Jesus Christ Superstar wird seit längerem jährlich in Wien um Ostern in konzertanter Form aufgeführt, und die Qualität von Inszenierung und Cast ist dermaßen hoch, dass ich diese Ostertradition nie wieder missen möchte. Wobei konzertant einfach Quatsch ist. Es gibt Kostüme und Requisiten, durchchoreografierte Laufwege sowie Auf- und Abgänge durchs Parkett. Und wenn man Jesus mal tatsächlich hoch oben unterm Schnürboden kreuzigt, kann man nicht mehr von konzertant oder halbszenisch sprechen. Wie es genannt wird, ist allerdings egal. Es ist auf alle Fälle ein Highlight und das Ziel meiner Frühjahrs-Wien-Reise war das Raimund-Theater.

Ouvertüre
Zu Beginn kommen alle Darsteller auf die Bühne, stehen da und blicken während der Ouvertüre ins Publikum. Das allein ist schon ziemlich irre, denn gerade Drew Sarich schaut wirklich hin. Wahrscheinlich hat er großen Spaß dabei, sitzen ja Tag für Tag sowieso die üblichen Verdächtigen in den ersten Reihen.
Noch steht da also Drew und nicht Jesus. Beim choreografierten Abgang wird mal vorsichtig angedeutet, was an Requisiten gebraucht werden wird. Und dann kommt mit der bekannten Fanfare Jesus auf die Bühne, hinter ihm der Schriftzug Jesus Christ Superstar.
Heaven On Their Minds
Jesus predigt. Erklärend, wissend, verstehend, intensiv und mit Herz. Er ist in seinem Element. Er gestikuliert ganz ruhig, aber groß und einladend. Er spricht langsam und eindringlich, überaus positiv und freundlich. Man merkt: er überzeugt. Wenn man im Parkett relativ weit vorne und mittig sitzt, ist es, als wäre man dabei. Jesus steht zwar auf den Stufen, aber die Jünger verdecken ihn weitestgehend. Man rutscht im Sitz hin und her, um einen Blick auf Jesus zu erhaschen. Ganz so, als stünde man selber mitten drin in der Menge.
Jesus versucht, die Jünger einzuschwören auf die gemeinsame Sache. Nein, eigentlich aufeinander. Auf ihre Gemeinschaft. Bei dieser Stelle im Heaven on their minds, wo rhythmisch geklatscht wird, fordert er sie auf, gemeinsam genau das zu tun. Jesus dirigiert sie dabei, gibt den Einsatz.
Er führt sie, sie folgen ihm.
Gino Emnes eröffnet ziemlich beeindruckend. Er singt sein Heaven on their minds sehr überlegt. Er erscheint nicht als Hitzkopf, oder zumindest kontrolliert. In ihm hat sich eine Menge angestaut, oh ja. Aber es sieht hier so aus, als würde er Jesus gerne über die Logik kriegen. Er ist nur an wenigen exponierten Stellen laut und aggressiv.
Meine Lieblingsstelle *
Nazareth your famous son should have stayed a great unknown
…kann man so abwertend rotzig singen. Hier wird aber deutlich sichtbar, dass Gino Emnes einen anderen Ansatz wählt. Fast erklärend-lächelnd denkt er dran, wie es wohl gelaufen wäre, wäre sein bester Freund einfach Schreiner geblieben. Die eher ruhige eindringliche Überlegtheit zusammen mit Gino Emnes körperlicher Erscheinung und dem Kostüm liefert einen spannenden Gegensatz, der aber leider nicht ausreichend weiterverfolgt wird.
Judas versucht, auf den im Kreise seiner Jünger sehr engagierten Jesus zuzugehen, um seine Worte an den Mann zu bringen. Jesus vertröstet Judas immer wieder und wendet sich anderen und anderem zu. Er begrüßt die Jünger, er macht Selfies, spricht in Kameras und begrüßt den Dirigenten (dieses Detail liebe ich besonders). Judas findet kein Gehör:
all I asked is that you listen to me
Ha! Genau das tut Jesus nicht.
Judas versucht es weiter und – schön choreografiert – wendet er sich an Simon:
for we are getting much to loud
Simon ist der, den man einbremsen muss, weil er Umsturzpläne schmiedet. Schön, wenn auf solche Details eingegangen wird.
What’s The Buzz
Das Ensemble entfaltet eine wunderbare Dynamik miteinander. What‘s the buzz gehört nicht so zu meinen Favorites, aber es war perfekt. Zu Beginn lag Spannung in der Luft, aber keine, von der Gefahr ausging. Es war mehr so ein Happening mit einem: wie soll’s denn jetzt weitergehen, wir wären bereit für den nächsten Schritt. Jesus ist an dieser Stelle weder aggressiv oder genervt. Er macht eher den Eindruck, als fühle er sich wohl in dieser Gruppe von aktiven Menschen, die er locker einbremsen kann, aber eigentlich das gar nicht unbedingt will. Er ist zunächst echt gelassen. Seine Jünger aber wollen ihn weitertreiben: Mal wieder schön gelöst, wie sie im Rhythmus unaufhörlich mit den Füßen wippen und stampfen. Sie sind bereit, sie wollen im Rhythmus bleiben, weitergehen, die Taktzahl halten. Dabei merken sie aber gar nicht, wie sie von ihm abweichen, wie er sich abwendet. Zu Hilfe kommt ihm Maria: Jetzt macht doch mal langsam. Danke Mary.

