Les Miserables ist so erfolgreich, dass es seit 1985 ununterbrochen aufgeführt wird. Die Lebensgeschichte des ehemaligen Häftlings Jean Valjean ist beeindruckend dramatisch und wuchtig. Die momentan in London im Gielgud Theatre aufgeführte Version in konzertanter Form bildet das glänzend ab: Phänomenal gespielt und gesungen von einer außergewöhnlichen Cast, garniert mit überragender Tontechnik, findet hier ein Jahrhundert-Ereignis statt. Ich war niemals nach einem Musical-Besuch so überwältigt.
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Die Vorgeschichte
Diese Rezension hat folgende Vorgeschichte: Ich leide unter etwas, das sich Flugangst nennt. Flugangst ist aber ein Euphemismus. So wird es wohl allgemein hin genannt, meine Ausprägung davon würde ich eher als Flugpanik beschreiben. Ich habe 17 Jahre keinen Fuß mehr in ein Flugzeug gesetzt, ich kann es einfach nicht. Dann kam ein Samstag April, an dem ich einen runden Geburtstag feiern durfte. Zu diesem Anlass gab eine geile Party, an deren Ende mir Der Mann sein Geschenk überreichte:
Karten für Les Miserables in Concert im Gielgud Theatre in London. Der Mann weiß, wie sehr ich Les Mis liebe und Der Mann weiß auch, dass es für mich nur einen Jean Valjean gibt: Alfie Boe. (Für treue Leser meines Blogs sei angemerkt: Ich ziehe in diesem einzigen Fall tatsächlich Alfie Boe Drew Sarich vor!).
So kam es, dass ich am Montag, den 12. August tatsächlich ein Flugzeug bestieg. Meine Kinder wollten schon immer, dass ich mit ihnen in den Urlaub fliege, Der Mann wollte mit mir schon immer irgendwohin fliegen. Mich tatsächlich in die Luft gebracht hat einzig und allein Alfie Boe. Und wie ihr unschwer erkennen könnt: Ich habe es überlebt, wenn es auch mental und körperlich (jaja, das Adrenalin) echt anstrengend war.
Und, das nehme ich vorweg: Es hat sich gelohnt. Mehr als das.

Les Miserables konzertant
The world longest running musical ging eben erst wegen Renovierungsarbeiten in die Pause, um am 18. Dezember dieses Jahr mit einigen Neuerungen in der Inszenierung wiederzueröffnen. Um aber den longest run nicht zu ruinieren, wird es in der Zwischenzeit in konzertanter Form im Gielgud Theatre präsentiert. Konzertant heißt also, keine vollständige Bühnenfassung mit Requisiten und raumgreifendem Spiel. Dazu wäre auch kein Platz, denn in konzertanten Fassungen nimmt das Orchester auf der Bühne Platz. Die Sänger singen in vorderster Reihe an Stehmikrofonen, sind aber auch zusätzlich über Headsets verstärkt. Es gibt Kostüme und geplante Auf- und Abgänge. Dabei ist der Begriff „konzertante Fassung“ schon sehr dehnbar. Das geht vom reinen Konzert bis hin zu Fassungen wie die Jesus Christ Superstar-Versionen in Wien, bei denen man eigentlich nicht mehr so richtig erkennt, warum das jetzt „konzertant“ heißt.
Bühne
Bei Les Miserables Staged Concert 2019 hat man die goldene Mitte gefunden.
Im Hintergrund sitzt das Orchester erhöht vor einer bühnenüberspannenden Leinwand, auf die Hintergrundbilder projiziert werden. Mittig unterhalb des Orchesters können die Darsteller quasi durch einen Tunnel auf die Bühne kommen. Auf der Ebene darüber, noch vor dem Orchester, nimmt immer wieder das Ensemble Platz. Die dorthin führenden Treppen werden ebenfalls dazu genutzt.
Zu Beginn ist der Blick auf die Bühne noch durch zwei Traversen verbaut, an denen die Scheinwerfer angebracht sind. Diese werden während der Ouvertüre nach oben gezogen (so auch in der Jubiläumskonzert-Version zu sehen..)

Ich persönlich schätze die konzertanten Fassung sehr. Es ist Musical pur. Man konzentriert sich auf das Wesentliche und ich habe bisher wirklich ausschließlich gelungene konzertante Fassungen von Musicals gesehen.
Zugpferde
Zugpferde dieser Les-Mis-Konzerte sind hauptsächlich die beiden prominenten Besetzungen der Hauptrollen Jean Valjean und seines Gegenspielers Javert: Alfie Boe und sein Best Buddy Michael Ball. Boes Valejan-Stern stieg im Jahr 2010 hell leuchtend am Musicalhimmel auf, als er eben jene Titelrolle beim Konzert zum 25jährigen Jubiläum der Show in der o2-Arena sang. Michael Balls Geschichte weist schon sehr viel früher einen Berührungspunkt mit dem Erfolgsmusical auf: Er gehörte zur Cast der Uraufführung, damals noch in der Rolle des Marius Pontmercy.

