Ich war zum ersten Mal Besucher in der Theatercouch. Nur vier Stuhlreihen zusammen mit einer Bühne in einem überschaubaren Raum. Spannend! Es war ein wunderbares Erlebnis, aber ich gebe zu, es hat mich am Anfang ein wenig überfordert. Erste Reihe Mitte, das heißt, ich konnte meine Zehen quasi auf der Bühne parken. Und dann steht, sitzt, singt und spielt Drew Sarich direkt vor mir. Puh. Da stieg mein Adrenalinspiegel in medizinisch bedenkliche Höhen, gleichzeitig wollte mein Körper in Ehrfurcht erstarren.
Trotzdem und gerade deshalb werde ich auf alle Fälle wieder herkommen. Es ist einzigartig, diese wunderbaren Schauspieler (jaja, ich habe auch Ann wahrgenommen 😉 ) so nah zu erleben.
Ich habe das Stück zum ersten Mal gesehen, den Film kannte ich nur auszugsweise. Es war nicht schwer, der Handlung zu folgen, trotzdem musste ich mich auf das Stück erst einlassen und die ungewöhnliche Nähe zu Drew tat ihr übriges. Alles, was ich wahrgenommen habe, versuche ich, wiederzugeben. So komplett wie ein Jesus-Christ-Review wird dieses hier nicht ausfallen, ich möchte euch trotzdem an meinen Eindrücken teilhaben lassen.
The Last 5 Years ist ein 2-Personen-Stück. Jamie und Cathy erzählen die Geschichte ihrer 5 Jahre dauernden Beziehung. Die Erzählweise ist allerdings ungewöhnlich: Sie singen abwechselnd, aber während Jamie seine Sicht der Dinge darstellt vom Verlieben vorwärts zur Hochzeit und zum Auseinanderdriften, erzählt Cathy den Verlauf rückwärts. Das heißt, sie beginnt die Geschichte mit der Trennung von Jamie und kommt am Ende an, als sie sich gerade in ihn verliebt. Dieses Arrangement spielt also mit den Zeitebenen. Menschen, die den Inhalt nicht kennen, dürften in der ein oder anderen Szene etwas verwirrt zurückbleiben. Die Inszenierung löst diese Schwierigkeit ein wenig, indem in die an der Wand hängenden Bilderrahmen das jeweilige Jahr, in dem sich die Geschichte gerade befindet, projiziert wird. Das entwirrt die Fäden ein bisschen und füllt die Appartment-Wand mit Leben. Eine schöne und gut umgesetzte Idee.
Im Apartment steht im Mittelpunkt ein Sofa, links am Rand eine gepolsterte Bank, die je nach Szene verschoben wird. Rechts vorne ein Schreibtisch.
Cathy: Still Hurting
Cathy betritt den Raum und wendet sich zur Bank am linken Bühnenrand. Darauf liegt ein Blatt Papier. Sie nimmt es auf. Es ist ein Brief von Jamie. Jamie teilt ihr mit, dass er sie verlässt.
Anns Cathy ist niedergeschlagen. Doch Trauer ist nicht das vorherrschende Gefühl. Es gibt keine Tränen. Sie ist tief getroffen, bleibt aber gefasst. Im Versuch, das Gelesene anzunehmen, wirkt sie eher wie unter Schock. Sie schluckt schwer. Das Lied ist ein Abfolge von Anklagen, denn Cathy gibt Jamie die Schuld an der Trennung. Der Text des Liedes deutet schon zart die Rollenverteilung dieser Beziehung an: Er ist wohl der Agierende und Cathy die, die erträgt. Sie tut nichts außer leiden. I am still hurting. Und das tut sie wirklich. Anns Gesicht ist gezeichnet von Schmerz. Die Vorwürfe aber, die sie an Jamie richtet, sind weniger wütend, eher wie eine Feststellung. Wehmütig sieht sie aus, ein wenig verhärmt. Sie nimmt ein Buch auf. Es ist sein Buch, er hat es geschrieben. Auf der Rückseite ein Bild von ihm. Man spürt ihre unbändige Sehnsucht nach ihm, nach ihrem gemeinsamen Leben. Sie fühlt sich mitschuldig, auch, wenn sie ihm Vorwürfe macht. Cathy leidet. Sie leidet unter der Trennung, unter Jamie, aber auch spürbar unter sich selbst.
