Mit Drei Männer im Schnee leistete sich das Gärtnerplatztheater eine Auftragsarbeit. Die Neubearbeitung der Romanvorlage von Erich Kästner fürs Musiktheater durch den Träger des Bayrischen Kabarettpreises Thomas Igor und seinem Komponistenteam wird als Revueoperette angepriesen. Dahinter verbirgt sich eine Musiktheater-Show, die ihres Gleichen sucht! Phantastisch, Grandios, Fabelhaft!
Ich glaube, ich werde alt. Nicht nur, dass ich in knapp zwei Monaten den magischen 40er erreiche. Nein, ich fahre auch ins Gärtnerplatztheater und schaue mir eine Revueoperette an. Also echt jetzt: Revueoperette? Ich hab erstmal keine tiefer gehende Idee, was das genau sein soll, aber es klingt nach Damen, die sich beim Friseur ihr grau-lila Haar legen lassen, dann die Perlenkette umschnallen und eingehüllt in 4711 im Theater sich Anekdoten erzählen, wie sie damals noch mit dem Erich Kästner in den Kindergarten gegangen sind. Und tatsächlich traf ich eine ungeheuere Vielzahl dieser netten Damen in den Fluren des Gärtnerplatztheaters samt ihren Männern der alten Schule an. Der Mann und ich senkten den Altersdurchschnitt beträchtlich!
Drei Männer im Schnee: die Vorlage
Drei Männer im Schnee war angesagt, und ehrlich gesagt: ich war echt skeptisch: Zwar stammt der Originalroman von Erich Kästner, und das ist eigentlich ein Garant für brillante Erzählungen. Aber die Inhaltsangabe ließ mich zweifeln: eine Verwechslungsgeschichte… hat man das nicht schon zu genüge gesehen? Sind die nicht immer eher platt?
Zum Roman gibt es Verfilmungen, zu einer hat Kästner das Drehbuch selbst geschrieben. Leider kenne kenne keinen der Filme. Eine kurze Nachfrage auf Seiten der älteren Verwandtschaft ergab auf der einen Seite das Statment, der Film sei „ein ziemlicher Schmarrn“. Die andere Verwandtschaftsseite zeigte sich entzückt über Claus Biederstätt und das sei doch richtig nett. Aaaaaha. Ein zweifelhaft lustiger Film und dann auch noch ernsthaft Revueoperette? Es gab genau zwei Gründe für mich, mir das Ganze anzuschauen:
Zum einen das Gärtnerplatztheater selber. Ich bin noch kein einziges Mal im Musiktheater enttäuscht worden. Der zweite Grund ist die exzellente Darstellerriege mit Armin Kahl, Erwin Windegger, Julia Klotz und Dagmar Hellberg.
Positiv und positiv bleibt positiv, soweit reichen die Mathekenntnisse aus. Also dann, los geht’s!
Drei Männer im Schnee: Handlung
Ich persönlich tu mich ja beim Lesen von Handlungen immer schwer, sobald mehr als vier Hauptpersonen miteinander verstrickt sind. Jetzt geben sich hier auch noch zwei als jemand anderer aus und werden obendrein auch noch verwechselt…. ach herrje! Das Programm ließ mich schaudern.
Aber: alles halb so schlimm. Ich konnte der überaus amüsanten Handlung gut folgen und hoffe, dass meine Zusammenfassung ebenfalls verständlich bleibt.
Die drei Männer
Am Anfang steht die Weihnachtsfeier der Tobler-Werke für Klein- und Haushaltsgeräte. Für den besten Werbespruch werden dort Preise verliehen. Den ersten Preis – eine Reise ins Grandhotel Bruckbeuren – gewinnt der arbeitslose Dr. Fritz Hagedorn. Der zweite Preis geht an einen gewissen Herrn Schulze. Das allerdings ist Direktor Tobler selbst. Er möchte die Zeit nutzen, endlich einmal frei von allen Pflichten inkognito Urlaub zu machen. Seinem Diener Johann Kesselhuth hat er ebenfalls ein Zimmer reserviert. Dieser soll sich als Reederei-Millionär ausgeben und seinem Chef heimlich zur Seite stehen.

So treffen diese drei Männer – Tobler alias Schulze, Fritz Hagedorn und Johann Kesselhut – im Grandhotel aufeinander.
