Als mir beim letzten Besuch im Ludwigs Festspielhaus Füssen der Flyer zum Musical Der Ring in die Hand gedrückt wurde, lies ich selbigen sofort in den Tiefen der Handtaschen verschwinden. Der Ring, das ist doch das mit den Nibelungen? Lustige Assoziationskette: Der Ring – Wagner – Oper – 15 Stunden Sitzen – nein danke. Und dann auch so schwere Kost.
Die Schwiegermutter ist der Musiktheater-Sparte mit Schwerpunkt Oper deutlich verhafteter als ich und bestätigte mir den Wahnsinn dieses Wagner-Ring-Unterfangens, das sie seinerzeit auch tapfer durchgestanden hat und trotzdem ließ mich ein Satz von ihr aufhorchen: die Geschichte als solches ist unfassbar spannend.
Also, so klang das schon nicht mehr so wahnsinnig und überhaupt ist die Besetzung sehr vielversprechend… warum es also nicht wagen?
Ich bin am Donnerstag, den 4.10. dann zur Generalprobe gefahren und gebe euch meinen Eindrücke wieder. Vorneweg muss Folgendes gesagt sein: eine Generalprobe ist eine Generalprobe und nicht zu vergleichen mit einer normalen Vorstellung oder gar der Premiere. Schon die Stimmung ist eine ganz andere: wenn im Saal Angehörige der Darsteller sitzen und Pressevertreter, die einfach fotografieren dürfen, die Regie immer wieder redet und man noch nicht mal gezwungen ist, still zu sitzen und andächtig zu lauschen, fühlt sich das als Zuschauer anders an. Es herrscht eine andere Nervosität als an Premierentagen. Eine ruhige, eher lässige und dennoch drängende.
Ich fand es total faszinierend, den ganzen Betrieb im Warm-up-Modus zu sehen. Da fühlt sich das viel mehr nach Arbeit an und weniger nach Kunst. Nicht, dass die Darsteller sich nicht voll reinhängen. Das haben sie tatsächlich getan. Ist ja auch sinnig, es ist ja auch ihr Probelauf.
Aber das so erhabene Gefühl, wenn so ein Heldenepos aufgeführt wird, hat sich nicht eingestellt. Und das war für mich aber eindeutig situationsbedingt, das muss man einfach ganz klar sagen.
Ich danke Ludwigs Festspielhaus Füssen für dieses tolle Erlebnis. Das Festspielhaus übrigens ist ein wunderschönes Haus, gestaltet mit ganz klaren Linien und ganz viel Fensterfront, wirklich sinniger Bestuhlung die eher einem Kino gleicht und einem ganz besonderen Flair, der sich für mich als Bayer einfach einstellt in dieser erhabenen Landschaft, die einen ob seiner Schönheit und Würde ergreift. Und dann verlässt du dieses wunderbare Haus und siehst von weitem das Schloss wie ein Traum… nein, ich versteige mich gerade.
Der Ring, jawoll. Der Ring der Nibelungen ist die deutsche Heldensage schlechthin und wird doch immer sträflich vernachlässigt. Ich habe ein musisches Gymnasium besucht und kann mich nicht erinnern, den Nibelungenring weder im Deutschunterricht noch im Fach Musik irgendwann behandelt zu haben.
Der Ring der Nibelungen – die Geschichte
Vor langer Zeit schuf Wotan, der Göttervater, einen Ring aus Gold, und gab ihn den Menschen als Prüfung, die sie nicht bestanden. Denn sofort herrschten auf der Erde Zwietracht, Neid und Gier. Darauf versenkte Wotan den Ring im Rhein und befahl seinen drei Töchtern, den Rheinamazonen Schmerz, Lust und Zärtlichkeit, auf diesen aufzupassen. Hier setzt die Geschichte ein:
Die drei jungen Damen langweilen sich schrecklich beim Erfüllen dieser Aufgabe und lassen sich von Alberich, einem Zwerg, nur zu leicht ablenken:

Sie verraten ihm, dass nur der den Ring an sich nehmen kann, der der Liebe entsagt. Für Albrich eine klare Sache: Was will ich mit Liebe und nie mehr geschlagen, nie mehr versklavt: Alberich gelingt es, den Ring an sich zu reißen.
Wotan begegnet uns selbstgefällig, aber antriebslos und müde. Aus dem Himmel hat er alle anderen Götter vertrieben, indem er sie zu Menschen gemacht hat. Einzig seine Tochter Brunhilde ist noch an seiner Seite, die seine Art und Weise aber offen kritisiert. Als Wotan die beiden Riesen, die für ihn den Herrschersitz Walhall gebaut haben, auszahlen will mit Gold und eben diesem Ring, müssen die Rheintöchter ihrem Vater gestehen, dass Alberich ihnen diesen abgenommen hat und in seinem Besitz hält.
Wotan überlistet den eher schlichten Alberich und gewinnt so den Ring zurück.

Da die Ordnung wieder hergestellt ist, möchte er sich in der neu erschaffenen Walhalla zur Ruhe setzen. Seine Tochter Brundhilde versteht das nicht und möchte, dass ihr Vater sich um die Menschen und ihr Schicksal kümmert. Wotan bestraft Brunhilde dafür, dass sie sich erneut gegen ihn stellt, indem er sie verbannt und einschließt in einen wehrlosen Schlaf.
Alberich hingegen erschafft aus Zorn, Wut und Gier einen Menschen aus Eisen und Stahl: Siegfried, der ihm den Ring zurückbringen soll.
Der Ring hat mittlerweile auch unter den Riesen zu Hass und Gier geführt, so dass der eine den anderen tötete, um das Schmuckstück alleinig zu besitzen. Als Drache hütet dieser Riese nun eben jenen goldenen Reif der Macht.
Siegfried tötet den Drachen im Kampf und nimmt den Ring an sich. Dabei fühlt er die Allmacht so stark, dass auch er den Ring nicht wieder an seinen Erschaffer Alberich abgeben will.
Siegfried entdeckt Brunhilde und rettet sie, beide verlieben sich unsterblich ineinander.

Der machtberauschte Siegfried sieht sich nun hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu Brunhilde und der Macht des Ringes. Wotan fordert Siegfried zum Zweikampf, unterliegt aber.

Zwar ist auch Siegfried machtberauscht und gierig, kann sich aber der Macht des Ringes insofern entziehen, als das er die Entscheidung trifft, Wotan am Leben zu lassen. Dieser drängt seine Tochter, sie solle Siegfried umbringen, um die Macht zu erlangen. Doch Brunhildes sieht ihre Zukunft an der Seite Siegfrieds und tötet schließlich ihren Vater Wotan, um frei und selbstbestimmt leben zu können. Auch Alberich zieht gegen das Liebespaar den Kürzeren und wird getötet. Siegfried und Brundhilde bleiben zurück und feiern den Sieg der Liebe über die Macht.

Soweit der schwer zusammenfassende Inhalt. Frank Nimsgren hat von der ursprünglichen Sage viel gekürzt und einen ganzen Haufen Figuren einfach weggelassen, was verständlich ist, wenn man das Heldenepos in zweieinhalb Stunden erzählen will. Kommt eine textliche Zusammenfassung eher sperrig daher, funktioniert die Geschichte auf der Bühne insoweit, als das keine Verständisprobleme entstehen und man der Story ohne Probleme folgen kann. Die einzige Verwunderung meinerseits tauchte am Ende auf: Das Musical endet zeitlich bereits vor dem einzigen Teil der Sage, den ich kannte: Dem Tod Siegfrieds. Dieser findet hier gar nicht statt.
Die Inszenierung
Ich habe immer noch den Satz meiner Schwiegermutter im Ohr: Die Geschichte ist immens spannend. Hm. Mit dieser Erwartung bin ich reingegangen und sie wurde nicht ganz erfüllt. Denn Spannung ist schon zu spüren, vor allem im zweiten Akt. Allerdings gibt es viel zu viele Stellen, an der sie stark nachlässt. Langweilig wird es an diesen Stellen auch nicht, weil sich die Geschichte dort um andere emotionale Schwerpunkte bemüht. Allerdings fehlte mir eindeutig der Bogen, mit dem man die Spannung über der ganzen Geschichte von Anfang bis Ende zusammenhält. Mehrfach hatte ich die Idee, in einer Nummernrevue zu sitzen.
Ich versuche, ein Beispiel zu geben: Es gibt ein wahnsinnig starkes Tanzemsemble, das spürbare Energie auf die Bühne brachte. Die Tänzerinnen und Tänzer waren immer dort auf der Bühne, wo sich die Macht, deren Besitzer ja immer wieder wechselt, ballte. Und die Macht ist in der Geschichte immer verbunden mit Bedrohlichkeit, Kompromisslosigkeit.
Die Choreografien, die sie tanzten, waren allesamt schwungvoll und exzellent vertanzt – ich möchte hier auch betonen, dass auch der der männliche Teil der Dance-Crew ganz wunderbar in Szene gesetzt wurde und mit Ausstrahlung und Können punktete. Allerdings haben für meinen Geschmack die Choreografien nicht immer die Attitüde des Stücks oder der Szene unterstützt. Mir fehlte da das durchgehende Drama, die für mich diese Geschichte ausmacht. An einigen Stellen wirkte das für mich wie Fernseh-Ballett. Außergewöhnlich gutes Fernsehballett, keine Frage. Ich hätte mir gewünscht, dass dieses Balllett, das so zentral eingesetzt wurde, noch deutlicher die Geschichte für mich mitträgt. Ich wurde dadurch eher immer herausgerissen.
Wie gesagt, die Choreografien an sich waren toll. Auch das Wasserbecken, das die Füssener Bühne auszeichnet, wurde für die Tanzchoreografie ganz originell genutzt.