Jamie: Shiksa Goddess
In schwarzer Jeans und dunkelrotem Hemd sitzt Jamie am Tisch und lächelt in sich hinein. Er wirkt glücklich, zufrieden, ein bisschen der Welt entrückt. Jamie hat eine tolle Frau kennengelernt: Cathy. Er singt über sein Glück, so eine tolle Frau gefunden zu haben. Sie ist die richtige für ihn. Egal, welche seltsameren Irrungen, Wirrungen und Unzulänglichkeiten im Wege gestanden wären: alles hätte er passend gemacht für diese eine Frau.
Cathy hat sich gerade als eher in sich gekehrten Typ präsentiert. Jamie erscheint als komplettes Gegenteil. Er lebt, er fühlt und er kann sich total in diesen Gefühlen verlieren. Drew verleiht dem verliebten Jamie eine immense Energie. Er schwärmt und man kann fühlen, wie seinen Emotionen Purzelbäume schlagen. Er präsentiert sich uns als liebevoll Verrückter, der sein Glück augenscheinlich mit seinem ganzen Körper auskostet. Er tanzt mit Cathy, als sie die Bühne betritt, er umschlingt sie mit seinen Armen. Sie lächelt still in voller Bewunderung, wieder eher in sich gekehrt, während er alles aus sich raus lässt. Er übertreibt und im Überschwang versichert er ihr die unmöglichsten Dinge. Als sich beide auf der Couch wiederfinden, spielen sie ihr Begehren nur verhalten aus, und das tut der Situation auch wirklich gut (mir gefällt diese Szene im Film so gar nicht). Denn um körperliches Begehren geht es hier gar nicht. Viel mehr wird der zarte Zauber der erblühenden Liebe vor dem Zuschauer entfaltet.
Ich persönlich bin immer gefangen in Drews Blicken. Wie er sie ansieht. Er hat das Wunder der Liebe im Gesichtsausdruck, das Wunder der Verrücktheit, die Überschwänglichkeit und wenn er sie ansieht, dann mit so ungeteilter aufmerksamer Zärtlichkeit… (Neid! )
Cathy: See I‘m Smiling
Als unbekannte Musicaldarstellerin ist Cathy den Sommer in Ohio an einer Bühne. Jamie kommt sie besuchen.
Ann sitzt mit dem Gesicht zum Publikum auf der in den Vordergrund gerückten schmalen Bank, Drew mit dem Rücken zu uns gewandt neben ihr. Sie sitzen nebeneinander und blicken dennoch in unterschiedliche Richtungen. Die Inszenierung wählt dieses Bild zurecht: Die gemeinsame Vision ist ihnen abhanden gekommen. Einer vorwärts, einer rückwärts, einer beschleunigt, der andere bremst. Ein gemeinsamer Weg ist in dieser Situation nicht möglich. Selbst, wenn man das Stück nicht kennt, spürt man das Drama auf sie zukommen: die Sitzpositionen und die Körperhaltung beider machen eine unangenehme Spannung spürbar. Cathy in ihrer verhaltenen Art, aber doch aufmunternd, hofft, ihre problembehaftete Beziehung wieder in die Spur zurückbringen zu können. Sie versucht, Jamie überzeugen, dass sie sich nur mehr Mühe geben müssten. Es klingt aber eher, als müsse sie sich selbst beruhigen. Sie hält sich mit Blicken an Jamie fest. Der aber kann ihr nur schwer in die Augen sehen. Sein Blick ist schon eher rückwärts gewandt in ihre Richtung, aber sie ganz ansehen tut er nicht oft. Er fühlt sich unwohl in dieser Situation. Denn Jamie hat für sich schon entschieden. Man merkt das. Er bestärkt keine ihrer Hoffnung. Doch Cathy hofft weiter. Und jedem Lächeln, dass sie Jamie dann doch entlockt, schreibt sie eine wunderbare Bedeutung zu für den Fortbestand ihrer Ehe. Ann ist herzzerreißend in dieser naiven Zuversicht. Sie will nicht wahrhaben, was offensichtlich ist: Für Jamie ist nichts mehr zu retten: die Beziehung, die Hoffnung, Cathy. Er will sie nicht leiden sehen, und dabei ist genau das unausweichlich. Ungeschickt stellt er sich an dabei, er findet nicht den Zeitpunkt, von selber rauszurücken.