Die Damen des Hauses
Von den Damen des Hauses Tobler wird dieses Unterfangen mehr als skeptisch beäugt. Hilde, Toblers Tochter, ist eine kesse selbstbewusste junge Dame, die ein großes Geschäft mit dem Emir von Bahrein wittert und ihren Vater davon zu überzeugen versucht. Die Hausdame im Haus Tobler ist die resolute Frau Kunkel. Nebenbei ist sie aber auch noch die heimlich Geliebte ihres Chefs und reagiert beleidigt und eifersüchtig auf die ganze Posse und auf die Aussicht, Silvester allein verbringen zu müssen. Damit Tobler aber einen angenehmen Aufenthalt hat, gibt sie dem Portier im Grandhotel heimlich Bescheid, dass ein Multimillionär ankommen wird und gibt Tipps für dessen Wohlbefinden.
Im Grandhotel
Im Grandhotel dann passiert die grobe Verwechslung: Schulze/ Tobler, der Multimillionär, kommt inkognito und dem Portier und dem Hoteldirektor höchst ungelegen. Von der ersten Minute an setzt regelrechtes Mobbing gegen den vermeintlich armen Schlucker ein. Ihm wird eine Dachkammer ohne Heizung zugewiesen, er wird im Verlauf verschiedensten Schikanen ausgesetzt und darüberhinaus auch noch zu Hilfsarbeiten abkommandiert.
Der arbeitslose Fritz Hagedorn wird als vermeintlicher Mulitmillionär auserkoren, hofiert und genießt fortan alle Annehmlichkeiten, die eigentlich Tobler zugedacht waren. Natürlich erkennt Tobler sofort die Verwechslung, findet aber sogleich Gefallen an diesem sozialen Experiment und wird zum wissenden Beobachter. Hagedorn zeigt sich entsetzt darüber, wie unterschiedlich die Gäste behandelt werden und freundet sich mit dem leidgeprüften Tobler an, der den Diener/ Reedereibesitzer Johann Kesselhuth im Schlepptau hat, an.
Silvesterball
Im Grandhotel geht alles seinen gewohnten Gang. Hagedorn sind die Annehmlichkeiten unangenehm und obendrein hat es Frau Calabré, wohlhabende alleinreisende Ehefrau eines Politikers, auf ihn abgesehen. Alles befindet sich in Vorbereitung auf die große Silvestersause.
Dieser große Ball ist ein voller Erfolg. Allerdings weiß am nächsten morgen keiner mehr so genau, was wo passiert ist und mit wem. Zu allem Überfluss sind kurz zuvor Hilde und die Kunkel aufgetaucht. Hilde will weiterhin ihren Vater von dem lukrativen Geschäft mit dem Emir überzeugen. Als Tochter des Multimillionärs wird sie in dessen Appartement einquartiert -dort wohnt aber ja nicht Tobler, sondern Hagedorn. Aus dieser Situation erwächst spürbare Antipathie, die beiden gehen sich gehörig auf den Zeiger. Um Abstand zu gewinnen, fahren beide ohne es voneinander zu wissen, auf den Berg (Das ist ja der Gipfel) und bleiben auf dem Rückweg miteinander bei Unwetter in der Seilbahn hängen. Dort stellen sie bald Gemeinsamkeiten fest und verlieben sich ineinander. Johann Kesselhuth hat sich in seine Silvesterball-Eroberung verliebt, den Skilehrer Toni, und auch Claudia Kunkel fällt ihrem Tobler in die Arme. Schließlich bestimmt Tobler seine Tochter Hilde zur Geschäftsführerin, und damit wird auch endlich das Kühlschrank-Geschäft mit dem Emir perfekt gemacht.
Als Tobler aus Rache das gesamte Hotel kaufen will, um den Direktor und den Portier hinauszuwerfen, muss er feststellen, dass ihm das Grandhotel bereits seit Jahren gehört.
Kritik
Im Programmheft zu Drei Männer im Schnee gibt Buchautor Thomas Pigor Auskunft darüber, was eine gute Operette ausmacht:
Mitreißende Musik, eine packende Story, interessante Charaktere, Texte, die ins Schwarze treffen, fulminante Tanz- und Shownummern, faszinierende Bühnenbilder und Kostüme, intelligente Lichtdramaturgie – das sind die Zutaten….. zu einer gelungenen Operette gehört für mich das raffinierte Spiel auf allen Registern.
