Ich bin Jesus-Christ-Superstar-Fan. Ich liebe das Musical innigst. Aber seit ich Drew Sarich als Jesus gesehen habe, ist es nicht mehr dasselbe. Es hat mit ihm eine andere Dimension bekommen. Früher hab ich es gesehen, gehört und einfach genossen. Mit Drew genieße ich es, aber es wühlt mich auf, hält mich gefangen und ich komme nur schwer wieder raus. Er singt in einer anderen Liga als alle anderen Musicaldarsteller, die ich kenne. Aber das, was ihn meiner Meinung nach von allen am deutlichsten unterscheidet: Er hebt die Grenze zwischen sich und der gespielten Figur auf. Da ist keine gefühlte Distanz mehr, er ist diese Person.
Dieser Gesang und dieses Spiel stellt Dinge mit mir an, die ich nicht erklären kann. Ich reagiere körperlich auf diese Intensität, die er bietet, mit schweißnassen Händen, mit einem Puls, der medizinisch höchst bedenklich ist. Mal zittere ich, dann hab ich wieder Gänsehaut, und das, bevor ich im Geist überhaupt realisiert habe, was da auf der Bühne geschehen ist. Danach bin ich tagelang gefangen in meinen Emotionen, nächtelang beschäftigt er mich. Ich mag das, ich kann das genießen, es macht süchtig. Und trotzdem bleibt es ein Mysterium. Drew Sarich, was tust du da mit mir?
Ich suche, und ich hoffe zu finden. Und darum muss es raus. Vorhang auf:
Auftaktszene
Es geht schon los mit dieser ungewöhnlichen Szene, in der alle auf die Bühne kommen und für die Overtüre nur da stehen. Die meisten schauen ins Publikum, aber Drew schaut dich an. Sekundenlang. Wenn ich danach hätte gehen müssen, wäre der Abend schon ein Erfolg gewesen. Der Mann kann schauen mit diesen dunklen Augen. Erst neugierig, dann fixierend und dann total herausfordernd. Keine Ahnung, wie er es macht. Aber im Umkreis von 5 Plätzen fühlt sich wohl jeder persönlich angeschaut. Da krabbelt mir schon die Gänsehaut über den Rücken, und er hat noch keinen Ton gesungen.
Der Superstar
Er geht ab mit den anderen und kommt mit der bekannten Fanfare dann mittig die Treppe runter. Genau der Mann, den jeder toll findet. Lässig in der hippen Cut-out-Jeans hebt er sich durch sein blütenweißes Hemd, dass zwar super harmoniert und trotzdem ein Statement seines Status ist, von den anderen ab. Die Frauen lieben ihn, weil er so gut aussieht, durchtrainiert, mit markantem, offenem Gesicht, aus dem der Lausbub-Charme nur so blitzt. Für die Männer ist er der, mit dem man sich gern trifft. Der Intelligenz und Witz besitzt, so dass man ihm gerne zuhört.
Er steht da in der Menge und erzählt ihnen, während Judas davon singt, dass das alles falsch läuft. Und das Ensemble (die Zuschauerschaft sicherlich auch) hängt an seinen Lippen. Und er gibt diesen Anführer so unaufdringlich und nett, aber so bestimmt. Weder oberlehrerhaft noch arrogant. Seine Gestik ist so weich, aber durchdringend. Er will nicht belehren. Eher ist es so, als erzählte er ihnen eine unglaubliche Geschichte. Hier offenbart sich schon das Dilemma: die Jünger sind fasziniert von ihm, denn er ist der Macher, die coole Socke. Er ist schon allein der Hit, da muss man auf das Gesprochene nicht so achten. Man spürt, dass keiner so richtig begreift, was er überhaupt sagt. Aber das Ensemble macht das auch genial. Die sind so gefangen in ihrem Gute-Laune-Lifestyle und Jesus-Hype mit Handy und Laptop, da kann tatsächlich nix tiefgründiges ankommen. Man ahnt, dass sie Jesus nur Dinge fragen, um dazuzugehören, nicht, um Antwort zu bekommen.