Das, was einen schon im Vorfeld sprachlos macht, ist die Besetzung der anderen Rollen, die auch in Nebenrollen echte Hochkaräter aufweist: So wird beispielsweise der Bischof von Digne von keinem geringeren als Simon Bowman (ebenfalls schon als Valjean unterwegs…) oder die kleine Rolle des Bamatabois von Earl Carpenter gesungen. Carrie Hope Fletcher als Fantine lässt ebenfalls das Herz des Musical-Liebhabers hüpfen.

Ich kenne das Jubiläumskonzert aus der o2-Arena von der feinen Konzert-DVD/BlueRay und habe ähnliches erwartet. Aufgeregt wie ein Kind an Weihnachten machten wir uns auf den Weg in das ausverkaufte Haus und nahmen (hach, Der Mann…!) in der zweiten Reihe Platz.
Les Miserables – Die Geschichte
Die Romanvorlage von Victor Hugo ist ein Bestseller mit weit über 1000 Seiten. Ich habe es vor Jahren gelesen. An dieser Stelle möchte ich das auch euch empfehlen. Es ist wahrlich eine große Geschichte, die da aufgeschrieben wurde. Für das Musical wurde sie deutlich komprimiert.
Und das ist etwas, was mich wirklich fasziniert: Wie die Autoren aus diesem monumentalen Werk ein Musical gebaut haben, das so viel kürzer, aber immer noch genauso monumental ist. Ich meine, wie macht man das? Woher weiß man, was man weglassen kann, wo ich den Schwerpunkt setze, welche Stellen ich verändern muss, dass es auf einer Bühne funktioniert? Wenn ich länger darüber nachdenke, wird die Begeisterung für dieses Meisterstück nur noch größer.

Hier sei die Handlung des Musicals kurz zusammenfasst:
Im Jahr 1815 wird Jean Valjean nach 19 Jahren Straflager durch Inspektor Javert aus der Haft entlassen. Der Versuch, nach der Entlassung ein ehrbares Leben zu führen, scheitert zunächst. Valjean bestiehlt daraufhin dem ihm zugetanen Bischof von Digne. Als er dabei gefasst wird, lügt eben jener Bischof für ihn, damit Valjean nicht bestraft wird und legt ihm ans Herz, um Gottes Willen ein anständiger Mensch zu werden. Dann lässt er ihn mitsamt dem Diebesgut ziehen.
Acht Jahre später hat Valjean seine Bewährungsauflagen gebrochen und ist unter falscher Identität Besitzer einer Fabrik, Bürgermeister und Wohltäter. Einer seiner Angestellten, Fantine, wird deren Geheimnis entlockt: Sie hat ein uneheliches Kind – Cosette – und dieses bei einem Wirt gegen Bezahlung untergebracht. Da sie diese Nachricht verheimlicht hat, wird sie aufgrund der Lüge gefeuert. Daraufhin ist sie mittellos, verkauft Hab und Gut und schließlich sich selbst. Valjean lässt sie, als er von ihrer Geschichte erfährt, in ein Krankenhaus bringen. Dort verspricht er ihr vor ihrem Tod, sich ihres Kindes anzunehmen.
Mittlerweile hat Inspektor Javert den Fabrikbesitzer als Jean Valjean identifiziert und will ihn an Fantines Totenbett verhaften, Valjean aber kann fliehen. Er holt Cosette aus der Obhut der Wirtsleute Thenadier, die nur auf das Geld von Fantine aus waren und das Kind schlecht behandelt hatten und nimmt sie als seine Tochter an.
Wiederum neun Jahre später setzt sich die Geschichte fort inmitten sozialer Spannungen: Eine Gruppe engagierter Studenten unter der Führung von Enjolras möchte weitere Mitglieder für einen revolutionären Kampf gewinnen gegen die von der Politik geduldeten sozialen Ungerechtigkeiten der Zeit.