Na, dann wollen wir mal Drei Männer im Schnee an seiner eigenen Aussage messen:
Mitreißende Musik?
✔️Check.
Die Musik ist voller Esprit. Durchgehend schwungvoll stützt sie die Inszenierung (Regie: Josef E. Köpplinger). Passend zum Grandhotel, in dem es auch viele unterschiedliche Menschen unter einem Dach gibt, versorgt uns das Komponistenteam mit einem bunten Strauß Melodien unterschiedlicher Stilrichtungen unter dem Dach der Musik der 30er Jahre!
Die hinreißenden Alpentrios, einmal in männlicher, einmal in weiblicher Besetzung bringen das folkloristische Element, eine Tangomelodie unterstützt Johann Kesselhuth bei seinen Liebesbekundungen gegenüber dem Graswander Toni, während zu Swing-, Jazz- und Schlagernummern getanzt, gesteppt und geliebt wird. Ein herrliches, luftiges und beschwingtes Potpourri, bei dem sich alles wunderbar ineinander fügt und wie aus einem Guss scheint! Diese Musik macht Spaß, weil sie erzählt und dabei leichtfüßig und schmissig klingt.
Das titelgebende Lied von den Drei Männern im Schnee hat sich mir sofort als Ohrwurm eingebrannt:
Drei Männer im Schnee
Haben eine Idee…
Später dann auch
Drei Männer im Schnee
Marschier’n im Karree
Oder auch
Drei Männer im Schnee
Haben einen im Tee
Unter der musikalischen Leitung von Andreas Kowalewitz brilliert das Orchester des Gärtnerplatztheaters einmal mehr.
Packende Story?
✔️Check.
Die Verwechslungsgeschichte ist simpel angelegt und nicht sehr realistisch. Und doch hält sie einen mit diebischer Freude bis zum Schluss gepackt. Die Charaktere sind überaus charmant, weil sie liebevoll auf bestimmte Charaktereigenschaften hin zugespitzt sind. Das ist nicht platt, sondern liebevoll und humoristisch, auch mal derber witzig, aber nie einfältig.
Erich Kästner hat wunderbar komödiantisch vorgelegt, Pigor und sein Team (Konrad Koselleck, Christoph Israel, Benedikt Eichhorn) nehmen das auf und macht daraus mit großer Sorgfalt ein wirklich liebliches, heiteres und originelles Stück mit viel Sinn und vor allem Timing für Humor und voller musikalischer Finesse.
Pigor hat zwei Liebespaare mehr integriert als die literarische Vorlage besitzt. Obligatorisch kriegen sich natürlich Fritz Hagedorn und Hilde, aber auch Tobler und seine Claudia Kunkel gehören zusammen. Der große Kniff ist dem Autor mit dem ungewöhnlichen Liebespaar Graswander Toni und Johann Kesselhuth gelungen. Diese beiden Figuren werden mit viel Liebe und Wärme zusammengeführt und tragen beherzt und geistreich entscheidend zum gelingenden Happy-End bei.
Die witzig erzählte Geschichte strotzt überdies vor Situationskomik: Zum Beispiel gibt es im Hause Tobler neben der Kunkel noch eine weitere Angestellte. Die hat keinen Text, aber wer sie beobachtet, fällt vor Lachen fast vom Stuhl. Die schaut derart enthusiastisch-hohl, und das in jeder Sekunde, die sie auf der Bühne ist. Grandios.
Bei der Ski-Step-Nummer hab ich mich auch kaum halten können. Ich bin passionierte Skifahrerin und habe in den vergangenen Jahren versucht, meinen Kindern beizubringen. Ich weiß also durchaus, wie das aussieht bei den Anfängern. Und genauso, wie ich mich mit den Kindern manchmal scheckig lache, genauso hab ich gelacht in dieser Nummer. Herrlich, wie die immer das Gleichgewicht verlieren und beim Umfallen ganz presthaft die Stöcke in den Fäusten halten… Kaum steht der eine auf, plumps, liegt schon der nächste. Vielleicht klingt das beim Erzählen ziemlich langweilig und vorhersehbar. Aber es steckt so viel Situationskomik darin!
