Wiederaufnahmepremiere am 21.9.2018
Mit My Fair Lady hat das Münchner Gärtnerplatztheater den Musicalklassiker schlechthin auch heuer wieder im Spielplan. Dass das 1956 uraufgeführte Stück auch nach der umjubelten Premiere im Februar diesen Jahres ein Selbstläufer ist, liegt natürlich an der genialen Vorlage. Aber auch an der unspektakulären, auf das reine Vergnügen und Genuss ausgelegten Inszenierung von Intendant Köpplinger. My Fair Lady macht einfach Spaß. Nicht mehr und nicht weniger.
Die Geschichte
Eliza Doolittle gehört in die unterste Schicht Englands und hält sich mit dem Verkauf von Blumen über Wasser. Sie hat einen dem Alkohol zugeneigten Vater und hat sich in ihrem schäbigen Leben eingerichtet, als eines Abends Professor Higgins, ein berühmter Forscher und Koryphäe auf dem Gebiet der Sprache und Dialekte, sie ob ihres g’scherten Dialekts aufgabelt. Er wettet mit Oberst Pickering, dass er aus Eliza durch intensives Sprachtraining eine Lady machen kann, deren Herkuft nicht mehr zu erkennen ist.
Sechs lange Monate erhält Eliza freie Kost und Logis, aber auch Sprecherziehung der besonderen Art. Als der Zuschauer wie Higgins und Pickering schon fast am Verzweifeln sind, gelingt ein Durchbruch und man beschließt, Elizas Fortschritte beim Pferderennen in Ascot zu testen. Das geht salopp gesprochen ziemlich in die Hose, doch nach weiterem Training besteht Eliza den Test – ein Besuch des Botschaftsballes – und Higgins hat seine Wette gewonnen. Weil er aber weiterhin Eliza wie ein wissenschaftliches Objekt behandelt und den Triumph nur sich selbst zuschreibt, verlässt Eliza das Haus. Das wiederum stürzt den Professor in eine noch nie dagewesene Krise.
Soweit zum Inhalt des Musicals, das auch schon mehrfach verfilmt wurde und auf einer Romanvorlage namens Pygmalion basiert.
Um es vorweg zusammenzufassen: ich habe mich prächtig amüsiert. Die Melodien sind wunderbar eingängig, sie tragen einen geradezu beschwingt durch das Stück. Es ist ein leichtes Amüsement ohne die ganz große Moralkeule und damit prädestiniert, für einen wunderschönen Abend zu sorgen.
Sprache
Die Dialektszenen, die in der ursprünglichen deutschen Fassung sich des Berlinerischen bedienen, sind hier … bayrisch?! Nein, das dann doch nicht. Man hört deutlich heraus, dass Eliza von einer Österreicherin verkörpert wird. Aber mir persönlich ist das einerlei, so weit liegen der österreichische und der bayrische Dialekt jetzt auch nicht auseinander. Professor Higgins würde mich für diesen Satz wohl verachten.
Es geht um Sprache und Sprechen, um Verstehen und Verständnis und um Verstanden werden, im engeren Sinne um Wahrnehmung. Das Aufeinandertreffen eines sprachlich gebildeten Menschen auf jemand, der hoid eifach g’schert daherred wie er’s g’lernt hod, ist skurril und voller Situationskomik und Wortwitz, manchmal natürlich vorhersehbar, aber immer amüsant und nicht platt oder gar aufdringlich.
Inszenierung
Die Inszenierung ist überaus klassisch zu nennen und ich fand das großartig. Es wurde nicht versucht, etwas auf Teufel komm raus zu modernisieren. Das Stück spielt in England zu Beginn des 20. Jahrhunderts und so sah es auf der Bühne auch aus. Sehr gegenständlich mit nicht nur angedeuteten Kulissen fühlte man sich über 100 Jahre zurückversetzt. Professor Higgins besitzt ein Haus, wie man sich herrschaftliche Häuser dieser Zeit vorstellt. Ganz nach dem bekannten Übungssatz Elias „Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen“, sind die Wände im Professorenhaus in markantem grün gehalten. Die Grammophone, die ledernen Sitzmöbel und die vielen vielen Bücher weisen den Besitzer als gebildeten Mann der Upperclass aus. Er besitzt eine ganze Heerschar an Bediensteten im typisch schwarz-weißen Hausmädchen-/ Butler-Style, die hinreißende Ensemble-Szenen möglich machen und mit Mrs. Pearce eine echt englische Hausdame, die den ganzen Laden samt Personal schmeißt.