Aber, um mit Bruce Darnell zu sprechen: Mehr Drama, Baby!
Dass Drama möglich ist, zeigen einige andere Szenen: Die Szene, die mir am besten gefallen hat, war die, als Siegfried mit dem Drachen kämpft. Der Drachenkörper wurde aus mehreren Einzelteilen gefertigt und jeweils ein Tänzer hatte eines der Drachenglieder umgeschnallt. Im grandiosen Zusammenspiel der Tanzcrew ergab sich so ein Monster in 3D. Das kann sehr albern wirken, hat hier unglaublich gut funktioniert und fasziniert. Es war mystisch und sagenhaft und immer mit einem Grundtonus an Spannung und Dramatik.

Wotan gegen Siegfried als Kampf war anders gemacht, und hatte zu aller Mystik und Erhabenheit eine spannende, aggressive und bedrohlich Grundstimmung. Die Lichtregie, die treibende Musik, die Choreografien haben alle zusammen mitgezogen auf diesen Kampf hin, der Spannungsbogen wurde von ganz unten nach ganz oben gezogen und explodierte förmlich im Zweikampf der Mächtigen.

Sehr gut gemacht und an dieser Stelle ein großes Kompliment an Jan Ammann und Christopher Brose. Der Kampf war glänzend umgesetzt und er war – für meine Begriffe – auch wirklich lang. Tolle Arbeit von allen Beteiligten.
Leider nicht ohne Holpern gingen für mich die Auftritte der Rheinamazonen über die Bühne. Als komödiantisches Element werden sie gezeichnet als drei junge Damen, von denen keine die hellste Kerze auf der Torte zu sein scheint. Dabei wurde meines Erachtens aber eindeutig überzogen. Ich habe mich ein bisschen an die übertriebene Eindeutigkeit von Comedyserien erinnert gefühlt.
Kennt ihr das auch, das Gefühl: Man sitzt da, es gefällt einem, was man sieht, aber man weiß nicht genau: Wo will das hin. Auf welchen Zug möchte das Musical aufspringen? Ich wollte auf den ernsten, dramatischen aufspringen. Die positive Grundenergie, die das Tanzensemble verbreitete und die fröhliche, bisweilen recht schmerzhaft deutliche Einfältigkeit der Amazonen verhinderten das.
Möglicherweie war das als Stilbruch so gewollt, dann war es brillant gemacht. Aber mir hat das den Bogen der ernsten Geschichte immer wieder zerschlagen. Ich laste das ausdrücklich nicht den Darstellerinnen an, die haben ihre Sache ausnahmslos gut gemacht.
Interpretation
Die Heldensage ist schwere Kost und das hauptsächlich deshalb, weil man sie nicht einfach genießen kann. Das Stück schreit nach Interpretation, denn Hauptthema ist nun einmal die Macht und was die Macht mit oder gegen Menschen vermag zu tun. Diese zu versinnbildlichen ist nicht einfach, hat der Regisseur aber grandios gelöst. Das Tanzensemble ist die Macht, die den jeweiligen Herrscher glanzvoll und blind umgibt. Zum Beispiel ist hier schön verdeutlicht, wie Siegfried von der Macht getragen wird.

