Die Geschichte ist vielen zwar durch den Bestsellerroman bekannt. Sie mutet mittelalterlich an, aber ist in ihrer Interpretation moderner denn je. Sie mitreißend und tragisch zu gleichen Teilen und geht unter die Haut. Zusammengefunden hat sich zur Aufführung der „Päpstin“ zudem ein außergewöhnlich gutes Ensemble. Die technischen Geschicke waren meisterhaft umgesetzt. Und dann ist Ludwigs Festspielhaus Füssen ein Ort mit warmer Ausstrahlung und unglaublich majestätischer Aura. Kurz: Rundum verwöhnt hab ich mich gefühlt an diesem 2. Dezember beim Musical „Die Päpstin“ in Füssen!
Handlung
Als die kleinen Johanna im frühen 9. Jahrhundert geboren wird, ist das für den Vater eine Katastrophe: Mädchen zählen nichts in dieser Zeit. Ihr ganzes Leben wird Johanna eingesperrt sein in ein Gefängnis aus Vorurteilen und rückständigen Ideen. An ihrem Beispiel wird gezeigt, wie Jahrhunderte lang die Frauen unterdrückt und gedemütigt wurden allein deshalb, weil sie Frauen waren. Die Urschuld von Eva, deretwegen die Menschen aus dem Paradies vertrieben wurden, liegt auch auf Johannas schmalen Schultern.
Sehr bald schon stellt sich heraus, dass sie außerordentlich begabt ist. Ganz nebenbei lernt sie lesen und schreiben, obwohl es ihr verboten ist. Äskulapius wird auf sie aufmerksam und schafft es, sie mit an die Domschule zu nehmen. Dort ist sie als einziges Mädchen dem Mobbing ihrer Mitschüler ausgesetzt. Einzig Äskulapius kümmert sich um sie und Gerold, ein Edelmann, der Neuem gegenüber aufgeschlossen ist. Er lässt Johanna bei sich wohnen.
Das Mädchen wächst zu einer jungen Frau heran. Ihr schönes Leben findet ein jähes Ende, als Äskulapius nach Rom beorderten wird und Gerold Anführer der kaiserlichen Truppen wird und ebenfalls fort muss. Gerolds Frau, der das gute Verhältnis zwischen Johanna und ihrem Mann ein Dorn im Auge ist, möchte das Mädchen in Gerolds Abwesenheit verheiraten. Bei der Feier fallen die Normannen ein und töten die ganze Gesellschaft bis auf Johanna. Sie nimmt die Identität ihres toten Bruder Johannes an und tritt als Mann verkleidet in ein Kloster ein, wo es ihr weiter möglich ist, Schriften zu studieren. Sie eignet sich dort heidnisches Wissen über Medizin an. Da sie Gefahr läuft, entdeckt zu werden, flieht sie mit einer Pilgergruppe nach Rom.
Dort macht sie sich einen Namen als großer Heiler und wird schließlich Leibarzt des Papstes. Ihre Barmherzigkeit macht sie überall sehr beliebt. Der heilige Vater aber wird hinterrücks von Anastasius und seinem Sohn Arsenius, die nach dem Papstthron trachten, ermordet. Die Kardinäle wählen Johannes Anglicus – Johanna – zum neuen Papst. Immer an ihrer Seite ist der zurückgekehrte Gerold. Bald erwartet sie ein Kind von ihm. Als bei der Osterparade Gerold umgebracht wird, erleidet Johanna auf offener Straße eine Fehlgeburt und muss sich im Sterben als Frau zu erkennen geben.
Das Stück
Am Anfang war die Sünde.
Am Anfang der Menschheit stand – nach biblischer Überzeugung – die Sünde.
Die Sünde der ersten Frau Eva, die eine Frucht vom Baum der Erkenntnis gegessen hatte und auch ihrem Mann Adam ein Stück davon gegeben hatten.
Am Anfang des Musicals war die Sünde.
