Jesus Christ Superstar in Augsburg auf der Freilichtbühne: Quasi sechs richtige im Lotto mit Zusatzzahl: Jesus Christ ist für mich das beste Stück Musiktheater, das je geschrieben wurde (obwohl es ja eigentlich gar nicht als Theater konzipiert war). Die Freilichtbühne in Augsburg ist überdies eine Wucht! Und wenn ich dann auch noch mit dem Fahrrad ins Musical fahren kann…! Ein einziger Traum also, aber: natürlich nicht ganz frei von Erwartungen.
2006/2007 gab es schonmal die letzten sieben Tage Jesus an gleicher Stelle und damals schufen die Verantwortlichen etwas, was noch heute in Augsburg als Theaterwunder gilt. Es war etwas für Augsburg außergewöhnliches. Für mich persönlich auch, entflammte doch hier meine Leidenschaft fürs Musical im Allgemeinen. Mit Herzklopfen besuchte ich deshalb bei allerbestem Wetter die Premiere.
Inszenierung
Bühnenbild
Die Augsburger Freilichtbühne liegt am Fuße der historischen Stadtmauer. Schön unaufgeregt, aber in der Ausführung sehr monumental, präsentieren sich die Aufbauten (verantwortlich: Karel Spanhak), die sich perfekt einfügen in das historische Stadtbild: Mehrere Säulen ragen im Hintergrund empor, symmetrisch getrennt durch einen größeren Torbogen. Nach vorne schließen sich ausladende halbkreisförmige Treppenstufen an. Dieses Szenario erinnert an eine Tempelanlage. Davor in der Mitte befindet sich ein auf dem Boden liegendes Kreuz, das so groß ist, das man darauf laufen kann. Im folgenden wird es benutzt als Tribüne, als Tisch oder immer dann, wenn jemand im Mittelpunkt stehen soll. Zum Ende findet dort natürlich die Kreuzigung statt. Wunderbar illuminiert strahlt es nach dem Tod Jesus aufgerichtet in den dunklen Nachthimmel.
Das Bühnenbild ist also konservativ gehalten, es versetzt den Zuschauer in eine andere Zeit, an einen anderen Ort. Automatisch verbindet man so die Szenen mit einer Gegend im Nahen Osten. Schon lange habe ich keine Inszenierung mehr gesehen, die das so macht. Deutlich häufiger werden die Geschehnisse des Musicals ins Heute transportiert.
Die Freilichtbühne ist schon von Natur aus ein spannender Ort, um diese Geschichte zu erzählen. Sie ist groß und es finden sich deshalb Szenen, wie es sie normalerweise in einem geschlossenen Theaterraum aufgrund des Platzangebots nicht gibt.
Wenn die Hohepriester sich beraten und beschließen Der Jesus muss weg, ertönt aus dem Off normalerweise das bekannte Motiv Hosanna Superstar und Jesus Christ Superstar. Hier ist es möglich, dass man dem Chor auf der Seitenbühne dabei zusehen kann, wie er Jesus, der predigt, feiert.
Auch, während es im Tempel hoch hergeht und Jesus die Händler schließlich hinauswirft, bleibt den Armen, Kranken und Siechen Platz, sich schon bevor sie tatsächlich im Ablauf der Handlung, in fahles, grünes Licht getaucht, in den Mittelpunkt gerückt werden, auf den Vorstufen des Tempels zu platzieren. Ein sehr sinniges Szenario. Dort, wo gläubige Menschen zu finden sind, – nämlich im Tempel – dort ist die Wahrscheinlichkeit, ein Almosen zu erhaschen, hoch. Schön, dass hier das Potential der Freilichtbühne genutzt wurden!
Kostüme
Auch die Kostüme (Aleksandra Kica) versetzen die Szenerie in den Nahen Osten, sie erscheinen alle zusammen stimmig.
