Vor Ludwig2 gab es wohl Ludwig1?
Das Musical „Ludwig2“ hatte ich bis jetzt sträflich vernachlässigt, obwohl ich nur eine Stunde Fahrzeit von Füssen weg wohne. Jetzt hat es endlich geklappt und ich habe im Vorfeld ein wenig recheriert. Nicht umfassend, sondern so ein bisschen quergesurft. Sehr verwirrend, die ganze Geschichte des Stückes. Extra gebautes Festspielhaus, dann Pleite, dann neu gemacht, anderer Spielort, jetzt wieder hier, aber anders… Ich bin weiter auf YouTube und da entwirrten sich die Stränge auch nicht sehr. Die Insider schmeißen da mit verschiedensten Versionen umher und ich bin immer noch nicht ganz durchgestiegen, welche Version wann wo zu sehen war. Ich gebe also ausschließlich meine Eindrücke zu eben dieser gesehenen Inszenierung ab. Gerne nehme ich Kommentare entgegen, die ein wenig Licht ins vorvergangene Dunkel bringen.
Eindrücke
Vier Wochen ist es jetzt her, dass ich Ludwig2 in Füssen gesehen habe. Und irgendwie tu ich mich mit der Rezension immens schwer. Irgendetwas bei diesen Stück war mir nicht recht greifbar. Ich kann nicht mit einem Satz sagen, ob es mir im Gesamteindruck gefallen hat oder nicht. Vieles hat mich fasziniert und hat mir gefallen, aber wenn mich jemand fragen würde, ob ich es nochmal anschauen soll, würde ich nein sagen. Hmm. Dabei konnte ich spontan nicht sagen, was genau mir in der Gesamtschau fehlte.
Darum dachte ich mir außerdem, ich lass es einfach mal sacken und schau, was es mit mir macht. Das funktioniert häufig, hier aber nicht. Also muss ich ein wenig analytisch vorgehen.
Schlagworte
Wenn ich unter den Dingen, die mich beeindruckt haben, drei Schlagworten auswählen müsste, würde ich folgende nennen:
- Bühnenbild
- Atmosphäre
- Jan
Wobei „Jan“ als Schlagwort nur insofern gerechtfertigt ist, als dass ich Matthias Stockinger nicht gesehen habe. Was man so liest, hat auch er Zeug, den perfekten König anzugeben. Ändern wir also das Schlagwort Jan in „Ludwig-Darsteller“.
Ich gehe auf diese drei Punkte mal näher ein:
Bühnenbild/ Bühne
Selten hab ich eine so tiefe Bühne gesehen. Oder nein: selten habe ich eine so tiefe Bühne gesehen, die auch tatsächlich bis hinten bespielt wurde.
Die Sitzreihen im Parkett steigen ziemlich steil an, und ich – eher kleinerer Vertreter der Sorte Mensch – konnte sehr gut alles bis nach hinten überblicken. Das erlaubt tolle Effekte und die Bühne wird sehr gut genutz. Sie schafft außerdem den Platz für das Highlight schlechthin: Das Wasserbecken.
Das ist einfach nur zum Staunen. Es ist ein wahnsinniger Luxus, das Element Wasser derart raumgreifend auf der Bühne zu installieren. In einer ergreifenden Szene setzt der kleine Ludwig über zur anderen Seite des Sees, wo ihn der erwachsene Ludwig empfängt. Wassser als Element, das trennt: die eher gelassener, unschuldigere Jugend von der von Verantwortung für sich und ein Volk geprägtes Erwachsenendasein. Dabei wünscht sich Ludwig, dass sich beide Teile vereinen ließen: die jugendlichen Träume, die Visionen für sich und sein Volk, mit dem realen, bisweilen harten Alltag der Regierungsgeschäfte. Zwar setzt er über und versucht so symbolisch, die Verbindung zu halten. Diesen Kontakt zum Kind-Ich lässt er auch nie ganz abreißen. Aber es gelingt ihm langfristig nie, beide Seiten zu vereinen.
