Am 13.04.2019 besuchte ich ein weiteres Mal Die Päpstin in Füssen. Ludwigs Festspielhaus zieht mich magisch an.
Ich mag das ganze Haus, ich mag, wie es klingt, ich mag die Atmosphäre, ich mag die bildgewaltigen Inszenierungen. Überdies bot sich mir die Möglichkeit, eine andere Cast zu sehen: Statt Markus G. Kulp jetzt Jan Ammann als Gerold. Christopher Brose, der mir im Ring ausnehmend gut gefallen hat, mimte den Vater von Johanna. Frank Bahrenberg hatte diese Rolle an ihn abgetreten und er selbst war als Äskulapius zu sehen.
Wieder wurde ich überschüttet mit großartiger Musik und tiefen Gefühlen. Ich lege jedem einen Besuch der Päpstin – überhaupt von Ludwigs Festspielhaus – ans Herzen.
Geschichte
Die durch den Roman von Donna Cross bekannt gewordene Geschichte der Päpstin Johanna dreht sich zunächst um die Geschichte der Johanna, die es als Mann verkleidet bis auf den Papstthron schafft. Im Innern der Geschichte geht es auf vielschichtige Weise um die Frage nach der Identität. Wer bin ich und wie werde ich dazu? Welche Rolle spielt die Gesellschaft bei der Entdeckung/ Festlegung der eigenen Identität? Es geht um Macht und Neid, um Liebe und Zutrauen. Wer tiefer einsteigen möchte, bitte gerne Teil 1 lesen!
Zusammenfassung 1. Akt
Im 1.Akt sehen wir Johanna aufwachsen. Hochintelligent und wenig der traditionellen Mädchen- und Frauenrolle entsprechend, erfährt sie Ablehnung und Hass. Durch den cholerischen Vater, durch ihre Mitschüler später an der Domschule, durch fast alle Männer, die ihren Weg kreuzen. Nur Äskulapius, der sie an die Domschule gebracht hat und Markgraf Gerold, der von ihr fasziniert ist seit dem Moment, an dem die kleine Johanna den hochmütigen Anastasius in seine Schranken gewiesen hat, bleiben ihr treu ergeben. Nach einem Überfall der Normannen, den sie wie durch ein Wunder überlebt, nimmt sie die Identität ihres Bruders an und geht ins Kloster. Nach wenigen Jahren dort findet ihr Vater sie. Johanna muss fliehen, damit ihre Identität geheim bleibt.
Zusammenfassung 2.Akt
Das Wissen, dass sie sich im Kloster durch Antike Schriften aneignete, bringt Sie nach ihrer Flucht aus Fulda in Rom schnell in Höhe Positionen. Vom Leibarzt bis zum Nomenklator und schließlich bis zum Amt des Papstes schafft es Johanna, immer begleitet von Neidern und der Angst, aufzufliegen. Aus der heimlichen Beziehung zu ihrer großen Liebe Gerold entsteht ein Kind. Just, als beide sich beide deshalb entschließen, nach den Osterfeierlichkeiten aus Rom zu fliehen, wird Gerold von Anastasius Leuten ermordet. Johanna erleidet vor aller Augen eine Fehlgeburt und stirbt.
Musik
Ich habe bereits im ersten Artikel beschrieben, dass ich die Musik zur Päpstin für mit das beste halte, was ich in den letzten 5 Jahren gehört habe.
Die Geschichte ist höchst emotional angelegt. Vielleicht hat der eine oder andere das Buch gelesen. Ich musste es bisweilen aus der Hand legen, um Atem zu schöpfen. Es geht unter die Haut.
Die Musik von Dennis Martin ist genauso konzipiert: Durchgehend, ohne Leerlauf. Egal, ob Balladen wie Wehrlos oder fetzige popschwangere Nummern wie Rom, ewiges Rom. Hier ist überall ganz großer Ohrwurmfaktor drin. Ein Highlight jagt das andere, Stillstand gibt es nirgends. Auch nicht in den Umbaupausen. Die sind durchkomponiert und auch durchchoreografiert. Alles läuft ineinander, die Musik schafft tadellose Übergänge, so dass sich der Zuschauer in einem unheimlichen Sog befindet. Großartig ist das, geradezu überwältigend.
