Wer kennt ihn nicht, den Film? Pretty Woman mit Richard Gere als Edward und Julia Roberts als Vivian! Dieses romantisches Märchen, in dem aus der Geschäftsbeziehung einer Prostituierten und eines superreichen Geschäftsmanns die große Liebe erwächst, gehört zu den erfolgreichsten Filmen überhaupt. Knapp 30 Jahre später fand im März 2018 in Chicago die Uraufführung des gleichnamigen Musicals statt, dessen Musik kein geringerer als Bryan Adams komponiert hat.
Seit 29.9.2019 nun ist das Stage Theater an der Elbe in Hamburg Heimat der deutschsprachigen Version. Eingebettet in ein geniales Mädelswochenende hab ich es mir angesehen und teile gerne meine Eindrücke mit euch:
Pretty Woman – Das Musical
Ich zäume diesmal das Pferd von hinten auf, und äußere mich vor den Gewerken im Einzelnen erst mal zum großen Ganzen und ziehe das Fazit:
Pretty Woman hat mir einen ganz unterhaltsamen Abend beschert.
Mehr aber auch nicht.
Pretty Woman, der Film, erzählt ganz fabelhaft eine noch fabelhaftere Geschichte. Das Musical tut das auch, und es erzählt diese Geschichte über weite Strecken tatsächlich 1 zu 1 nach. An einigen Stellen ist es dabei klug für die Bühne adaptiert worden.
Aber:
Dieses besondere, dieses Haaach, das einen so wohlig befällt während und nach dem Film, bleibt aus. Das Musical kann dem Film nicht das Wasser reichen, dazu besitzt es zu selten den Charme der Vorlage. Wie kommt das?
Eine gute Geschichte macht leider noch kein Musical
Leider – glaube ich – stand im Vordergrund wohl die Idee, dass ein Musical, dass sich so eng an einen Film anlehnt, ja auch ähnlichen Erfolg haben muss. Entsprechend lieb- und gedankenlos ist man damit umgegangen: Es wird ja so oder so laufen. Und offenbar tut es das ja auch. Wenn das das Ziel war, wurde alles richtig gemacht. Was dabei auf der Strecke blieb, war die Liebe zur Geschichte und die Lust an Musicaltheater.
Vielleicht war der Film aber auch so mächtig, dass man sich nix getraut hat, vielleicht gibt es da auch rechtliche Einschränkungen, keine Ahnung. Die Menschen, die Pretty Woman lieben, werden sich das Musical ansehen und die will man nicht enttäuschen: Es wurde derart viel 1:1 übernommen, dass man sich mitunter im Kino und nicht im Musicaltheater wähnt. Sogar die meisten Dialoge wurden wortwörtlich übernommen. Natürlich wartet man auf bestimmte (Sie werden nach Provision bezahlt? Blöder Fehler!) und freut sich diebisch, wenn die auftauchen. Man könnte meinen, dass sich so relativ schnell eine Vertrautheit einstellt. Bei mir aber blieb eine innere Distanz.
Das Musical lehnt sich so sehr an den Film an, und kann deswegen nicht auf Musical-Beinen stehen. Es ist ein sehr schauspiel-lastiges Musical, aber die Stellen, die über die neu komponierte Musik kommen, reichen nie an das Original ran.
Die ganze Geschichte wirkt da so steril und so fix und fertig, wie ein aufwändiges Fertiggericht, das man konsumiert und sich dann wundert, dass selbstgekochte Spaghetti mit Tomatensoße dann doch viel besser schmecken. Es fehlt das individuelle, das charmante, die eigene Note.
Szenen, die im Film wirken, funktionieren hier nicht ansatzweise. Als Edward eine Verflossene trifft, bleibt einem im Film das Lachen im Hals stecken, als im kurzen Dialog klar wird, dass man in Beziehungen mit Edward meistens mit dessen Sekretärin spricht.
Auf der Bühne hat man das Gefühl, dass ein ganzer Haufen Menschen nur eben mal schnell auf die Bühne beordert wurden, damit dieser Dialog halt auch tatsächlich gesprochen werden kann. Da fehlen emotionale Verknüpfungen, da fehlen die inneren Verstrickungen zum großen Ganzen.
Musik
Zudem bleibt die Musik meistens sehr blass. Es gibt nette Melodien, auch geschickt angeordnete Reprisen. Aber für diese Knaller-Geschichte einfach nicht ausreichend gut.