Das Wasser ist quasi auch Symbol für seine Träume und Visionen. Auf dem Weg zum erwachsenen König muss er seine Träume, das Wasser, hinter sich lassen.
So wird auch die Schlussszene mit Gudden im See zur Hängepartie: Ludwig läuft in den See, er ist entmündigt. Er könnte sich jetzt umfangen lassen von seiner Traumwelt; Gudden glaubt gar, Ludwig würde sich ertränken wollen. Gudden ist der, der mit seiner Unterschrift unter dem Gutachten die Regentschaft Ludwigs beendet hat. Hier am See erkennt der Psychiater seinen Fehler, hier am Wasser offenbart sich ihm die Seele Ludwigs: Auch er betritt – symbolhaft– den See. Der Phantast Ludwig erfährt Anerkennung, und jetzt ist Gudden die Person, die die Verbindung zwischen Traum und Wirklichkeit Ludwigs in Händen hält. Doch das Leben des Königs und Guddens endet mit zwei Schüssen im Starnberger See.
Wunderschön wird der Schwan eingebunden, Ludwigs Lieblingstier. Er liebte die Sage „Lohengrin“ über alles, in der der Schwan eine nicht unwesentliche Rolle spielt. Er hat seinen Auftritt in der Kind–Erwachsenen–Szene, aber auch nach dem Tod Ludwigs. Schon das hebt beide Szenen als Schlüsselszenen hervor und deutet deren Verbindung an.
Später ist das Wasserbecken ein Springbrunnen vor dem Schloss und fügt sich geradezu pompös ein in diese herrschaftliche Kulisse.
In allen Szenen hat dieses Bassin seine Berechtigung und nie wird es benutzt, weil es halt da ist. Das ist eine wirkliche Besonderheit in der Theaterlandschaft und muss eindeutig gewürdigt werden.
Überhaupt besticht die Optik die ganze Zeit über durch ihre immense Aussagekraft. Bildgewaltige Metaphern reihen sich aneinander. Bühnenbild, Kulisse und die Lichtregie sind dabei einzigartig im Zusammenspiel. Oft entsteht ein visuell immens starker Eindruck, einem Rausch gleich. Die dazu benutzen Mittel scheinen dabei relativ einfach.
Sehr eindrucksvoll gelingt die Szene, nachdem Elisabeth (Sisi) Ludwig zurückgewiesen und die Roseninsel verlassen hat. Ludwig steht allein auf der Bühne. Verlassen und einsam, denn mit Sisi ist auch die letzte Verbindung zu einem Menschen, der seine Träume und seine Liebe zu den schönen Künsten verstehen kann, abgerissen. Schwer trägt er nun an seiner Bürde. Verzweifelt hüllt er sich in den roten Vorhang. Doch dieser fällt als ganzer schließlich aus dem Schnürboden und wird zu seinem Königsmantel. Ein Mantel, der ihm zu groß scheint, der ihn einschränkt in seinen Handlungen und auf seinen Wegen. Der ihn erdrückt und den er loswerden will. Grandios umgesetzt.
Viele andere Dinge werden über Lichtinstallationen (zum Beispiel die kalten Wirren des Krieges) gesteuert und die Verantwortlichen schaffen es tatsächlich, Szene für Szene, verschiedene Stimmungen zu erzeugen. Und diese Stimmung bleibt nicht nur auf der Bühne.
Atmosphäre
Die Zuschauer selbst werden stellenweise in eine abseits der Realität geschaffene Märchenwelt geholt. Die Gemütsverfassung und das Seelenleben des Königs werden visualisiert und transportiert. Die Verbindung, die ich dadurch zum König aufbauen konnte, der sich selbst in seine Träume und Fantasiewelten steigerte, ist zeitweise unglaublich.
Wie die Nebelschwaden, die über dem See aufsteigen und einen eintauchen lassen in die Mystik und traumhafte Illusionen, so wabert die Atmosphäre in die Zuschauerränge und hält dich so intensiv in einzelnen Szenen.