Das ganze Stück lebt davon, dass hier Menschen am Werk waren, die sehr genau beobachtet haben und liebevolle Kleinigkeiten und Details gerne an den Zuschauer weitergeben. Oft genügt die Kunst ja sich selbst, oder sie hat eine tiefer gehende Botschaft. Das hat seine Berechtigung. Aber manchmal freut sich der Zuschauer einfach auch diebisch, wenn man nicht dem Künstler, sondern dem Zuschauer was auf den Leib schreibt!
Interessante Charaktere?
✔️Check.
Die Charaktere halten durch ihre liebevolle Zeichnung die ganze Posse gekonnt am Laufen. Man ahnt ja von Anfang an, wie das wohl ausgeht. Und doch möchte man unbedingt wissen, wie es schließlich zum Happy End kommt. Wer trägt welchen Teil dazu bei?
Natürlich sind in einer Komödie die Figuren nicht bis in den tiefsten Grund ausformuliert. Aber rund sind sie.
Zum Beispiel Fritz Hagedorn: Der ist ein genialer Kopf, der an der Gesellschaft und wie sie ihn wahrnimmt, verzweifelt. Er ist blitzgescheit und trotzdem auf der Verliererseite: Die Kluft zwischen seinem agilen Denken und der behäbigen Gesellschaft/ Firma lassen ihn scheitern. Er selbst bringt dem gepeinigten Schulze/ Tobler sofort das Verständnis des Gerechten entgegen und steht ihm zur Seite. Später im Stück, in der Gondelszene, findet er endlich Verständis für sich und seine Ideen bei Hilde – und verliebt sich deshalb unsterblich in sie. Da stellt sich dann eine so gelöste Freude ein, das in einem wunder- und zugleich sonderbaren Liebeslied mündet: Komm unter die Laterne, süße, kleine Subalterne. Er fühlt sich endlich verstanden, angekommen, richtig!
So wird aus dem arbeitslosen Fritz Hagedorn, der eindeutig als „der Gute” installiert ist, darüber hinaus ein in sich stimmiger und liebevoll ausgestalteter Charakter.
Im Übrigen stehen viele Stereotypen auf der Bühne. Diese Show lebt von der eindeutigen, aber geistreich und witzigen Zeichnung ihrer Figuren: Die beiden Skilehrer mit ihrem bayrisch/englischen Sprachmix sind die groben Naturburschen, der Portier hält immer die Hand auf. Die nymphomane Frau Calabre ist eindeutig zweideutig auf Männerfang. Kompromisslos wird ihr Begehren immer deutlicher bis hin zum Höhepunkt: auf dem Weg hinauf in der Gondel mit Fritz Hagedorn!

Texte, die ins Schwarze treffen?
Thomas Pigor erhielt für seine satirischen Programme als Teil des Duos “Pigor singt – Eichhorn muss begleiten” unter anderem den Deutschen Kleinkunstpreis, den Österreichischen Kabarettpreis und den Bayrischen Kabarettpreis. Dass er also spielerisch witzig mit Worten und Sprache umgehen kann, hat er längst bewiesen. Die Texte der Lieder waren einfallsreich und heiter, prägnant und absolut passend. Mich haben die Wortspielereien so lachen lassen. Ein Beispiel: es geht um die Leidenschaft Toblers für Siam-Katzen. Wirlich Siam? Ja, weil ich sie-am liebsten habe!
Dererlei Sprachwitz kommt ständig vor. Ein Jammer, dass man diese Wortspielereien weder alle bewusst mitbekommt, noch sie sich merken kann.
Herr Kesselhuth, was ist denn jetzt mit ihrer Reederei? Ach, das war nur Rederei…
Ein großer Spaß mit Worten, der sich auch bis in die Liedtexte fortsetzt. Wenn die drei Herren gemeinsam die Eisbahn fegen, stimmen sie ein Lied an, in dem sie beteuern: Mir g’heren (gehören)/kehren z’sam.
Es lohnt sich, aufmerksam zuzuhören oder noch besser: mehrfach anschauen!
Fulminante Tanz- und Shownummern?
✔️Aber ganz gewiss!