Und dann bricht endlich all ihr Schmerz in einer langen Anklage aus ihr heraus, als sie erfährt, dass er nicht bleiben wird über Nacht. Jetzt nimmt sie sich den Raum, den sie sich vorher in der Beziehung verwehrt hat. Ein Feuerwerk an Vorwürfen prasselt da auf Jamie ein. Mehrmals setzt er zur Gegenrede an, lässt sich aber von Cathys treibenden Anklagen unterbrechen. Einige Dinge würde er gern richtigstellen, an anderer Stelle fühlt er sich unfair behandelt. So toll gemacht, denn man kann das in Drews Spiel auch tatsächlich unterscheiden. Die Situation ist beklemmend und aufwühlend zugleich.Und sie ist endgültig.
Jamie: Moving Too Fast
Wir beobachten Jamie, zeitlich gesehen jetzt wieder am Anfang der Beziehung. Er bekommt einen Anruf eines großen Verlages. Man hat dort sein Manuskript gelesen und für gut befunden. Jamie kann nicht glauben was er da hört. Zunächst wird ihm mitgeteilt, dass sein Manuskript groß angekommen ist. Schon da tickt er beinahe aus. Und als der Name Random House fällt, entgleisen ihm die Gesichtszüge! Das kann ja gar nicht alles wahr sein. Er nimmt das Telefon vom Ohr und starrt es ungläubig an. Dann überschlägt sich in ihm alles, man hört es an der Stimme. Er ist viel zu laut, er wiederholt sich ständig. Man merkt, hier kann das Hirn diese wunderbaren Informationen gar nicht fassen, weil es die Kontrolle weitgehend an die Gefühlsebene abgegeben hat. Er wischt sich die schweißnassen Hände an der Hose ab. Er läuft hin und her, seine Beine sind aber auch im Stehen ständig in Bewegung. Er wird zu einem Termin gebeten, jetzt gleich. Oh Gott, er ist ganz nah dran, hier und jetzt geschieht etwas Wunderbares. In diesem Überschwang ruft er Cathy an und teilt ihr mit, dass er mit ihr zusammenziehen möchte.
An das Telefonat anschließend singt er das Lied Moving to fast. Während des Songs simuliert er auf der Bank zum Publikum gewandt, einen Boomerang in beiden Händen als imaginäres Lenkrad haltend, eine rasante Auto-/ Motorradfahrt. Eine wunderbare Allegorie auf sein momentanes Leben. So fühlt es sich an: Auf der Überholspur mit immenser Geschwindigkeit an allen vorbei. Dazu passend ist die Singgeschwindigkeit des Liedes gewählt und Drew zeigt uns hier Jamies Überschwang, seine Energie, seine ungläubige Freude. Er fragt sich, ob das nicht alles zu schnell für ihn kommt. Beruflich und privat hat er einen Volltreffer gelandet. Doch Jamie ist unterwegs bergab und die einzige Schwierigkeit wird wohl das Ausweichen von Hindernissen und das Abbremsen sein. Aber das klappt schon irgendwie. Jetzt geht es darum, den Rausch zu genießen. Er hat es verdient.
Cathy: A Part of That
Cathy liebt Jamie. Er ist alles für sie. Jamie sieht gut aus, ist liebevoll und Jamie ist beruflich erfolgreich. Doch dieser Erfolg hat auch seine Schattenseiten: er verändert ihre Beziehung, er verändert ihn und er verändert ihre Sichtweise auf ihn. Denn Cathy ist eifersüchtig auf seinen Erfolg. Sie spürt eine gewisse Entfremdung. Ihm hat sich eine Welt eröffnet –Jamies World– die ihr weitgehend verborgen bleibt. Aber sie nimmt das an. Sie möchte ihren Teil zum gemeinsamen Glück beitragen und der besteht momentan darin, ihn zu begleiten, zu stärken, ihm den Rücken freizuhalten. Der aufstrebende Star-Autor nimmt einfach gerade mehr Raum und Aufmerksamkeit ein. Sein Lächeln entschädigt sie für vieles. Sein Lächeln treibt sie an. Sein Lächeln heißt für sie: alles ist gut.