Die Macht ist hier energetisch und aufputschend.
Ganz im Gegensatz zur Macht des Wotans, der sich lässig und selbstgefällig von ihr hofieren lässt. Für ihn ist sie einfach da, er ist daran gewöhnt, er sonnt sich in ihr, ist aber auch extrem gelangweilt davon.

Alberichs Begriff der Macht ist ein von ganz niederen Instinkten geprägter, darum begegnet er ihr auch immer in seinen unteridischen Katakomben. Für ihn geht es um das absolute Herrschen und Beherrscht-Werden, bei ihm verbindet sich Macht mit Wut, Hass und Niedertracht.

Großartig und durchaus erhebend wird es gegen Ende, wenn die Macht von den Personen bröckelt und sich wieder im Ring manifestiert, wo sie gebannt wird und so wieder Friede unter den Menschen herrschen kann.
Brunhild befreit hier ganz augenscheinlich ihren Siegfried vom Joch der Macht, indem sie ihm die Rüstung abstreift.
Mit ihrer Hilfe, mit Hilfe der Liebe befreien sie sich und die Menschen von dem Bösen. Zurück bleiben die Amazonen mit ihrem Ring.

Musik
Frank Nimsgern ist der Sohn des Opernsängers Siegmund Nimsgern, einem bekannten Wagnerinterpret. Er hat quasi den Nibelungenring mit der Muttermilch aufgesogen und hatte schon früh die Idee: Das ist mir zu anstrengend, das mach ich mal anders. Modern wollte es Nimsgern anlegen und transportieren in unsere heutige Zeit. Wagner hatte damals ebenfalls mit zu seiner Zeit moderner Musik das Epos vertont. Jetzt, über 100 Jahre später gebürt Nimsgren sehr großes Kompliment für das Durchhaltevermögen und das unbändige Talent, dieses auch ebenfals zu tun.
Der Ring gehört zu den Musiktheaterstücken, bei denen man den Beinamen Rockmusical liest. Das kann ich nicht zu 100% teilen, was aber auch egal ist, denn es geht hier ja nur um eine Bezeichnung. Allerdings spielt so ein Titel ja durchaus mit den Erwartungen des Publikums, und, um es kurz zu machen:
Auch diese Erwartung wurde enttäuscht. Laute Gitarrenriffe allein machen für mich noch keine Rockmusik. Da gehts mir auch wieder viel mehr um die Grundstimmung, Attitüde. Für meinen Begriff war das Popmusik, allerdings greift auch dieser Begriff bei der Einordnung nicht. Auf ruhige Melodien mit erhebender Philosophie folgte ehrlicher, klarer Rock. Es groovt der Blues und wechselt sich mit super akzentuierten und trotzdem soulige R’n’B-Nummern ab und immer mal wieder schlüpfen auch Schlagerversatzstücke ins große Ganze. Dieser bunte Strauss an Melodien unterschiedlicher Genres war mir stellenweise einfach zu viel des Guten.
Das Liebesduett zwischen Siegfried und Brunhilde würde es meines Erachtens locker in eine Schlager-Show schaffen, nicht nur vom Titel her: Lass es Liebe sein. In der Choreographie steigt dann Brunhild noch aus dem Kronleuchter und da hatte ich kurz die Idee, dass jetzt gleich Helene Fischer um die Ecke kommt. Aber ich will das nicht ins Lächerliche ziehen. Es waren so oder so tolle Melodien dabei, aber mir fehlte in der Zusammenschau der Bogen. Zu wahllos waren mir die Genres miteinander und gegeneinander gemischt.
Ich sage nicht, dass das grundlegend schlecht ist, oh nein. Aber zu mir hat es nicht gepasst. Hier gilt mal wieder. Und dennoch: Man muss sich auf die Dinge einlassen, egal ob Geschichte, Grundstimmung oder Musikrichtung.
Getextet wurde – wie gesagt – auf Deutsch und das funktionierte überraschenderweise mit ganz wenigen Ausnahmen, z.B. bei den R’n’B-betonten Nummern wirklich sehr gut. Es waren sehr viele schnelle Melodien (vielleicht rührt daher auch die Nähe zur Rockmusik) und zunächst fiel mir jetzt bis auf ein oder zwei Lieder keines als besonderer Ohrwurm auf. Allerdings endet das Stück in einer Schlussapplaus-Choreographie – so was liebe ich über alles – und dort wird nochmal ein Medley mit den wichtigsten Liedern gesungen und gespielt. Und, oh wundersames Musiktheater: Innerhalb dieses Zusammenschnitts fand ich die Melodien ganz ganz großartig und leicht ins Ohr gehend. Möglicherweise bin ich einfach beim ersten Mal schauen zu sehr mit der Geschichte beschäftigt gewesen, dass ich die Musik zwar hörte, aber nicht durchdringend aufnahm. Auch hier gilt: sich einlassen und – sich einhören.
Nicht an allen Stellen war der Text zu verstehen, aber hinreichend. Das Ensemble für den Background war mit relativ viel Hall belegt. In den Höhen war es immer so ganz knapp vor der Übersteuerung, dadurch klang es manchmal etwas blechern. Aber alles in allem hat das Festspielhaus einen super Sound auf die Bühne gebracht, was vor allem in den energiereichen Sequenzen sehr stark zum Tragen kam.
Hauptdarsteller
Wotan – Jan Ammann

