt so. Und dann passiert wieder eine halbe Stunde gar nichts. Ich weiß nicht, aber mir ist das alles zu platt und geht sehr unauffällig über die Bühne. Wieviel Möglichkeit hätte man gehabt, in drei Stunden den Wandel darzustellen, den sie durchmacht?
Ich finde, da hat schon allein das Skript viele Möglichkeiten verschenkt. Da, wo es schön gewesen wäre, etwas auszuerwählen, da geht alles immer sehr schnell, dafür wird dem Status Quo unheimlich viel Raum gegeben.
Bonnies Jugendfreund Ted, der bei der örtlichen Polizei arbeitet, ist ein ähnliches Beispiel. Er liebt Bonnie und kann es nicht mitansehen, was sie da tut. Er negiert, dass „seine“ Bonnie Clyde aus dem Gefängnis geholt hat, auch wenn es offensichtlich ist.
Er kann nicht glauben, dass sie auf die schlechte Seite gewechselt ist. Das ist beim ersten Mal sehr anrührend. Diese Szene wiederholt sich aber ein zweites und ein drittes Mal, ohne, dass augenscheinlich irgendeine weitere Facette dazukommt. Das ist schlicht und einfach überflüssig und langweilig.
Die Szenen mit den Polizisten, die überlegen, wie sie die beiden kriegen könnten, geraten eher unfreiwillig komisch in meinen Augen. Das wird dadurch verursacht, dass die Szenen insgesamt alle sehr kurz sind. Man hat denen keine Zeit gegeben, sich eine Plan zurechtzulegen, um beide zu kriegen. Die waren eher mit sich selbst beschäftigt. Durch die kurzen Einzelszenen haben die auf mich sehr stümperhaft gewirkt.
Einzig der Handlungsstrang, der Clydes Bruder Buck und sein Frau behandelt, kommt frischer daher. Dieses Paar ist spannend, weil auf den ersten Blick so unterschiedlich. Auch sie haben immer wiederkehrende Szenen, aber die unterscheiden sich alle ein klein wenig. Die sind aufregender, weil immer so eine latente Spannung herrscht: Er, der seinen Bruder verehrt und auch gerne mitmischen will, auf der anderen Seite seine gläubige Frau, die ihn auf die richtige Seite ziehen will. Die kommt so steif daher, dass mir da immer der Mund offen stehen blieb, wenn sie aufeinander getroffen sind. Da wurde auch geküsst, aber Hallo! Und dazwischen eine Riesen Portion leidenschaftliche Liebe, die diesen Konflikt (meistens) sehr lebendig und ehrlich erscheinen lässt. Und hier bekommt der Loyalitätskonflikt auch den Raum, den er verdient. Und schon nach der ersten Szene hat dieses schon durchaus skurrile Pärchen deutlich mehr Sympathiepunkte bei mir, als der langeweilige, ewig lässige Sunnyboy Clyde.
Insgesamt hat das Skript für mich schon falsche Akzente gesetzt und der Figurenentwicklung zu wenig Raum gegeben.
Musik
Die Musik des Stückes macht zu Beginn unheimlich viel Spaß. Die Melodien klingen nach dem Swing der 20er und 30er Jahre und sind auch entsprechend instrumentiert. Sie fangen die Atmosphäre gut ein und mit viel Schwung werden sie von den Musikern dargeboten. Aber was spannend beginnt, wandelt sich durch Variationsarmut in Beliebigkeit. Viele Lieder sind sich in der Grundidee sehr ähnlich. Da der 1.Teil auch inhaltlich immer wieder stagniert, präsentierte sich mir „Bonnie&Clyde“ bald zäh wie Kaugummi.
Selbst die dramatischen Szenen, beispielsweise als die vier in ihrem Apartment umstellt werden und im Schusswechsel Buck todbringend verletzt wird, sind untermalt mit der Swing-Musik und nimmt mir so ein bisschen die Ernsthaftigkeit und diese erschütternde Atemlosigkeit, nach der ich mich gesehnt habe. Wieder stellt sich das Gefühl der Beliebigkeit ein, wieder plätschert eine intensive Szene einfach so vor sich hin. Wieso traut sich das Musical nicht, diese Szene (wie andere auch) musikalisch eindeutig einzuordnen?
