Es gibt Leute, die sich ein Musical ansehen, es mehr oder weniger genießen und wieder gehen. Und es gibt die, die sich so begeistern lassen, dass sie das Stück mehrmals anschauen. Und dann gibt die „Verrückten“. Kreidet mir das Wort nicht an, es ist höchst positiv gemeint. Die, die das Stück (in der Hauptsache sprech ich von Tanz der Vampire, bei den Insidern auch nur TdV genannt) auswendig kennen, und zwar nicht nur die Reihenfolge der Lieder und die Texte vorwärts und rückwärts. Sondern die, die Choreographien und Bühnenbilder aller Inszenierungen über die letzten 20 Jahre hinweg vergleichen und diskutieren können und die auch dem vierten Ewigkeitsvampir von links auf Instagram folgen. Die so oft gehen, das sie von jeder Rolle die Zweit- und Drittbesetzungen kennen. Das ist jetzt nicht so meines, aber ich finde es grandios, wenn Leute ihre Leidenschaften so ausleben und damit dabei auch diesem vierten Ewigkeitsvampir von links die Aufmerksamkeit schenken, die der verdient hat. Eine super Sache.
Ganz wunderbar wird es ab dem Punkt, ab dem diese Menschen, sowohl die Gelegenheitsbesucher als auch die Fans und die Verrückten anfangen, sich auszutauschen.
Wenn Menschen Spaß haben an einem Thema, dann reden sie darüber.
Wenn sie eine Begeisterung empfinden, dann möchten Sie diese teilen.
Wenn Menschen eine Leidenschaft leben, dann muss die einfach manchmal raus. Alles davon. Und dann geht es manchmal hoch her.
Ich liebe das. Abgesehen davon, dass ich ein extrovertierter Mensch bin, der selber gerne erzählt, höre ich liebend gerne anderen in ihrer Begeisterung zu. Das macht für mich das ganze erst so richtig rund. Bei Stücken wie TdV, die dem Schicksal oder dem Handeln einer Hauptperson folgen, ergibt sich dabei automatisch die Diskussion um die Qualität der Darbietung des Hauptakteurs. Und schlussendlich die Diskussion der Besetzung des Hauptdarstellers, die sogenannte (unheilvoller Trommelwirbel):
Grafendiskussion
Die heißt bei mir immer so, auch wenn es sich um die Hauptperson anderer Stücke dreht, wahlweise um den Glöckner, Evita oder -vor kurzem aktuell- Jesus!
Mehrmals hab ich aber schon beobachtet, dass diese Diskussionen unterbunden werden. Offenbar hat sich der ein oder andere Teilnehmer im Ton vergriffen, daraufhin wurden Diskussion zum großen Bä-Bä erklärt. Ich gebe zu, es ist ärgerlich, wenn sich erwachsene Menschen nicht mal rein textuell benehmen können. Aber solche Leute wird es immer geben. Das kann ja auch Ausdruck überbordender Leidenschaft sein. Und die ist mir immer noch lieber als gar keine. Deshalb fordere ich hiermit ganz vehement:
Her mit meiner Grafendiskussion
Denn sie begeistert mich und ist durchaus sinnvoll. Warum?
Wahrnehmung stärken
Wahrnehmung ist etwas höchst individuelles. Es kommt ein Großteil der Menschen mit den gleichen 5 Sinnen auf die Welt. Aber zum einen sind die schon von Geburt an unterschiedlich ausgeprägt und zum anderen werden sie in der Kindheit unterschiedlich stark geschult. Es gibt wenig Menschen, die intensiv mit allen 5 Sinnen gleich gut wahrnehmen. Ein Musical verknüpft ganz geschickt mehrere Sinne. Wo ein Konzert in der Hauptsache auf Hören ausgelegt ist, spricht ein Drama neben dem Gehör schon deutlich mehr das Sehen an. Mit dem Gesang im Musical kommt noch ein Verstärker dazu, denn es kommt nochmal eine Möglichkeit des Ausdrucks dazu. Wenn dann die Story auch noch mein Gefühlsleben in Schwingung bringt: Bingo!