Das ist eine sehr schön umgesetzte Szene. Während Cathy über Jamie singt, ist er am Notebook festgetackert. Erst am Schreibtisch sitzend, schreibend, grübelnd, überlegend, nach den passenden Formulierungen suchend. In Jamies Welt. Wunderbar im Timing lächelt er breit, strahlend, bejahend, wenn Cathy davon singt. Cathy kocht Tee und diese Teetasse ist der Star der Szene. Jamie wechselt den Platz und wandert samt Notebook vom Schreibtisch zur Bank links. Im Laufen kommt er an Cathy vorbei, die er gar nicht wahrnimmt. Nur die volle Teetasse nimmt er ihr im Gehen unbewusst aus der Hand. Eine wunderbare Metapher, die die Inszenierung uns anbietet: Für Jamie läuft alles wie von selbst. Ohne großartige Bemühungen fällt ihm alles zu, seine Bedürfnisse finden ihre Befriedigung. Cathy nimmt er als Person dabei gar nicht wahr. Sie und ihre Bedürfnisse werden an den Rand seiner Aufmerksamkeit gedrängt. So auch, als sie ihm die leere Teetasse selbstverständlich aus der Hand nimmt. Mit der Teetasse nimmt sie ihre Rolle als solche an, und schlussendlich zeigt uns das einen Grund auf, warum beide scheitern müssen. Wunderbar dezent, aber wirkungsvoll umgesetzt.
In diesem Lied zeigt sich, wie schön durchkomponiert das ganze Stück ist. Wenn sie Jamie dazu bringt, zu Lächeln, dann ist das für sie ein Zeichen der Hoffnung. Zwar ist schon alles nicht mehr ganz glatt, aber sein Lächeln hat eine immense Bedeutung für sie. Wenn er lächelt, dann heißt das: alles gut. Und mit derselbe Idee ging Cathy auch in das Lied I am smiling. Schau her, ich lächle für dich. Dann muss es doch gut sein für dich. Jamie, dann muss alles gut werden.
Jamie: The Schmuel Song
Cathy kommt kurz vor Weihnachten bestürzt mach Hause, weil sie einfach keine Rolle ergattern kann. Jamie sitzt auf dem Sofa, verschwörerisch schon lächelnd. Er freut sich auf sie wie ein Kind auf Weihnachten. Er will sie aufmuntern, aber Cathy ist ziemlich bestürzt, sauer, deprimiert. Jamie singt ihr den Schmuel-Song. Eine Geschichte über einen Mann namens Schmuel, der immer Schneidern wollte, diesen Traum aber schicksalsergeben nie verwirklicht hat. Nach 41 Jahren traut er sich und fühlt sich wie befreit und wünscht sich die letzten 41 Jahre zurück. Jamie wünscht sich und Cathy, dass sie ihre Zeit nutzt, ihre Träume verwirklicht. Er gesteht ihr wieder seine Liebe.
Oh Drew, das ist Wahnsinn. In dieses Lied stürzt er sich derart kopfüber, dass er schon nach der ersten Minuten des Liedes schweißgebadet ist. Das Lied erfordert mehrfach einen Erzähler-Wechsel vom mit Akzent gesungen Schmuel zur Uhr an der Wand, die mahnt, dass Zeit endlich ist und man sie nutzen sollte. Bei diesem Wechsel hüpft er euphorisch die Bank auf und ab, Sein linker Arm spielt den Uhrzeiger, der vorwärts wandert. Als energetischer Teil der Beziehung legt er sich enorm ins Zeug, um Cathy zu zeigen, wie sehr er an sie glaubt. Er fordert Cathy heraus, er fällt als Schmuel auf die Knie, er singt den Refrain der Uhr mit lauter Inbrunst. Dieses Schauspiel, das der offene Jamie Cathy hier bietet ist ein wunderbares emotionsgeladenes und mehr als extrovertiertes Liebesbekenntnis. Es ist vollkommen übertrieben, aber in eben dieser Übertreibung so herzallerliebst und tief berührend. Dieses Übertreiben zieht sich dabei federleicht und zauberhaft in einem schönen Bogen vom Aufmunterungsversuch bis zum innigen Bekenntnis an sie und ihre Fähigkeiten. Obwohl man Cathy zunächst ansieht, dass sie nicht so ganz sicher ist, ab Jamie nicht vielleicht übergeschnappt ist, lässt sie sich doch mitreißen. Diesem Charme, dieser Energie kann sie sich nicht entziehen und so breitet sich bald ein Lächeln aus auf ihrem Gesicht. Zunächst ein ungläubiges, dann ein liebevoll-bewunderndes und schließlich ein glücklich-friedvolles. Vielleicht hat er sie an dieser Stelle gar nicht so sehr von ihrem Können überzeugt, aber immerhin davon, dass sie mit seiner Hilfe alles schaffen kann. Es ist Drews Lied, er ist einer der Höhepunkte, denn ich schaue wie gebannt zu, wie er sich da hineinstürzt. Ann ist in dieser Szene aber weit mehr als nur Statistin, denn ihr nuanciertes Spiel ist für die Wirkung des Liedes immens wichtig.