Es beginnt mit dem Augenblick kurz bevor Johannes Anglicus – Johanna – zum Papst geweiht wird. Johanna hat offensichtlich Angst. Sie steht an einer Stelle, die ihr nicht zugedacht war, die sie sich durch falsches Zeugnis erschlichen hat und fürchtet, dass Gottes Zorn sie treffen könnte.
Am Anfang ihres Lebens war die Sünde und die Schuld.
Schon die Frau, die Johanna auf die Welt gebracht war, hatte Schuld auf sich geladen. Die Keltin huldigte weiter ihren nordischen Göttern und zog so immer wieder den Zorn ihres Ehemannes auf sich.
Am Anfang ihres eigenen Lebens war die Schuld.
Die Schuld, als Mädchen geboren worden zu sein. Der Vater lässt das den Zuschauer und das kleine Mädchen in jeder Sekunde spüren.
Am Anfang war die Sünde und die Schuld, auch bei Johannas Gegenspielern Anastasius und Arsenius.
Sie werden vorgestellt in einem Augenblick, da ein päpstlicher Bote ihre Karrierepläne zerstören will und sie ihn deshalb umbringen.
Am Anfang ihrer einzigen Liebe steht die Schuld:
der auserwählte Gerold ist bereits verheiratet.
Am Anfang ihrer Herrschaft als Papst steht die Schuld: Johanna verleugnet ihre Weiblichkeit. Ihre „Karriere“ hat sie sich durch Lüge erkämpft.
Frei von Sünde und Schuld sind hier die wenigsten Charaktere. Und da drängt sich die Frage auf nach der Bewertung der Schuld. Was wiegt schwerer? Was passiert mit fehlerhaftem Verhalten, wenn aus ebendiesem Verhalten etwas Positives erwächst? Darf man schummeln, um eine allgemeine Verbesserung der Lage zu erreichen?
Dieser Themenkomplex ist wunderbar bearbeitet worden. Wie Menschen mit ihrer Schuld umgehen, wird gegensätzlich und damit eindeutig gezeigt: Die Kirchenmänner allesamt stören sich wenig an der Sünde. Alle anderen kämpfen mit ihrem Fehlverhalten, allen voran natürlich Johanna. In all diesen deprimierenden Verstrickungen wird Äskulapius installiert, als der eine Aufrichtige. Er ist weise, bedacht und aufrecht und führt mit dieser Aufrichtigkeit den Zuschauer sicher durch den ganzen Sündenpfuhl.
Interpretation: Die Frage nach dem Wer bin ich?
Im Mittelpunkt der Geschichte steht eine Frau, die ihr ganzes Leben auf der Suche ist nach sich selbst. So, wie sie ist, Mit all ihren Talenten, kann sie als Mädchen kein befriedigendes Leben führen. Johanna ist anders und dabei geht es noch nicht mal um die rasche Auffassungsgabe, die sie mitbringt und die es ihr erlaubt, nebenbei lesen und schreiben zu lernen. Johanna ist hochintelligent. Sie besitzt einen Intellekt, der ihr erlaubt, über das Lesen und Schreiben hinaus selbstständig weiter zu denken. Gedanken, die sie gehört hat, nicht nur aufzunehmen, sondern sie zu benutzen, weiterzuentwickeln, mit bekannten Dingen zu verknüpfen und damit – heute würde man sagen – zu forschen.
Um Streben nach Wissen zu befriedigen, muss sie ihr wahres Ich verleugnen und als Mann leben. Denn weder die Zeit noch die Umstände erlaubten ihr nicht, sich auszuleben, so dass Johanna sich immer nur falsch und abgelehnt fühlte.
Und so lebt Johanna ein Leben lang in einem moralischen Dilemma.
Wer bin ich?
Was macht mich aus?
Wie werde ich gesehen?
Wieviel von mir darf ich verbergen, um trotzdem noch (an)erkannt zu werden als Mensch, der ich sein will?
Was darf ich mir erlauben?
Wo ist mein Platz in der Gesellschaft und passt dieser Platz, den mir die Gesellschaft zuweist auch zu mir?