Aber Jesus hat für alle ein nettes Wort, beantwortet diese Fragen, freut sich ob der Aufmerksamkeit, die ihm entgegengebracht wird. Drew spielt einen Jesus, der sich wohl fühlt mit diesen Leuten. Für ihn sind sie eindeutig mehr als Menschen, die einmal seine Botschaft in die Welt tragen sollen. Und mit diesem Genießen seiner Gemeinschaft, mit der Unbefangenheit am Beginn legt Drew schon den Grundstein für sein markerschütterndes I-want-to-know-my-God im Gethsemane. Ja, warum denn nur. Ich will es wissen. Es ist doch so gut hier. Hier startet schon dieser wahnsinnige Spannungsbogen, der für mich immer Heulkrampf endet.
Judas und Maria Magdalena
Ich finde, Drew nimmt seine Rolle insgesamt dieses Jahr weniger aggressiv als im letzten Jahr. Er tritt den Jüngern gegenüber weniger hart auf, wenn er ihnen erklärt, dass sie auf dem falschen Dampfer sind. Und darum muss Maria auch wenig Überzeugungsarbeit leisten: Let me try to cool down your face a bit. Schon ist es wieder da. Das Lächeln, die gute Laune. Ja, stimmt. Du hast recht. Eigentlich haben wir es hier doch echt cool. Und er mag sie, seine Maria Magdalena. Wenn sie ihn ansingt, muss er Grinsen. Er kann nicht anders. Es passt einfach. Deshalb ist in seinem sein Gesang wieder nichts Aggressives, wenn er seinen Jüngern erklärt, dass Maria ihm gerade guttut. Eher sich selbsterklärend, weniger vorwerfend.
Dann kommt Judas und beschwert sich über seinen Umgang mit Maria Magdalena. Das finde ich, ist eine Stelle, die einfach zum Rest passen muss, zur Stimmung. Und da merkt man, dass Drew nicht spielt, sondern in der Rolle ist. Darum fällt auch diese Reaktion weniger scharf aus. Natürlich ist er ungehalten und empört ob der Schmähung seiner Freundin. Aber er nimmt sie an der Hand und will der Konfrontation erst mal aus dem Weg gehen. Sein Leave her alone gerät dann aber doch überdeutlich. Und jetzt steigert sich die Emotion langsam. Ich finde es super, dass er bei Not one of you als erstes Peter anspricht. Peter, der ihn verleugnen wird. Und wieder baut Drew den Bogen schon von hier an.
Erklärend und durchaus laut tadelnd, aber nicht tief verärgert singt er Judas look while you still have me, move while you still see me entgegen. Er will ihn aufwecken: Verstehst du denn nicht? Schon bald werde ich nicht mehr da sein! Was hätte er ihm da an Aggression entgegenschleudern können. Doch er drückt nur sein Unverständnis aus. Und reicht Judas auch gleich darauf wieder die Hand der Versöhnung. Er will nicht der Aggressor sein. Judas schlägt die Hand aus und geht unversöhnlich ab. Allerspätestens da beginnt das große Schauspiel des Drew Sarich. Da sieht man im Gesicht das schlechte Gewissen (ich hätte ihn nicht so angehen dürfen), die Enttäuschung (hab dich nicht so), die Hoffnung (kommt er zurück), den inneren Unfrieden (ich mag jetzt so nicht auseinander gehen) und die Sorge (es ist der Anfang vom Ende). Und das macht er meisterhaft. Diesmal braucht Maria auch viel länger, bis sie ihn soweit hat, dass er mit ihr geht. Denn immer wieder dreht er sich um: Bitte, Judas!
Mein Gott, Drew Sarich: schon an dieser Stelle ganz großes Kino! Schon hier möchte ich ihn in den Arm nehmen, ihn trösten.
Dann kommen die Priester und es ist Drew-Pause. Gut so, denn irgendwann muss man ja mal zwei oder dreimal ruhig aus- und einatmen.
Hosanna
Wieder gibt sich Drew viel mehr als Teil der Gemeinschaft. Er animiert sie zum Singen, er genießt ihre Bewunderung, und das sogar ausgiebig. Er erlaubt sich das, innezuhalten und zu spüren, dass dieses Hosanna nicht nur Gott gilt und dem Ewigen Himmelreich, auf das alle die gleiche Chance haben. Sondern hauptsächlich gilt es ihm. Yes! Und er hat so herrlich viel Spaß dabei, den Priestern zu zeigen, was hier abgehen kann. Umso toller die Reaktion, wenn die Menge singt Would you die for me.