Als Jesus die Menge nicht mehr erreicht, will er mit Maria gehen. Doch da geht Judas dazwischen und motzt, warum er sich überhaupt mit ihr abgibt. Schlechte Presse und so. Auch da bleibt Jesus erst mal ziemlich ruhig, versucht, ihn zu ignorieren, einmal, zweimal. Es ist mehr so: jaja, das hatten wir alles schon. Da bleibt Jesus lange Zeit echt cool, bevor er ihm dann aber mit einer deutlichen Ansage klar macht, dass jetzt Schluss ist.
In einer Szene voller Emotionalität hadert Judas mit sich und Jesus. Es brodelt in ihm. Er kann mit dieser Zurechtweisung nur schwer umgehen. Peter und Simon versuchen, ihn zu beruhigen. Jesus schließlich reicht Judas die Hand der Versöhnung mit einem so offenen gewinnbringend Lächeln. Doch Judas steht da mit einer Miene, die die Hölle zufrieren lassen könnte. Diese stechenden Augen! Jesus hält ihm die Hand hin, die anderen drängen Judas einzuschlagen. Das macht er dann auch, aber mit einem dermaßenen Widerwillen. Jesus ist erleichtert, freut sich. Für Judas aber ist noch nichts in Ordnung. Er bleibt trotz des Versöhnungshandschlags unversöhnlich. Und Drew entgleiten die Gesichtszüge, als er das merkt. Da sieht er so verloren aus, so getroffen. Er fängt noch Peters verdatterten Blick auf. Und hebt nur entschuldigend und tieftraurig die Schultern.
Von allen Akteuren, Drew, Gino, Christopher und David war das exzellent gespielt.
This Jesus Must Die
Die Hohepriester treffen wir in ihrer Überwachungszentrale. Wobei die an den Hintergrund projizierten Monitore zunächst allgemeine Überwachungsbilder zeigen (so wie man das aus U-Bahnstationen kennt). Dann schalten Sie quasi um zur eigentlichen Gefahr: Jesus und seine Jünger.
He is dangerous
Ganz schön gelöst finde ich, dass die Jünger im Publikum verteilt sind, um Hosanna Superstar zu singen. Da muss ich an mich halten, um nicht aufzuspringen und mitzusingen. Das wäre mal was für eine Derniere… wenn das ganze Publikum aufspringt und mitsingt!
Hosanna
Sehr wirkungsvoll singt Jesus den wichtigste Teil seiner Botschaft nicht nur zu seinen Jüngern, sondern in die Kamera:
Sing out for yourselves for you are blessed
Danke! An solchen stimmigen Kleinigkeiten kann ich mich diebisch freuen. Jesus ist in seinem Element, er genießt den Trubel, den Aufruhr, den die Jünger um ihn und seine Sache machen. Er freut sich, Kaiaphas damit einen reinwürgen zu können. Er WILL die Menschen begeistern für seine Sache. Mit seinem ganzen Herzen, mit seinem ganzen Sein. Sein ganzer Körper ist unaufhörlich in Bewegung, er feuert an und peitscht selbst die Stimmung hoch. Bis zu
would you die for me
Es war weniger die entsetzte Erkenntnis, als eher ein erschrockenes Sich-daran-erinnern, das ihn packt.
Simon Zelotes
Die Fanfare reißt ihn aus seiner Erstarrung. Jesus macht in dieser für ihn beängstigenden Situation die Augen zu, atmet tief durch und für mich war das förmlich zu spüren:
Look at the good things you‘ve got
So hat er es seinen Anhängern vorher befohlen. So befiehlt er es sich selbst.
Und dann beginnt auf der Bühne ein wahres Feuerwerk. So viel Energie wird da frei, bei den Jüngern und bei Jesus selbst. Er lässt sich feiern, er spürt die Freude, die er auslöst. Er glaubt tatsächlich, dass er auf dem richtigen Weg ist, dass er die Menschen erreichen kann.
There must be over fifty thousand
Und netterweise zeigt Simon da zu uns ins Publikum. >Screaming Love and more for you
Yep. Würden wir, Drew. Jesus selbst kann’s gar nicht glauben. Er versucht, das aufzunehmen, atmet tief ein. Diese Masse, diese Begeisterung. Yes, we can.
Bis zur allerletzte möglichen Sekunde glaubt Jesus an die positiven Energien, die sich hier bewegen. Auch, als Simon auf
…hate at Rome
zu sprechen kommt, tut er das noch ab. Erst, als sein Anblick auf die Gewehre fällt, bricht etwas zusammen. Die ganze positive Begeisterung verwandelt Jesus in einer Sekunde in Entsetzen.
If you knew all that I knew
Hier ist die Inszenierung wieder einmal grandios gelungen, weil sie einen Schwerpunkt setzt: während Jesus singt, taucht Judas auf. Hört ihm zu.
To conquer death you only have to die
Er hat bis dahin alles ans Publikum gewandt gesungen. Diese Zeile singt er zu Judas blickend. Hier wird klar: Dieser Satz gilt also für beide. Beide teilen dasselbe Schicksal. Judas Tod wird hier vorausgesagt, ja gefordert.
Pilate’s Dream
Filippo Strocchi packt mich vor allem mit einem: wie er mit der Stimme schauspielert. Gesang und Mimik sind so perfekt eingesetzt und aufeinander abgestimmt. Er lässt uns fühlen, was er singt und denkt.
I asked again
Ich hab echt nochmal gefragt. Ich frage normalerweise nie zweimal.
They seem to hate this man
Hier zeigt er schon an der Mimik, wie er das nicht versteht und verabscheut, die Hatz auf diesen Mann.
And then I heard them mentioning my name
Sehr fragend. Wie jetzt? My Name? Was habe ich damit zu tun?
So ein kurzes Lied, relativ statisch vorgetragen, entfaltet in der Interpretation von Filippo Strocchi so viel von diesem Charakter! Bravo, Filippo.
The Temple
Die Tempelszene fand ich ausgesprochen gut choreografiert und sehr kurzweilig.
Drews erste Silbe, das my von „my temple“ ist das absolut genialste überhaupt. Er stellt diesen hohen geschrienen Ton so exakt und sauber, ansatzlos hin. Gänsehaut von nur einem einzigen Ton.
My Time is almost through, little left to do. After all, I tried for three years…
Kopfschütteln, Ernüchterung und entsetzte Erkenntnis. Drei Jahre hab ich schon in die reingeredet. Jetzt hab ich gleich keine Zeit mehr und sie haben’s immer noch nicht kapiert! Was soll ich denn noch machen in dem bisschen Zeit, was mir noch bleibt: diese Szene war unglaublich intensiv und hat für mich den großen Bogen gespannt zu dem Lied. Zu dem Lied, um das herum das ganze Musical aufgebaut ist. Das die Frage beantworten soll, ob Jesus jetzt „just a man“ ist. Und was er erreicht hat. Was bleibt. Es spannt den Bogen zum Gethsemane.