Was an Jan Ammann ist Gottvater-gleich? Ach herrje, das ist eine ganze Menge. Zuallerst die Stimme! Ein so warmes tönendes Volumen in der Tiefe ist einfach unvergleichlich und hüllt einen ein in die allumfassende Macht eines Gottes. Diese volle Stimme hat aber auch eine besondere Energie, die mich am besten in den Duetten erreichte: Alberich/ Wotan, Brunhilde/ Wotan: Im Zusammenspiel mit einem Gegenüber entfaltet diese warme Stimme ganz große innere Kraft und lässt den mächtigen Göttervater auch sehr bedrohlich oder auch schmerzvoll-entschieden wirken.
Ammann zeichnet den Göttervater müde und antriebslos. Das Schicksal der Menschen ist ihm egal. Zu anstrengend und aussichtslos erscheint ihm die Idee, den Menschen beiseite zu stehen. Selbstgefällig – es genügt ihm, die Gottes-Allmacht bei sich zu wissen – ist die Liebe zu seiner Tochter Brundhilde das einzige Gefühl, dass noch aus ihm hervorbricht. Diese bezeichnet ihn als „altes, müdes Tier“ und genau so schleicht Jan Ammann durch seine Walhalla. Mit der Verbannung Brunhildes scheint auch das letzte Aufglimmen seiner Göttlichkeit zu schwinden.
Jan Ammanns Wotan ist eine Herausforderung für mich gewesen. Ein bisschen mehr Präsenz, ein bisschen mehr agressiv-herrschende Grundstimmung hätte ich mir gewünscht. Nach intensiver Beschäftigung mit der Rolle im Rahmen dieses Blogs allerdings relativiert sich mein Wunsch wieder. Denn Ammann zeigt Wotan ja genau, wie ihn das Stück haben will und nicht ich. Diesem Wotan fehlt etwas, die Energie, der Antrieb, die Gesellschaft, die Lust auf eben diese Macht, die er sowieso schon immer innehat. Und genau das transportiert Jan Ammann. Schlussendlich hat er mir damit auch vermittelt, warum er im Kampf mit Siegfried unterliegt: Siefried hat einfach was voraus: Den Hunger auf etwas, die Aussicht auf die Zukunft mit Brunhild, das Feuer. Das fehlt dem desillusionierten Göttervater, der sich wünscht, sich zur Ruhe zu setzen. Und gerade deshalb muss er Siegfried unterliegen. Treffer, versenkt; große Erwartung voll erfüllt. Danke, Jan Ammann!
Brunhild – Anke Fiedler
Von Anke Fiedler hatte ich noch nichts gehört im Vorfeld, war aber ohne Abstriche begeistert.
Brunhild ist eine zarte junge Frau, die aber im Gegensatz zu ihrem Vater es als Aufgabe der Götter sieht, sich um das Schicksal der Menschen zu kümmern. Dadurch, dass sie damit im Widerspruch steht zu ihrem Vater, ist ihr die Leichtigkeit abhanden gekommen, sie sieht das Schiff in die falsche Richtung steuern. In der schmerzhaften Auseinandersetzung mit Wotan bringt sie immer wieder ihre Kritik am Vater harsch vor, schafft es aber gekonnt, ihre respektvolle Liebe zu ihm leuchten zu lassen.
Die Liebe zu Siegfried schafft ihr die Freiheit, zu sich zu stehen und den Mächten, die an ihr zerren, zu entfliehen.