Wem genau außer Drew können die Gesichtszüge derart entgleiten und in wessen Gesicht außer Drews kann man diese Bandbreite der Gefühle ablesen? Ungläubigkeit (what the fuck..), stilles Entsetzen (das kann nicht euer Ernst sein?) und – zwar verhalten noch, aber deutlich spürbar – Angst.
Simons Lied
Das löst sich mit der Fanfare von Simons Lied. Das hab ich dieses Jahr noch mehr genossen als jemals sonst. Und wieder liegt es hauptsächlich an Drew. Wieder diese unbändige Freude über die Huldigung, wieder diese Teil-Sein dieser Gemeinschaft. Wie geil er es findet, wenn sie in der Choreo singen kiss me, kiss me, Jesus. Er klatscht, er groovt. Zwischenzeitlich hatte ich Sorge, er nimmt Simon das Mikro weg und singt selbst. Es war in höchstem Maße mitreißend und ausgelassen. Man hatte das Gefühl, hier ist Leben in der Bude, das ist eine coole verschworene Truppe.
Die Inszenierung hat das Folgende clever gelöst und das Timing passte perfekt: Drew dreht sich von der Gruppe groovend weg und geht ein paar Schritte. Währenddessen holen die anderen aus der bereitstehenden Kiste die Gewehre. Und als Drew sich wieder umdreht, sieht er sie da, seine Freunde. Fanatisch, bewaffnet und bereit für etwas, was niemals Teil des Ziels war. Und wieder begegnet uns die Vielschichtigkeit des Drewschen Gesichtsausdruckes. Im Vordergrund diesmal das blanke Entsetzen. Entsetzen, dass sich die Stimmung so schnell dreht. Entsetzen, dass die DrewCrew (Verzweihung, die Jesus-Crew) dazu fähig ist. Entsetzen darüber, dass sie so überhaupt nicht begriffen haben, worum es geht. Da bleibt ihm der Mund offen stehen, man sieht, wie er kurz vollkommen überfordert ist. Er sieht kurz weg, sieht hin, sieht zu Boden, in den ruhelosen Augen ein Ausdruck seiner Überforderung. Peinlich berührt und für den Moment hilflos fehlt ihm hier jegliche Aggression. Da flackert nur Panik auf, bevor er sich sammelt und zu diesem ruhigen Stück ansetzt: Neither you Simon nor the fiftythousand. Und niemals habe ich die Ruhe des Stückes mehr genossen. Es hat sich so stimmig eingefügt, weil Drew wieder auf die Aggressivität in der Stimme verzichtet hat. Man kann hören, wie er seine Unruhe, seine panische Hilflosigkeit zurückdrängt, um seine Gedanken wieder in Ordnung zu bringen, auf das große Ziel ausgerichtet You only have to die.
The Temple
Nach Pilatus‘ Traum geht es im Tempel hoch her. Und ein Drew, der seinen Augen nicht traut, der nicht glauben kann, was er da sieht – Drew, dein Mienenspiel ist unglaublich – kommt von rechts hinten auf die Bühne. Schon bei den letzten Schritten rauf auf die Bühne erkennt man, diesmal wird er nicht still halten. Das ist jetzt eindeutig zu viel. Und dann geht alles ganz schnell und er schmeißt sie raus. Aber er schmeißt sie anders raus als letztes Jahr. Das erste „Get out“ ist leiser als sonst und eher gehetzt und aus dem tiefsten Inneren eher gesprochen als gesungen in atemlosen Entsetzen über das, was er sieht. Erst mit der Wiederholung der Aufforderung fällt einer dieser Töne, die nur Drew so singen kann mit unbeschreiblicher Klarheit. Der Ton, der die anderen vertreiben soll und gleichzeitig seinen Schmerz so unnachahmlich ausdrückt. Das zügellose Volk weicht, Drew bleibt zurück und ein neues Gefühl taucht in seinem Gesicht, in seiner Körperhaltung auf: Erschöpfung. Drew sieht zum ersten Mal abgekämpft aus. My Time is almost through. Drei Jahre schon, nicht mehr lange, aber wo steh ich erst? Erschöpfung, Verzweiflung. Aber noch sieht man Hoffnung glimmen, als er abgeht nach rechts.