Wahrnehmen mit allen Sinnen ist also höchst unterschiedlich und individuell, weil Menschen nun mal ihre Sinne in verschiedener Intensität nutzen.
Dazu kommt die Erwartung, mit der ich Dingen sensitiv begegne. Wenn ich in den Wald gehe, um Vögel zu hören, dann höre ich sie mit Sicherheit früher, lauter, und differenzierter als jemand, der Pilze sucht geht.
So ist das mit den Grafen auch. Ihr habt alle im Kopf einen individuellen Entwurf des Vampirs. Möglich, dass ihr das nicht bewusst wahrnehmt, welche Eigenschaften ihr ihm zuschreibt. Aber es ist zumindest unbewusst in euch verankert. Wenn ihr mit Vampirgraf düster und bedrohend verbindet, dann suchen eure Sinne genau das. Und ein Grafendarsteller, der diese Erwartung eben nicht bedient, ist nicht dein Graf.
Das hat zunächst mal gar nichts mit seiner Leistung zu tun, nur mit dir selber. Es gibt Menschen, die sind offener, weil ein Vampir für sie unterschiedlich sein kann. Die können mit vielen Grafen.
Ich bin Grafen-technisch auf einen festgelegt, deshalb kam ich lange gar nicht auf die Idee, mir andere Grafen anzusehen. Aber vor Kurzem les ich in einem Forum, wie toll Graf XY beißt. Oh, der Biss. Sehr gut, das bedient meinen Trigger von wegen Erotik und Leidenschaft. Also hab ich mir das sofort angesehen. Und sie da: ich war hin und weg von Grafs XY’s Biss. Dabei mag ich Graf XY so gar nicht. O.k., recherchiert: wie machen das denn die anderen? Ein paar dutzend Bisse später wird mir klar, auf was man das alles achten kann. Wie Graf AB saugt und die Zähne ruckartig aus dem Hals zieht, welcher Graf vorher genervt ist oder eher gierig, ungeduldig. Manches fällt bei mir auf fruchtbaren Boden, manches nicht. Und das Schöne dabei ist ja: die schenken sich ja nichts. Die Qualität der gesanglichen und darstellerischen Darbietungen ist enorm hoch. Aber nicht jeder Arsch passt auf jeden Eimer.
Ich habe durch die Grafendiskussion entdeckt, dass jeder Graf es wert ist, zumindest punktuell genau wahrgenommen zu werden. Andere Menschen schulen also durch eine Grafendiskussion meine Wahrnehmung! Das will ich nicht verboten und unterdrückt haben, sondern rufen: vielen Dank für den Input, das ist großartig! Ihr seid großartig! Gebt mir mehr von eurer Wahrnehmung, ich will das auch wissen, sehen, aufnehmen!
Bewusst Position beziehen
Grafendiskussionen führen, also aktiv daran teilnehmen, heißt, sich selbst seine Wahrnehmung so bewusst machen, dass man sie auch ausdrücken kann.
Gut, es die Fraktion der Schlichten, die schreibt, XY ist scheiße. Und das war es dann. Sehr ärgerlich. Aber eine klare Meinung, die gehört werden darf. Grenzt zwar schon fast an Beleidungung, und die sollte tunlichst vermieden werden. Zeigt aber auch, dass die Vertreter dieser Meinung nicht allzuviel Wert auf Differnzierung legen. Oder schlichtweg zu doof dazu sind. Aber gegen Doofheit ist nun mal kein Kraut gewachsen, aber mit solchen Statements setz ich mich auch gar nicht auseinander. Das überlese ich und gut. Ihr aber, die ihr euch auskennt und nicht von schlichtem Geist seid und darum dedizierte eure Meinung abgeben könnt, könnt euch eure Wahrnehmung bewusst machen und formulieren. Ob mündlich oder schriftlich bleibt letzten Endes gleich. Beim Aufschreiben hat man mehr Zeit, muss aber deutlich präziser sein, denn schriftliche Nachfragen sind ein Vielfaches komplizierter als mündliche. Das fällt manchen Menschen schwer, meistens glauben sie, nicht die richtigen Worte zu finden. Aber ich glaube, die Schwierigkeit liegt schon eine Stufe tiefer: Der Schritt vom unbewusst entfachten Gefühl zu einer eindeutigen Positionierung. Was ist für mich wichtig am Graf? Was genau spricht mich an? Und dann ist man erst in der Lage zu vergleichen. Mag ich es mehr, wenn der Graf vor dem Biss Sarah ungeduldig-gierig oder liebevoll-begehrend ansieht?