Die mittlerweile erwachsene Cosette verliebt sich in Marius, der eben jener Gruppe angehört. Diese hat in den Straßen von Paris eine Barrikade errichtet. Während des Kampfes schleicht sich bei den Studenten Inspektor Javert als Spitzel ein, wird aber sogleich erkannt und festgehalten. Auch Valjean reiht sich in die Bürgerarmee mit ein. Er möchte ein Auge auf Marius haben, von dem er mittlerweile weiß, dass er in Cosette verliebt ist. Im Laufe des Kampfes kommt es dazu, dass Valjean die Möglichkeit erhält, seinen ewigen Widersacher Javert zu töten. Stattdessen lässt er ihn frei. Beim finalen Kampf fallen alle Studenten mit Ausnahme von Marius. Valjean bringt den Bewusstlosen durch die unterirdischen Kanäle in Sicherheit.
Dort trifft er ein letztes Mal auf Javert, der sich vom edlen Gemüt Valjeans beeinflussen und ihn laufen lässt. Da er sich und seine Prinzipien von Recht, Gerechtigkeit und Moral durch Valjean zum Scheitern gebracht sieht, bringt er sich selbst um.
Auf der Hochzeit von Marius und Cosette erfährt Marius schließlich, dass Valjean es war, der ihn von den Barrikaden gerettet hat. Valjean beichtet der ahnungslosen Cosette und Marius die Lügen seines Lebens, er konfrontiert die beiden mit seiner und damit auch Cosettes Vergangenheit. In einem versöhnenden Moment erklärt er sein Handeln mit der Liebe und Fürsorge für sie. Cosette ist bei ihm, als Valjean stirbt.
Die Geschichte ist tragisch und schwer. Und lang. Für eine kurze Wiedergabe deutlich zu verschachtelt und kompliziert. Aber sie ist überaus ergreifend.
Mir gefällt, dass die Geschichte einen großen Bogen spannt und sich bemüht, das ganze Leben eines Mannes bis zu seinem Tod abzubilden. Dabei setzt sie mehrere Schwerpunkte:
Zum einen geht es um den Charakter Valjeans, der vor dem Hintergrund der verschiedenen menschlichen Beziehungen entfaltet wird. Da ist die Begegnung mit dem Bischof, die Valjean bis ins Innerste berührt und in ihm Demut, Liebe und Sorge für die anderen aufblühen lässt. Die Sorge um Fantine und deren Kind, dass er annimmt wie sein eigenes, ist Zeichen dafür. Aber auch die Tatsache, dass er sich für einen namenlosen Gefangen opfern würde, anstatt sich zu verleugnen (Who am I), zeichnen ihn als erhabene Seele. Durch die Auseinandersetzung mit Inspektor Javert gelangt er dabei aber durchaus an seine Grenzen.
Die Lebensgeschichte dieses Mannes wird bis zu seinem Tod mit all seiner Liebe und Tragik auserzählt. Über Marius’ Liebe zu Cosette kommt mit der studentischen Revolution nicht nur eine große Portion Zeitgeist, sondern ein weiterer in sich geschlossener dramatischer Handlungsstrang dazu. Ein individuelles Schicksal, eingebettet in einen gesellschaftlichen Kontext, der das Schicksal einer ganzen Gruppe zeigt.
Les Miserables – Die Musik
Was das Musical aber über die reine Geschichte hinaus zu einem Phänomen macht, ist die Musik. Die ist, ebenso wie die ganze Geschichte, einfach monumental und wuchtig. Man kann sich nicht einfach darunter weg ducken. Die Musik kommt, sie überrollt dich. Das ist, als wenn du im Meer stehst und übermannshohe Wellen rauschen über dich hinweg.
Schon der Auftakt der Ouvertüre zeigt dem Zuhörer die Marschrichtung der nächsten drei Stunde auf. Gewaltig schon im ersten dröhnenden Intervall mit allem zur Verfügung stehenden Blech.
Les Miserables hat geniale Solostücke. Aber das tollste für mich sind die Chorpartituren. Claude-Michel Schönberg schöpft aus dem vollen und bieten alles auf: Männerchor (Chain gang), Frauenchor (Fabrikarbeiterinnen), Gesamtchor.