Wenn ich diese Fragen so aufschreibe, denke ich zunächst an ganz moderne Fragen der Philosophie oder Psychologie, nicht unbedingt an ein Musical.
Doch Johannas Suche nach ihrer Identität ist ohne weiteres auf heutige Zeit und zahlreiche Biographien übertragbar:
Johanna hadert mit den Menschen um sie, die nie erkennen, was in ihr steckt. Die ihr nicht erlauben, ihre Fähigkeiten zu nutzen, weil sich nicht ansatzweise den Hauch der Ahnung haben, was dieses Kind vermag. Neugierde und Wissensdurst sind unheimlich, teuflisch. Und seien wir ehrlich: das ist auch heute noch so. Neugierige, wissensdurstige Kinder, die sich mit Freude auf Lerninhalte stürzen und dort brillieren, werden auch heute noch meist abwertend als Streber abgestempelt. Die Szene nach Unterrichtsschluss kommt nicht sehr mittelalterlich daher. Sie wurde quasi zurückgespiegelt aus der heutigen Zeit ins Mittelalter. Es ist die Angst vor Unbekanntem, der Neid auf Fähigkeiten und Eigenschaften. Meine eigene Erfahrung als Mutter zweier hochbegabter Kinder bestätigen mir das, inklusive das Draufhauen auf dem Nachhauseweg..
Es ist schwierig, wenn man wahrnimmt und erkennt, dass man selbst anders ist. Das lässt sich auf so viele andere Situationen übertragen. Egal ob Behinderung, sexuelle Orientierung, schon allein das Aussehen reicht, um sich anders, ausgegrenzt zu fühlen. Sofort schleicht sich der Gedanke ein, dass man selbst Schuld ist an dieser Situation. Man versucht sich anzupassen und merkt aber, dass auch das nicht der richtige Weg sein kann. Die Frage der eigenen Identität beantwortet sich nicht mehr durch freies Ausprobieren und sich selbst Beobachten, sondern nimmt den Fokus weg von sich auf die Mitmenschen und was diese tun und fühlen. Dann konzentriert sich alles auf ein Hadern. Hadern mit der Gesellschaft, die einen umgibt, Hadern mit sich selber, möglicherweise Hadern mit einer höheren Macht. Das blockiert und raubt Kraft.
Genauso wird das Bild der mittelalterlichen Gesellschaft gezeichnet, die rückwärtsgewandt an altem festhält anstatt Neuem eine Chance zu geben. Über diese Art schüttelt man verstört den Kopf, doch schon am nächsten Tag beim Blick in der Zeitung – Stichwort Inklusion, Fremdenhass, Ungleichbehandlung von sexuell anders orientierten Menschen, Gehaltsvergleich der Geschlechter – sieht man, dass sich die Gesellschaft zwar weiterentwickelt hat, aber immer noch einen weiten Weg vor sich hat.
Johannas Suche nach Identität
Beim Betrachten der Identität geht es einerseits darum, zu erkennen, dass die Entwicklung der Persönlichkeit abhängt von den Erfahrungen der Vergangenheit: Ich bin das, zu was ich bis zum jetzigen Zeitpunkt durch unterschiedlichste Faktoren gemacht wurde. Diese Vergangenheit zu betrachten und zu reflektieren, sie zu überdenken und dementsprechend zu handeln, ist die andere Seite der Identitätsentwicklung.
Erinnerung und Gedanke, Hugin und Mugin. Das sind auch die Namen der beiden Raben der nordischem Götterwelt, die Johanna durch das ganze Stück geleiten und immer an ihrer Seite sind.
Den Machern des Musicals ist ein genialer Coup gelungen. Sie erzählen nicht nur eine durch und durch fesselnde und mitreißende Geschichte, sondern stellen eben jene Fragen der Identität und des Seins, die auch heute noch genauso gefragt werden dürfen und müssen. Diese mittelalterliche Geschichte wird fest in unsere Gegenwart verankert. Eine Geschichte, die sprachlos macht, Gedanken aufwirbelt und die richtigen Fragen stellt! Bravo!