Vorher aber hinterlassen die Siechen und Lahmen ein beklemmendes Gefühl. Sie umringen Jesus und fordern ihn heraus: Machs besser. Er gibt sein Möglichstes.
Spannenderweise setzt sich hier die Melodie des “Tempels” in gleicher Weise fort. Egal, ob Ausschweifung oder tiefste Armut und Krankheit. An allen Ecken ist Jesus gefordert, etwas ins Lot zu bringen. Auch hier gelingt es ihm nicht abschließend. Sie kreisen ihn ein, immer enger. Dann ziehen und zerren sie an ihm, an seiner Kleidung aus allen Richtungen und ich liebe das. Da wird nicht vorsichtig mal herangetastet. Ich habe echt jedes Mal Angst, dass sie ihn umwerfen.
Heal yourselves
Er fällt erschöpft zu Boden. Er ringt um Atem. Die Szenerie hatte etwas beängstigendes. Etwas, was Jesus tief verunsichert hat.
Plötzlich berührt ihn etwas an der Schulter und er erschrickt panikartig. Maria ist da. Sein Licht. Seine Hoffnung. Doch hier kann sie nichts mehr ausrichten. Halbherzig beruhigt er sie und geht.
I Don’t Know How To Love him
Dann ist Maria an der Reihe, und auf mich hat Maria Magdalena anders gewirkt als im letzten Jahr. Sie ist die, die Jesus strahlen lässt. Sie ist die, die ihm die Hoffnung bringt, wenn es für ihn an seine Grenzen geht. Das geht deutlich über den Interpretationsansatz hinaus, sie sei seine Geliebte, seine Freundin. Sie beschützt ihn. Maria ist seine ganz persönliche frohe Botschaft. Insofern bekommt I don‘t know how to love him ebenfalls ein bisschen einen anderen Dreh.
I don‘t know how to move him
Was soll ich denn genau für ihn tun, wenn ich diese Rolle der Hoffnung sein soll?
Und die andere Seite:
I don‘t know how he moves me
Ich weiß gar nicht, wie er mich an diese Position gebracht hat. Wie ich plötzlich diese Rolle einnehme. Ich trage plötzlich Verantwortung für das Wohlergehen eines Menschen. Einer hat sich mir anvertraut.
He scares me so
Da hab ich Angst davor. Und wie soll ich das machen?
Should I scream and shout
Soll ich ihm laut und deutlich dreinreden? Oder doch lieber einfach nur ruhig liebend und schützend einfach da sein? Ich habe Maria sehr viel vielschichtiger wahrgenommen, danke!
Judas trifft auf Maria Magdalena. Die nächste Szene kann (wie jede andere natürlich auch) unterschiedlich interpretiert werden je nach Spiellaune und Dynamik oder auch Wahrnehmung. Hier sind sich Der Mann und ich ausnahmsweise mal uneins. In meiner Wahrnehmung hat Judas Maria das Fläschchen mit dem Öl aus der Tasche geklaut und provozierend hingehalten. Am Montag und am Dienstag hat es so ausgesehen, als wolle er ihr einfach das Ding wegnehmen, und sie so eines Mittels berauben, auf Männer, im besonderen natürlich auf Jesus zu wirken.
Am Mittwoch kam mir aufgrund des aus der ersten Reihe natürlich super zu beobachtenden Mienenspiels ganz intuitiv die Idee, er wolle sie auffordern, ihm ebenfalls so eine Behandlung zu Teil werden lassen.
So oder so: Auf alle Fälle ist Maria Magdalena gescheit genug, sich nicht provozieren zu lassen. Souverän geht sie weg und triumphiert so über ihn. Diese Reaktion zusammen mit den ganzen Ereignissen vorher, bringt Judas zu den Hohepriestern.
Ich mag das sehr, wenn ganz deutlich wird, dass der Konflikt mit Maria Magdalena für Judas der letzte Tropfen ist, der das Fass zum Überlaufen bringt.
Damned For All Time
Judas kommt aus freien Stücke zu den Priestern. Das stimmt, niemand zwingt ihn. Doch wird er gezwungen. Von sich selber, von seiner Auffassung der Situation. Er rechtfertigt sich, doch die Kaiaphas und Annas bringen ihn geschickt dahin, wo sie ihn haben wollen: Zum Verrat.
hier sind mir zwei Dinge aufgefallen, die mir nicht zugesagt haben. Zum einen das Timing, wenn Annas den Koffer mit dem Geld effektvoll umwirft, dass es kracht. Da hat leider nie das Timing zum aufkommenden Applaus gepasst.
Und dann verrät Judas Jesus überaus zügig. Da hätte ich mir schon noch ein paar Sekunden gewünscht, die seinen Zwiespalt andeuten.
Last Supper
Im Gedächtnis geblieben sind mir zwei Dinge. Die Körperlichkeit zwischen Judas und Jesus. Dieser Konflikt muss sich irgendwie entladen. Judas provoziert Jesus, er möchte aus seinem Mund hören, dass da was falsch läuft. Er würde alles stoppen, wenn Jesus zur Vernunft käme.
Get out. They are waiting for you.
Jesus kann nicht anders reagieren.
Everytime I look at you, I don‘t understand, why you let the things you did get so out of hand.
Er hat so recht: Jesus hat sein Schicksal ja wirklich aus der Hand gegeben. Er hat es in Gottes Hände gelegt. Er macht das nachher nochmal im Gethsemane ganz deutlich. Er hat die Verantwortung zurückgegeben. Für Judas ist aber nur ersichtlich, dass er sich aus der Verantwortung stiehlt. Wie Jesus da leidet! Er sieht, dass Judas leidet, weil er, Jesus, sich dem großen Plan beugt. Und Judas diesen Plan nicht verstehen kann. Das schmerzt ihn und er will ihm Trost spenden. Er verkrallt seine Hand in Judas Hemd. Wieder kann er, der Heilsbringer, kein Trost sein und der Schmerz darüber zieht sich durch seinen ganzen Körper.
In einem großen Kraftakt muss er sich losreißen, und von dem Zeitpunkt an schaut er Judas bis zum Kuss nicht mehr an. Dabei möchte Judas ihn nochmal erreichen, aber Jesus starrt stur und entschlossen vor sich hin. Die Trauer beider ist spürbar. Als Judas weg ist, fing Jesus am Dienstag fast zu weinen an.
Gethsemane
In aller Stille beginnt das Stück, das den große Bogen, der nach der Tempelszene begann, fortsetzt. Jesus war dort fassungslos in dem Bewusstsein, in drei Jahren so gut wie nichts erreicht zu haben, keinen Schritt weiter gekommen zu sein.