Man hat nicht das Gefühl, man schaut zu, sondern glaubt sich mittendrin im Ballsaal, im Biergarten, im Schloss. Besonders gelingen dabei die gedrückten Momente, in denen Ludwig leidet und verzweifelt. Und das sind einige, denn Ludwig bleibt Zeit seines Lebens Gefangener. Zunächst gefangen in der Erziehung und des gestrengen Vaters.
Hier übrigens zeichnet das Musical ein falsches Bild von den Eltrn: ist es auf der Bühne die Mutter, die als herrisch und unnahbar dargestellt wird, war wohl in der Realität der Vater der Unterkühlte und rücksichtslos Strenge, zu dem Ludwig Zeit seines Lebens keinen Zugang gefunden hat. Warum das Stück das genau andersrum darstellt, kann ich nur vermuten. Mir drängt sich da die Idee auf, dass es wohl einfacher sein muss, eine preußische Mutter auch preußisch streng aussehen zu lassen. Wie auch immer. Die Szene, in der beide Elternteile sich dauernd anschreien und den kleinen Ludwig auch bildlich einer großen Zerissenheit aussetzen, ist für meinen Geschmack zu stark ausgereizt worden. Aber natürlich beschleicht einen die Ahnung, warum Ludwig sich so vehement gegen Kriege wehrte und lieber „bauen, nicht zerstören“ wollte. Wer aus dem Krieg kommt, sehnt sich zeitlebens nach Ruhe und Frieden und verachtet den Krieg als unsinniges Übel.
Gefangener seiner Position ist er weiterhin: Ludwig muss während seiner Regentschaft seine Unterschrift unter eine Kriegserklärung setzen. Diese Szene ist übrigens auch die einzige, in der Richard Wagner visuell in Erscheinung tritt. Sein übergroßes Antlitz leuchtet über dem Regierungschef-Schreibtisch Ludwigs und verdeutlicht, wie viel Raum Wagner beziehungsweise seine Musik in Ludwigs Leben einnimmt. Geradezu beherrschend wohnt das Gesicht Wagners jeder politischen Entscheidung Ludwigs bei, vielleicht die stete Warnung, nie sein eigenes Ich zu verkennen, nie seine eigenen Träume zu marginalisieren, nie die Sehnucht der Seele zu negieren.
Als Ludwig gestört wird, um eben jene Kriegserklärung zu unterzeichnen, ist er gerade vollkommen versunken in Wagners Musik. Es trifft also augenscheinlich der größte Traum des Regenten, nämlich Kunst und Poesie in die Welt zu bringen, auf die bittere Wirklichkeit, wie sie sich ihm aufgrund seiner Stellung als Regent zeigt: obwohl er etwas anderes will, ist er gezwungen, Bayern am Krieg zu beteiligen. Die Last, die Realität eines Regierungsverantwortlichen, liegt schwer auf Ludwig, und ebenso schwer im Zuschauerraum.
Jan Amman
Ich habe ja schon hinreichend oft eine Führung durch die Königsschlösser gemacht, egal ob Hohenschwangau (dort, wo Ludwig und sein Bruder aufwuchsen) oder Neuschwanstein. Überall wird erwähnt, das Ludwig ein sehr attraktiver und großgewachsener Mann war. In Hohenschwangau ist überdies der blaue Krönungsmantel zu bewundern und wenn man vor eben diesem steht, bekommt man eine erste Idee davon, was für eine Erscheinung Ludwig II. eigentlich war.
Und dann kommt Jan Amman auf die Bühne des Festspielhauses. Ich sitz da, dann klappt der Mund auf und eigentlich nicht wieder zu.
Die Ähnlichkeit eines Schauspieler in Statur, Frisur und Gesichtszügen ist natürlich überall da gewollt, wo man sich an historischen Vorbildern orientiert. Meist funktioniert das so leidlich und es ist auch vollkommen ausreichend, wenn diese Ähnlichkeiten nur angedeutet werden. Aber die frappierende Ähnlichkeit des Hauptdarstellers mit der Person Ludwigs muss unbedingt Würdigung erfahren. Nicht nur, wenn er sich im Streit oder in Autoritätsfragen über seine Mitspieler erhebt, kommt mir schon das alleine mit der Größe wieder in den Sinn! Jan Amman ist übrigens tatsächlich so groß wie Ludwig II und hat sogar am selben Tag Geburtstag! Da bekomme ich gleich Gänsehaut… Auch die Gesichtszüge weisen tatsächlich Ähnlichkeiten auf. Optisch auf alle Fälle schon mal ein wahrer Glücksgriff.