Diese Stücke sind überaus gewaltig. Und so sind sie auch arrangiert. Blechbläser wie Trompeten und Posaunen geben dem Ganzen Stück etwas Erhabenes, aber auch etwas dramatisch treibendes. Dann wieder perlen die Melodien ganz sanft mit leichter Harfe. One day more ist ein so erhabenes Meisterwerk und in meinen Augen als Chorstück vollkommen.
Geniale Kombinationen
Ich bin ja der bekennende Bogen-Fan. Das heißt, ich liebe es, wenn sich Themen aus der Musik später wiederfinden und so einen Kreis schließen. Das passiert in guten Musicals oft, hier in Les Mis ständig. Ich gebe euch ein paar Beispiele.
Auftakt
Zu Beginn hören wir die Chain Gang mit Look Down. Das ist der Auftakt der Geschichte 1815, es ist der Auftakt der Geschichte des Jean Valjean. Dieses wuchtige Thema mit der dröhnenden Quart zu Beginn wird aber auch benutzt als Auftakt des zweiten Handlungsstranges um die sozialen Ungerechtigkeiten, die zur Studentenrevolte führen. Beide Male wird es von denen gesungen, die in der Situation die Geknechteten sind.
Soliloquy
Der Prolog schließt mit Valjeans erstem Solo: Soliloquy. Dort reflektiert er gequält seine Situation, sortiert sich neu und bestimmt für sich und sein Leben eine neue Richtung.
I am reaching, but I fall
And the night is closing in
As I stare into the void
To the whirlpool of my sinI’ll escape now from that world
From the world of Jean Valjean
Jean Valjean is nothing now
Another story must begin
Javerts letztes Solo heißt ebenfalls so. Auch er geht in sich, auch ihn quält die Situation, wie sie sich ihm jetzt darstellt. Auch er kommt ins Reine mit sich selbst und bringt sich in letzter Konsequenz um.
I am reaching, but I fall
And the stars are black and cold
As I stare into the void
Of a world that cannot holdI’ll escape now from that world
From the world of Jean Valjean
There is nowhere I can turn
There is no way to go on!
Who am I
Valjeans Who Am I ist ebenfalls eine Reflexion seiner selbst. Wer ist er jetzt wirklich? Wie sehr prägt ihn die Vergangenheit? Ist er immer noch Straftäter? Hat er sich verändert oder nur seine Identität? Inwieweit darf er sich verleugnen? Valjean gibt sich in diesem Lied zu erkennen.
Vor der Pause dann steigt mit dem Beginn dieser Melodie das große Finale: One day more. Das gerät zum Who am I aller an der Geschichte Beteiligten: alle geben mit ihren Hoffnungen für den nächsten Tag ihr Inneres preis und stimmen – ineinander überlaufend, nebeneinander stehend, ihre persönlichen musikalischen Themen an: Marius und Cosette, Eponine, Enjolras, Javert und sogar die Thenadiers erzählen, was sie ausmacht, auch am nächsten Tag: Who am I wird quasi zum Who are we? Das zunächst individuelle Schicksal Valjeans wird umhüllt und in Beziehung gesetzt zu seinem Umfeld.
Come to me
Fantine liegt sterbend im Krankenhaus und fantasiert davon, dass sie ihre Tochter sieht und diese zu Bett bringen will. Valjean bleibt in diesen letzten Minuten beruhigend und versöhnend an ihrer Seite.
Als am Ende des Stückes Valejan stirbt, taucht Fantine auf als Engel, als Fantasie und singt ebenfalls jene Melodie. Wieder geht es um die Versöhnung mit sich und dem eigenen Leben.
Mein Gott, das ist so schön, wie sich diese beiden so ähnlichen Seelen jeweils in ihren letzten Stunden stützen!
Do you hear the people sing/ Finale
Do you hear the people sing ist die perfekte Hymne der Unterdrückten und wird heute noch gern bei Demonstrationen gesungen. Aktuellstes Beispiel sind die Aufstände in Hongkong, denn:
It is the music of a people who will not be slaves again
Es geht darum, einzustehen für sich und die anderen, ein höheres Ziel zu verfolgen als das eigene Wohl und dafür zu kämpfen.
Am Ende im Finale tauchen schließlich alle wieder auf, auch die verstorbenen Charaktere. Das Lied des Volkes spannt da den Bogen von der Revolution weiter über das eigentliche Leben hinaus:
this is the music of the people who are climbing to the light
Auch hier geht es um die the wretched of the Earth, um die Geknechteten. Während des Lebens geht es ihnen um ein besseres Leben,
beyond the barricade is there a world you long to see
am Ende jenes Leben dann auf die ewige Freude:
even the darkest night will end and the sun will rise
So könnte ich noch stundenlang weitermachen, um all die wunderbare Komplexität des Musicals sichtbar zu machen. Aber das würde zu weit führen und abgesehen davon ist dieses Werk schon vielfach wissenschaftlich auseinander genommen worden.
Das Musical ist für mich ein Meisterwerk und in eben dieser Komplexität und Wucht eher vergleichbar mit einer Oper. Ich kenne niemanden, den es kalt lässt.
Les Miserables – Die Inszenierung
Sollte der geneigte Leser das Konzert zum 25jährigen Jubiläum der Show kennen (von der es übrigens eine exzellente DVD gibt!), dann hat er schon eine grobe Idee, wie die Staged Concerts inszeniert sind.
Was ich dort jetzt besonders mochte, ist die Tatsache, dass Ensemblemitglieder, die gerade „Pause“ haben, auf der Bühne sitzend verbleiben. Ganz bezaubernd fand ich das bei Earl Carpenter. Der spielt den blasierten Bamatabois, den Freier, dessentwegen Fantine in die Bredouille gerät. Nach dieser Episode setzt er sich zum übrigen Ensemble in seiner stocksteifen noblen Haltung und singt im Ensemble mit. Besonders spaßig gelingt das im Master of the House. Da „eskaliert“ er richtiggehend, indem er schunkelnderweise sogar seinen Spazierstock rhythmisch mitbewegt. Sehr liebevolles Detail, dass er da nicht aus der Rolle fällt.
Hauptsächlich singen die Akteure zum Publikum gerichtet, Interaktion untereinander findet kaum statt: Nur zum Beispiel, als Valjean Javert laufenlässt oder er Marius aus den Kanälen schleppt, wird das auch schauspielerisch gelöst. Trotzdem ist ein intensives Erleben der Geschichte möglich. Die Gestik und Mimik, die Haltung und nicht zuletzt die großartigen Variationen in den Stimmen lassen den Zuschauer trotzdem eintauchen in die Welt der Elenden.
Licht
Wenn schon diese beiden großen Traversen mit den Scheinwerfern zu Beginn die Sicht auf die Bühne versperren, wird klar, dass die Lichtinstallation gewaltig wird. Und das war sie auch. Unzählige Spot unterstützten zu jeder Zeit die Dramatik, gaben bisweilen auch eine Linie innerhalb des Stücks, an der man sich orientieren konnte: So wurde ein gleißend weißer Lichtstrahl immer auf die Person gerichtet, die gerade eben verstorben ist. Das berührt tief, bei jeder einzelnen, besonders aber, wenn unter dem Scheinwerfer die ganze Gruppe Studenten steht, über deren Tod Marius fast zerbricht.
Intensiv gelingt die Beleuchtung der verschiedenen Örtlichkeiten: Die grün schimmernden, ekelhaft anmutenden Kanäle, die schäbige Spelunke der Thenardiers, und natürlich das rote Feuerinferno beim Kampf auf den Barrikaden. Hut ab vor dieser meisterlichen Arbeit des Lichtdesigners!
Ton und Klang
An dieser Inszenierung ist einfach alles wuchtig, und bis hierhin hatten wir schon exzellentes Schauspiel, exzellente Musiker und Sänger, exzellentes Licht und Bühne. Die Wucht und Präzision der Tontechnik presst dich in den Sitz. Dies beginnt schon mit den markanten ersten zwei Tönen in der Ouvertüre von Les Miserables. Klänge wie von Fanfaren tönen glasklar durch das kleine Theater, alle Instrumente sind so sauber abgestimmt und gemischt, dass alle noch erkennbar bleiben.
Orchester und Gesang sind perfekt abgestimmt, so dass das Orchester den Gesang nicht überdeckt, aber doch wuchtig die Atmosphäre vorgibt. Durch den gesamten ersten Akt hält die Tontechnik dieses hohe Niveau, fein abgestimmte Soli und Duette, bei denen auch leise Nuancen des Gesangs sehr klar transportiert werden. Die schnellen Chor-Stücke wie At the End of the Day sind ebenso exzellent gehandhabt, alle Worte sind sauberst zu verstehen, was freilich auch der exzellenten Leistung des Chors zu verdanken ist. Zu Ende des ersten Akts bei One Day More steigert sich dies nochmal, mit den ineinandergreifenden Soli und Chorstellen zusammen mit einem Tutti des Orchesters. Hier ist nichts übersteuert, keinerlei Schwächen in der Klangqualität.