Cathy: A Summer in Ohio
Cathy schreibt einen Brief an ihren Liebsten. Sie ist über den Sommer als Darstellerin in Ohio. Noch sind das nicht die Bretter, die die Welt bedeuten, dessen ist sie sich mehr als bewusst. Ohio ist nicht die Stadt, in der sie sein will, die Rolle ist nicht die, die sie spielen will. Es ist schrecklich in Ohio. Sie möchte bei Jamie sein. In diesem Lied dürfen wir einen Blick auf die Schauspielerin Cathy erheischen: Sie überspielt überschwänglich ihre Wehmut. Das ist komisch und macht gute Laune. Das Lied steuert unaufhaltsam in der Laune und in der Bedeutung auf den Abschluss ihres Briefes zu, wo sie Jamie auffordert, sie zu besuchen. Unterschreiben darf sie ihren Brief jetzt mit: Mrs. Jamie Wallenstein! Und dem Zusatz: Das bin übrigens ICH! So herzig, wie stolz sie ist, verheiratet zu sein.
Jamie & Cathy: The Next Ten Minutes
Hier treffen sich beide Erzählstränge. Jamies gesungener Heiratsantrag und Cathys gesungene Antwort. Jamie betritt zuerst die leere Bühne und in dem Moment, als Drew sich setzt, kann man schon seine Nervosität fühlen. Für mich immer ein Phänomen, wie ihm das gelingt, ohne ein Wort oder einen Ton, allein durch Körpersprache und Mimik in einer einzelnen Bewegung (auf die Bühne kommen und sich setzen) sofort solch ein Gefühl zu vermitteln. Der war atemlos aufgeregt, mit schweißnassen Händen und einem staubtrockenem Mund. Er wartet nervös auf sie. Dann fragt er sie, ob sie sich vorstellen könnte, bei ihm zu bleiben – die nächsten 10 Minuten. Und wenn die dann vergangen sind, nochmal 10 Minuten. So nähert er sich von der Unverbindlichkeit, vom Spielerischen her seinem Anliegen. Ich kannte den Text zum Lied, aber mir war nicht klar, wieviel Tiefe man diesem Stück geben kann.
Aus einer sehr süßen Idee macht Drew hier etwas Magisches. Er stellt nicht Jamies jugendlicher Charme in den Mittelpunkt, sondern tiefes, ehrliches Gefühl. Diese Liebe ist ihm so kostbar, dass er trotz aller Nervosität in überlegter Ruhe und voller Liebe und Zärtlichkeit zu Cathy singt. Nicht in schwärmerischer, kopfloser Art, sondern mit einer ganz stark gefühlten inneren Ernsthaftigkeit. Alles ist ganz echt und tiefgründig. Wohlüberlegt und in innigster Zärtlichkeit stellt er die Frage aller Fragen. Deutlich zu spüren die vorsichtige Verunsicherung, als Cathy ihre Antwort nicht sofort klar gibt, sondern erst noch ausholt. Und auch ihre Antwort ist nicht einfach ein Ja, sondern ein ausführliches Bekenntnis zu ihm und einer gemeinsamen Zukunft, bei der auch Cathy sich traut, Liebe und Glück tief zu empfinden.
Ann und Drew bringen so viel Gefühl auf die Bühne, so eine strahlende Innigkeit. Die Erzählstränge haben sie hier aufeinandertreffen lassen in ihrer Bewegung aufeinander zu. Und es ist der perfekte Zeitpunkt, es ist das perfekte Paar. Man ist tatsächlich Zeuge eines herzerwärmenden Höhepunktes.
Jamie & Cathy: A Miracle Would Happen/ When You Come Home To Me
A miracle would Happen ist ein schwieriges Lied, denn Jamie verspielt hier einige seiner Sympathien. Durch seinen Erfolg als Schriftsteller ist er von vielen willigen Frauen umgeben. Er sinniert darüber, dass ihm jetzt als verheirateter Mann ständig Versuchung droht. Erschreckend ehrlich und erschreckend klar präsentiert Jamie hier seine Gedanken. Ungläubigkeit, Aufregung, Unverständnis brechen aus Drews Jamie heraus, je länger er darüber nachdenkt. Fast schon ein wenig ärgerlich über diese Situation muss sich selbst beruhigen. I mean I’m happy. And I’m fine. Das muss er sich gebetsmühlenartig wiederholen, seine Hände hebt er dabei beschwichtigend. Viel zu klar ist ihm, dass er diesen Versuchungen nur schwer widerstehen kann oder will. Ich habe mich auch sehr schwer getan mit diesem Jamie.