Die Abmischung der Musik enttäuschte ebenso. Das Orchester war durchgehend zu laut, ich habe sehr sehr wenig Text überhaupt verstanden. Dass mir dadurch Teile des Spannungbogens fehlen ist verständlich. Aber vielleicht war das an anderen Abenden anders, und der geneigte Zuschauer, der tatsächlich alles verstanden hat, konnte sich dem Musical vielleicht stärker nähern als ich. Das einzige Lied, bei dem ich alles mit bekommen habe, war das, das Clyde in der Badewanne sitzend singt. Ansonsten ist mir das Lied in Erinnerung geblieben, das Bonnies Mutter singt: Sie beklagt das Schicksal ihrer Tochter und hadert damit. Und das Lied „Sterben ist nicht schlimm“. Es fasst eindringlich die zerstörerische Liebe der beiden Hauptprotagonisten zusammen.
Inszenierung
Sehr bieder und mutlos kam meines Erachtens die Inszenierung selbst daher. Sie orientiert sich sehr an der Broadway-Version. Aber was in New York flüssig und peppig daherkommt, wirkt hier eher gehemmt.
Das Stück bietet in der Hauptsache sehr viel kurze Szenen, dazwischen wird ständig umgebaut. Das das ziemlich gut funktionieren kann, wenn auf offener Bühne die Kulissen gewechselt werden, kann man in kleineren Produktionen („Blutsbrüder“ in Brunn am Gebirge) und in großen Long-Runs („Der Glöckner von Notre Dame“ in Stuttgart) beobachten. Hier ging es daneben. Gefühlt werden alle 2 Minuten Tische hin- und her getragen und das große Gestell, das mit runtergelassenen Gittern das Gefängnis darstellt, verschoben. Teilweise hab ich gar nicht erkannt, warum dieses oder jenes Kulissenteil in der Position verändert wurde. Man hätte es auch am vorherigen Ort bespielen können. Der Erzählfluss wurde immer wieder gestoppt, man kam nie in einen Flow, nach fast jedem Lied kam das Umbau-Dunkel. Es war für ich mehr eine Aneinanderreihung von Szenen, als dass die sich wirklich miteinander verbunden oder miteinander verflochten hätten.
Ich habe nicht verstanden, warum der Esstisch der Familie nicht gleichzeitig als Schreibtisch der Polizisten dienen konnte, sondern diese beiden Kulissenteile wirklich in jeder Szene hin-und hergetragen wurden. Die Inszenierung war da einfach nicht mutig genug und hat sich einfach nix getraut. Und warum Clyde sein Liebeslied angezogen in einer Badewanne singt, entzog sich auch meiner Fantasie. Wenn man die Badewanne schon reinschleppt, dann setzt den Clyde doch bitte (oben) nackig rein. In New York macht das dann Sinn, hier wirkt das sehr belustigend und/ oder mutlos. Dann hätte man doch die Badewanne weggelassen…
Die Bühnenarbeiter haben gefühlt mehr Zeit auf der Bühne verbracht als die meisten Nebendarsteller. Das war aber auch die einzige Action. Selbst die kurzen, knackigen Spielszenen haben es nicht geschafft, mir das Stück als abwechslungsreich zu verkaufen. Ich fand es immens eintönig.
Bei den Blutsbrüdern ging eine Szene nahtlos in die andere über. Hier funktionierte das leider nicht. Die Broadway-Version löst das um einiges trickreicher durch eine dreiteilige Wand, deren Teile bei Bedarf heruntergelassen werden. Dahinter wird versteckt umgebaut und man kann ohne Verzögerung diesen Teil wieder bespielen, wenn er benötigt wird. Dadurch wirken auch die Projektionen frischer und zugehöriger. Einige sind überflüssig, aber manche Originaldokumente oder Bilder bringen einem immer wieder erschreckend ins Gedächtnis, dass diese Geschichte so passiert ist. Besonders die Bilder des erschossenen Pärchens überziehen einem am Schluss nochmal mit Gänsehaut.