Die Musik
Die Musik tut dem gleich. Der Einstieg ist mittelalterlich durch einen Choral geprägt. Doch schnell erfreut man sich an schmissigen Melodien, großartigen Balladen und akzentuierten Popsongs. Wunderbar gelingt die Verflechtung der mittelalterlichen Geschichte mit der Neuzeit!
Die Päpstin ist zudem geprägt von Ohrwürmern. Also Melodien, die einem sofort ins Ohr gehen und auch im Gedächtnis bleiben. Die Sorte Lieder, von denen man nur eine Textzeile weiß, diesen aber auf dem Nachhauseweg die ganze Zeit vor sich hinsingt mit viel Lalala auf die übrigen Melodietakte.
Zum Ruhme der Familie gehört unbedingt dazu. Es ist das Lied, in dem Arsenius und sein Sohn Anastasius gemeinsam ihre Taten rechtfertigen und ihre Wege zum Ziel deutlich artikulieren.
In dieselbe Hitschiene weil ebenso poppig-melodiös sind Im Namen des Herrn, das beim Gelage in Dornstadt ertönt und Ewiges Rom.
Deutlich verstörender, aber trotzdem oder vielleicht deswegen im Gedächtnis bleibend ist Wechselbalg, die Wutrede von Johannas Vater auf das ungezogene Kind.
Hymnen auf große Städte haben öfter mal Ohrwurmcharakter: Vivaldi besingt Rom, die Stadt der Kastraten in der Barockoper Vivaldi, Augsburg, Augsburg, du prächtige Stadt wird meine Heimatstadt volltönend im Fuggermusical Herz aus Gold gelobt. Hier ist es wieder Rom, diesmal mit dem Zusatz Ewiges Rom.
Duette, die nicht zueinander gewandt gesungen werden, haben für mich immer einen speziellen Reiz. Wehrlos ist ein Liebeslied, wie man es besser kaum schreiben kann. Johanna und Gerold singen es. Beide wissen um ihr Gefühl für den jeweils anderen, sind aber allein damit.
Die volltönende Erhabenheit, wie sie manchmal in beeindruckenden Kirchen herrscht, aber eben auch die Beherrschtheit der Klosterbewohner, die Beklemmung frisst sich in Hinter hohen Klostermauern ins Zuschauerohr und lässt begeisterte und gedrückte Stimmung zurück.
Es reihen sich unheimlich viele gut komponierte Hits aneinander. Sie halten perfekt die Waage zwischen ruhigen Balladen und flotten Titel, die aufgrund ihrer Rhythmen dazu auffordern, pfiffige Choreographien zu entwerfen.
Inszenierung
Choreographien
Was ich an Ludwigs Festspielhaus in Füssen so liebe, ist das Tanzensemble. Das ist energetisch und kraftvoll. Alle Tanzszenen waren ausnahmslos spitze. Die schönste Szene der Inszenierung ist die Cäsarin von Rom. Mit wunderbar kreativen Bildern, mit Laszivität und auch ein wenig Selbstironie stellen die Damen des Balletts eine zwar wenig verruchtes, dafür aber höchst phantasievolles Freudenhaus auf die Beine. Natürlich müssen die akrobatisch versierten und dennoch anmutigen Raben, dargestellt von Stefanie Gröning und Vera Horn, Erwähnung finden. Insgesamt wieder eine Freude, anzusehen. Die Choreographien profitieren allerdings auch von den genialen Melodien.
Ton
Ludwigs Festspielhaus Füssen zaubert.
Das Musical ist toll, die CD aber finde ich nicht uneingeschränkt toll. Beim Hören der CD muss ich aber sagen, dass mir die zwei großen Solonummern der Johanna Ich bin allein und Wer bin ich, Gott, am allerwenigsten Gefallen, obwohl das die intensivsten sein sollten. Ich nehm die Sängerin der CD-Aufnahme mal raus, ich denke nicht, dass es etwas mit den Sangeskünsten von Sabrina Weckerlin zu tun hat.