Die Frauen des Chors sind in lange Röcke und Oberteile gehüllt, die meisten tragen Kopftücher. Vorherrschende Farbe sind Sand- und Erdtöne. Auch die Männer des Chores erscheinen traditionell und stellen die einfachen Leute dar.
Bei den Soldaten kommt mir sofort ob der Turbane und der Sonnenbrillen Ghaddaffis in den Sinn. Dass sie Gewehre tragen, zeigt sofort, dass wir uns nicht um das Jahr 33 n. Chr. befinden.
Das Ballett trägt raffinierte einfarbige Jumpsuits (jeder in einer anderen Pastellfarbe). Die Jünger schließlich geben sich durch knallig einfarbige Tunika-Shirts als Einheit zu erkennen.
Am auffallendsten gekleidet ist Maria Magdalena. Sie trägt ein weißes asymmetrisches Abendkleid, dazu später mehr.
Judas trägt eine weite lilafarbene Hose. Zur Farbe Lila las ich letztens folgenden Satz: Wer lila trägt, befindet sich in einem Zustand geistiger Klarheit. Und Judas eröffnet die ganze Szenerie mit dem Satz: Mir ist jetzt alles klar! Da hat man eine zwar versteckte, aber sehr schöne Botschaft gesendet!
Jesus selbst ist gekleidet in wallendem weiß, eher beige. Die reine Farbe allerdings wird durch ein darunter liegendes rotes Oberteil unterbrochen. Ganz rein erscheint Jesus also nicht.
Musik
Band Abyss und Orchester (Musikalische Leitung: Ivan Demidov) liefern eine sehr gute Leistung ab. Schon das Gitarren-solo ganz zu Beginn ist astrein und klar gespielt. Diese Klarheit behalten sie auch die ganze Zeit bei. Allerdings fehlt mir an manchen Stellen ein Stück stärkere Akzentuierung, gerne hätte ich der Prägnanz wegen schärfer angeblasene Töne der Bläser gehört. Das fehlende rhythmische Klatschen in Weil sie ach so heilig sind gehört für mich ebenfalls in diese Kategorie. Es macht das instrumentale Zwischenspiel deutlich weniger spannend.
Trotz dem die Musik professionell vorgetragen wurde, fehlte mir hier an manchen Stellen der Biss, das letzte Quäntchen Emotion, das transportiert werden soll.
Die Musik eines Musicals stützt das Geschehen. Jetzt wurde Jesus Christ Superstar aber gar nicht zuerst als Musical verfasst, sondern als rein musikalisches Konzeptalbum. Das heißt für mich, dass der Musik per se eine größere Aufmerksamkeit geschuldet ist. Die Musik muss den unveränderlichen Rahmen darstellen. Deshalb ist das Timing so immens wichtig. Das klappt an vielen Stellen perfekt. Die längere Pause, die Kaiaphas macht, bevor er zum Schluss kommt: Dieses Problem verlangt eine Lösung. Auch, wie Annas den Sack mit den 30 Münzen passgenau zum Ende der Musik auf den Boden wirft! Applaus für so perfekte Kleinigkeiten.
An anderer Stelle hingegen war das Timing nicht so perfekt. Im – vom Prinzip her emotional viel stärkeren – zweiten Akt gelingen die Übergänge nicht immer ohne Pause. Da wird dem Geschehen auf der Bühne ein Vorrecht eingeräumt, was mich mich persönlich gestört hat. Als Beispiel führe ich hier den Übergang an von Lass uns neu beginnen zu Pilatus. Da macht die Musik Pause, bis alle Personen wieder da stehen, von wo aus sie weiter agieren werden. Das hat mich gebremst. Der zweite Akt ist eigentlich so konzipiert, dass du quasi am Anfang einmal tief Luft holst, und erst nach dem Ende, eine Dreiviertelstunde später, wieder im Stande bist, auszuatmen. Das ist wie ein Zug, in den du einsteigst, und der vor dem Ziel keine Zwischenhalte mehr hat. Diesen Flow hat die gewählte Darbietung etwas unterbrochen.