Im Gethsemane entlädt sich alles, was sich bis jetzt in Jesus an Wut und Frust, an Ohnmacht, Entsetzen und Verzweiflung aufgestaut hat. Seine These ist: Was soll das mit dem Sterben denn dann überhaupt bringen?
Then I was inspired
Damals hab ich gedacht, dass da mehr rüber kommt bei dem, was ich hier so tue. Ich wollte das Feuer in den Menschen entfachen, aber es läuft in die falsche Richtung.
Ich habe versagt.
Wieso soll ich jetzt noch sterben? Würden sie nicht von mir verlangen, mit Gewehren gegen Rom zu marschieren, sondern verstehen, dass ich von einem anderen Reich rede („understand, what power is“)! Würden die Siechen verstehen, dass das körperliche Leiden erst in einer andern Welt gebannt wird! Dann hätte ich verstanden, dass es einen Grund gibt, warum ich sterben soll.
Can you show me now, that I will not be killed in vain
Ist das denn jetzt nicht vollkommen überflüssig? Zeig’s mir.
Now I‘m sad and tired
Jetzt bin ich ausgelaugt. Ich kann nicht erkennen, dass mein Tun irgendeine Auswirkung auf die Menschen hat.
Show me, there‘s a reason for you wanting me to die
Verdammt noch mal, zeig mir das!
„Show me just a little of your omnipresent brain.“
Du weißt doch sonst alles…
Because you’re far too keen on where and when and not so hot on why
Du sagst mir, wann und wo es geschehen soll, aber nicht warum! Es macht doch keinen Sinn! Ich seh’s nicht!
Alright, I‘ll die
So kräftig hab ich es auch aus Drews Mund selten gehört. Es macht so überhaupt keinen Sinn in meinen Augen. Aber ich mach’s. Jesus entlädt seinen ganzen Frust über die für ihn momentane Sinnlosigkeit gewaltiger denn je.
Und dann, nach der Atempause, wenn er Luft holt, wenn er ruhiger wird, dann scheint es, als habe Jesus eine Offenbarung und kann wieder zurückfinden:
What you started. I didn‘t start it.
You started.
Drew, das ist brillant. Das kommt gar nicht provozierend, auch nicht wütend. Es ist eine ihn vollkommen klar durchdringende Erkenntnis. Man sieht es daran, wie er zunächst erschöpft eher in sich gekehrt auf dem Boden sitzt. Und mit der Erkenntnis wendet er die Augen geweitet mach oben.
Das, was kommt, hat nix mit seiner weltlichen Person zu tun. Nicht mit seinen Siegen und Niederlagen.
Er trägt keine Verantwortung dafür!
Das Thema Verantwortung scheint der rote Faden zu sein, auf den die Inszenierung wert legt. Maria fühlt Verantwortung für Jesus. Jesus wird Pilatus überantwortet, der sich gerne aus dieser Verantwortung stehlen würde. Simon möchte gerne Jesus auch noch eine militärische Verantwortung aufzwingen. Judas findet, Jesus wird seiner Verantwortung für die Sicherheit der Jünger nicht gerecht.
Ein großes Thema. Und im Gethsemane gibt Jesus die Antwort für alle:
Wir sind nicht verantwortlich. Auch er nicht.
Nicht dafür, wie es bis gelaufen ist, nicht dafür, dass kein Feuer mehr in ihm brennt. Dass er erschöpft ist. Er kann nichts dafür. Es war von Anfang an Gottes Werk und er der Ausführende.
You started. I didn’t start it.
Diese Erkenntnis ist im wahrsten Sinne des Wortes erhebend. Er steht auf. Er begibt sich zurück in Gottes Hände.
God, thy will is hart, and you Hold every Card. I will Drink your cup of poison.
Ich werde das tun. Es geht nicht um Sinn oder Unsinn. Es geht nicht um mich. Es geht um thy will. Und der ist gut. Auch, wenn es schmerzt.
Es ist wahrhaft ein großes Stück. Es kann auf so viele Weisen interpretiert werden. Man glaubt, es zu kennen. Und doch ist es jedesmal anders. Drew erkennt das.
Zum einen hat er das Stück natürlich musikalisch vollkommen durchdrungen. Es gibt keine einzige auch nur hauchdünne Unsicherheit in der Intonation, egal welche Varianten er nutzt. Und, als ob das bei diesem schwer zu singenden Stück noch nicht genug wäre: er bringt es immer auch inhaltlich, wie er es haben will. Er setzt sie Schwerpunkte, wo er sie haben will, wie sie ins Stück passen.
Drew ist Drew und Drew ist Jesus. Beides in einem, in diesem Stück untrennbar miteinander verflochten. Wie sehr, kann man einfach sehen. Seine rechte Hand zittert unaufhörlich. Sein ganzer Körper bebt, der Schweiß läuft ihm übers Gesicht.
Er macht aus einem genialen Stück Musik etwas, was dich ergreift und erschüttert, was dich tief in den Sitz rutschen lässt ob der puren Urgewalt seines Inneren, die uns Drew da vorlegt. Ich meine das genauso, wie ich es schreibe:
Drew Sarichs Interpretation von Gethsemane ist in der Mächtigkeit der Interpretation und in der gesanglichen Ausführung ein Geschenk, wie es größer kaum sein kann. Die stehenden Ovationen zeigen, dass das die meisten Menschen so sehen.
The Arrest
Nach dem Gethsemane küsst Judas seinen Freund und verrät ihn. Leider fehlte mir da das gewisse Etwas.
Die beiden Wachmänner kommen. Da bleibt mir kurz das Herz stehen. Ich habe dieses Jahr erstmal registriert, dass die Helme mit den Visieren, die die Wachmänner tragen, dieselben sind wie die von den Polizisten, die am Anfang auf den Hintergrund projizierten Videoausschnitten auftauchen. Dort sieht man zu Beginn verschiedene Szenerien von Straßenschlachten mit ihrer ganz eigenen brutalen Gewalt. Das ist schon erschütternd, wenn die Parallele so deutlich gezogen wird.
Jesus gibt dem einen Wachmann sein Mikro und hebt die Hände über den Kopf. Er fügt sich. Sie fixieren ihm die Hände auf dem Rücken und zwingen ihn in die Knie. Die Jünger, endlich wach und schwer verpeilt, umringen sie, Maria Magdalena ist ganz vorne dabei.
Whats the buzz…?
Maria singt explizit Jesus an, möchte auf ihn zugehen. Aber Jesus bedeutet ihr zweimal relativ herrisch mit einer Kopfbewegung, dass sie sich zurückziehen soll. Auch Maria fügt sich. Deutlicher als Peter, der mit einer Flasche auf den Wachmann losgeht.
Why are you obsessed with fighting?
Ganz wunderbar muss man hier auch einmal die wirkungsolle Choreografie und deren punktgenaue Ausführung loben.
Pilate and Christ
Vor dem golfspielenden Pilatus kniet Jesus wieder. Pilatus ist eher genervt, aber irgendwie auch belustigt.
Pilatus ist die einzige Person im Stück, die aufgrund ihrer Unvoreingenommenheit eine vollkommene andere Wahrnehmung von Jesus hat. Jesus ist für ihn weder Superstar noch dangerous. Für ihn ist er ein broken man, ein unfortunate. Darum versteht er bis zum Schluss nicht, was das ganze eigentlich soll. Wieso sich diese beiden Seiten im Bezug auf diesen Mann so unversöhnlich gegenüberstehen. Und wieso er das lösen soll versteht er gleich zweimal nicht.
Er belegt Jesus mit Worten wie small und silent. Wenn man die Szenerie am Anfang vor Augen hat, wie er predigt, oder das Hosanna, dann kommt man auf alles, aber nicht auf klein und leise. Das passt weder zur Wahrnehmung der Jünger noch der Priester. Er weiß nicht, was er mit ihm anfangen soll. Ganz besonders deutlich, wie er
You’re Herods race
so offensichtlich amüsiert ausspricht. Tststs, diese Juden…
Herodes
Martin Bermoser fand ich beim erstem Mal ganz okay. Der Nachteil für seine Herodesnummer ist wohl der, dass letztes Jahr Nicolas Tenerani im Leopardenmantel und pinker Perücke einen so legendären Auftritt hingelegt hat.
Für mich war das letztes Jahr die beste je gesehene Herodesnummer. Dieser Nummer heuer liegt ja die gleiche Idee zugrunde. Und da tu ich mich schon schwer, wenn ich in einer fast baugleichen Inszenierung jemand anderes sehe.
Aber, spätestens beim dritten Mal, hab ich meinen Frieden mit Martin Bermoser gemacht. Das liegt an seiner Stimme und noch viel mehr an seinem Timing. Bei der Mittwochs-Vorstellung hab ich mich königlich amüsiert.
Der Song ist so ungezwungen inszeniert und geht Bermoser tadellos leicht von der Hand. Das soll alles so zufällig wirken und tut es ob des Timings auch. Wenn er Jesus den Ball an den Kopf wirft, zum Beispiel. Oder wenn ihm beim Anblick der Wasserflasche quasi genial einfällt:
Change my water into wine.
Er hat die key-change-Zeile übernommen. Tenerani letztes Jahr richtete das an Jesus. Bermoser fordert den Dirigenten auf. Hat auch was.