Durch die Drehbühne bekommt man als weitere Schauplätze noch die Hausvorderseite zu Gesicht samt Vorplatz mit festinstallierter Straßenlaterne, die der verliebte Freddie sehnsuchtsvoll, Eliza anschmachtend, umtanzt und besteigt. Es wird getanzt wie in alten Musicalfilmen getanzt wird: Raumgreifend, mit eindeutigen Aussagen und Emotionen, verspielt und verträumt. Hier ist der Tanz ganz eindeutig auch Mittel zum Zweck.
Außerdem erlaubt die Drehbühne noch den Vorplatz einer Schenke, wo sich mehrere Szenen um Elias trinkfesten Vater abspielen.
Auch hier wieder Ensemble-Szenen mit viel Tanz und Gesang wie man sich das für ein klassisches Musical wünscht.
Darstellerkritik
Michael Dangl – Professor Higgins
Professor Higgins ist ein Macho-Arsch wie er im Buche steht. Wobei – Macho würde ja bedeuten, er behandle Frauen herablassend und das würde zu kurz greifen. Misanthropisch/ menschenverachtend trifft es besser. Der werte Herr Professor nämlich lässt allen menschen gegenüber Dinge vom Stapel, da legst di nieda. Er unterscheidet nicht zwischen Personal oder Gleichgesinnten, Mann oder Frau. Lediglich seiner Mutter gegenüber lässt er so etwas wie Respekt aufblitzen.
Gänzlich fokussiert auf seine Forschungsarbeit, über die er sich definiert, ist er tatsächlich der Meinung, Menschen seien in diesem Zusammenhang nur Beobachtungsobjekte, die man auch dementsprechend behandeln muss.
Er misst der Sprache einen derart hohen Stellenwert bei, dass er gar nicht auf die Idee kommt, wie sehr er selbst seine Thesen konterkariert. Seine Sprache weist ihn als Mann von Welt aus, sein Verhalten wiederum in keinster Weise. Eliza fasst das gegen Ende sehr gut zusammen: Ich werde immer ein Blumenmädchen bleiben, weil sie mich immer wie eines behandeln. Und selbst da fällt der Groschen noch nicht.
Michael Dangl passt perfekt in seine Rolle und erweckt einen rationalen Professor Higgins zum Leben, über dessen Verhalten man bestürzt ist, man den Kopf schüttelt und dem man am liebsten mal eine scheuern würde, damit er zu sich kommt. Und das schafft auf vollkommen natürliche Weise und überhaupt nicht aufdringlich. Man nimmt ihm das von erster Sekunde ab, dass dieser Mann einfach so ist. Immer schön zu sehen, die Unsicherheit, die ihn im Beisein seiner Mutter überkommt und auch die Fassungslosigkeit, mit der er erkennt, dass Eliza ihm mehr sein könnte als Forschungsobjekt. Eine perfekte Vorstellung von Michael Dangl.
Friedrich von Thun – Oberst Pickering
Oberst Pickering kommt die Aufgabe zu, die Kompromisslosigkeit seines Freundes Higgins ein wenig anzufangen. Er ist Eliza deutlich menschlicher zugetan.
Friedrich von Thun mag ich in dieser Rolle sehr. Er erscheint grundsympathisch, er hat eine noble Haltung und eine wunderbar angenehme Sprechstimme. Das reicht aus, um diesem Oberst Pickerung gerne zuzusehen.
Allerdings gibt der Higginschen Gegenpart rein von der Rolle gar nicht viel her. Oberst Pickering ist zwar beständig auf der Bühne, viel mehr als Tee trinken und Zeitung lesen wird ihm aber nicht abverlangt. Deshalb hätte von Thun dem Oberst auch gern noch ein bisschen mehr Kontur verleihen dürfen. Der Oberst ist offenbar schon sehr ins Private abgeglitten, ein bisschen mehr hätte von Thun den militärischen Hintergrund trotzdem herausarbeiten dürfen. Außerdem wirkt er neben Higgins eher wie ein Untergebener. Das ist schon verständlich, denn Higgins behandelt alle gleich schlecht, auch den anerkannter Dialektwissenschaftler Pickering. Vielleicht hätte dennoch ein wenig mehr Augenhöhe zwischen den zwei Wettkonkurrenten der Sache ein bisschen mehr Spannung verliehen.