Die Tonabmischung ist auf einer Freilichtbühne nicht unbedingt trivial. Hier gelingt sie meist gut. Hin und wieder ist die Band samt Orchester allerdings so laut, dass das Textverständnis leidet. Im großen und ganzen geht das aber in Ordnung. Einziges ärgerliches Manko: Die Worte Jesu am Kreuz gehen quasi unter. Den Ruf nach der Mutter versteht man noch gut, danach so gut wie nichts mehr. Das muss unbedingt verbessert werden.
Deutsche Übersetzung
In meinen Augen ist das Theater ein Wagnis eingegangen mit der Entscheidung, das Musical auf deutsch zu spielen. Da hat mein JCS-Herz auch erst mal vor Schreck zwei Schläge ausgesetzt, als ich das erfahren habe.
Deutsche Übersetzungen sind schwierig. Selbst textlich und interpretatorisch gut gemachte Übersetzungen haben das Problem, das sie auf die Melodie einfach eckig klingen. Meine Tochter, 10, die das Musical aufgrund meiner Obsession auswendig auf Englisch mitsingen kann, ist bei jedem Liedanfang zunächst zusammengezuckt. Es ist einfach ungewohnt fürs Ohr.
Die Übersetzung selbst hinterlässt gar nicht so viel Schrecken wie zunächst vermutet. An einigen Stellen bringt sie die Aussage meiner Meinung nach fürs Verständnis sogar prägnanter auf den Punkt, an anderen Stellen dagegen fragt man sich, wieso die Übersetzung nicht anders ausfällt.
Ein Beispiel: Jesus stirbt und seine letzten Worte sind laut Bibel: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. In der englischen Version sagt Jesus auch folgerichtig: father, into your hands I commend my spirit.
Wieso die deutsche Übersetzung das umdreht und es heißt: Vater, meinen Geist lege ich in deine Hände, erschließt sich mir gar nicht. Vielleicht sollte darauf Wert gelegt werden, dass am Ende wie bei spirit ein zweisilbiges Wort steht. Ich fand es auf alle Fälle sehr irritierend.
Andererseits entfalten die deutschen Worte auch bisweilen deutlich mehr an Hintergrund als das gewohnte Englisch: then I was inspired zum Beispiel ist hier einst erfüllt von dir. Das gefällt mir deutlich besser, weil es den Bezug zu Gott textlich deutlicher macht. Daran entspinnt sich für mich sofort ein spannender Gegensatz:
Jesus sagt, früher war er erfüllt von Gott. Impliziert auch, dass er es jetzt nicht mehr so ist. Judas dagegen sagt, dass es früher nie um Gott ging, erst jetzt hätte das Überhand genommen. Die Wahrnehmung geht hier also deutlich auseinander und offenbaren das Missverstehen, das in der Inszenierung schön herausgearbeitet ist.
Der Chor des Staatstheaters (Einstudierung: Carl Philipp Fromherz) ist von je her top und hat eine tadellose Leistung abgeliefert. Von der Höhe bis in die Tiefe ausgewogen waren sie Chorszenen purer Ohrenschmaus.
Choreographie
Ich liebe das Ballett des Staatstheaters Augsburg (Choreograf: Ricardo Fernando). Ich halte es für herausragend. Umso verwunderlicher fand ich, dass die Choreographien zwar perfekt ausgeführt wurden, mich aber ob ihrer Einfachheit leider nicht so begeistern konnten wie gewohnt. Wobei man das differenziert sehen muss: Die Herodes-Nummer war sehr prägnant und auf den Punkt, da hat alles zueinander gepasst. Simon, der Zelot, hingegen ist die aggressivste Stelle des Stückes. Explizit spricht Simon an, das auch Gewalt als Lösung aller Konflikte in Frage kommt. Deshalb ist das Lied sehr stark rhythmisiert und akzentuiert. Da hab ich diese Aggressivität und die Impulshaftigkeit in der Körpersprache vermisst, womit man Simons irren Aufritt hätte stützen können. Er fällt dementsprechend deutlich zahnloser aus als ich es gewohnt bin. Bei Superstar zeigt sich aber die ganze vorhin angesprochene Exzellenz des Ballett-Ensembles: Da fühlt man die Energie, die von ihnen ausgeht.