Natürlich eignet sich der Silvesterball als Halbfinale vor der Pause vortrefflich für eine solche Shownummer. Das gelingt auch großartig. Die Kostüme, die Musik, die Choreographie unterhalten blendend. Aber das absolute Sahnestück ist Skifahr’n im Schnee. In der Szene gibt der Graswander Toni dem Anfängerskikurs die erste Stunde. Diese Nummer hebt sich einfach nochmal deutlich ab, denn hier wird gesteppt – und zwar auf Skiern. Unglaublich, was da die Choreographie (Leitung: Adam Cooper) und das ausführende Ensemble leistet.

Faszinierendes Bühnenbild und Kostüme?
✔️Auf jeden Fall!
Das Bühnenbild (Rainer Sinell) ist so, wie man sich das Bühnenbild zu einer Revueoperette wünscht: eindeutig, altmodisch, liebevoll. Nichts einfach nur angedeutet, modern gestaltet oder bedeutungsschwer symbolisiert. Sondern es entstand wunderbar augenscheinlich der jeweilige Ort der Spielszenen. Ich liebe es. Das Grandhotel mit dem typischen Schriftzug sieht man dank Drehbühne von innen und von außen. Ferner gibt es ein Bergmassiv, dass je nach Szene ganz oder nur teilweise zu sehen ist: In der Szene mit der Gondelbahn entfalten sich die gemalten Berge zu voller Pracht. Befinden wir uns gerade auf den Fluren des Grandhotels, sieht man Teile der schneebedeckten Berglandschaft eben, wie man sie durchs Fenster sehen würde. Die Gondel ist einfach spitze!
Die Kostüme (Dagmar Modell) sind ebenso: absolut passend und liebevoll detailreich. Die Zimmermädchen und Pagen im Hotel sind in lila gewandet.

Passenderweise trägt auch Tobler als Schulze einen Anzug in ähnlicher Farbe und die Kostümabteilung unterstreicht somit schon mal augenscheinlich seine Stellung in den Augen der Hotelführung.
Ja, Thomas Pigor und sein Komponistenteam haben alles richtig gemacht. Alles, was er selbst von einer Revueoperette erwartet, hat er in beeindruckender Weise umgesetzt und mir und den Zuschauern, die mit mir im Saal waren, einen fantastischen Abend beschert!
Interpretation
Das unterhaltsame Singspiel fußt auf einer Verwechslung. Arm wird mit reich verwechselt bzw. erfolgreich mit scheiternd. In diesen Plot bettet sich Hagedorns Kritik am gesellschaftlichen System. Im Grandhotel, dem Schauplatz des Klassenunterschiedes, lösen sich alle Grenzen auf. Der Diener wird Millionär, der Arbeitslose wird zum Superreichen. Dadurch, dass der Chef und Portier vom Grandhotel so fest pochen auf die Einhaltung der eigentlichen Unterschiede, werden sie noch augenscheinlicher ad absurdum geführt.
Bis zum Höhepunkt gesteigert wird das Treiben auf dem Maskenball. Keiner weiß mehr, wer wer ist. Die Masken machen die Menschen dahinter unkenntlich. Sie begegnen sich deshalb auf einer anderen als der Ihnen von der Gesellschaft zugedachten Ebene. Alles vermischt sich. Reich verbindet sich mit arm, Zimmermädchen mit Gast, Mann mit Mann. Alle Grenzen werden in dieser Silvesternacht verwischt, die Karten neu gemischt.
Ganz besonders schön fand ich die Idee, dass auch der dritte Mann im Schnee, Kesselhuth, seinen Deckel findet.

Ein Kniff im Skript der Revueoperette, der wohl im Buch so nicht vorkommt. Aber er ist eindrucksvoll, er fügt sich nahtlos ein in die Geschichte und gibt dem ohnehin bestehenden HappyEnd einen sehr modernen und überaus liebevollen Touch. Und unterstreicht einmal mehr die Kritik an den stereotypen Vorurteilen der Gesellschaft.
Darsteller
Dr. Fritz Hagedorn: Armin Kahl
Die Rolle des Fritz Hagedorn habe ich vorhin schon ausführlich beschrieben. Armin Kahl macht diesen Hagedorn mehr als lebendig: Er zeigt, dass Hagedorn oft selber im Weg steht. Eigen, aber korrektlässt er ihn erscheinen. Haltung und Sprachstil ließen mich schon manchmal „Ach herrje“ seufzen. Wie er da steht, die Schultern eher hochgezogen in den Situationen, über die er keine Kontrolle hat… Kein Wunder, dass der bis jetzt weder Frau noch Job hat!