War die Ouvertüre schon wuchtig, übertrifft die Eröffnung des zweiten Akts dies noch. Dirigent Alfonso Casado Trigo betritt weit hinten die Bühne, geht auf den Platz, und schneller, viel schneller als erwartet legt das Orchester los, aber wie! Es ist nicht einfach Lautstärke, die die Tontechnik hier hochdreht, sondern die Intensität des Raumklangs, die Blechbläser, die Streicher, alles. Abermals drückt es mich in den Sitz, und da Les Mis ja nicht aus einzelne Liedern besteht, sondern immer mehrere dieser nahtlos zusammenfügt, lässt einen der Klang nicht mehr los.
Als das Feuergefecht auf den Barrikaden entbrennt, wird nicht einfach mit Percussion der Geschützdonner und die Gewehrsalven nachempfunden, sondern Audiosamples verwendet. Nicht nur, dass die Salven tatsächlich von hinten zu kommen scheinen, man kann auch die Projektile durch den Saal pfeifen hören, Querschläger sausen durch die Breite. Hier hat die Audio-Crew auch wieder in Sachen Raumklang ganze Arbeit geleistet. Und dann zünden sie die akustischen Kanonen und die Sitze vibrieren, beim Einschlag noch einmal. Das Musical erreicht an dieser Stelle durch die Lautstärke der Gewehrschüsse und des Kanonendonners, die dennoch dem Orchester Platz lassen, einen wahrhaftigen Höhepunkt.
Sound Design und Audiotechnik allein machen kein Musical, aber wie wir in der Vergangenheit schon festgestellt haben, kann dieses Gewerk ein sonst hervorragendes Werk ruinieren oder eben wie hier in Les Miserables noch exzellenter machen. Ich bin zutiefst beeindruckt von diesem Erlebnis. Hut ab vor der Crew unter Sound Designer Mick Potter!

Die Rollen und ihre Darsteller
Jean Valjean: Alfie Boe
Ich hab es bereits eingangs erwähnt: Für mich gibt es keine bessere Besetzung für die Partie des Jean Valjean als Alfie Boe.