Ich habe die CD erst nach dem Besuch des Musicals gehört und war ein wenig enttäuscht. Natürlich bringt eine Stereoanlage nicht den Wumms und nicht genau die Athmosphäre eines Theaters. Aber die CD arrangiert beide Lieder ähnlich und beide klingen ein bisschen im Intro wie Ich lass los aus dem Disneyfilm Die Eiskönigin: Sehr brav und mädchenhaft. Es perlt sogar ein wenig, die Klavierakkorde lassen das Stück nicht so verzweifelt wirken, wie ich mir das erhofft hatte. Mir ist das ein wenig zu Disney. In Füssen war die Instrumentierung ein wenig anders und – da kommen wir zur gigantischen Leistung des Füssener Hauses – der Ton war bis zur Perfektion richtig abgemischt.
Wahnsinn! Bis in den ersten Rang war der Ton exzellent. Die Töne waren laut, voll und warm, und zwar nicht nur bei diesen beiden Liedern, sondern unabhängig vom Lied und vom Sänger. Der Ton hat mich eingehüllt. Ich hatte das Gefühl, ich hörte nicht nur mit den Ohren, sondern mit meinem ganzen Körper. Die Musik drang ganz nach innen und hat wahrhaft zauberhaftes hinterlassen!
Da haben die Klagelieder der Johanna eine deutlich größere Dimension als auf der CD. Da war der Vater derart bedrohlich, dass ich immer hoffte, er würde einfach nicht mehr auftauchen, und er kam so auch dem Charakter des Buches sehr nah.
Schneidend überheblich und arrogant Arsenius und Anastasius. Und auch die bedachteren Charaktere wie Äskulapius und Gerold klangen unheimlich präsent. Ganz feine Gefühlsregungen waren stimmlich erkennbar. So klar und rund habe ich dieses Jahr noch keine Tonabmischung gehört.
Licht
Oft fällt das Licht von oben ein. Das zaubert eine Gänsehaut-Stimmung. Das dabei die Gesichter oft ein wenig dunkel bleiben ist zwar schade, aber insofern verschmerzter, als dass die Tonabstimmung grenzgenial ist. Und die Darsteller nehmen dieses Geschenk der grandiosen Akustik an und zaubern jede Emotion über die Stimme.
Ansonsten unterstützt das Licht die Geschichte teilweise ganz vordergründig: es wird dunkel, wenn Johanna sich alleine fühlt. Einsamkeit und Dunkelhait lassen sich gut miteinander kombinieren. Von oben strahlendes Spots versinnbildlichen hohe Säulen Kirchensäulen.
Nachdem die Normannen die Hochzeitsgesellschaft niedergemetzelt haben, strahlt orangerotes Licht im Hintergrund und zusammen mit dem Nebel sieht es aus, als würde noch ein Restfeuer lodern und Niedergebranntes rauchen.
Manchmal tauchen aber auch schöne Anspielungen auf, die vielleicht nicht jeder wahrnimmt, trotzdem aber einen runden Gesamteindruck hinterlassen: zum Beispiel, wenn das Licht dreistrahlig einfällt und damit auf die göttliche Dreifaltigkeit
Darsteller
Anna Hofbauer als Johanna/ Johannes Anglicus
Ich kann gar nicht so richtig beschreiben, wie begeistert ich von Anna Hofbauers Johanna bin. Johanna ist so ein ruhiger, zurückgenommener und bedachter Charakter. Es ist nicht einfach, stille Charakter vollständig darzustellen. Aber Anna Hofbauer nimmt den Zuschauer richtig mit. Sie nimmt sie mit auf die Reise durch die Geschichte und zeitgleich auf die Reise in das Innere der jungen Frau. Und das ist eindringlich und überaus berührend.