Die beiden Damen in den Nebenrollen stehlen den Hauptdarstellern sowieso so a bissl die Schau.
Dagmar Hellberg – Mrs. Pearce
So einen Haushaltsvorstand wünscht man sich fürs eigene Haus. Mit genau der richtigen Mischung aus Unterwürfigkeit und Selbstbewusstsein, würdevoller Strenge, warmer Zuneigung und luftiger Ironie hält sie den Laden am Laufen und den Professor ein bisschen unter Kontrolle. Da flutscht alles, und die Dame ist einfach eine wunderbare Erscheinung. Im ersten Moment erinnerte mich ihre Aufmachung an Mrs. Doubtfire, das stachelige Kindermädchen, aber mit deutlich englischerer Haltung und Zurückhaltung, ganz, wie es ihre Stellung in einem solchen Haushalt eben erfordert. Ebenfalls in grün gekleidet, fügt sie sich perfekt ein in ihren zu managenden Haushalt. Und bis aus Reihe 12 im Parkett kann man sie vergnügt dabei beobachten, wenn sie mehr als einmal die Augen verdreht.
Eine ganz wunderbare, weil ausgewogene schauspielerische und gesangliche Performance von Dagmar Hellberg.
Gisela Ehrensperger – Mrs. Higgins (Mutter)
Das schauspielerische Highlight dieses Abends aber war ganz eindeutig für mich Gisela Ehrensperger. Sie spielte die Mutter von Professor Higgins und wahrlich, da steht eine Grande Dame vor Eahna, da hauts di aus de Latschn. Soviel Grandezza in einer Person, so adlig bis in die gefärbten lila Haarspitzen, kann glaub ich niemand so ein Wagenrad von Hut natürlicher tragen als sie. Gebeutelt durch einen durch und durch seltsamen Sohn und auch durch die Erfordernisse, eine adlige Lady zu sein, lässt sie durchblitzen, dass sie schon nochmal anders mit beiden Beinen auf dem Boden steht als ihre vornehmen Freundinnen. Ihre Oberflächlichkeit ist eine gespielte und sie sieht ihre Stellung und die damit verbundenen Erwartungen ihres Freundeskreises sehr reflektiert. Eine angenehme und erfrischende Erscheinung: man möchte sie auch als Mutter haben, ihren Rat einholen und einfach sehr vornehm zwischen Palmen mit ihr Tee trinken. Ich war tief beeindruckt und verneige mich vor dieser Leisung.
Robert Meyer – Vater Doolittle
Robert Meyer ist ja hauptsächlich der Direktor der Wiener Volksoper, und steht auch im eigenen Haus immer wieder schauspielernd auf der Bühne. Eine wahre Freude, dass er auch immer gern ins Gärtnerplatztheater kommt. Er verleiht Elizas Vater ein unglaubliches Temperament und besticht zudem mit seinem mitreißendem Timing. Er hat neben Eliza den größten Dialektpart und man hört ihm unglaublich gerne dabei zu.
Die Energie, die er versprüht auf der Bühne, ist einfach der Wahnsinn. Bei uns heißt das schlicht und einfach Rampensau. Egal ob gesungen oder gesprochen, wehmütig oder ironisch, aufbrausend oder jammernd. Stets spielt er sich in den Vordergrund, trifft dabei immer den richtigen Ton und macht aus Elizas Vater einen Charakter, der einem beständig im Gedächtnis bleiben wird.
Nadine Zeintl – Eliza Doolittle
Last but not least: Die Hauptperson:
Nadine Zeintl vollzieht die Wandlung von dem Blumenmädchen zur vornehmen Lady über weite Strecken sehr plausibel. Sie macht das auch sehr geschickt, denn sie lässt sich wunderbarerweise zu Beginn schon sehr tief in den Dialekt fallen. Den spricht sie – eher österreichisch – so breit, dass auch der aus Süddeutschland stammende Zuschauer genau zuhören muss. Aber das macht sie schon prächtig, denn ist es doch diese so deutlich schlechte Sprache und die Aussichtslosigkeit auf Besserung, die Pickering und den arroganten Higgins zu dieser Wette treiben. Zeintl hat dabei sichtlich Spaß in ihrer Rolle, zeichnet deutlich, dass sie nicht dumm ist, und trotzdem sind ihre Sprechübungen zum Kringeln komisch. Das Musical will es nun mal so, dass der Übergang vom derben Mädl zur Lady sich zunächst sehr sehr langsam und dann sehr plötzlich vollzieht. Meiner Meinung holpert es zwischen Ascot und dem Botschafterball ein wenig, aber das ist nicht der Darstellerin anzulasten. Denn die versteht es sehr gut, zum Ende hin mit einer ganz zarten Anmut aufzutreten, so dass man versteht, dass sie auf dem Ball die oberen 10000 beeidruckt hat.