Darsteller
Mark Seibert als Clyde Baron
Ja, Mark Seibert und ich, wir pflegen ja ein schwieriges Verhältnis. Ich weiß nicht, was es ist. Aber irgendwas an Mark Seibert finde ich unglaublich anziehend. Möglicherweise sein Äußeres, denn man muss unumwunden zugeben, er ist eine attraktive Erscheinung. Aber das greift bei mir noch zu kurz, passt er doch in mein Beuteschema so überhaupt nicht. Was also ist es dann? Ich weiß es nicht. Sein Schauspiel jedenfalls nicht. Damit komme ich nicht zurecht. Ich sag nicht, dass er schlecht spielt. Aber immer irgendwie mit angezogener Handbremse. Ich habe immer das Gefühl, ihm ist auf der Bühne sehr wichtig, wie er wirkt und spielt entsprechend. Das macht er durchaus nicht schlecht. Ich persönlich warte aber immer auf den Moment, in dem es eine Explosion gibt und der Herr Seibert mal den äußeren Schein beiseite und den inneren Herrn Seibert ans Steuer lässt. Da brodelt doch was unter der Oberfläche. Da hab ich als Zuschauer schon die Ahnung, dass da noch was schlummert, aber er zeigt es nicht. Mir fehlt bei ihm der absolute Mut, sich aufzugeben und sich diese Rolle überzustreifen. Er wirkt immer ein wenig aufgesetzt. Dieser Eindruck entsteht möglicherweise durch seine große Gestik. Die war mir schon in Schikaneder zu ausladend, allerdings fand ich sie da noch halbwegs zur Rolle passend. (Ich mag das allgemein nicht, siehe Ann Mandrella in Blutsbrüder). Los, Herr Seibert, jetzt wirf doch mal alle Fesseln über Bord und hau mich vom Sessel! möchte ich ihm durchweg zurufen.
Dabei gäbe es schon Szenen, die unter die Haut gingen: Im Gefängnis, wo der große selbstverliebte Clyde die Aufseher anfleht, ihn vor seinem Peiniger zu schützen. Diese Verzweiflung beispielsweise bräuchte es dringend, um aus dem Sonnyboy einen ganzen Menschen zu zeichnen. Das gelingt Seibert nur ansatzweise im Vergleich mit Jeremy Jordan in der englischen Version.
Am Gesang gibt es gar nichts auszusetzen und den Charmeur und den Verliebten, auch den lässigen Sunnyboy kann er gut. Aber er bleibt mir zu eindimensional: Als Gangster, der nie etwas anderes wollte, als leben, als gäbe es kein Morgen und sich einfach nehmen, was er will, fehlt mir zum Beispiel noch das letzte Quäntchen Kompromisslosigkeit, um den Charakter zu vervollständigen.
Dorina Garuci als Bonnie Parker
Sie ist eine irre schöne Erscheinung. Sehr zart und zerbrechlich, leicht exotisch mit den roten Haaren. Die Träumerin steht ihr gut und da war ich von Anfang an ganz bei ihr. Die Sehnsucht, die sie spürt, als Berühmtheit ein glamouröses Leben zu führen, war auch für mich greifbar. Am besten hat sie mir gefallen, als sie ihre Mutter besucht und sich von ihr lösen muss, um nicht aufzufliegen. Ehrliche Verzweiflung konnte ich da fassen. Ansonsten harmonierte sie gut mit ihrem Bühnenpartner. Und sie hat enorme Kraft und ein riesiges Volumen in ihrer Singstimme. Sie gefällt mir deutlich besser als Mark Seibert, sie zeichnet ihren Charakter ein wenig runder. Dass auch ihre Figur stellenweise nicht nachvollziehbar handelt und in der Charakterzeichnung eher blass bleibt, ist nicht ihr anzulasten, sondern einem schwachen Skript.
Die wahren Star des Musicals finden sich in den Nebenrollen:
Carin Filipčić als Emma Parker, Mutter von Bonnie
Es schmerzt, ihr zuzusehen, wie sie ihr Kind an einen Kriminellen verliert. Wie alle Mütter glaubt sie, dass ihre Tochter etwas Besseres verdient hat und auch selbst zu etwas besserem im Stande ist. Dabei steht sie derart präsent auf der Bühne, dass man nicht wegschauen kann.
Insgesamt erinnert mich ihre Figur an die Gräfin Larisch, die sie in Rudolf gegeben hat. Auch das Lied, indem sie den Weg ihrer Tochter bedauert, ist dem „Die Liebe lenkt“ von Stil her sehr ähnlich. Hat mich nicht gestört. Ich habe das nie live gesehen, sondern nur auf der großartigen DVD und freute mich narrisch, die große Filipčić bei der Interpretation zu beobachten. Für mich hat sie das Format eines Weltstars.
Michaela Christl als Blanche Barrow
…als Bucks Frau und Clydes Schwägerin ist sie eine Wucht.