Er wird zurückgehalten von dem ersten Elenden. Er hört ihn, blickt zurück und erinnert sich sofort seiner eigentlichen Aufgabe. Er macht auf dem Absatz kehrt und da ist wieder ein Stück Selbstbewusstsein mehr. Aber Drew lässt an seinem Spiel erkennen, dass es jetzt für ihn mehr Pflicht ist. Denn eigentlich kann er nicht mehr. Und will auch nicht mehr. Aber er drängt die weiterhin sichtbare Erschöpfung vorerst zurück. Er weiß, was er tun muss. Er winkt dem Siechen sogar zu, komm, wir kriegen das hin. Dann kommt der nächste und der übernächste. Kurz kann man den Unglauben im Gesicht sehen: Wie jetzt, ihr alle, hier, jetzt? Aber er stellt sich der Aufgabe. Drew ist die Inbrunst selbst, wenn er jedem von ihnen die Hand auflegt. Es strengt ihn an. Es verlangt ihm alles ab. Drew spielt das so toll: wie es ihn auslaugt, körperlich (er schüttelt mehrmal die Hände aus) und mental. Aber er macht weiter. Jeder soll seine Chance bekommen.
Unerbittlich kreisen ihn die Armen, Kranken, Siechen ein. Jeder will ein Stück vom Kuchen (in diesem Fall vom Heil) und sie agieren rücksichtslos. Alles Leid der Welt liegt jetzt auf seinen Schultern. Vielleicht hat er da zum ersten Mal bildlich vor Augen, dass ihn das auffrisst. Ich liebe diese Szene. Wie sie an ihm ziehen und zerren und sich Drew immer mehr von Panik ergreifen lässt. Ich schaff das nicht, und ich will das auch gar nicht. Wieso lässt ihr mich nicht in Ruhe? Die Spannung entlädt sich wieder in einem dieser wundervollen Töne, wegen denen ich hier in der ersten Reihe mit schweißnassen Händen sitze. Aber auch hier ist heal yourselves deutlich mehr seinem eigenen Wohl geschuldet als dass es aus einer Aggression den anderen gegenüber entspringt. In vollkommener Erschöpfung fällt er auf die Knie mit gehetztem Blick und versucht, seine Panik und die klaustrophobische Enge mit tiefen Atemzügen abzumildern.
Schlafen?
Wenn Maria auf ihn zurennt und ihn berührt, ist diese Panik noch nicht verflogen, denn er zuckt erschrocken zusammen, bis er sie erkennt. Der Versuch ihrerseits, ihn zu beruhigen, misslingt diesmal. Es ist nur noch ein Lippenbekenntnis, wenn er ihr versichert, dass er gut schlafen wird. Zu gehetzt sein Blick und die Stimme. Ganz trocken kommt sie rüber, brüchig, in einem kläglichen Versuch, sich selbst zu überzeugen. Den Punkt der totalen Erschöpfung hat er lange überschritten. Er kann jetzt nicht schlafen. Und er weiß, dass er Maria und sich selbst belügt. Überall in seinem Gesicht, seiner Haltung, egal ob Kopf, Arme oder sonstiger Körperhaltung und vor allem sein Gesang macht es mehr als deutlich: hier wurden Grenzen überschritten. Die Siechen haben eine Grenze überschritten, er selbst aber auch. Er hat zugegeben, dass er das hier nicht mehr Schultern will. Er, der Heil bringen soll, hat versagt. An Ruhe ist nicht zu denken. Die Inszenierung lässt ihn hier weggehen von Maria. In anderen schläft er in ihren Armen ein. Das wäre hier nicht möglich. Zu aufgewühlt gibt sich Drew hier.
Hätte er vorher alles mehr über die Aggression laufen lassen, wäre es einfach gewesen, eine Beruhigung stimmig aussehen zu lassen. Denn Ärger kann man leicht Beiseite schieben. Die innere Unruhe, die Panik, das Erschrecken über sich selbst lässt sich nicht so leicht abstellen. Deshalb ist der Abgang hier die logische Konsequenz und ein weiterer Beweis größter Schauspielkunst: Drew hat sich nicht nur das Stück, sondern vor allem diese Inszenierung zu Eigen macht.
Ende 1. Akt
Die Besprechung des zweiten folgt in einem weiteren Beitrag.
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