Er schüttelt den Kopf, in ihm breitet sich Erstaunen aus. Sofort dann aber die Beruhigung I’m fine, I’m fine. Alles ist gut, alles halb so wild. Er beschwört sich selbst und klammert sich dabei gedanklich an Cathy. Keine Sorge, es wird nichts passieren. Doch so sicher ist er sich da selbst nicht. Cathy singt derweil zu Hause When you come home to me. Da sie eine Mappe in Händen hält, wird klar, dass sie wohl für ein Vorsingen übt. Der Text ihres Liedes erzählt davon, wie sehr sie ihn vermisst, auch, wenn es manchmal nicht mehr ganz so rund läuft. Sie bemüht sich dann, noch schöner lächeln. Erinnert ihr euch noch? Das mit dem Lächeln ist für sie das Zeichen, das alles gut werden wird.
Cathy: Climbing Uphill
Hier hören wir das Lied, das Cathy gerade geübt hat, allenfalls auszugsweise. Eigentlich singt sie über ihr Leben als Musicaldarstellerin. Sie steht mir ihrer Mappe da und man hört ihren Gedanken zu während, vor und nach den Auditions. Diese Auditions sind zermürbend und demütigend. Mit ihrem Beitrag When you come home to me wird sie schnell abgewürgt. Hier verknüpft der Autor geschickt die beiden Hoffnungen, die sich zerschlagen: Zum einen die Hoffnung auf eine Rolle, zum anderen die Hoffnung, dass sich mit einem „sweeter smile“ Probleme lösen lassen.
Die kurz aufblitzende Ungläubigkeit, wenn sie nach wenigen Zeilen wieder weggeschickt wird vermengt sich mit zunehmender Unsicherheit. Zu viel Konkurrenz, zu langes Warten, zu schnelles Ausscheiden. Anns Cathy wird darüber zunehmend hektisch, Frust darf sie sich aber nicht anmerken lassen. Ganz Schauspielerin trägt sie hier mehr Leichtigkeit nach außen als man ob der Situation vermuten würde.
Tapfer kämpft sie sich durch die Auditions. Der Text lässt einen dabei immer wieder schmunzeln. Allzu plastisch erzählt sie von ihrer Irritation, wenn die Caster nicht sie, sondern ihre Schuhe ansehen. Und dennoch bekommt man hier eine Ahnung, wie dick das Fell einer solchen Frau werden muss, um das Tag für Tag zu ertragen.
Tapfer kämpft sie sich durch das Dickicht ihrer privaten Situation. Sie deutet an, das das Zusammenleben mit Jamie schwierig ist. Die Zweifel in Cathy sind deutlich, aber sie versichert sich selbst, dass sie das tun will. Denn sie will nicht nur Anhängsel sein, sie will auf eigenen Beinen stehen. Anns Cathy klingt dabei aber keineswegs ehrlich überzeugt.
Jamie: If I Didn’t Believe In You
Jamie und Cathy sind auf eine Party eingeladen, aber Cathy verweigert sich. Sie erträgt es nicht mehr, das er immer der strahlende Mittelpunkt ist. Sie ist gekränkt ob seine Erfolges, der ihrem dauernd Misserfolg gegenübersteht. Das Gefühl, minderwertig zu sein, lässt sich nicht mehr verbergen, denn zu lange schon klafft dieser Spalt zwischen ihm und ihr und vergrößerte sich mit jeder Audition, der kein Engagement folgte. Wie versteinert sitzt Cathy am Tisch, während Jamie auf sie einredet.
Er ist wütend, denn er erwartet von ihr, das sie mitgeht.
Er ist einfühlsam, denn er versichert ihr, dass er immer an sie geglaubt hat.
Er ist enttäuscht, dass sie nicht ehrlichen genug zu sich selbst ist.
Er ist liebevoll, indem er versucht, sie in allen Facetten zu erkennen (the 1000 women you are).
Er ist provozierend, wenn er in aller Deutlichkeit an sie appelliert, dass er sich nicht von ihr runterziehen lässt.