Viele glauben, sie könnten sich nicht passend ausdrücken. Aber oft kommen die passenden Worte von alleine, wenn man bewusst über etwas nachdenkt. Oder vielleicht nutzt ein anderer im Gespräch oder im Forum Worte, in denen ich mich wiederfinde. Das ist ein erhebendes Gefühl, dieses Verstanden-Sein!
Die Vorliebe für einen Graf ist Ausdruck eurer Wahrnehmung, eurer Gefühle und damit euren Ichs. Damit seid ihr richtig und wert, es allen anderen auch zu zeigen!
Toleranz üben
Toleranz ist in unserer immer mehr auf Individualität achtenden Gesellschaft enorm wichtig, scheint aber immer noch schwierig zu sein. Toleranz kommt vom lateinischen Wort tolerare und heißt erdulden, ertragen. Wenn ich also etwas toleriere, dann ertrage ich es notgedrungen, dass jemand eine andere Meinung hat. Es heißt NICHT, dass ich diese andere Meinung teilen muss. Es heißt auch NICHT, dass ich diese andere Meinung gut finden muss. Es kann heißen, dass ich innerlich koche bei dem, was ich lese. Aber ich ertrage es, wenn ich im wörtlichen Sinn tolerant bin.
Auch ich fühl mich bisweilen angegriffen. Da schrieb erst kürzlich jemand über Drew Sarich, dass sein Overacting einfach nur platt ist. Da krieg ich gleich Schnappatmung. Ruhig bleiben ist da echt schwierig. Hilfreich erscheint manchmal das gezielte Nachfragen, zum Beispiel, was genau derjenige mit Overacting meint. Am besten, ich lasse mich aber nicht auf Endlos-Diskussionen ein, atme tief ein und aus und übe mich in Toleranz. Und was für den anderen Overacting ist, ist für mich das tiefe Einsinken in einen Charakter und die Darstellung dessen in aller Deutlichkeit.
Akzeptanz übrigens kommt von accipere. Der Wortstamm capere bedeutet so viel wie fassen, fangen und das ac so viel wie und dazu. Also etwas dazu fassen, gemeint ist gleichzeitig fassen. Zwei Dinge nebeneinander stehen lassen. Im übertragen Sinne annehmen.
Akzeptanz ist dann also schon ein Schritt weiter. Da kann ich das Gehörte/ Gelesene ganz leicht annehmen. Neben meiner Meinung stehen lassen.
Das muss hier gar nicht sein, in den meisten Fälle mache ich das auch nicht. Aber tolerieren, dass andere eine andere Wahrnehmunh haben und diese kundtun, muss sein. Geschmäcker sind verschieden und darum müssen wir es ertragen, wenn sie offen kundgetan werden.
Leidenschaft sprudeln lassen
Das schönste für mich an der Grafendiskussion ist, dass Menschen aus sich herausgehen. Selbst, wenn ich mich nicht beteilige, lese ich das so gerne.
Leidenschaft besitzen ist für mich der größte Ausdruck von Lebendigkeit. Da wird gefühlt und gelebt, verehrt und geliebt. Da fühlen sich Menschen erkannt und berührt. Und ich kann euch immer nur ermuntern: teilt es. Freut euch und teilt diese Freude. Leidenschaft wächst, wenn man sie teilt. Versinkt in euren Gefühlen, lasst sie zu und lasst sie raus. Dann findet ihr „Verbündete“. Das macht stark, das macht sicher.
Drei Grundregeln für die Grafendiskussion: (gilt so prinzipiell für alle Diskussionen und Gespräche!):
- Keine persönlichen Angriffe:Beispiel:
XY ist scheiße!