Was mir allerdings nicht gefallen hat, ist die Tatsache, dass ich sie stets zu leise fand. Auch andere Darsteller teilten dieses Schicksal, bei ihr war es am augenscheinlichsten. Schade, denn gerade in einem Stück, wo es immer um Sprache und Ausdrucksweise geht, wäre es schon nötig, dass man alles versteht und nicht ganze Lieder zwecks schlechter Aussteuerung textlich einfach verschwinden.
Besondere Erwähnung muss im Zusammenhang mit der Leistung von Nadine Zeintl die Pferderennszene finden, auf der Eliza zum ersten „Probelauf“ antritt. Sie wird eröffnet, indem Oberst Pickering Mrs. Higgins verrät, was der Professor auf dieser Veranstaltung vorhat, und Mrs. Higgins schwant Übles („Fahrer, lassen sie den Motor laufen.“ „meine bald nicht-mehr-Freundinnen..“) Dieses vergnügliche Entree gibt dann den Blick frei auf eine wunderbare Ensembleszene. Die Damen und Herren der noblen Gesellschaft sind in hinreißend schöne Kostüme gewandet, die ganze Szenerie ist dabei in schwarz-weiß gehalten. Schwarz-weiß, die Sichtweise der adligen Damen und Herren, die davon ausgehen, dass er nur sie und die anderen gibt.
Köstlich mitanzusehen, wie die Gesichter, die Augen und die Operngläser den imaginären Pferden folgen.
Und eine Meisterleistung von Eliza: Zunächst hält sie sich tapfer an die Regel, nur über das Wetter und den Gesundheitszustand zu sprechen. Dabei betont sie die erlernten Sprechregeln so überdeutlich, dass man sich hier schon zusammenreißen muss, um nicht loszulachen. Aber Schritt für Schritt, also eher Wort für Wort und Satz für Satz, entfernt sie sich von sämtlichen Regeln und die Ahnung, dass die Katastrophe unweigerlich eintreten muss, macht die Szene so greifbar, spannend und lustig. Das Interesse an ihr steigt unwillkürlich, sie ist schon eine sehr seltsame Erscheindung, bei der noch nichts zusammenpasst. Das steigert das Interesses an ihrer Person enorm. Das ist wunderbar entwickelt und das Ensemble zeigt hier hemmungslose Spielfreude. Eliza lässt sich mitreißen, die Sätze werden dialektbehafteter, die Themen derber und fasziniert und irritiert das adlige Publikum nur noch mehr: Eliza ist wie ein Unfall: man ist geschockt, kann aber nicht wegsehen! Nadine Zeintl steigert diese Spannung grandios immer weiter, bis die ein oder andere blasierte Dame schließlich in Ohnmacht fällt, wenn Eliza ihr Pferd anfeuert: Renn, sonst strei i dir Pfeffer in Arsch…
Eine runde und wunderbare Vorstellung von Nadine Zeintl.
Orchester
Die größte Freude des Abends für mich aber war das Orchester unter Leitung von Andreas Kowalewitz. Es ist einfach faszinierend: Die Musiker spielen die Noten, die jedes Orchester spielt, wenn My fair Lady auf dem Programm steht. Man kennt die Melodien hinreichend und doch schafft es das Orchester des Gärtnerplatztheaters, etwas ganz besonderes daraus zu zaubern. Vom ersten Ton an ist mir das aufgefallen, wieviel eleganten Schwung es den Titeln verliehen hat, wie akzentuiert und doch melodiös und leicht die Stücke in den Zuschauerraum getragen wurden.
Herzlichen Dank, liebes Orchester des Gärtnerplatztheaters, für dieses Highlight in meinem Musicaljahr!
Fazit
Herzhaft beschwingt, komisch und brilliant gespielt von Hauptdarstellern, Ensemble und Orchester, unterhält My Fair Lady am Münchner Gärtnerplatztheater ohne den mittlerweile üblichen moralischen Zeigefinger glänzend. Eine Wiederaufnahmepremiere mit Standing Ovations. Unbedingt empfehlendswert!
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