I will not loose, because you cant win. Das ist starker Tobak und nur schwer zu verdauen. Seine Stimme verrät Bestürzung und dennoch legt er mit schonungsloser Klarheit das Dilemma offen dar: The fact of the matter is… Cathy kann darauf nicht reagieren. Sie hört seine Worte, und treffen sie tief. Mit jedem Satz, den Jamie ihr entgegen singt, scheint es, als würde sie tiefer in ihren Stuhl sinken. Die verkrampften Hände ineinandergekrallt hört sie dieses furchtbar schonungslos ehrliche Fazit von Jamie und hat dabei die Ahnung, dass er wohl in vielen Dingen richtig liegt. Gefangen in ihrem Selbstmitleid kann sie das für sich aber nicht zugeben. I willl not loose because you can’t win. Dieser Satz ist so unsagbar grausam Cathy gegenüber. Er singt, dass sie nicht gewinnen kann, so wie sie sich verhält. Gleichzeitig benutzt er die Worte gewinnen und verlieren. Es ist schwer zu verstehen, in welcher Relation er das sieht. Was kann gewonnen oder verloren werden? Geht es hier um ihn, um sie oder um das Gemeinsame? Und er wird noch härter in seiner Aussage: Ich werde meinen Weg weitergehen, und ich werde dich einfach zurücklassen, wenn du mit mir nicht Schritt halten kannst und willst.
Wie gelähmt lässt sie Jamies Worte über sich ergehen. Trauer und Verzweiflung mischen sich und dringen ganz langsam aber unaufhaltsam aus ihr hervor, bis ihr die Tränen in den Augen stehen. Ann liefert eine schauspielerische Meisterleistung ab.
Das war für mich ein Höhepunkt des Stückes. Ich habe gelitten und (fast) geweint, so intensiv haben Ann und Drew das rübergebracht.
Für mich an Emotion aber nicht mehr zu überbieten war der letzte Moment des Stückes, in dem er sie bittet, sich doch umzuziehen und mit ihm zu Party zu gehen. Mit einer Stimme, die er dazu zwingt, ruhig zu bleiben, in größter Anspannung, weil er weiß, dass es nichts bringen wird, in Verweiflung und Frustration darüber, dass Cathy schon aufgestanden und gegangen ist, ruft er ihr hinterher. Und dann schlägt er mit der Hand auf den Tisch und schreit eine verzweifelnd flehende, befehlende, aber ungehört verhallende Bitte: Please!
Cathy: I Can Do Better Than That
Ein Lied über die Erkenntnisse, die Cathy in ihrem Leben bereits gewonnen hat. Sie beantwortet sich die Frage, was sie will in ihrem Leben und wie es dazu kam, dass sie genau das will: Sie will Jamie. Es ist eine Liebeserklärung an ihren Freund, von dem sie nicht viel verlangt, außer, dass er sie liebt.
Jamie: Nobody Needs To Know
Jamie sitzt auf der Seite auf der Bank. Er trägt jetzt ein schwarzes weit aufgeknöpftes Hemd. Er singt eine Frau an und wenn man das Stück nicht kennt, wird erst ein paar Zeilen später klar, dass er nicht Cathy meint. Im Bett liegt eine andere (imaginäre) Frau. Jamie betrügt Cathy. Und wieder trifft uns hier Jamies unglaublich klarer Blick auf die Situation. Er sinniert über sich und kann ganz klar aussprechen, dass er derjenige ist, der dem ganzen eine nicht geplante Wendung geben hat. Er hat Fehler gemacht, eigene Fehler und Fehler im Umgang mit seiner Frau. Die aber macht er verantwortlich für sein Benehmen. Aber facts are facts. Wenn er dann liebevoll mit seiner Affäre spricht, erzeugt das in mir beengende Gefühle. Der anfangs vor Liebe zu seiner Frau geradezu überschäumende Jamie scheint sich hier nicht mal mehr an diese Liebe zu erinnern, sondern erklärt uns und sich eher geschäftsmäßig die Situation. Geradezu sprachlos lässt mich seine letzte Zeile zurück, in der er singt maybe I could be in love with someone like you: Exakt die Formulierung, die er für Cathy in Shiksa Goddess verwendet. In der gleichen Weise, wie Cathy sich gefühlsmäßig öffnet, scheint es so, als würde Jamie immer kühler werden.
Cathy/ Jamie: Goodbye Until Tomorrow/ I Could Never Rescue You
Am Ende von The Last 5 Years schließt die Inszenierung den Kreis: ernüchtert, aber durchaus traurig schreibt Jamie den Brief, den Cathy zu Beginn des Stückes vorgefunden hat.