Ansonsten empfand hauptsächlich im ersten Teil die Laufwege der vielen Menschen auf der Bühne als sehr unkoordiniert. Die Ouvertüre ist relativ lang, und es bevölkern sehr viele Menschen die Bühne. Ich hätte mir gewünscht, dass sich irgendwann während der Ouvertüre ein sinniges Bild ergibt, etwas, was mein rastloses Auge kurz ankern lässt.
Im Gärtnerplatztheater wurde die Ouvertüre ebenfalls dazu benutzt, die Menschen in ihrer Rastlosigkeit laufend zu zeigen. Allerdings fanden sich dort hin und wieder Bilder, die das organisierte Chaos durchbrachen. Hier wirkte es eher angestrengt. Oder vielleicht hat es mich angestrengt?
Natürlich kann das der Interpretation geschuldet sein. Die ruhelosen Menschen sind auf der Suche, ohne etwas zu finden. Ohne Ziel oder Anker immer in Bewegung. Das ist dann ein scharfer Kontrast zu Judas erstem Auftritt, in dem er singt: Jetzt ist mir alles klar. Nur Judas ist hier der Durchblick vergönnt. Je länger das Stück läuft, desto klarer werden die choreografierten Linien. Alles ordnet sich also im Hinblick auf ein Ereignis. So gesehen ergibt das durchaus Sinn, meinen persönlichen Geschmack trifft es nicht zur Gänze.
Die Ideen der Inszenierung/ Einordnung
Die Aufführung ist sehr konservativ gehalten. Cusch Jung erzählt die Geschichte der letzten sieben Tage Jesus schnörkellos und ohne großen erkennbaren Aufreger. Über das Bühnenbild und die Kostüme installiert er eine traditionelle Erzählweise der Geschichte und geht dabei nicht dem Trend hinterher, Jesus Christ Superstar ins Heute zu holen, wie es zum Beispiel seit mehreren Jahren in Wien gemacht wird.
Sehr eindeutig wird Jung bei der Bewertung der Beziehung von Maria Magdalena zu Jesus. Diese wird von je her kontrovers diskutiert, selbst das Musical bleibt rein textlich eine Interpretation schuldig. In der Augsburger Inszenierung ist es allerdings klar: Jesus und Maria sind ein Liebespaar. Gleich beim ersten Lied, bei dem sie in Interaktion treten, küssen sie sich lang und ausgiebig. Maria tritt in reines weiß gekleidet auf, was sofort auffällt. Oft ist Maria in eher sündhaftes Rot gekleidet, die sie als lasterhafte Frau/ Prostituierte beschreibt, oder aber sie sticht aus der Masse eher nicht heraus. Maria ist laut Bibel eine Frau mit Vergangenheit. Judas selbst beschwert sich bei Jesus über dessen Umgang mit einer Prostituierten.
Aus dieser Ecke allerdings holt der Regisseur heraus. Ihre Vergangenheit ist überhaupt nicht das Thema, möglicherweise eher ihre Zukunft: wie eine Braut gekleidet tritt sie auf. So laufen Judas Anschuldigungen, Jesus würde sich mit ihr amüsieren, augenscheinlich ins Leere. Ernst ist es beiden. Maria ist Jesus’ Ruhepol. Ich bring dir die Ruhe, ich bring dir den Frieden. Engelsgleich erfüllt Maria dieses Versprechen ein ums andere Mal. Ein Engel auf Erden, und auch dieser Vergleich drängt sich schon allein des Kostüms wegen auf. Die Inszenierung stützen beide Sichtweise weiter: Maria ist immer an Jesus Seite. In guten wie in schlechten Tagen oder Schutzengel: Braut oder Engel, auf alle Fälle eindeutig positioniert als jemand, an dem man eben keinen Anstoß nimmt, sondern der eine begleitet. Eine sehr schöne Würdigung der Figur!