Ich habe Jan Amann zum ersten Mal live erlebt. Und wurde umgehauen!
Nach den „kalten Sternen“ drehte ich mich zu meiner Nachbarin und Freundin um und flüsterte ihr zu: „Das sind die Momente, wegen denen ich Musicals besuche…“ Irre. Ein so wunderbares Lied, das der Bedeutung im Stück gemäß wahnsinnig pathetisch, aber gänzlich ohne Kitsch daherkommt, dargeboten von einer Stimme, die wie Samt ausgegossen auf dich herniedergeht. Dieser erhebende Moment, in dem Ludwig sich erlaubt, seinem Traum nachzugeben, seiner Regentschaft endlich vermag, seinen Stempel aufzudrücken.
Wenn er singt „Ich steh auf, reite heim, hoch zu Roß durch mein Land…“, wollte ich am liebsten mit aufspringen. Ja Jan-Ludwig, ich komme mit, ich steh an deiner Seite, egal wo und wohin! So erhebend kommt dieses Lied daher. Und da braucht es auch kein besonderes Bühnenbild. Da reicht der innerlich zerrissene Jan Amman, der es vermag, während dieses Stückes diese immense Bühne allein mit seinem Stimmvolumen und seiner Bühnenpräsenz zu füllen. Reine Magie und ich habe heute noch Gänsehaut, wenn ich mir das ins Gedächntnis zurückrufe.
In jede Sekunde seiner Darstellung begeistert dieser großartige Jan Ammann und macht den Musicalbesuch zu etwas Außergewöhnlichem.
Weitere Darsteller
- Anna Hofbauer als Sisi
Dafür, dass ich die Rolle der Sisi hier einfach nicht wirklich verstanden habe, kann Anna Hofbauer nichts. Für meine Begriffe sang und spielte sie solide. - Suzan Zeichner als Sybille Meilhaus
Ludwigs Erzieherin Sybille hatte ganz klar die Sympathien auf ihrer Seite. Natürlich ist das Publikum schon der Figur dieser Person, die es vermag, dem kleinen Ludwig Nähe und Wärme zu schenken und ihn auch im fortgeschrittenerem Alter noch – bei der Nachricht des Todes Richard Wagners zum Beispiel – zur Seite zu stehen, wohlgesonnen. Aber die Sängerin füllt diese Rolle auch wundervoll aus. Sie bringt die Weichheit in die Stimme und das Verständis, sie füllt die Figur, die man Ludwig so wünscht, mit großer Natürlichkeit zum Leben. Bravo! - Ryan Berg als Prinz Ludwig.
Uneingeschränktes Lob verdient Ryan Berg, der Darsteller des kleinen Ludwig. Immens, was die Kinderdarsteller in dieser Rolle zu leisten vermögen. Diese Rolle ist wahrlich groß angelegt und man muss schon allein die Kondition des jungen Mannes bewundern. Ich war wirklich restlos begeistert. Ein unaufgeregtes, natürliches Spiel hat sich mit schon sehr professionellem Gesang zu einer wunderbaren Leistung vermischt. Hut ab! - Uwe Kröger als Dr. Gudden
Tja, der Herr Kröger. Hat sich ganz gut geschlagen. Einige Töne waren ziemlich daneben, aber das ist für mich schon noch in Ordnung. Meistens hat er versucht, nachdenklich und verzweifelt rüberzukommen. Dabei hat er gefühlte 200 Mal in der Minute seine Brille abgenommen und wieder aufgesetzt. Das war mir zu wenig. Ansonsten fand ich ihn allein von der Bühnenpräsenz gut: Er ist einfach ein Typ. Und es zeigt sich schon noch, warum er früher mal der Star der Musicalszene war. - Kevin Tarte als Schattenmann.