Entscheidend für diesen Standpunkt sind natürlich erst mal die gesanglichen Qualitäten. Alfie Boe kommt von der Oper, seine Stimme ist eher klassisch ausgebildet (obwohl er wirklich alles singen kann…). Aber es macht ihn im großen Pool der Musicaldarsteller stimmlich zu etwas besonderem. Ich geb’s gern zu, mit Oper kenn ich mich nicht so aus, aber ich weiß, dass Opernsänger in der Regel nicht verstärkt singen. Die haben noch mal ein ganz anderes Volumen als die Musicalsänger. Ich möchte das nicht werten. Es ist nicht so, dass Opernsänger prinzipiell die besseren Sänger sind, oh nein. Aber für dieses monumentale Werk, dass ich vorher ja schon vom Charakter her eher in Richtung Oper verortet hätte, ist das genau das Quäntchen an Besonderheit, die es braucht, um absolut brillant zu erscheinen. Und Alfie Boes Stimme ist von Natur aus so rein, warm und voll. Das passt für mich perfekt zu Jean Valejan. Die hohen lang ausgehaltenen Schlusstöne sind für mich niemals Schlusstöne, sondern verheißen in ihrer Kraft und ihrer Schönheit noch viel mehr neues. Ich kann euch das gar nicht genau beschreiben. Es ist so, als wären die Ohren bis obenhin angefüllt mit Wärme.
Dazu kommt noch, dass Boe den Charakter des Valjean auch darstellerisch für mich genau trifft: Valjean ist zu Beginn 19 Jahre eingesperrt wegen des Diebstahls eines Brotes und diverser Fluchtversuche. Das Brot stahl er einst, um seinen Neffen vor dem Hungertod zu bewahren. Die Jahre im Gefängnis waren hart, haben ihn aber nicht gebrochen. Mehrmals wird seine unglaublich Kraft und Stärke erwähnt. Für mich geht es dabei aber um mehr als die physische Kraft, sondern auch um die mentale Stärke. Die brauchst du, um 19 Jahre Straflager zu überstehen.
Die Begegnung mit dem Bischof lässt ihn tiefe Demut empfinden und einen starken Glauben entwickeln. Dieser lässt sein Verantwortungsbewusstsein extrem reifen und das und seine mentalen Stärke tragen Valjean durch die Geschichte. Es fühlt sich an, als würde er einen Auftrag in höchster Loyalität ausführen. Und eigentlich tut er das ja auch:
You must use this precious silver
Bischof von Digne zu Valjean
To become an honest man
Der sowieso schon gute Valjean bekommt hier einen Auftrag, den er voller Dankbarkeit systematisch, reflektiert, kompromisslos und ernst umsetzt.
Gut, bescheiden, demütig. Liebend und sorgend, ernst und abwägend, würdevoll. Aber auch immer elegant und gesellschaftlich glatt.
So ist Valjean in meiner Wahrnehmung. Allzuoft habe ich schon sehr viel Aggressivität in der Darstellung eines Valjean gesehen. Die ist bei Boe nur an den Stellen vorhanden, an denen er sie tatsächlich benötigt (zu Javert: If I had to kill you know I’d do what must be done). Aber sie ist nicht grundlegender Teil seines Charakters. Und genau das ist es, was mir an Boes Art und Weise der Charakterzeichnung so gefällt.
Alfie Boe ist für mich Jean Valjean. Er bringt so viel Kraft und Ernsthaftigkeit mit in die Rolle, die Liebe und Sorge für die Seinen leuchtet . Es ist wie eine Aura, die Alfie Boe auf der Bühne umgibt.
Inspektor Javert: Michael Ball
Diese Besetzung hat mich insofern gewundert, als dass ich den eher extrovertierten lebenslustigen Michael Ball niemals mit dieser Rolle in Verbindung gebracht hätte. Dass er früher den Marius gespielt hat, macht das nicht besser.

Javert ist Polizist durch und durch. Sein ganzes Leben, seine Prinzipien, alles ist geradlinig und diesen folgt er treu. Ich mag Javert. Er ist nicht von Prinzip der Böse. Er macht seinen Job und den macht er – ebenso wie Valjean den seinen – bedingungslos gut. Er tut das, was gemacht werden muss und er steht mit jeder Faser seiner Körpers dahinter. So wie Valjean tief im Glauben an Gott verwurzelt ist, sich ihm quasi versprochen hat, so hat sich Javert ganz der Gerechtigkeit, dem Recht und der Moral versprochen. Er lebt das. Insofern ähneln sich beide Charaktere von der Motivation her schon sehr. Keiner macht vom Prinzip her etwas falsch und das macht die ganze Geschichte dramatisch.
Da hat mich Balls schauspielerische Interpretation nicht ganz abgeholt. Er hat seinen Javert zwischenzeitlich sehr auf persönlichen Rachegelüsten Valjean gegenüber aufgebaut. Das ist nicht meine Interpretation. Ich glaube nicht, dass Javert etwas gegen die Person Valejans hat. Eher so, als dass er dessen Treiben Einhalt gebieten muss, weil sonst einfach seine Ordnung nicht mehr stimmt.
Stars beschreibt das sehr gut:
And so it must be
For so it is written
On the doorway to paradise
That those who falter and those who fall
Must pay the price.
Für Javert ist das ein Gesetz, ein Gebot. Und er ist ausersehen, das auszuführen. Er schwört an dieser Stelle, dass er alles tun wird, um Valjean zu finden. Seine Motivation nimmt er aber nicht aus dem Hass auf Valjean, sondern aus der Idee, dass er nicht genügt, wenn er ihm nicht das Handwerk legt.
Das es nicht um die Person geht, sondern eher um das Lebensprinzip, wird auch im Selbstmord deutlich.
Das ist meine Interpretation, aber ich stelle natürlich keinen Anspruch auf objektive Richtigkeit. Insofern darf das Michael Ball viel persönlicher anlegen. Allein, es trifft nicht meine Idee des Inspektors. Insgesamt spielt er ihn eher ruhelos und verbissen. Er macht eher einen ewig unzufriedenen Eindruck. Meistens singt er durch gespannte Lippen bei nur leicht geöffnetem Mund. Sein Selbstmord dagegen gerät genau deswegen grandios. Da spürt und hört man die Qual, da stößt er in seiner Verbissenheit an seine Grenzen. It is either Valjean or Javert. Das war großartig und absolut nachvollziehbar.
Insgesamt war es für mich eine spannende Interpretation, die mich schauspielerisch nicht immer, gesanglich aber vollständig abholte.
Enjolras: Bradley Jaden
Mann, Mann, Mann! Was für ein Mann! Enjolras ist der Anführer der revolutionären Studentengruppe und ja: Bradley Jaden ist er Inbegriff eines solchen Frontmanns.