Judas gibt sich in meinen Augen relativ verhalten. Er ist nicht so sehr der Aggressor. Er begleitet die Szenerie nicht wütend, sondern deutlich unverstanden. Eher spöttisch interpretiert er Weil sie ach so heilig sind.
Da bleibt er auch nicht für sich, um die Situation zu analysieren. Er geht mehrfach auf Jesus zu, um sich ihm anzuvertrauen. Doch die Kommunikation misslingt. Dann sucht er den Kontakt zu den Jüngern: Mir gefällt das hier nicht. Auf diese Weise zeigt Judas eindringlich auch ohne Aggressivität in der Stimme, dass er ein ernstes Anliegen hat.
Wenn sie auseinander gehen, Judas und Jesus, dann bleibt ein starkes Gefühl des Missverstehens zurück. Beide wollen sich gerne richtig fühlen. Und trotz aller Zuneigung entsteht durch die konträre Sichtweise auf beiden Seiten eine innere Unruhe. Beide Darsteller haben das sehr gut gelöst. Diese Unruhe, eine tiefe Verwirrung, zeigt Judas auch bei den Hohepriestern. Dort steht er eher wie ein kleiner Junge, der was zu sagen hat, es sich aber nicht traut. Ganz kriegt er die Situation für sich nicht auf die Reihe, wirkt überfordert: Warum er hier steht, das weiß er selber nicht.
Insgesamt bleibt also die ganz große Wut und Aggressivität aus. Es passt in die eher zahme, unaufgeregte Inszenierung, die allein die Geschichte wirken lässt. Der Konflikt wird ruhiger ausgetragen, obwohl es durchaus zu körperlichen Szenen zwischen den Kontrahenten kommt.
Sicher wird der Zuschauer durch das Musical geführt. Selten gibt es Szenen, an denen man sich reiben kann. Erst am Ende, nach Jesus Tod, lässt Regisseur Cusch Jung dann viel Platz für die eigenen Gefühle:
Jesus wird von Maria vom Kreuz weggeführt, dass sich danach imposant in den Nachthimmel erhebt, zunächst als ganzes illuminiert, dann nur noch als Silhouette. Jesus ist also weg, und was bleibt? Wie stark strahlt sein Kreuz? Sein Kreuz? Unser Kreuz?
Eine lange Stille vor dem Applaus zeigt, dass die Geschichte ihre Wirkung auf die Zuschauer nicht verfehlt hat.
Darsteller
Jesus – Markus Neugebauer
Es mag oberflächlich klingen, aber Markus Neugebauer ist nun mal einfach schon allein von der Optik her prädestiniert, einen historischen Jesus auf die Bühne zu bringen. Und gibt ihm gleichzeitig einen so legeren Look, dass er trotz des Kostüms gleichzeitig als Hipster der heutigen Zeit durchgeht. Die Verbindung von damals und heute wurde auf alle Fälle schon mal fürs Auge greifbar.
Ich habe Markus Neugebauer als eher zurückhaltend im Spiel empfunden. Er kann schon aufdrehen, aber in der Hauptsache wählte er eher eine bedächtige Art. Das Charisma, das Jesus wohl hatte, bringt er nicht sehr stark rüber. Es fällt auf, dass er mehrere seiner Soloteile sehr ruhig und leise beginnt, um dann deutlich zu werden.