Dazu bietet die Tontechnik in Ludwigs Festspielhaus einen sagenhaften Klang. Das fanfarenartige Zum Ruhme der Familie rauscht erbarmungslos über einen hinweg. Johanna schreit so deutlich desillusioniert und verzweifelt Ich bin allein hinaus, dass man denkt, sie mache die Zuschauer für Ihre Situation verantwortlich.
Derartig fährt einem Musik und Tonabmischung in die Knochen.
Inszenierung
Regisseur Benjamin Sahler macht alles richtig und zieht alle Register: Er lässt zu, dass sich diese komplexe Geschichte auch optisch gewaltig vor den Augen des Zuschauers entfaltet. Alle bisher im Ludwigs Festspielhaus gesehenen Inszenierungen (Ludwig2, Der Ring) heben sich bildgewaltig ab aus der Masse der Musicals. Licht und Sound sind dramatisch wie die Story selbst.
Bühnenrequisiten werden aufgebaut, umgebaut, neu kombiniert und einfallsreich zusammengesetzt. Ich mag das außerordentlich. Es ist Erzähltheater auf höchstem Niveau.
Im Vorfeld wurde damit geworben, dass die Kostüme erneuert wurden. Da hatte ich zugegebenermaßen ein wenig Sorge. Wenn jemand etwas neu machen möchte, ist er oft versucht, mit dem alten gänzlich zu brechen, um auch wirklich als neu zu gelten. Aufmerksamkeit ist einem dadurch immer sicher.
Die Sorge war absolut unbegründet. Sehr behutsam hat man die Kostüme geändert. Nichts, was einem schreiend ins Auge sticht. Mir haben sie allesamt gefallen. Ich finde, sie sehen hochwertiger aus, und ein wenig phantasievoller sind sie auch .
Geradlinige Choreographien, ausgeführt von einem energiegeladenen Ensemble, unterstützen die Macht der Bilder und der Musik zusätzlich.
Cast
Gerold – Jan Ammann
Ich möchte ein wenig weiter ausholen. Auf meine letzte Rezension hin entwickelte sich eine kleine Konversation mit Marcus G. Kulp, dem damaligen Darsteller des Gerold, in der wir uns der Figur des Gerolds näherten. Es ging um die Frage: wer ist Gerold, welche Eigenschaften hat er? Wodurch tut er sich hervor? Kulp sieht Gerold als Waschlappen, als Weichei. Rückratslos und nicht weitsichtig genug, seine eigenen Entscheidungen ausreichend zu reflektieren. Die logische Entwicklung der Figur ist bei Markus Kulp vollkommen stringent und hervorragend ausgeführt.
Umso spannender war es für mich zu sehen, dass Jan Ammann seinen Gerold anders interpretiert.
Er zeigt deutlicher Emotionen und wirkt nach außen präsenter, während Kulps Gerold eher in sich gefangen scheint. Ammann geht heraus, auf die Mitspieler zu. Auch auf Johanna. Man sieht in der Liebe zu ihr mehr Leichtigkeit, mehr Glück. Bei Kulp sieht es so aus, als würde sich Johanna logischerweise in ihren Beschützer verlieben. Bei Ammann verliebt sie sich offensichtlich in einen Mann. Gutaussehend, intelligent und geistreich.
Vollkommen souverän hat Ammann diese Rolle im Griff. Am meisten gefällt sein Minenspiel, auch, während auf der Bühne augenblicklich gerade was vollkommen anderes passiert. Natürlich fallen Schauspieler (Bühnenschauspieler) nicht aus der Rolle, wenn sie grad nicht an der Reihe sind. Aber die Art und Weise, wie Jan Ammann agiert, hat mich schon noch mal speziell fasziniert. Er zieht die Aufmerksamkeit förmlich an sich. In der Szene, als Äskulapius die beiden Kinder in die feuchtfröhliche Feierszene bringt – Ammanns erstem Auftritt, sitzt er neben seiner Frau Richhild und die beiden unterhalten sich. Das sieht aus, als würden sie gerade intensiv privat plaudern und mein erster Gedanke war: hoffentlich bekommt er mit, wann er dran ist… Ja, natürlich hat er es mitgekriegt. Es war ja Teil des Spiels.