Diese Differenzierung, die Armin Kahl in seine Figur steckt, läuft ganz dezent im Hintergrund ab. So, wie Armin Kahl Fritz Hagedorn spielt und singt, fügt er ihm eine sehr menschliche Seite dazu. Und ist darüber hinaus einfach unglaublich komisch.
Gesanglich ist Armin Kahl wie immer außergewöhnlich. Jeder Ton sitzt da, wo und vor allem auch wann er hingehört! Perfektes Timing also und eine wunderbare Artikulation. Diesmal besonders bemerkt an so gesungenen sperrigen Worten wie Preisausschreiben …
Eduard Tobler: Erwin Windegger
Toller ist der Senior, der Chef, der Man mit Erfahrung und im Gegensatz zu Hagedorn souverän. Er ist ganz und gar Firmenpatriarch, dabei aber nicht unsympathisch. Seiner Tochter liebt er bedingungslos, aber sie ist für ihn noch das kleine Mädchen, das zu ihm als Vater aufsieht. Dass sich Hilde einmischt in die Geschäfte, irritiert ihn. Er versucht, es zu ignorieren und hält sie auf Abstand.
Im Hotel durchschaut er das Spiel und wird zum neugierigen Beobachter. Die Ungerechtigkeiten, die ihm widerfahren, nimmt er klaglos hin. Was er auch zu sehen bekommt und was er erlebt, beobachtet er amüsiert.
Dieses Amüsement bringt Windegger entwaffnend authentisch. Er wollte inkognito reisen und freut sich unheimlich an seiner neuen Rolle. Er nimmt das als das, was es ist: ein großes Spiel, eine spannende Show. Zeitweise hat er damit fast eine ähnliche Rolle wie die Zuschauer.
Erwin Windegger überzeugt von der ersten Minute an. Es macht einen Heidenspaß, ihm zuzusehen und ihm zuzuhören. Er geht auf der Rolle. Ich als JCS-Fanatiker habe Windegger als stimmgewaltigen Pilatus in Erinnerung. In seiner Vita stehen einige komödiantische Rollen, ich habe ihn in einer solchen noch nicht gesehen. Eine wunderbare Erfahrung für mich, dass man ihm diese bedingungslos anvertrauen kann! Sein Zusammenspiel mit den anderen Protagonisten, sein Timing, seine Stimme: das alles zeichnet ihn als großen Künstler aus und alles davon ist sichtbar in seiner Rolle als Tobler.
Hilde Tobler: Susanne Seimel
Hilde entspricht in der Revueoperette nicht wirklich dem Bild einer Frau in den 30er Jahren. Hier hat man bewusst modernisiert. Hilde ist emanzipiert und geschäftstüchtig. Sie hat Ideen und möchte frischen Wind in die Tobler-Werke bringen.

Eigentlich ist diese Rolle mit Julia Klotz besetzt. Diese fiel kurzfristig aus, und Susanne Seimel sprang ein. (Deshalb begann wohl die Vorstellung auch gut 20 Minuten später als geplant). Schon allein deswegen gebührt ihr höchster Respekt! Und: Sie war einfach toll! In keiner Minute hat man ihr angemerkt, dass die Hilde Tobler eigentlich gar nicht ihre Rolle ist. Sie gibt die erwachsene Tochter mit Verve und Engagement. Und sie schafft es, die Szene, in der sie sich in Hagedorn verliebt, glaubhaft wirken zu lassen. Außerdem singt sie astrein und glockenhell. Eine glänzende Leistung!
Johann Kesselhuth: Alexander Franzen
Ganz fantastisch spielt und singt Alexander Franzen den Diener, der im Stück dann ja eine Rolle, nämlich die des Reedereibesitzers, spielen muss. Er behält dabei immer eine sehr angenehme Zurückhaltung. Der Millionär fällt im sichtlich schwer und man beobachtet ihn nicht nur einmal dabei, wie er dabei ist, im Grandhotel in seine Dienerrolle zurückzufallen. Als er seine Liebe gefunden hat, überzeugt er den Graswander Toni wundervoll couragiert davon, mit ihm zu gehen.