Seine Hadern mit den Geschehnissen und vor allem den Jüngern bringt er weniger eindringlich auf die Bühne. Aber stille Wasser sind tief und so legt es die Inszenierung auch an. Trotzig kann er sein, Markus Neugebauers Jesus. Gleich zweimal rennt er durch die Palmwedelstraße der Jünger vor den Augen der Priester und macht so sich selbst und den Anwesenden seine Attitüde klar. Ganz klar provozierend verhält er sich auch nach dem letzten Abendmahl: Da geht er mit dem Kelch an den Bühnenrand, sieht nach oben und leert den Kelch aus. Ein schönes starkes Bild eines Jesus, der danach im Gethsemane singt: Lass den Kelch vorübergehen, ich will und kann sein Gift nicht trinken.
Ganz selten nur wird er laut und auch körperlich. Die leisen Gefühle sind eher seins. Greifbar wird zum Beispiel sein Unbehagen immer, wenn Judas und Jesus aneinander vorbeireden. Die Einsamkeit, die er empfindet, weil er nicht verstanden wird, ist intensiv. Starke Gefühle beklemmen auch im Gethsemane. Wo ich dieses Jahr schon Drew Sarich in Wien dabei beobachtet habe, wie er sich körperlich total verausgabt, wählt Neugebauer einen anderen, wenn auch nicht weniger eindringlichen Ansatz. Seine Ohnmacht angesichts der Situation entlädt sich weniger in Wut und Aggression als in tiefer Verzweiflung. Der Schrei schau mir zu klingt schon wie der Schrei eines Sterbenden, heiser und leidvoll, der sich auch körperlich fortsetzt, in dem er zittert, weint und schluchzt.
Er hat mir stimmlich gut gefallen. Nicht alle Höhen fallen ihm leicht, statt reinem Belt fällt da die Stimme eher ins heiser-rockige. Mich persönlich stört das nicht, es ist seine Art es zu singen und ich fand es extrem gut.
Stimmlich also Markus Neugebauer absolut ein Highlight der Inszenierung, im Spiel war er eher verhalten. Mir liegt das nicht so, aber als Teil genau dieser Inszenierung war auch das vertretbar.
Judas – David-Michael Johnson
Ich tat mich mit diesem Judas von Anfang an eher schwer. Zu undurchsichtig bleibt er mir in der Rolle. Es macht nicht sehr offensichtlich, dass er Jesus rechte Hand, sein bester Freund ist. Seine Motivation bleibt eher im Dunkeln, irgendwie wirkt er als Charakter nicht ausgereift. In der Interaktion mit Jesus blitzt bisweilen zwar Unverständnis auf. Das ganze weil sich ach so heilig sind besitzt aber in seiner Interpretation allenfalls spöttischen Charakter. Dass er da ein wirklich ernstes Anliegen vorträgt, ist auch stimmlich nicht ersichtlich. Dabei löst die Regie dieses erste Lied – eher ungewöhnlich – sehr gut, in dem Judas sein Anliegen auch wirklich vor Jesus bringt, und als er da kein Gehör findet, es an die Jünger weiterträgt.
Auch eher verspottend greift er Jesus beim letzten Abendmahl an und hängt ihm, während er ihn als ausgedienten König tituliert, das weiße Tischtuch wie einen Königsmantel um. Eigentlich ein schöner Regieeinfall (der aber an das Musical Ludwig2 erinnert…). Aber er stützt eben auch den eher spöttischen Umgang mit der Situation, die mir nicht so liegt.
Spannend fand ich beim Kostüm die beiden Reißverschlusstaschen, in die er schlussendlich auch die 30 Silberlinge steckt. Sie weisen Judas als den aus, der den Umgang mit Geld gewohnt ist. Nur in einem der vier Evangelien wird ausgeführt, dass Judas der Geldverwalter der Gruppe ist, allgemein bekannt ist das wohl eher nicht. Aber wenn man das weiß, dann erschließen sich einige Szenen noch mal in ganz anderem Ausmaß: Dass sich Judas aufregt, dass Maria das kostbare Öl verschwendet und dass die Hohepriester versuchen, ihn mit Geld zu ködern.