Manche Dinge, die Ammann macht, sind auf den ersten Blick weg von der Rolle, passen aber durch die Art, wie er sie bringt, trotzdem. Im Streit mit Anastasius triumphiert er, da Kaiser Lothar seine Meinung stärkt.
Bevor sie auseinandergehen, formt Jan-Gerold noch die Lippen zum Kuss und schmatzt hochmütig-amüsiert zu Anastasius hinüber. Das hatte viele Lacher zur Folge und an der Stelle weiß Jan Ammann, dass man die Dinge bis ganz an die Grenze ausreizen darf, um sein Publikum abzuholen. Gerold ist witzig und geistreich. Und offensichtlich schadenfroh.
Er setzt in diesem thematisch drückenden Musical, in dieser schweren Szene einen Kontrapunkt. Wie oben bereits beschrieben, jagt das Musical von einem Höhepunkt zum nächsten. Das Publikum nahm Jan Ammanns Angebot, Atem zu schöpfen, dankbar an und lies im Gelächter die Spannung kurzzeitig sausen.
Ich bin kein glühender Jan-Ammann-Fan, aber doch deutlicher Sympathisant. Und je öfter man ihn live sieht, desto klarer wird, weshalb das weibliche Publikum ihm in Scharen hinterherläuft. Er wirkt außergewöhnlich. Er bietet dem Publikum etwas an. Er weiß, wie man Herzen gewinnt.
Er zwinkert, er lächelt, er verdreht genervt von Richhild die Augen. Er zeigt Unverständnis, er umarmt, er liebt, er sehnt, trauert. Die ganze Klaviatur an Emotionen schüttelt Jan Ammann mit entwaffnender Natürlichkeit aus dem Ärmel.
Gesanglich ist er ein Phänomen. Seine klassisch ausgebildete Stimme ist überaus warm, ruhig und dabei wirklich im wahrsten Sinne des Wortes umfassend. Der Ton, der Klang hüllt dich ein. Mit Anastasius harmonierte er perfekt. Und auch auf Anna Hofbauer hat er sich exzellent eingestellt, die gestern hin- und wieder in der Höhe arg schreiend herüberkam.
Es war wirklich spannend, diese Interpretation des Gerold zu erleben. Ich kann die beiden Darsteller des Gerold, die ich gesehen habe, deshalb einfach gar nicht vergleichen. Es ist wohl Geschmacksache.
Kulps Interpretation ist tadellos. Ammann zeigt Gerold in den Emotionen vielfältiger, ich würde sagen, ein bisschen heutiger. Ebenfalls tadellos.
Ein Stück, eine Rolle, (in meinem Fall) zwei Darsteller, zwei Interpretationen, die auch noch beide funktionieren! Das fordert mich, bringt mich zum Nachdenken über die Figur und das Stück. Da arbeitet es in mir. Für mich ist das perfekt! Menschen, die am Stück interressiert sind, kann ich nur raten, verschiedene Besetzungen anzusehen. Und zwar vorurteilsfrei.
Es ist wahrlich ein Geschenk.
Äskulapius – Frank Bahrenberg
Bahrenberg habe ich zuletzt als Johannas Vater gesehen. Aufgrund seiner hünenhaften Gestalt wirkt er als Äskulapius ganz anders als der feine Uwe Kröger. Dieser ist ob seiner weichen und eher melodischen Sprechstimme, seiner Haltung und Gestik eher ein schöngeistiger Gelehrter.
Bahrenberg tritt seinen Mitspielern gegenüber anders auf. Seine Autorität ist viel natürlicher, auf Gegner wirkt er weitaus bedrohlicher. Seine Stimme ist im wahrsten Sinne des Wortes bestimmender. Volltönend und autoritär, aber auch gütig und wohlwollend. Er passt mit seiner Art super in die Zeit, in der das Musical verortet ist. Man nimmt ihm den Beschützer Johannas ab, zum einen als Drohender ihrer Feinde, zum anderen durch seine liebevolle Art und Weise ihr gegenüber. Bravo!