Ich hätte möglicherweise die Mädchen um ihn rum eventuell noch deutlich unterschieden von der letzten Inszenierung. Martin Bermoser ist es wert, nicht als Abklatsch gehandelt zu werden.
Und dann ist etwas unglaubliches passiert: In meiner Rezension vom letzten Jahr schrieb ich sinngemäß, dass ich eine einzige Stelle anders gemacht hätte. Als man Jesus nach der Herodes-Nummer abführt, ziehen sie ihm einen schwarzen Sack über den Kopf. So auch letztes Jahr. Maria Magdalena (Barbara Obermeier 2018) konnte ihm bei der Begegnung nicht mehr in die Augen schauen. Und das hätte ich aber irrsinnig gerne gesehen.
Und siehe da! Vielleicht liest ja jemand bei den Vereinigten Bühnen Wien (VBW) meinen Blog. Dieses Jahr steht Maria Jesus schon gegenüber, bevor sie ihm den Sack über den Kopf ziehen. Und jaaaaaaa. Da ist er. Der Blick. Sie sieht ihn an. Und ich habe leider nur auf seine Reaktion geschaut (sie stehen sehr weit auseinander, und Drew gewinnt): Ihre Blicke treffen sich, und er weicht aus. Kann nicht hinsehen. Maria, seine frohe Botschaft. Es ist einfach zu viel für ihn. Perfekt. Ein winzig kleiner Mosaikstein. Aber für mich perfekt!
Could We Start Again Please
Noch nie habe ich so intensiv die Intention des Stückes vernommen. Das macht Sandy Mölling super, auch Christopher Dederichs ist da innig, in dem Versprechen, das sie sich geben: wir fangen neu an. Sie nehmen sich an den Händen, um gemeinsam auf das, was war, aufzubauen. Quasi die Gründung der christlichen Kirche. Und natürlich Peter mittendrin. Petrus, der Fels, auf den Jesus seine Kirche baut.
Ich habe das oft schon anders interpretiert gesehen, oft wird es relativ lieblos behandelt, die wenigsten können was damit anfangen, weil es aufgrund der ruhigen Melodie und der wenigen Aktionen als Atemholen im schnellen und intensiven 2.Akt empfunden wird.
I‘ve been living to see you…
Maria singt hier ganz explizit die Jünger an. Ja, Es geht um Jesus, um die Liebe zu diesem Mann. Sie ist seine frohe Botschaft. Und sie nimmt diese Verantwortung an. Sie erkennt, dass sein Geheimnis weitergetragen werden muss innerhalb einer Gemeinschaft. Seiner Gemeinschaft! Eine ganz starke Leistung des Ensembles in dieser Szene!
Judas’ Death
…hat mich persönlich nicht ganz so begeistert. Obwohl Gino Emnes hier enorm körperlich spielt. Er windet sich wie in Krämpfen. Er muss Bilanz ziehen, er muss erkennen, dass nichts so gelaufen ist, wie er wollte.
I don’t know how he moves me
Auch er kann gar nicht mehr nachvollziehen, wie er plötzlich zur Schachfigur geworden ist. Wie Jesus ihn an diese Position gebracht hat.
Hat er noch in seinem ersten Satz gesungen:
My mind is clearer now,
schütteln ihn jetzt körperliche Schmerzen, während er begreift
My mind is in darkness now
Dafür, für diese großen Bögen, liebe ich diese Musical so sehr.
Er, der Verantwortung übernehmen wollte, der als einziger mit Jesus reflektieren wollte, findet in der Dunkelheit keinen Ausweg mehr.
Trial Before Pilate
Wunderbar hat man für Trial before pilate den Ortswechsel ins Raimund auf die Reihe gekriegt. War im Ronacher ja das Loch im Boden mit dem Aufzug, musste im Raimund die Tatsache, das nach Judas Tod Jesus plötzlich in der Mitte der Bühne liegt, anders gelöst werden. Sehr sinnig und für alle, die es noch anschauen werden, ein schönes Suchspiel. Der schwarz gekleidete Chor betritt die Bühne und stellt sich in der Mitte auf.
Poor old Judas
Auch Drew kommt hier im schwarzen Mantel und Hut auf die Bühne, beides wird ihm abgenommen und er kauert sich auf dem Boden zusammen, alles verdeckt vom Chor. Erst dann geben die Sänger den Blick auf Jesus frei:
Im orangefarbenen Sträflingsoverall und vor dem Körper gefesselten Händen. Und: Mein Gott, was Make-up mit dem Zuschauer anstellen kann…
Es reichte ein Blick auf sein Gesicht und es war vorbei mit der Contenance. Die blutende Kopfwunde ist grausam. Aber dazu lassen Maskenbildner ihm das Blut aus der Nase und vor allem aus dem Ohr laufen.
Sein ganzer Körper zittert und krampft vor Schmerz, Erschöpfung und Angst.
Es war letztes Jahr schon so und dieses Jahr ist es nicht anders gewesen: Hier beginnen die Tränen zu laufen. Es sieht unmenschlich aus, dieses Bild lässt wirklich niemand kalt.
Filippo Strocchi ist dem Nervenkostüm auch überhaupt nicht dienlich, denn er macht einfach das, was wir alle gerne machen würden: Er verteidigt ihn. Vor ihm liegt ein Häufchen Elend, ein geschundener, gefolterter Mensch, von dem er weiß, dass der nix falsches gemacht hat. In Pilatus Augen sind schon die anderen die Bekloppten, wenn die so ein Aufhebens um so einen in seinen Augen harmlosen Menschen machen. Filippo hängt sich wirklich rein. Er lässt sich noch dazu hinreißen, Jesus als verrückt zu bezeichnen. Super gespielt, wie er das
I agree he’s… mad“
hervorstößt. Das mad so tief aus der rauhen Kehle. Großes Kino!
Pilatus will der Menge nicht nachgeben. Aber sie treibt ihn vor sich her. Die Menge, die Politik, die Priester:
We need him crucified that’s all you have to do
Mit derselben Tonfolge, mit der die Menge Jesus vorhin Hosanna Superstar gefeiert hat, wendet sie sich jetzt gegen ihn:
We need him crucified. it’s all you have to do
Alle gegen Jesus, und Pilatus soll das unterschreiben. In höchster Not lässt er sich darauf ein, Jesus zu geißeln.
Über die 39 Schläge kann man nur schwer schreiben. Muss man aber. Es ist so selten, dass das so explizit gezeigt wird. Das traut man sich nicht oft. Unverdeckt durchs Ensemble, erhöht in der Mitte der Bühne und erschreckend echt geschminkt ist das so unglaublich erschütternd. Das setzt Emotionen in einem frei, die einen so wild überrollen. Ich hab da so gut wie keine Kontrolle mehr über mich. Drew leidet, schreit, zuckt, versucht, dem Schmerz nicht nachzugeben, versucht, die Kontrolle zu behalten. Man hat das Gefühl, man kriegt diese Schläge selber ab. Drew kämpft als Jesus 39 Schläge lang gegen den Schmerz um seine Würde und sein Leben. Genauso kämpft der Zuschauer, da heil durchzukommen. Insofern bin ich vollkommen hin- und hergerissen zwischen bitte nicht und bitte doch, denn so was erlebt man sonst einfach nicht.
Bei aller schauspielerischen Gewalt, die Drew über uns auskübelt darf man Filippo Strocchis großartiges Spiel nicht übersehe, während er die 39 Schläge zählt. Sichtlich unruhiger werdend und abgestoßen von der überflüssigen Aktion und der Sympathie für Jesus lockert er Krawatte, entledigt sich seines Sakkos, verzieht die Miene, als er immer wieder zu Jesus blickt. Hier ist ein Machthaber zu sehen, der hier die negativen Folgen seiner Verantwortung vor Augen geführt bekommt.
Drew Sarich und Filippo Strocchi sind im Zusammenspiel einfach unglaublich. Pilatus will Jesus unbedingt ein paar Worte entlocken. Die Worte. Die Worte, die es ihm erlauben, Jesus freizusprechen. Dann hätte er die Verantwortung los: Bitte red’ halt. Dann hau ich dich raus.
Pilatus bittet tatsächlich. Beruhigend, eindringlich redet er auf Jesus ein und versucht dann zu verstehen, was Jesus sagt. Er hört zu, nimmt auf, nimmt wahr und versteht doch nicht. Filippos Mienenspiel ist unglaublich. Wie er krampfhaft versucht, die Bedeutung Jesu Worte zu ergründen. In absolut ehrlicher Absicht spricht er aus, was er zu bieten bereit ist:
How can I help you?
Das kommt so warm und tröstend. Eindringlich. Aber Jesus nimmt dieses Geschenk nicht an. Er steht auf und erhebt sich über Pilatus, der entsetzt einsehen muss, dass Jesus wirklich bis zum Äußersten gehen wird. Die Verzweiflung Pilatus ist so greifbar, bis er schließlich aufgibt. Urteil: Tod durch Kreuzigung.
Superstar
Ihr müsst an dieser Stelle entschuldigen, dass ich über Superstar meist keine genauen Wahrnehmungen meinerseits verbreiten kann. Ich höre das Lied, aber ich nehme dabei einfach so gut wie nichts wahr. Mein Denken, mein Fühlen, alles an und in mir ist dermaßen überfordert, dass ich mich erstmal sortieren muss. Für mich ist das oft –zumindest in solch aufwühlenden Produktionen – mein persönliches Atmenholen vor dem grausamen Finale.
Crucifixion
Durch die Dornenkrone, die mit Blutschwämmchen bestückt ist (danke an Florian Resetarits für das Instagram Takeover vom 18.4., war sehr aufschlussreich!), ist die Kreuzigung auch dieses Jahr eine blutige Angelegenheit. Und überaus eindringlich, denn Drew atmet laut und abgehackt. Er kämpft gegen den überrollenden Schmerz und diesen Kampf kann Drew in jeder Bewegung, in jedem Atemholen und in jedem Wort deutlich machen.
Die Worte, die er am Kreuz spricht, sind so grundlegend unterschiedlich.
Die Bitte um Vergebung für die, die ihn ans Kreuz schlagen.
Dann sucht er nach seiner Mutter. Kleiner Exkurs, weil wir in einer Facebook-Gruppe darauf zu sprechen kamen:
Er sagt tatsächlich:
„Who is my mother?
Where is my mother?“
Und Drew weiß es auch, rüberzubringen, wieso:
Zunächst sucht er eine Mutter unter den Umstehenden. Wer von euch ist meine Mutter? Und erst, als er sie nicht ausfindig machen kann, ruft er Wo ist meine Mutter?
My god, my god, why have you forgotten me!
Dabei schluchzt er laut weinend in sich hinein.
Der dreimalige Ruf nach Wasser:
I’m thirsty
…wird immer lauter, bei dritten Mal tönt es ohrenbetäubend.
It is finished.
Father, into your hands I commend my spirit.
Betont klar im letzten Aufbäumen: Alles streckt sich, Mund und Augen reißt er weit auf, verharrt so kurz und erschlafft dann.
John 19,41
Wie im letzten Jahr wird Jesus von den Jüngern vom Kreuz abgenommen und Maria in die Arme gelegt. Daraufhin wird ein weißes Tuch gespannt bis weit nach oben, hinter dem Jesus verschwindet. auf dieses Tuch wird das Bildnis des sogenannten Turiner Grabtuches projiziert. Darunter steht nur noch Maria Magdalena. Eine Verbeugung vor der Frau, der sich Jesus verantwortet hat.
Totenstille vor dem donnernden Applaus.
Darsteller
Jesus: Drew Sarich