Irgendwie hat man das Gefühl, dass in Judas sehr viel von einem kleinen Jungen steckt: Eigentlich möchte er nur richtig sein mit dem, was er sieht und fühlt. Er versucht, Aufmerksamkeit zu bekommen für seine Idee. Und als er sie nicht bekommt, wendet er sich an eine Autorität. So steht er dann auch vor den Priestern: nervös und unsicher.
Ja, man kann den Judas so anlegen. Für mich persönlich greift das aber nicht weit genug. Zumal David-Michael Johnson an einigen Stellen mit der Artikulation kämpft. Sein Akzent ist manchmal unüberhörbar. Die Anstrengung in der Stimme ist ebenfalls deutlich wahrzunehmen.
Einen ganz starken und absolut authentischen Moment hat er in seiner Verzweiflung, mit sich und der Welt hadernd kurz vor seinem Selbstmord: Da liegt er am Boden und weint seine ganze Verzweiflung in den Nachthimmel.
Maria Magdalena – Sidonie Smith
Eher unauffällig im Auftreten zunächst, verzaubert Sidonie Smith zunächst mit ihrer Erscheinung: Zunächst wie eine Braut anmutend, verbreitet sie eine ganz unangestrengte Eleganz, die wegen ihrer Ungewöhnlichkeit beim ersten Auftritt zunächst ein wenig irritiert: In einem asymmetrischen Abendkleid und mit dramatisch schönem Make-Up. Aber sie fügt sich mit einer ganz leichten Natürlichkeit in die Szenerie ein. Sie ist Jesus Ruhepol. Und sie ist immer –auch beim letzten Abendmahl – an seiner Seite. Und so wandelt sich der Blick auf Maria, fort von der Braut, eher hin zu einem göttlichen Wesen: Als hätte Gott Jesus einen Engel zur Seite gestellt. So geleitet sie ihn immer Hand in Hand: weg von Judas, zu seiner Ruhestatt, sogar nach seiner Kreuzigung nimmt sie seine Hand und führt ihn weg. Sidonie Smith gelingen diese liebenden, beschützenden Emotionen ausgezeichnet. Ganz warm und ruhig bleibt sie auch in der Stimme. Ihr Solo Wie kann ich ihn nur lieben ist berührend, aber anders als man vielleicht erwartet. Es ist klar in der Aussage: Wie kann ich ihn nur lieben. Dass sie es tut, steht außer Zweifel. Es ist nicht so zweifelnd angelegt. Ich hatte das Gefühl, es geht nicht um eine Idee für sich selbst, sondern eine für Jesus. Wie soll sie ihn lieben, dass es ihm gut tut. Was kann sie dafür tun. Maria ist für mich hier eher eine fürsorglich liebende Person.
Wenn sie sich über den geschlagenen Jesus beugt, dann klingt ihr Lass uns neu beginnen wie eine Hoffnung, eine Verheißung, ein Versprechen, an das sie Jesus erinnert: Sein Reich wird neu beginnen, aber in anderer Form.
Applaus an Sidonie Smith für eine einfühlsame und stimmige Performance, die Maria Magdalena in einem anderen Licht zeigt. Sie hat sich die Inszenierung zu eigen gemacht, und das auf einnehmende Art und Weise!
Pontius Pilatus – Cusch Jung
Ich gebe hier schon mal im Vorgriff auf das Fazit zu, dass mir einiges an seiner Regiearbeit nicht gefallen hat. Aber sein Pilatus muss über alle Maßen gelobt werden. Eingangs habe ich ja bereits erwähnt, dass die deutsche Version im Ohr bisweilen einfach anstrengend ist.