Sie hat dramaturgisch einen verdammt harten Part. Sie muss eine überaus christliche Frau spielen, die ihren Mann über alle Maßen liebt und sich am Ende, nach langem Ringen, doch allein durch die Liebe zu ihm und gegen ihre Überzeugung schuldig macht. Es ist die einzige Figur, der man bei ihrer Entwicklung zusehen kann und die Sängerin stemmt diesen Part bewundernswert. Sie versteht die Intention und Loyalität ihres Mannes im selben Maß, wie sie Clyde hasst. Sie gerät in den Zweispalt, sich entscheiden zu müssen zwischen ihren Prinzipien und ihrem Ehemann. Dieser Zwiespalt wird deutlich betont: Ihre christlichen Prinzipien trägt sie vor sich her und betont in einem schönen Lied, dass sie keine materiellen Reichtümer braucht, um ein lebenswertes Leben zu führen. Und doch gibt sie sich wie ein Kind dem sinnlichen Genuss der Süßigkeiten hin, die ihr Buck vom Geld eines Raubzuges kauft.
Das Duett der beiden Frauen – Bonnies und Blanche – in dem sie die Liebe zu ihrem jeweiligen Partner bekräftigen, ist mit weitem Abstand das beste im ganzen Stück. Sämtliche Zuschauer sahen das wohl ähnlich: Die beiden Damen wurden mit Applaus quasi überschüttet.
Reinwald Kranner als Marvin „Buck“ Barrow
Auch er war immer zerrissen zwischen der Liebe und Loyalität zu seiner Frau und der Loyalität seinem Bruder gegenüber. Den bewundert er zusehends für seinen Mut, auszubrechen aus Armut und Depression. Und obwohl im – auch durch seine Frau – von Anfang an klar ist, dass dieser Weg der falsche sein muss, erliegt er dennoch nach langem Kampf dem Charme und der Verlockung des auf Verbrechen gegründeten Reichtum und des Ruhms. Dieser Kampf hat es in sich und den ficht er auch gekonnt mit sich aus. Reinwald Kranner schmeißt hier alles, was er ist und was er hat, in die Waagschale. Er gibt der Liebe zu seiner Frau immer wieder eine immense Leidenschaft, die anfangs oft ein wenig verstört, weil sie weder zu ihm noch zu seiner eher steifen Frau passen will. Aber man kriegt die Idee, dass die Armut, in der sie leben und die aus allen Winkeln winkende Hoffnungslosigkeit sie zu diesen eher steifen Zeitgenossen gemacht haben. Diese Hülle sprengen sie jedesmal gekonnt, wenn sie aufeinandertreffen. Das ist – wie gesagt – am Anfang erst irritierend. Dann hab ich mich jedesmal gefreut, das beobachten zu können.
Insgesamt ist er für mich der deutlich lebendigere Teil des männlichen Gangster-Duos.
Alle anderen machen ihre Sache auch gut, da gibt es nichts zu meckern.
Martin Berger
…als Pfarrer überzeugt ebenfalls mit seiner Singstimme. Allerdings entfalten diese Szenen nicht den Wumms wie in der englischen Version. Nicht ihm anzulasten, aber dennoch schade, denn so wirkten diese Szenen überflüssig. Dabei ist ihre Wichtigkeit in der Dramaturgie nicht zu unterschätzen: Das regelnde Kollektiv der Kirche im Gegensatz zum individuell gewählten Verbrecherleben.
Auch die dazugehörige Ensemble-Szene fügt sich nicht recht ein ins Gesamtbild. Überhaupt gibt es verschwinden wenige Ensemble-Szenen, was ich persönlich sehr bedauere: ich liebe große Chorszenen.
Fazit
Im ersten Akt habe ich mich fürchterlich gelangweilt. Im 2. Akt war es dann besser, aber richtige Spannung wollte nicht aufkommen. Am störendsten war das ewige Umgebaue der Kulissen, das war einfach zuviel des Guten. Ich finde, das Musical wird schon von der Idee, wie es die Geschichte erzählt, der Dramatik der Story nicht gerecht, die Inszenierung selbst kommt zusätzlich noch sehr bieder daher. Die Darsteller waren allesamt gut. Auch Mark Seibert, von dem ich aber glaube, dass er seinen Clyde noch deutlich vielschichtiger präsentieren könnte.
Und zum guten Schluss: dieses Theater ist von den Temperaturen schlichtweg eine Zumutung. Die Hitze hat schon nochmal einen deutlichen Anteil daran, dass mir der Abend mehr negative als positive Aspekte beschert hat.
Fotos: Joachim Schlosser Fotografie
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