Kevin Tarte präsentierte sich als Schattenmann, der sehr plötzlich auftaucht und bisweilen etwas Verwirrung stiftet (Fragen von links und von rechts an mich gerichtet: wer ist denn jetzt das?). Und dieser Auftritt war ungeheuerlich. Die ganze Gewalt des drohenden Unheils schleudert der Schattenmann ins Publikum. Soviel Kraft in der Stimme, die ganze Bedrohung in der Statur: da blieb ich mit Gänsehaut zurück. Kevin Tarte war neben Jan Ammann das Highlight dieser Aufführung für mich!
Minus
So, jetzt bin ich aber immer noch Gründe schuldig, warum ich mir Ludwig nicht nochmal anschauen werde. Bis jetzt klingt alles ja sehr zufrieden und stellenweise euphorisch. Aber es gab eben noch zwei bedeutende Mankos, die leider überwiegen:
Die Geschichte und die Abmischung/ Textverständis.
Tontechnik
Das Musical kommt ohne Liveorchester aus, die Musik kommt vom Band. Ich halte das nicht von vornherein verurteilenswert. Es muss aber schon gut gemacht sein, damit man als Musicalliebhaber auf seine Kosten kommt.
Es ist mir tatsächlich mehr als unverständlich, wieso man keine bessere Abmischung hinbekommen hat. Im ersten Teil habe ich so gut wie keinen Text verstanden, erst in der Mitte des zweiten Aktes wurden die Stimmen klarer. Wenn doch jeden Abend im selben Haus die selbe Musik vom Band läuft, ist es dann nicht möglich, die Qualität insofern zu erhöhen, dass die Lautstärke besser auf die Sängerinnen und Sängerinnen abstimmt wird? Noch dazu ist das Haus ja nicht riesig, die Zuschauer sitzen sehr kompakt um die Bühne gruppiert. Sehr sehr ärgerlich, denn ich konnte so mit einigen Szenen, zum Beispiel mit der Szene mit Elisabeth auf der Roseninsel, zunächst wenig anfangen. Mir fehlte einfach das Textverständnis. Möglicherweise gründet sich darauf auch das zweite Manko:
Die Geschichte
Möglicherweise blieben mir einige Aspekte des Musicals durch den fehlenden Text verborgen. Insgesamt tue ich mir schwer mit der Geschichte.
Es kommt sehr psychologisch schwer daher, das Ludwig-Musical. Die Geschichte widmet sich zum großen Teil der Psyche und der Seele des bayrischen Königs. Seiner inneren Zerissenheit, seiner ständigen Suche nach der richtigen Position zwischen Traum und Wirklichkeit.
Allerdings ist durch diesen Schwerpunkt das Musical insgesamt sehr drückend geraten. Dadurch, dass die Szenen so nachhaltig visualisiert werden, dass einen die Atmosphäre ganz durchdringt, bleibt es bis zum bitteren Ende eher schwer:
Die Schlachtfeldszene und im Anschluss die Szene mit den überdimensionalen Skeletten machte mir emotional zu schaffen. Genauso wie Ludwigs Besuch in der Irrenanstalt des Dr. Gudden, wo er sich persönlich um seinen Bruder Otto bemüht. Die umherirrenden psychisch Kranken in der bewusst abstrakt und kühlen Klinikkulisse lassen einen nicht kalt, genauso wie die Tatsache, wie Ludwig unter der Geisteskrankheit seines Bruders leidet. Dass er nicht helfen kann, macht ihn ebenso schwermütig wie den Zuschauer. Das ist prinzipiell auch in Ordnung, allein die Schwere der Thematik rechtfertigt noch kein negatives Urteil.
Dafür aber, dass man als Zuschauer so sehr mit der inneren Zerissenheit Ludwigs beschäftigt wird und immer wieder mithineingleitet in seine Traumwelten, tauchen immens viele Personen um ihn sehr plötzlich auf. Außerdem springt das Musical in der Zeit nach vorne, ohne, dass man das aktiv zunächst mitbekommt. Ich hab mir sehr schwer getan, einen Faden zu finden.