Vater – Christopher Brose
Frank Bahrenberg als Vater war wütend und angsteinflößend, bedrohlich stand er immer über der kleinen Johanna. In ihm kommt viel deutlicher die Überheblichkeit gegenüber den Frauen an sich zum Tragen, die die Sünde in die Welt gebracht haben. Seine prinzipielle Wut richtet sich gegen alles Weibliche.
Christopher Brose zeigt uns eine andere Facette dieses Charakters. Schon ob seiner Statur hätte die Bedrohlichkeit nicht derart gewirkt. Er gibt den Vater deutlich verunsicherter. Er fühlt sich bedroht von seiner Tochter und seiner Frau im Speziellen. Natürlich singt auch er per mulierem culpa successit und meint das auch so. Aber seine Wut entspringt schon auch der Unsicherheit, wie er mit zwei klugen Frauen umgehen soll. Täglich kämpft er wohl gegen deren Intelligenz und um sein Ansehen. Die Frauen bedrohen ihn.
Christopher Brose zeigt das wunderbar: Er legt trotz aller Wut, die auch er körperlich äußern kann, stellenweise ein Zittern in seine Stimme, eine unsichere Haltung. Eher rastlos finden wir ihn auf der Bühne wieder.
Auch als er nach Jahren Johanna im Kloster Fulda trifft, ist er verunsichert. Während Bahrenberg in seiner Wut weiter überheblich bleibt, ist Brose fast schon gebrochen. Er reflektiert den Tod seiner Frau ganz anders.
Stimmlich ist man bei beiden in sicheren Händen. Laut und wütend, aber -wie gerade ausgeführt- von beiden fein nuanciert, gefällt Wechselbalg in beiden Versionen. Darum: Egal, wer spielt: freut euch!
Kleine Johanna – Alva Kist
Da verschlägt es einem glatt die Sprache. Die Rolle der kleinen Johanna ist wirklich groß: Sie muss singen, schauspielern, keltisch sprechen. Dabei muss sie gleichzeitig vor großem Publikum die Rolle der Johanna wecken, auf dass sie Anna Hofbauer weiterführen kann. Eine große Verantwortung. Alva Kist ist grandios. Mit vollkommen sicherer Sprach- und Singstimme betritt sie die Bühne ohne jegliche Scheu oder Zurückhaltung. Sie gibt der Johanna genau das selbstbewusste Gesicht, das notwendig ist, um die Geschichte überhaupt erst ins Rollen bringen zu können. Es ist für mich vollkommen faszinierend, welch große Rollen kleine talentierte Menschen wie Alva füllen können. Höchstes Kompliment!
Fazit
Die Päpstin ist und bleibt ein Juwel. Ich kann nur wieder eine Empfehlung aussprechen. Es hat alles, was ein Musical braucht, aber Vorsicht: es ist keine leichte Kost!
Lest gerne für mehr Informationen zum Stück oder über den Rest der Cast in meinem vorherigen Artikel.
Und dann: Geht in Ludwigs Festspielhaus und überzeugt euch selbst! Es ist phantastisch.
Es gibt dort:
- ausnahmslos grandiose Darsteller!
- eine exzellent bespielte und beleuchtete Bühne
- Tonqualität vom allerfeinsten.
Achtung: Von 10. bis 31. August gibt die Päpstin ein Gastspiel in Stuttgart im Theaterhaus. Sandy Mölling wird dort als Päpstin Johanna auf der Bühne stehen. Die ehemalige No-Angels-Sängerin war gerade als Maria Magdalena Teil einer fulminanten Jesus Christ Superstar-Inszenierung im Wiener Raimund Theater.
In Ludwigs Festspielhaus in Füssen lässt sich Johanna dann wieder ab 29.11. zur Päpstin krönen!
Alle Fotos: Dr. Joachim Schlosser Fotografie
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