Er bringt schon ohne einen Ton zu singen so viel Charisma mit auf die Bühne: Smart und gutaussehend und leidenschaftlich funktioniert er als Vorbild, seine Intelligenz und seine Kompromisslosigkeit machen ihn in der Gruppe zum Alphatier. Er ist so geradlinig. So fest. Und autoritär. Das alles findet sich auch in seiner Stimme. Die Leidenschaft brennt brennt da in vollen lauten Tönen. Wahnsinn auch, wieviel Eleganz diese Stimme aufbringen kann, obwohl sie so kraftvoll durch den Saal klingt. Eine ganz außergewöhnliche Stimme erhebt sich da, um zur Rebellion aufzurufen. Ich war geschockt. Im positivsten Sinne.
Herrje, Bradley Jaden hat da was angestellt…
Fantine: Carrie Hope Fletcher
Carrie Hope Fletcher macht ihre Fantine so, so, so bemitleidenswert. Eine einfache, ehrliche, früher vielleicht ein wenig naive arme Frau, die nicht viel hatte außer Pech. Die von der Liebe zu ihrer Tochter getrieben wird, die sich fallen lassen muss bis ganz nach unten.
Ich denke, dass man sich ähnlich tief in diese Rolle fallen lassen muss, um ihr gerecht zu werden. I dreamed a dream ist so bekannt, dass es auch in Ordnung wäre, wenn es einfach so runter gesungen würde. Carrie Hope Fletcher macht was besonderes draus, gibt dem Lied einen besonderen Dreh. Sie legt gar nicht so viel Wut oder Ärger über das Leid hinein, sie bleibt auch an den wütenden Stellen eher gefasst. Dagegen lässt in jeder Sekunde pure Wehmut durchscheinen. Sehnsucht. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass auch sie ihr Schicksal, auch wenn es noch so grausam ist, annimmt, obwohl sie einst ein anderes vor Augen hatte. Wenig Hadern war dabei. Eher eine grausame Realisierung ihrer Situation.
Ich habe sehr viel Parallelen zu Valjean gesehen, und das macht es für mich rund und richtig. Beide können natürlich wütend sein, aber im Grunde haben sie nicht die Idee, ihr Schicksal selbst ändern zu können. Natürlich lehnen sich beide hin und wieder auf dagegen, aber im Prinzip sind sie beide sehr demütig, annehmend.
Ich mochte Fletchers Darstellung sehr. Sie war nicht überaus drastisch wie Anne Hathaway im Film. Sie hat sich auch gar nicht so viel Raum genommen wie Lea Salonga im Jubiläumskonzert (um nur die zwei möglicherweise bekanntesten zu nennen.) Sie war die einfache, die bemitleidenswerte und vom Schicksal geplagte Fantine.

Eponine: Shan Ako
Ganz ganz toll! Sie hat es fantastisch verstanden, ihrer Eponine ein Gefühl von alleine zu geben. Jemand, der nirgends so richtig dazupasst. Weder in ihre widerwärtige Familie noch zu den gebildeten Studenten. Sie ist alleine mit sich und ihrem Traum von Marius.
Ich bin kein native Speaker. Ich kenne wohl aber die Texte auswendig, weiß, was sie bedeuten. Und trotzdem passiert es manchmal, dass sich dir durch die Interpretation eines Sängers/ einer Sängerin nochmal ein anderer Zugang gewahr wird. Das war hier so: On my own interpretiert sie großartig, weil sie stimmlich eine ganz klare Linie zieht zwischen dem Teil im Lied, der beschreibt, wie ihre Welt in Gedanken an Marius glitzert und der Realität, die sie immer einholt. Das ist dann nicht nur der Text, der dich einnimmt. Da trifft dich die ganze Emotionalität des Songs.