Seid euch dessen bewusst: der Darsteller ist NICHT der Graf. Er interpretiert ihn. Egal ob Stimme zu hoch, Gesichtsausdruck zu statisch… es sagt gar nichts über den Menschen hinter der Rolle aus, sondern ausschließlich über die Interpretation. Wenn also dieser Satz, dann höchstens: Die Interpretation von XY ist scheiße. Warum das aber auch nicht geht, lest ihr in Regel 2 und 3.Und ich hab es obendrein erklärt: wenn euch sein Graf nicht gefällt, muss das nicht zwingend was mit ihm und seinem Können zu tun haben. - Verallgemeinerungen vermeiden:
XY ist scheiße.
„Ist“ als Wort bezeichnet eine unumstößliche objektive Tatsache. Hier geht es aber um subjektive Wahrnehmung. Wer findet den Fehler?
Dagegen gerne gehört oder gelesen:
Ich persönlich mag nicht…
Mir gefällt nicht…
Mich stört, dass
oder positiv: Ich liebe es, wie… - Keine Beleidigungen
XY ist scheiße.
Scheiße fällt unter die Rubrik Beleidigung und ist nicht erwünscht. Jeder Darsteller investiert seine Aufmerksamkeit und sein Talent und hat verdient, dass nicht herablassend über ihn gesprochen wird. Auch nicht in der Anonymität des Internet. Ich persönlich halte mich ja an die Regel: ich sage oder schreibe über Darsteller nur das, was ich Ihnen auch persönlich ins Gesicht sagen würde.
Natürlich kann niemand garantieren, dass sich alle Menschen an diese Diskussionsregeln halten. Aber deshalb die Grafendiskussionen ganz unterbinden, konterkariert meines Erachtens den Sinn von Fan-Foren. Ich finde es gut, wenn diese mit Inhalt gefüttert werden und nicht zum bloßen Ich-suche-Karten-ich-verkaufe-Karten-Wühltisch verkommen. Dann lieber ausfällige Mitglieder deutlich verwarnen und notfalls verbannen…
Eure Grafenleidenschaft heißt…?
So, und jetzt Feuer frei: Wer ist euer Graf? Ich fang mal an:
Ich kann nur mit einem. Die ganze Story funktioniert für mich nur, wenn ich an mir selber nachvollziehen kann, warum Sarah sich ihm hingibt. Der „Beiß-nicht-sie-sondern-mich“-Effekt. Der Vampir, der so eine Sehnsucht in mir weckt wie in Sarah, muss also unwiderstehlich sein. Werdet nicht gleich rot: der muss meine innersten niederen Instinkte ansprechen, sprich ein erotisches Feuerwerk in mir entfachen. Für mich heißt das: groß, in der Hauptsache laaaange Beine, schlank, attraktiv (das passt noch auf einige). Eindeutig fordernd, lauernd, selbstsicher, geheimnisvoll. Nur Kälte ausstrahlen ist mir zu wenig, ich muss mehr von ihm fühlen können. Darunter fällt seine Kompromisslosigkeit: dass er weiß, das er alles haben oder sich nehmen kann und in diesem Bewusstsein seine Spielchen spielt. Ich mag seine Gier, seine Begierde fühlen und nicht nur die nach dem Blut… Wenn er das alles noch vervollständigt durch so weiche Dinge wie seine Melancholie und eine humorvolle Ironie, dann ist das perfekt. Der Verführung eines Grafen erliege ich allerdings auch dann nur, wenn er eine junge, hohe Stimme hat. Den Baritonen hafte ich persönlich unbewusst immer etwas Opa-haftes an. Verführung ade… O.k., es ist offensichtlich, von wem ich mich gerne beißen lassen möchte…
Wenn Drew schwebt und mit seinen Händen gestikuliert, dieses langen Finger ständig in Bewegung hält… Ich bin dann einfach hin- und weg
Und ihr? Fühlt euch aufgefordert, hier zu kommentieren, wen ihr warum toll findet! Wer darf euch beißen und mit euch in die Dunkelheit eintauchen? Schreibt mir!
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