Die Kraft und der Glanz in ihrer Stimme ist enorm, von Anfang bis Ende erkennt man in ihrer Figur die tiefe und starke Persönlichkeit, die dazu führt, dass sie am Ende mit Siegfried der Macht des Ringes widersteht. Sie hat mit ihrer Darstellung genau den Bogen gespannt, den ich innerhalb der Inszenierung ein wenig vermisst habe. Bravo, Anke Fiedler.
Alberich – Chris Murray
Ganz vortrefflich gecastet wurde hier Chris Murray als Zwerg Alberich:
Zum einen ist Murray nicht nur Musical- sondern auch ausgebildeter Opernsänger und sang 2012 am Staatstheater Darmstadt die Rolle des Siegmund in der Walküre von Richard Wagner und ist damit prädestiniert für eine Rolle im Ring-Musical.

Zum anderen – ich hoffe, Herr Murray nimmt mir das nicht übel – passt sein Äußeres auf die Rolle wie die Faust aufs Auge. Mit den krausen Haaren, die sein schmales Gesicht umspielen, seiner im Vergleich zu Jan Ammann tatsächlich eher kleinen Statur und seiner ganz besondere Stimmfarbe erweckt er wahrhaftig einen Zwerg zum Bühnenlebe. Der erscheint zunächst eher schlicht, aber mit Erlangen und Verkosten der Macht bringt er nach und nach andere Züge seines Charakters zum Vorschein: zunächst betonte Lässigkeit, Überheblichkeit, Verschlagenheit, Rachegelüste, Skrupellosigkeit und die ganz niedere Gier. Murray zeichnet diese Eigenschaften alle sehr deutlich und mit großartiger Mimik. Am beeindruckensten finde ich nach wie vor, welches Stimmvolumen er an den Tag legen kann bei lang gehaltenen hohen Schlusstönen.
Ganz runde und reife Leistung, danke Chris Murray!
Siegfried – Christopher Brose
Man soll Menschen und insbesondere so vielseitig talentierte und ausgebildete Musicaldarsteller nicht schnöde nach dem Äußeren beurteilen. Aber, meine Damen und Herren, bei so einem Körper möchte ich Christopher Brose auch nicht auf seine inneren Werte reduzieren. Wer, wenn nicht dieser Mann kann den perfekten Krieger auf die Bühne bringen?