Ich sitze oft sehr nahe an der Bühne, weil ich sehr Mimik-affin bin. Diesmal aber hat es mich nach oben indem Rang verschlagen, weil ich dieses kolossale Gesamtwerk in aller Breite auf mich wirken lassen wollte. Von da oben hat man keine Chance mehr, Mimik zu erkennen. Aber Anna Hofbauer zaubert. Sie zaubert mit ihrer Stimme. Diese Stimme kann alles: zittern, brechen, beruhigen, Hoffnung geben, lieben und umfangen. Anna Hofbauer beherrscht ihr Instrument derart perfekt, dass allein der Hörgenuss diese Geschichte zu einem höchst eindrucksvollen Erlebnis macht. Anna Hofbauer hat zustande gebracht, dass ich mit den Ohren sehen konnte….
So zurückhaltend und abwartend, geduldig und demütig Johanna in Gesellschaft sein kann, so laut, so explodierend, so anklagend und so zerrissen bricht ihr Schicksal immer wieder aus ihr hervor. Auch das löst Anna Hofbauer authentisch und mit gewaltiger Kraft in der Stimme und im Spiel. Ein Wunderwerk. Danke, Anna Hofbauer!
Uwe Kröger als Äskulapius
Wärmend, erhebend, stützend – Uwe Krögers Aeskulapius war eine Wohltat. Erhabenheit in der Statur, stützende Sicherheit in der Haltung, ein im wahrsten Sinne des Wortes aufrechter Mann begegnet uns in Äskulapius. Er steht klar für die Menschlichkeit im Stück und genauso Klar war Uwe Kröger im Gesang, obwohl er die ganz hohen Töne eine Oktave tiefer nahm. Darf er gerne, habe ich gar kein Problem damit.
Er kommt auf die Bühne, er steht da und das allein reicht, um sich ganz gefangen nehmen zu lassen. Die füllende Bühnenpräsenz hat Uwe Kröger in all den Jahren kein bisschen verloren und fasziniert weiterhin.
Die ganze Geschichte über verkörpert er die Hoffnung. Immer und immer wieder hoffte ich, er würde gleich wieder auftauchen, um zu helfen, um zu trösten, zu beschützen.
Die Figur des Aeskulapius ist so notwendig in dieser so tief deprimierend und beschämenden Geschichte und Uwe Kröger versteht es exzellent, diese Hoffnung, die auf ihm ruht, zu wahren. Er behält dabei seine Haltung durch jede Widrigkeit, er ist im wahrsten Sinne des Wortes der Aufrechte. Und dieses Verständnis seiner Rolle trägt das ganze Stück.
Uwe Kröger, das war eine Meisterleistung! Vielen Dank dafür.
Kevin Tarte als Rabanus
Jetzt ist dieses Musical in seiner Gesamtheit voller Tragik, Emotion und Wucht in so vielen Gewerken phänomenal umgesetzt. Und doch gibt es dann den einen, den man nochmal extra hervorheben muss. Wo schon keine Superlative mehr möglich sind, komme ich auf Kevin Tarte zu sprechen. Als Rabanus hat er genau ein Lied und beklagt darin das Leben Hinter hohen Klostermauern.
Gänsehaut. Punkt. Mehr kann man nicht sagen.
Dagegen ist das Lied auf der CD ein lahmer Zock. Kevin Tarte tritt alle Emotionen los, die in dir drin sind. Er tut es mit den schönsten und vollsten Tönen, die auf dieser Welt zur Verfügung stehen. Mit Unverständnis singt er das Lied, und ohnmächtig gegenüber der Situation. aber dennoch schwingt immense Hoffnung mit. Er nimmt es leicht akzentuierter als …. auf der CD. Das tut dem Lied gut und zaubert für mich DEN Musicalmoment 2018! Kevin Tarte, ich bin sprachlos. Vielen Dank!