Ich glaube, die Macher wollten da einfach zu viel. Innere Zerissenheit, äußere Umstände, die Liebe zu Wagner, der geistig zurückgebliebene Bruder, die Freundschaft mit Dürckheim. Alles kommt immer sehr plötzlich. Mir wurde erst gegen Ende, beim Freundschaftsduett so richtig klar, was Dürckheim dem König, was sie einander bedeuteten. Für mich war das vorher nicht ersichtlich. Es ist eines der besten Lieder im Stück, die Figur des Dürckheim eine ganz wunderbare. Seine Loyalität wünscht man sich für den König, sie ließ mich ein wenig aufatmen und war gänzlich willkommen. Aber sie kam sehr überraschend. Dieser Figur hätte ich mehr Zeit und Raum gewünscht, nein, da hätte ich mir mehr Raum und Zeit gewünscht. Auch Otto bleibt sehr blass. Dass der König so eine innige Beziehung zu seinem Bruder hat, kam ebenfalls eher unvermittelt. Woher kam er, wohin ging er, der Otto? Die Szene in der Klinik ist zwar sehr anrührend und natürlich auch Mittel zum Zweck, Dr. Gudden genauer zu zeichnen. Aber irgendwie fand ich mich nicht durch die Geschichte geführt und hin und wieder war ich froh, Ludwigs Geschichte schon vorher halbwegs gekannt zu haben. Wie mag es Menschen ohne Ludwig-Kenntnisse dabei gehen?
Dann kommt noch Siri und die unerfüllte Liebe, eine aufgelöste Verlobung, die Verschwörer und deren Waffenaffinität, der Schlossbau und neue Technik, Dr. Gudden… ich glaube, der Grund, warum ich nicht ganz hineintauchen konnte in die Geschichte ist, dass zuviel angerissen wurde und nicht alle lösen Ende eine Verknüpfung gefunden hatten. Ich war immer kurz davor, mich hineinziehen zu lassen, ich hab den Sog schon gespürt, aber dann wurde ich von der Geschichte einfach stehengelassen. Ich wurde emotional mitgenommen, aber mir fehlte die Hand, die mich klar durch die Untiefen der Handlung geführt hätte.
Fazit
So bleibt mir das Musical als Aneinanderreihung einiger sehr gelungener und anderer weniger gelungener Szenen im Gedächtnis. Man hat mir ein paar feine Bröckchen hingeworfen, was ich aber mit dem Drumrum machen sollte, blieb mir überlassen. Das ist der Grund, warum ich damit zu wenig anfangen konnten. Die Geschichte funktioniert in meinen Augen so nicht als Ganzes und das ist auch der Grund, warum ich mir es trotz der teilweisen überzeugenden visuellen und atmosphärischen Eindrücke und zweier wirklich wunderbare Darsteller (Ammann, Tarte) nicht noch einmal ansehen werde. Aber ich bin nicht so stark enttäuscht, als das ich Musicalliebhabern davon abraten würde. Schon allein Jan Ammans „Kalte Sterne“ rechtfertigt den Besuch unbedingt.
Und wenn man zur Pause das Theater verlässt, tritt man zum Sonnenuntergang vor Ludwigs Festspielhaus und blickt auf eben jenes Traumschloss des Königs. Da packt sie einen noch einmal, die erhabene Stimmung und das tiefgreifende Mitgefühl für jene tragische Figur Ludwigs II., der vielerorts in Bayern noch immer höchste Verehrung zu Teil wird:
„Ich will danken dir, mein König, für die Märchen deines Lebens. Denn du lebtest sie nicht vergebens, dein Tod ist nie geschehen.“
Alle Farbfotos: Julia Stöhr-Schlosser. Ludwig-Foto: Joseph Albert (gemeinfrei)
Julian
Also: es gab früher eine anscheinend extrem gute Show in Füssen, aber durch einen Rechtsstreit mussten für das neue Füssen die Texte geändert werden und Ludwig ging in der alten Version auch nur ins Wasser ohne erschossen zu werden.