A little Fall of Rain war ein ebensolches kleines Meisterwerk. Wie sie sterbend ein ihr eigenes letztes Glück genießt ohne mit dem Schicksal zu hadern. Wie ihre Stimme dabei bricht. Da muss man doch weinen, oder?
Thenardier und Madame Thenardier: Matt Lucas und Katy Secombe

Absolut fabelhaft. Beide treffen voll ins Schwarze. Im Buch ist Thenardier ein ausschließlich übler Geselle, nur auf Profit aus, für den er wirklich alles tut. Ekelhaft und widerwärtig. Aber dabei ist er auch Lebenskünstler und darauf setzt das Musical seinen Schwerpunkt. Master of the house lockert von der Art der Musik und des augenzwinkernden Textes das Drama komödiantisch. Das machen beide perfekt. Dabei sind sie auch spontan. Locker flockig kommen ihnen Witze, die nicht im Libretto stehen, über die Lippen. Im Zusammenspiel ist ein wahres Fest aus hinter- und vordergründigen Gemeinheiten, Kabbeleien, Veräppelungen.
Lucas versteht es, seine Bühne zu nutzen. Das sahen die anderen Zuschauer wohl ähnlich: Das Publikum hat getobt!
Katy Secombe ist so herrlich gemein, dreckig und schadenfroh. Dabei ist ihr ganzes Gehabe, ihre Gestik, ihre Haltung überaus originell ordinär. Wirklich ohrenbetäubender Applaus für zwei glänzende Darsteller.
Marius: Rob Houchen
Endlich mal ein Marius, dem ich die Liebe auf den ersten Blick zu 100% abgenommen habe. Es war zauberhaft anzusehen, wie sehr ihn Cosette gefangen hält und wie sie ihn bezaubert. Ganz nervös wird da der Student und er gibt so dem, was er Enjolras und den anderen erzählt, körperlich und stimmlich Ausdruck:
Had you been there today
You might also have known
How the world may be changed
In just one burst of light!
And what was right seems wrong
And what was wrong seems right!
Überhaupt legt er Marius emotionaler an als andere, die ich gesehen habe. Und trifft damit genau meinen Geschmack. Was auch immer durchscheint, ist seine Unsicherheit. Er gehört eindeutig zu den unreiferen der Studenten und es scheint so, als ob er die Tragweite der Situationen nicht fassen kann, da ihn die Situationen emotional überrollen. Ich fand den Charakter so ganzheitlich und rund interpretiert.
Sein stimmliches Vermögen ist enorm. Vor allem in der Tiefe gefiel er mir ausnehmend gut. Im Duett mit seiner Cosette Lily Kerhoas spürte man die ehrlichen Emotionen fließen.

Cosette: Lily Kerhoas
Lily Kerhoas hatte mir gegenüber eine schwere Aufgabe zu meistern: Ich mag die Figur der Cosette nicht, finde sie sehr konturlos. Ich weiß nicht, wie Lily Kerhoas das gemacht hat, aber das war das erste Mal, dass mir Cosette nicht auf den Keks ging. Sie war präsent, aber sehr zurückgenommen. Irgendwie hab ich zum ersten Mal so etwas wie die Tragik der Figur gespürt: eine Einsamkeit, die sie ihr ganzes Leben lang begleitet und die auch Valjean nicht beseitigen kann. Erst Marius gelingt dies.
Fazit
Möglicherweise war das überhaupt das magische an dieser Produktion: Dass die Personen ganz eng verbunden schienen. Nicht nur durch die Handlung und ihr Schicksal, sondern immer wieder auch durch ihre Position, ihre Haltung, ihre Motivation. Unzählige Berührpunkte haben sich mir mehr als in anderen Produktionen aufgetan, und das hauptsächlich durch die Charakterzeichnung, die die Darsteller durch die Interpretation ihrer Lieder vorgenommen haben:
Cosette und Eponine schienen beide sehr einsam, losgelöst aus ihrem sozialen Verbund.
Die eher klassische Art des Singens, das Volumen der Stimmen, verband Enjolras und Valjean auf eine Weise, wie ich sie sonst nie miteinander verbunden habe. Beider Kompromisslosigkeit war so greifbar. Enjolras explosiv und brennend aus Leidenschaft, Valjean still und ernst aus Sorge und Liebe.
Die dritte Art der Kompromisslosigkeit findet sich bei Javert: dort ist sie eher pflichtbewusst und kalt. Aber wie Enjolras wird Javert getrieben von der Idee der Gerechtigkeit.
So lassen sich zahlreiche Parallelen ziehen, all diese Dinge fügen sich ineinander. Es wird klar, dass die Motivationen des Handelns gar nicht so unterschiedlich sein müssen. Aber was aus ähnlichen Motiven erwächst, wie sie die Handelnden unterschiedlich beeinflusst und schließlich zu ebensolchen Dramen führt, das ist einfach atemberaubend.
Ich bin wirklich überwältigt. Überwältigt, wie viel weiter mir diese Produktion den Horizont geöffnet hat. Grandiose Stimmen und beeindruckendes Schauspiel, ganz durchdachte Figureninterpretationen, Licht und Tontechnik: Les Miserables – The Staged Concert war ein einmaliges Erlebnis.
Photos: Dr. Joachim Schlosser Fotografie
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