Dabei beginnt er mit eher nüchternen Dingen. Ganz der Macher erklärt er, dass er gepackt hat, dass er Bankdinge geregelt hat. Doch ihm setzt diese Situation zu. Er lässt sich von den banalen Dingen ablenken zu dem, was tatsächlich passiert ist. Er war guten Willens, aber er konnte „sie nicht retten“. Er konnte sie nicht in sein Leben mitziehen, er konnte die Basis der Gemeinsamkeit nicht bewahren. Ernüchternd die Erkenntnis, dass ihm trotz aller Liebe die er fühlte und die er nachdrücklich betont, nur eine Option blieb: Sie zu verlassen.
Hier ist Cathy in ihrem Erzählstrang am Anfang der Beziehung angelangt, wo sie unsterblich verliebt ist in Jamie. Hier zeigt sich Cathy über alle Maßen gefühlvoll. Nicht überschwänglich kopflos, aber glücklich und frohen Mutes.
Man kann gar nicht glauben, dass auch Cathy diese Art Leichtigkeit fühlen will. Ann interpretiert ihren Text dabei großartig. I open myself. Hier, zu dieser Zeit mit diesem Mann, erlaubt sie sich, aus sich herauszugehen. Er ist der, der ihr zeigen soll, wie sie ihre Flügel benutzen soll. Finally yes, finally now! Da ist ganz viel Zutrauen in ein wir! Zusammen mit Jamie wird sie über sich hinauswachsen. Aber da ist immer noch die abwartende Cathy. Ihre zentralen Sätze sind I’m waiting for you. Sie wartet. Sie agiert nicht von sich aus. Sie braucht jemand, der sie mitnimmt. Diese Zeilen in Gegenrede zu Jamies Erkenntnis, dass er ihr dabei nicht helfen kann, verbindet die beiden Enden – ihr fröhliches, sein deprimiertes- ganz simpel miteinander und verdeutlicht am Ende des Stückes nochmal explizit das Dilemma:
Er, der mit ihr leben will. Sie, die durch ihn leben will.
Zwei Standpunkte, die sich als unüberbrückbar erweisen. Beide Lieder gehen wundervoll ineinander über: Für Jamie enden hier 5 gemeinsame Jahre ernüchternd mit einem einfachen goodbye, während Cathy in froher Hoffnung auf die sich in buntesten Farben herannahende Zukunft goodbye until tomorrow singt.
Fazit
In einem ungewohnt intimen Rahmen wurde ein intimes Stück präsentiert. Und meiner Meinung nach hat hier alles gepasst:
Die Theatercouch ist Theater und Wohnzimmer zugleich: Das Stück passt perfekt in diesen kleinen Rahmen. Die Musiker: In so kleiner Besetzung wurde die Musik fühlbar. Eine ganz große Leistung.
Die Projektionen an der Wand waren hilfreich und unterstützend, dabei aber nie ablenkend.
Die Inszenierung ist ebenfalls wunderbar rund gelungen. Gut durchdacht, stellenweise detailverliebt, aber insgesamt schlicht und aussagekräftig. Sie konzentriert sich in der Hauptsache auf die beiden Hauptdarsteller:
Ann Mandrella als Cathy: Am Anfang war ich ein bisschen überrascht, weil ich den Text des ersten Liedes kannte (nicht die ganze Story) und irgendwie deutlich mehr Gefühl erwartet hatte. Aber nach und nach hat sich mir diese Zurückhaltung entfaltet. Und dann fand ich es über alle Maßen bewundernswert, wie Ann diese Cathy rückwärts entwickelt. Zunächst gefangen in ihrer Trauer, dann gelähmt von der Entfremdung, zum eher ungläubigen sich Mitreißen lassen immer weiter Richtung ihrer eigenen Emotionalität. Am Ende dieses Bogens ist ihr Herz weit geöffnet und jeder weiß, warum Jamie sich in diese Frau verliebt hat. Danke, Ann Mandrella für dieses wunderbare Stück Musicalkunst.
Drews Jamie muss man lieben von Beginn an. Da ist so viel Gefühl und Herzenswärme, so viel Empathie und ehrliche Liebe. In seinen Blicken könnte man ertrinken, und sie sind ganz fein nuanciert. Die Bemühungen um Cathy erzeugen – zumindest bei mir- eine ganze Menge Neid. Seine Gefühle zeigt er extrovertiert und in ehrlicher Klarheit. Doch so wunderbar leicht seine entwaffnende Ehrlichkeit am Anfang auch sein kann, so sprachlos macht sie mich am Ende. Drew taucht hier wieder tief ein in die Rolle und gibt alles von sich preis, was für die Zeichnung diesen Charakter notwendig ist. Danke Drew Sarich, für einen bewegenden Musicalabend.
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