Drew ist verwachsen mit dieser Rolle. Er sagt selber, er kennt es in- und auswendig. Und das ist mit Sicherheit nicht nur auf die Noten bezogen. Er hat diese Geschichte in allen Facetten inhaliert und verstanden. Er weiß, wo man welche Schwerpunkte setzen kann und wie sie wirken. Er kann das 100 Mal spielen und brächte es fertig, dass man es jedes Mal anders empfindet. Egal, welche Facetten man von ihm sehen will, er kann sie nach außen kehren. Ich bin mir sicher, dass ich nie mehr jemanden sehen werde, dem das mit einem Stück so gelingt.
Er erzählt diese Geschichte so rund, so lebensnah, so einzigartig und so körperlich. Er zieht dich mit rein, er lässt dich Jesus Empfindungen nachvollziehen. Das, was man da als Zuschauer macht, wenn Drew auf der Bühne steht, ist viel mehr als nur Musical-Schauen. Das ist für den Zuschauer genauso inspirierend, fordernd, anstrengend und erschöpfend als würde man mittendrin sein. Er kann die Menschen mit seiner Art begeistern, er hat Charisma, er sieht unverschämt gut aus. Er nimmt dich mit und du kannst nur sehen, hören und staunen.
Es ist ein Genuss, wenn diese göttliche Stimme ins Ohr dringt. Da bleibt sie aber nicht. Die überzieht dich, deinen ganzen Körper mit Gänsehaut. Sie dringt noch tiefer und berührt Dinge in dir, an die du im normalen Alltag gar nicht kommst. Manche Menschen müssen dazu meditieren, um so eine tiefe Verbindung zum Unterbewusstsein zu bekommen, zu den tiefen, unverstellten Gefühlen, die aufkommen, wenn Drew Sarich den Jesus singt. Er ist und bleibt ein Phänomen, eine Koryphäe. Einzigartig, vollkommen außergewöhnlich.
Simply the best.
Judas: Gino Emnes