Faszinierend erweckt er den Koloss von Eisen und Stahl zu einem Menschen, der Gefühle entwickelt und entdeckt. Dabei spürt man ängstliche und doch aufgeregte Neugier, mit der er sich auch in die Liebe zu Brunhild stürzt. Ganz und gar kraftvoll-aggressiv bekämpft er zunächst den Drachen und dann Siegfried. Dabei bekommt er ganz nuanciert den Unterschied auch in der Inszenierung hin: der Kampf mit dem Drachen, der eher mystisch und symbolisch daherkommt, stattet er mir einer eher erhabener Energie aus als den Kampf gegen Wotan. Dort trifft Macht auf Macht. Ganz expilizit wird hier gefochten und eine andere Energie sichtbar macht: eine durch und durch männlich-aggressive, triumphierende.
In seinen Soli füllt er die Bühne sowohl mit seiner Aura als auch mit der Stimme und gefällt mir ohne Wenn und Aber. Danke, Christopher Brose!
Fazit
Dieses Fazit fällt ein wenig länger aus als normal. Ich möchte nicht einfach den Daumen heben oder senken, das würde dem Gesehenen nicht gerecht werden.
Was mir sehr gut gefallen hat:
- die Lichtstimmung in der Gesamtheit. Sie war dunkel, beherrschend, erhaben und folgte einer Idee. Innerhalb dieser konnte die Regie variieren und verschiedene Stimmungen erzeugen, von bedrohlich bis elegant.
- Bühnenbild: Wie in Füssen schon beim Ludwig gesehen überzeugt das Bühnenbild visuell unter dem Einfluss der eben genannten Lichtstimmung. Das Wasserbecken, die Walhalla und der unterirdisch angehauchte Bereich des Alberich sind sinnig und zweckmäßig, dabei nicht überladen.
Einzig der Kronleuchter, in dem Brunhild in wehrlosen Schlaf liegt, ist schwierig: Die Höhe des Podestes innerhalb des Kronleuchters müsste eine andere Höhe haben, so dass ihr Gesicht im Sitzen nicht hinter dem oberen Lichterring verborgen ist. Zumindest von meinem Platz aus war das so. Das ist aber nur eine wirklich kleine Kleinigkeit und tut dem Gesamteindruck keinen Abbruch. - Das Tanzensemble war fehlerlos, energetisch und fabelhaft anzusehen
- die Story, wie sie konzipiert wurde an sich: Es gab keinerlei Verständnisprobleme, Erzählstränge wurden auserzählt, ich fand nichs überflüssiges darin oder vermisste Essenzielles. Die Geschichte hat, auch wenn es sperrig wirkt beim Nacherzählen, alles, was eine gute Geschichte braucht und bedient sich im großen Markt der Emotionen mit Liebe, Hass, Gier, Heldenmut und Großzügigkeit.
- Darsteller: Eine Topcast, die hält, was große und kleine Namen versprechen.
Kleinen Abzüge gibt es für:
- die Beleuchtung: Achtung, das ist nicht dasselbe wie die Lichtstimmung. Die Ausleuchtung der Gesichter war bisweilen mangelhaft, denn das Licht kommt sehr stark von oben, während das Fülllicht von unten ein wenig fehlt. Dadurch liegen die Augen der Darsteller häufig im Schatten.
- die Inszenierung: Wie ich oben schon lang und breit ausgeführt habe, fehlte mir der Bogen, der die Spannung über die gesamte Länge des Stückes zu halten vermocht hätte. Nimsgern erzählt episch in breiten Bildern, die den Erzählfluss mitunter stoppen. Er lässt mit den Stilbrüche in der Musik auch Brüche in der Grundstimmung aufkommen. Dagegen bleibt er mit dem Licht einer andern Linie treu, so dass ich nicht recht wusste, wo er hinwollte.
- die Musik: mir fehlte der ganz große Ohrwurm. Mit Ohrwurm meine ich das Lied, das alles geschicht zusammenfasst: den Kern der Story, die Stimmung, die Atmosphäre. Bei Ludwig denk ich an Kalte Sterne, bei Jesus Christ das Gethesmane, das Feuer der Hölle beim Glöckner. Das, was im Allgemeinen den Begriff Showstopper verdient. Aber ich muss fairerweise gestehen: Oft generiert sich einem selber dieser Ohrwurm erst mach mehrmaligem Hören. Insofern möchte ich dieses Fehlen eines solchen nicht so stark gewichten. Nimsgren macht das aber mit seinem Schlussmedley sehr geschickt, dass er am Ende nochmal alle Kracher ins Boot holt. Insgesamt wagte er das Unterfangen, mit den Stilen zu experimentieren und sie bunt zu mischen. Das ist selten in der Musicallandschaft, hat seine Berechtigung – ist aber auch nicht meines.
Zusammenfassung
Ein spannendes Unterfangen ist die als Musical vertonten Heldensage der Nibelungen „Der Ring”. Wie Siegfried und Albreich begibt sich der Zuschauer auf ein Abenteuer, bei dem vieles begeistert, einiges gut funktioniert, und nur wenige Dinge aber unbefriedigend bleiben. Es hat großes Potential und wer bereit ist, sich auf etwas einzulassen, was ein wenig abseits vom Mainstream ist, wird auf den Zauber stoßen, den das Musical auf die Bühne zu bringen vermag.
Alle Fotos: Dr. Joachim Schlosser Fotografie
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