Stefanie Kock als Johannas Mutter
Was mir an der Päpstin so wahnsinnig gefällt, ist die Figurenzeichnung. Sehr aufmerksam, aber auch sehr bedacht und behutsam finden alle Personen Entfaltung. Das beginnt schon in den kleinen Nebenrollen: Johannas Mutter ist fabelhaft erdacht und von Stefanie Kock grandios umgesetzt. Dabei reicht auch ihr einfach ihre Stimme. Damit macht sie das ganze Drama der Liebenden Mutter sichtbar.
Sie singt so nervös, so ängstlich. Man hat Mitleid und auch als Zuschauer fürchtet man sich vor dem Moment, wenn dann der Vater auftauchen wird. Sie transportiert das bis hinauf auf den ersten Rang. Der Zwispalt zwischen der Unterwürfigkeit ihrem Mann gegenüber und der Hilfe, die sie ihrer Tochter zukommen lassen möchte, ist so spürbar u d schmerzt.
Wenn sie aber dann zu sich kommt, wenn sie Johanna mitnimmt in die Welt ihrer heidnischen Götter, dann wird ihre Stimme sicher. Da spürt man ihre innere Überzeugung. Dann strahlt sie Zuversicht aus und Klarheit. Diese Klarheit findet man auch in den vollen klaren Tönen, die bis in die Höhen reichen. Man spürt, dass die Frau jetzt ganz bei sich ist und das macht einen noch viel mehr betroffen, dass das so vielen Menschen damals und auch heute noch verwehrt bleibt.
Markus G. Kulp als Gerold
Auch er macht seine Sache sehr gut. Gesanglich ebenso fehlerfrei wie seine Kollegen, ist mir sein Gerold ein wenig zu weich und zu wenig markant. Natürlich ist auch die Figur so gezeichnet. Das ganz starke Rückrat und die ganz kluge Weitsicht besitzt er in meinen Augen sowieso nicht. Das hat Kulp auch schön herausgearbeitet. Was mir ein wenig gefehlt hat, waren die Eigenschaften, die ihn zu. Oberbefehlshaber der kaiserlichen Armee gemacht haben: Entschlossenheit und Mut. Versteht mich nicht falsch. Das war eine reife Leistung, es haben für mich lediglich Nuancen zur Rundung des Charakters gefehlt!
Dennis Henschel als Anastasius
Ja, das war mal wieder ein Widersacher, wie er im Buche steht. Zunächst noch ein wenig zögernd: zu Beginn schickt ihn der Vater auf die Reise an die Macht, die voller Widerwärtigkeiten ist. Doch schon zu Beginn wird durch seine Erscheinung klar, wo er steht und was er ist: von Anfang an taucht er auf eingehüllt in einen goldenen Mantel. Im übertragenen Sinne: seit Beginn seines Leben eingewickelt in Prunk und in Gold von seinem Vater, geht es beiden nur um den „Ruhm der Familie“.
Unsicher ist er da noch, aber schon bald hat er sich verwandelt in den eiskalten machtgierigen Papstmörder. Mit Arroganz in der Stimme und Überheblichkeit im Ausdruck vollendete er auf der Bühne Anastasius zum großkotzigen Widerling. Ganz traumhaft immer auch die Väter-Sohn-Duette.
Alexander Kerbst als Arsenius
Die zwei Stimmen harmonierten perfekt miteinander, auch das Spiel war fein aufeinander abgestimmt.
Kaya Sophie Bode als Kleine Johanna
Es kann einen schon ein wenig unheimlich anmuten, mit wieviel Verve in der Stimme die Darstellerin der jungen Johanna ihre Frau steht. Umwerfend. Einnehmend. Grandios! Vielen Dank!
Fazit
Ein unglaublich intensives Erlebnis und eine absolute Empfehlung an alle, die die Päpstin noch nicht gesehen haben. Die Geschichte mutet an wie schwere Kost. Ist sie auch, aber sie wird wunderbar aufbereitet und die Musik ist einnehmend! Es war mir eine große Freude, diesem Gesamtkunstwerk beizuwohnen. Großen Dank an alle Darsteller und an Ludwigs Festspielhaus Füssen!
Alle Fotos: Dr. Joachim Schlosser Fotografie
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