Vornehme Zurückhaltung ist nicht einfach da, sondern muss man in diesem Fall sogar so spielen können, dass es originell ist! Also, Alexander Franzen kann das zumindest.
Mir gefiel die Rolle, mir gefiel aber auch außerordentlich Franzens Spiel und sein Gesang. Überhaupt harmonierten die drei Männerstimmen prächtig und die Chemie auf der Bühne stimmte einfach.
Claudia Kunkel: Dagmar Hellberg
Dagmar Hellberg habe ich zuletzt in My fair Lady gesehen. Da war sie ebenfalls die Hausdame. Die Rolle ähneln sich: Hier und da ist es die Hausdame, die es versteht, die Strippen zu ziehen und die den Laden am Laufen hält. In beiden Stücken fühlt es sich so an, als wären beider eher ein altes Ehepaar als in einer Chef/ Angestellten-Beziehnung. Wie schön, dass Drei Männer im Schnee Dagmar Hellberg wirklich aufsteigen lässt zur offiziellen Frau an der Seite ihres Chefs.
Wie man sich so eine Hausdame vorstellt, ist sie resolut und zielgerichtet. Aber herzerwärmend lässt sie auch ganz zaghaft durchblicken, dass das alles aus Fürsorge entsteht.
Dagmar Hellberg ist wie so oft eine Bereicherung fürs Stück, denn wieder trifft sie ihre Rolle schauspielerisch wie stimmlich genau!

Portier Polter: Eduard Wildner
Er ist der heimliche Chef des Grandhotels, da Direktor Krüger ständig überfordert scheint. Gerne hält er die Hand auf, um Extra-Wünsche zu erfüllen. Eduard Wildner ist alles, was ein alter Portier sein kann: schlitzohrig und gewitzt, neugierig, grantig und wertend und immer auf seinen Vorteil aus. Wildner hält die Figur gekonnt in der Waage zwischen Ekel und Original. Nicht nur im Schauspiel, sondern auch in seinem Solo im 1. Akt „Es ist immer ein bisserl das Herz dabei“ macht er den Portier in seiner klischeehafter Zuspitzung lebendig!
Frau Calabre: Sigrid Hauser
Sigird Hausers Frau Calabré ist ebenfalls eine humoristische Zuspitzung aller Klischees, die man nymphomanen Frauen so andichtet. Sie verbirgt ihre Motive nicht, und auch nicht ihre Vergangenheit, sondern geht von Anfang an in die Vollen.
Das macht wirklich Spaß. Je mehr sich Hagedorn ihr zu entziehen versucht, desto mehr wird ihr Jagdtrieb geweckt.
Hauser besitzt das perfekte Timing, um diese Figur humorvoll klischeehaft überspitzt zu spielen, ohne sie dabei ins Lächerliche abgleiten zu lassen. Egal, was sie singt, sie findet das passende Timbre und hat offensichtlich sehr viel Spaß an ihrer Rolle. Chapeau!
Mal ein zusätzliches Lob fürs Gärtnerplatztheater
Was ich unbedingt noch erwähnen muss: Ich bin ein großer Fan der Programmhefte des Gärtnerplatztheaters. Die sind nicht zu dick und nicht zu dünn, aber mit sehr viel Scharfsinn gemacht. Die Artikel und Interviews sind sehr sinnig eingefügt und inhaltlich wirklich vollumfänglich interessant, darüber hinaus auch noch spannend und ergründlich. So auch bei Drei Männer im Schnee! Danke!
Fazit
Grandios!
Liebes Gärtnerplatztheater! Vielen Dank für diesen wunderbaren Theaterabend. Ich habe null komma null Kritik zu üben und brenne darauf, dass das Stück in der nächsten Spielzeit wieder aufgenommen wird. Dann werde ich die gesamte Verwandschaft mitmehmen. Ihr wisst schon: Die, die sich nicht einig waren, ob Drei Männer im Schnee als Film jetzt eher blöd oder sehr nett war. Ich weiß, dass sie sich hier einig sein werden und sich meinem Urteil anschließen werden. Wie übrigens auch Der Mann. Wir sind hingerissen!
Liebe Leserschaft!
Ich spreche ausnahmsweise keine Empfehlung aus. Sondern einen Befehl:
Anschauen!
Unbedingt!
Gerne mehrmals!
Etwas Gelungeneres werdet ihr lange Zeit nicht sehen!
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