Jung ist da fabelhaft: Er schafft es, die Betonung und die Musik so zusammenzubringen, dass es klingt, als wäre das so geschrieben worden. Hin und wieder geht er da vom melodischen zum sprechenden Gesang über, aber das ist so wirkungsvoll, ich war tief beeindruckt. Seine Stimme kann er enorm variieren, jede Emotion damit sichtbar machen. Darum ist er auch der, der seine Figur von den Gefühlen am eindeutigsten zeichnet. Mich hat sein Auftritt begeistert!
Herodes/ Kaiphas – Christopher Ryan
Um zunächst die Leistung als Hohepriester zu würdigen: Christopher Ryan zeigt als Kaiphas stimmlich Kante. Er hat eine würdevolle, klare Ausstrahlung und zeigt einen überhaupt nicht hysterischen, sondern wohl überlegten Hohepriester. Ohne in der Stimme schneidend zu werden, verleiht er seinen Aussagen eine starke Prägnanz. Ganz hervorragend!
Seine stimmlichen Qualitäten spielt er auch als Herodes gekonnt aus. Diese Nummer wurde bei der Premiere mit ehrlichem Applaus und gelösten Lachern begleitet. Das liegt neben der tollen Darbietung durch die Musiker und der stimmigen Choreographie nicht zuletzt an einem skurrilen, aber niemals lächerlichen Herodes.
Annas – Chris W. Young
Annas Darstellung steht der von Kaiphas in nichts nach: ebenso klar, vor allem in der Artikulation, und zielsicher singt sich Young durch die Partitur und macht klar, dass Annas derjenige ist, der am meisten darauf drängt, dass Jesus beseitigt wird. Tolle Leistung!
Simon Zelotes – Dennis Weißert
Dennis Weißert hat mir stimmlich gut gefallen. In einer eher geradlinigen Inszenierung verlieh er aber seinem Simon deutlich weniger Rebellions-Charakter, als man es gewohnt sind. Aber das war wahrscheinlich so gewollt, denn die ganze Szene ist, wie oben besprochen, auch choreographisch eher zahnlos angelegt.
Fazit
Das Staatstheater Augsburg bringt unter der Regie von Cusch Jung eine über weite Strecken geradlinig klare und ruhige, aber eher kompromissbereite Fassung von Jesus Christ Superstar auf die wunderschöne Augsburger Freilichtbühne. Auch die Entscheidung, auf deutsch zu singen, gehört in diese Idee.
Es mutet an, möglichst zahm herüber zu kommen, um ein größtmögliches Publikum anzusprechen. Ich möchte einen Vergleich nutzen:
Wenn man Kindern vorliest aus einem Buch, dann kann man das sehr enthusiastisch und zum Beispiel durch das Verstellen von Stimmen zu einem emotional breites Erlebnis machen. Oder man kann es vorlesen wie eine Gebrauchsanleitung. Auch da wird die Geschichte transportiert. Cusch Jung erzählt die Geschichte der letzten sieben Tage in Jesus Leben über weite Strecken eher emotionslos. Jeder wird da mitgenommen, keiner muss sich (um im Bild der Kinder zu bleiben) zu sehr fürchten. Das ist vollkommen legitim und gerade für breite Schichten geeignet.
Mich persönlich hat es nur in Teilen abgeholt. Ich persönlich hätte mir mehr Risiko gewünscht. Aber innerhalb der Inszenierung hat Cusch Jung keine Schwächen gezeigt, klar und diszipliniert führt er das Ensemble durch eine Geschichte, die von Natur aus ja sowieso berührt.
Das “Theaterwunder” von 2006/2007 hat sich meiner Meinung nach nicht wiederholt. Eine qualitativ hochwertige und stringente Inszenierung sieht man aber auf alle Fälle.
Alle Fotos: Dr. Joachim Schlosser Fotografie
Schreiber Karlheinz
ein großartiges Musical tolle Inszenierung Musik und Gesang mitreisend besonders gut fand ich dass in deutsch gesungen wurde
fast alles stimmig leider waren die Wachen mit Grwehren bewaffnet trotz aller moderne unpassend