Tja, also das ist jetzt ein klein wenig schwierig. Ich mag Gino Emnes. Ich habe auch das Gefühl, dass er mit Drew wunderbar harmoniert. Und er hat auch keinen Fehler gemacht. Aber… er hat für mich der Rolle nicht seinen eigenen Stempel aufgedrückt. Da war wenig, was ich interessant fand, was ich über ihn herausfinden wollte.
Er einen schöne Stimme, deren Volumen mir aber gerade in den Höhen für dieses Stück nicht ausreichte. Heaven on their minds war jedesmal ein wirklich guter Auftakt. Danach ließ er nach. Am Montag lag es wohl am 2. Rang, dass man bei Superstar gar nichts mehr von ihm gehört hat. Das war in den darauffolgenden Shows besser. Das fehlende Volumen ist unter anderen Umständen möglicherweise weniger auffallend. Hier aber hat man dieses so hohe Stück und dann noch den mit Urgewalt in höchsten Höhen schreienden Drew Sarich. Gino Emnes war für mich ein passabler Judas, der möglicherweise in Rolle und Stück erst noch reinwachsen müsste, sich ein wenig freispielen müsste.
Maria Magdalena: Sandy Mölling

Ich hatte mit den No Angels nie viel am Hut (also eher gar nichts) und wusste nichts über Sandy Mölling. Trotzdem macht sich die übliche Skepsis breit, wenn man im Musical jemanden vorgesetzt bekommt, der Musical nicht als Beruf macht.
Sandy Mölling hat eine Wahnsinnsstimme. Schon am ersten Abend war ich davon überzeugt. Sie hat die Stimme, das Volumen, das Timbre. Wirklich, da passte alles. Hat mir ausnehmend gut gefallen.
Im Schauspiel war sie ziemlich zurückhaltend. Am Montag Abend war ich eher enttäuscht, wobei ich zugeben muss, dass sie sich gesteigert hat. Die fehlende Erfahrung ist hier wohl das limitierende Element, Talent hat sie.
Am Mittwoch hat sie dann auch in ihr I don’t know how to love him einiges am Emotion reingebracht. Und wie bereits oben erwähnt, fand ich Could we start again please außergewöhnlich und Frau Mölling darin richtig, richtig gut.
Pilatus: Filippo Strocchi

Furioso! Perfetto! Bravo!
Filippo Strocchi war letztes Jahr genial, diese Jahr brillant. Er hat seine Rolle total verinnerlicht. Er spielt mit den Augen, dem Mund.
Er setzt gekonnte klitzekleine Pausen, um einen Satz wirken zu lassen.
I asked… again…
Er spielt mit der Stimme:
You Look so small
und das small hat er so betont, wie wenn man über kleine Kinder spricht.
Er kann so lässig sein und schafft es danach, gehetzt und in die enge getrieben zu wirken. Er macht aus diesem winzigen Pilates dream schon ein gekonntes Highlight. Mit Drew zusammen gab er ein wesentlich perfekteres Team ab als mit Gino mit Drew.
Filippo Strocchi hat begeistert von der ersten bis zur letzten Sekunde.
Priester
- Kaiaphas: Dennis Kozeluh
- Annas: Alex Snova
- Priester 1: Gerben Grimmius
- Priester 2: Florian Resetarits
- Priester 3: Timo Verse
Ich mag Dennis Kozeluh. Ich mag seine Art und seine Stimme. Er passt für mich perfekt in die Rolle des obersten Hohepriesters. Er hat den Habitus, das Alter, das Auftreten.
(Kleiner Exkurs: Jesus Christ Superstar leistet sich da einen Fehler: Korrekterweise müsste Kaiphas der Jüngere sein, und Annas der Ältere. Kaiaphas ist nämlich eigentlich der Schwiegersohn des Annas.)
Dennis Konzeluh braucht keine Schnörkel und kein Drumherum. Er und seine Stimme wirken für sich. Siehe Foto!

Da tat ich mir mit Alex Snova deutlich schwieriger. Mit seinem Gesang kam ich nicht zurecht. Er hat versucht, die hohen Stellen, an denen man die Hinterhältigkeit, die Verschlagenheit des Annas erkennt (Annas ist die treibende Kraft hinter der Verschwörung, nicht Kaiaphas. Der ist nur qua Amtes der Chef in dieser Sache!) deutlich zu machen. Das hat er aber nicht immer – zu selten – geschafft. Stellenweise hat er dann doch tief gesungen und irgendwie war mir das ganze viel zu unrund.
Die anderen drei Priester waren super. Ich mag die Stimme von Florian Resetarits, seine ruhige Entschlossenheit. Ich mag Gerben Grimmius eher forsches Vorantreiben und ich mag Timo Verses gesangliches Vermögen. Ich persönlich hätte Timo Verse und Alex Snova vertauscht besetzt.
Peter: Christopher Dederichs

Petrus ist in meinen Augen einfach eine undankbare Rolle. Er ist da, hat aber so gut wie keine Möglichkeit, sich hervorzutun und muss dann noch Jesus verraten. Dachte ich bis jetzt. Christopher Dederichs hat mich da eines besseren belehrt.
Der tut sich nämlich schon hervor, aber hallo. Petrus ist der Mann, auf den Jesus seine Kirche baut. Der verlässliche, der Fels. Christopher Dederichs ist hier einer, auf den die Inszenierung baut. Der Mann war immer in Bewegung, hat die Jünger zusammengehalten, beruhigt, Begeisterung kanalisiert. Er war quasi operativer Geschäftsführer. Genau auf den kann sich Jesus verlassen. Das ist mir so noch nie aufgefallen.
Could we start again please zusammen mit Maria war so harmonisch, so schön, und nicht zuletzt durch sein ganzes Spiel vorher so eindringlich in der Message.
Abseits seiner Solostellen ist er ein Hammer-Ensemble-Mitglied, egal ob stimmlich oder tänzerisch. Der Moment, wenn du in Reihe 1 Mitte sitzt und er mit Sonnenbrille und in Gold gewandet während der Tempelnummer wie eine Katze auf die zu kriecht… Ich mag Christopher Dederichs!
Simon: David Rodriguez-Yanez

David Rodriguez-Yanez hat mir vor zwei Jahren schon so gut gefallen als Simon. Ebenso wie Peter ist er eine Stütze der Jünger und deshalb für das ganze Ensemble. Er hat ein Solo und das bringt er temperamentvoll und gesanglich super. Genial war das Zusammenspiel mit Peter. Als hätten sie sich verschworen, gemeinsam auf Judas aufzupassen, waren sie immer dabei, genau diesen zu besänftigen, diplomatisch zu sein, keinen Streit aufkommen zu lassen beziehungsweise Gemüter abzukühlen.
Aber der kann auch anders: Böse kann der schauen! Schon als Jesus voraussagt, dass Peter ihn veleugnen wird. Wenn Blicke töten könnten… Und als er es dann tut: so ein wütendes Entsetzen. Ich bin vollauf zufrieden mit dieser Leistung!
Orchester
Das beste kommt zum Schluss! Wenn du in den Theatersaal kommst und du zählst aus dem Rang mal an die 40 (!) Musiker, dass weißt du, du hast alles richtig gemacht mit deiner Entscheidung. Gratulation, Kompliment und Dank gehen hier in verschärfter Form an die Vereinigten Bühnen Wien.
In Zeiten, in denen in manchen Musical-Häusern gerade mal 8 Musiker sitzen und ansonsten alles elektronisch dazu gemischt wird, ist das eine Wohltat und ein Statement, dem Fans auch von weit her mittlerweile folgen. Diese phantastischen Musiker haben es verdient, auch einmal auf der Bühne zu sitzen.

Es ist eine Wohltat und überdies hochspannend zu sehen, was dieses Orchester (Konzertmeisterin Aleksandra Stojiljkovic) unter Leitung von Carsten Paap zu leisten vermag.

Und natürlich muss auch die Band genannt werden. Der Schlagzeuger hat mich tief beeindruckt: Christian Ziegelwanger.

Ich bin jetzt nicht so sehr Schlagwerk-affin und ich weiß nicht, wie er das gemacht hat, aber er hat mich bei seinen Solostellen jedesmal quasi bis ins Herz getroffen.
Eine coole Socke ist auch Gitarrist Harry Peller, der das Anfangs-Gitarren-Solo spielte.

Und coolste Soundcheck-Bestätigung zum Mischpult mit Metalfaust von Marcus Pristernik.
Fazit
Ich liebe Jesus Christ Superstar. Es ist das Musical, das ich am besten kenne und das ich am meisten gesehen habe. Und trotzdem überrascht es mich immer wieder. Man kann so viele unterschiedliche Schwerpunkte setzen, die Bögen anders spannen. Regisseur Alex Balga und seinen Darstellern ist es gelungen, mit einer fast baugleichen Inszenierung ein vollkommen anderes Musicalerlebnis als letztes Jahr zu kreieren. eine Meisterleistung.
Wie jedes Jahr entsteht da bei mir der brennende Wunsch nach einer DVD. Diese großartigen Schauspieler machen diese ohnehin besondere Geschichte zu etwas, was du in der Gesamtheit gar nicht zu fassen in der Lage bist. Auch nicht nach dreimaligem Anschauen. Bitte, bitte mehr davon!
Alle Fotos: Dr. Joachim Schlosser Fotografie (Instagram @joachimschlosser)
Leider wird es immer nur ein Wunschdenke bleiben…nach einer DVD….Leider leider
Ich fürchte auch, wollte es aber unbedingt erwähnt haben!
Wieder so toll geschrieben! Danke! Dazu muss ich auch noch meine persönlichen Lieblingsmomente erwähnen: Dieser kurze Augenblick bevor Heaven on their Minds beginnt und Drew kurz innehält und die Augen schließt: so, jetzt geht es los.
Herzzerreißend finde ich auch die geflüsterten Stoßgebete bevor er abgeführt wird und vor der Geißelung. Das bricht mir das Herz.
Danke, Tanja! In der Tat, die Gebete sind wirklich immer herzzerreißend. Vor allem vor der Geißelung. Da schüttelts mich gleich jetzt wieder, wenn ich dran denke!
Danke für deine geschriebene Interpretation von JCS. Ich habe die Aufführung am 18.4. von der 1. Reihe aus gesehen und ja es ist genau so, wie du es beschreibst. Aus Drew wird Jesus und ich als Zuschauerin wurde zu einem Ensemblemitglied, mal zu Maria Magdalena, dann wieder zu einem Jünger Jesu. Es gibt kein Musical, das dieses Gänsehautgefühl erzeugt, das mich so mitleben lässt, mich so in seinen Bann zieht, dermaßen berührt und mir die Tränen kullern lässt.
Eine DVD wird leider wunschdenken bleiben.
Danke, Elvira! Ich sehe, wir verstehen uns.. 🤗