Sehr viele Lieder sind ambitioniert und das merkt man ihnen dummerweise einfach an. Sie sind für den Zuschauer gemacht und nicht für das Stück. Ein bisschen mit dem Holzhammer wird da versucht, die Botschaft an den Zuschauer weiter zu tragen.
Ich mag das einfach nicht so, wenn gar so offenkundig textlich gesungen wird, was einfach über die Geschichte und die Musik getragen werden sollte. Das klingt immer angestrengt und – vor allem – bevormundend. Da bleibt kein Raum für die eigenen Gefühle, die der Zuschauer entwickeln will, um Teil des Ganzen zu werden.
Sie hat was besonderes zum Beispiel. Ja, das hat sie ohne Zweifel. Aber als Zuschauer mag ich da nicht so drauf gedrängt werden, dass dem so ist. Ich möchte das bitte gerne entdecken und mir nicht von einem mehrköpfigen Ensemble dann auch noch so früh im Stück entgegenschmettern lassen.
Auch das Edward sein Ziel besingt, Freiheit zu erreichen: Ja, im Prinzip ja nicht ganz verkehrt. Aber diese Erkenntnis singt Edward so trivial hinaus, als hätte er halt mal eben einen Schalter umgelegt und Voila!
Dass diese Lieder nichts zur Handlung beitragen, sondern nur in recht einfachen Sätzen das Innenleben der Figuren wiedergeben, so dass auch der letzte kapiert hat, wie wer tickt, das macht mir die ganze sehnsüchtige Romantik kaputt. Das wirkt nicht herzerwärmend, sondern konstruiert und bemüht.
Einzig das Lied Du und ich, versprüht den Hauch von Hollywood-Liebesreigen, auf den man so sehr hofft. Da erklingt Bryan Adams in Höchstform. Das ist ein Lied zum Träumen, Dahinschmelzen und Seufzen. Es ist genau das, was dieses Märchen ausmacht: Du und ich. Egal, wer ich bin, egal, wer du bist, egal, was um uns rum ist: Nur du und ich.
An dieser Stelle ist das Musical ganz bei sich und da, wo es auch hingehört: Bei den großen Gefühlen, die in so einfache Worte gefasst sind, dass es fast kitschig wirkt. Aber so ist Pretty Woman.
Es ist also das passiert, was im Musical der Supergau ist: Mich haben die Lieder nicht abgeholt. Es ging sogar soweit, dass ich mich in gerade in dem sehr schnellen ersten Akt manchmal gebremst gefühlt habe durch die Lieder, weil die großartige Vorlage auf emotionaler Ebene eben ohne sie auch so gut funktioniert.
Im zweiten Akt dann werden die Szenen deutlich länger, die Darsteller dürfen sich auch mal die Zeit gönnen, etwas einen Augenblick lang ungesagt zu lassen. Das tut dem Stück sehr gut, wenn die Gefühle einfach so wirken dürfen. Und dann fließt auch die Musik.
Choreographie
Tanz
Die hat mich nun, eben wie auch die Musik, einfach nicht vom Hocker gerissen. Dabei waren die getanzten Choreographien flott und wirklich sehr ordentlich vertanzt. Aber für mein Gefühl auch sehr, wir hatten das Wort nun schon mehrmals, steril. Irgendwie wollte sich die Art der Choreographie nicht so recht einfügen in die Story.
Am Anfang, wenn auf dem Hollywood Boulevard getanzt wird, zu Welcome to Hollywood, war das schon sehr laut und betont fröhlich. Natürlich geht es da um die Träume, die Hollywood erfüllen könnte und natürlich soll sich Hollywood hier von seiner besten Seite zeigen, so dass im Gegenzug das triste Leben der Prostituierten die Scheinheiligkeit sofort entlarvt. Das mag interpretatorisch im Nachhinein schon seine Berechtigung haben, aber während der Show hat es mich nicht abgeholt.
Dann gibt es da die große Tanzszene, in der der Hotelmanager Vivian Tanzschritte beibringt. Das ist übrigens eine der wenige Stellen, an der sie Geschichte total mit der Filmvorlage bricht. Dort werden Vivian Tischmanieren beigebracht. Aber wenn schon Musik im Spiel ist, dann wird hier eben getanzt. Diese Choreo war …nett. Mehr auch nicht. Bitte nicht den Darstellern anlasten, die waren großartig.
Ich hatte insgesamt die Idee, das man sich auch in den Ensemblenummern nicht viel getraut hat, sondern in allem auf Nummer sicher ging. So Mainstream halt, nix besonderes, hat man alles schon mal so ähnlich gesehen. Da fehlte mir schon ein Quäntchen an Kompromisslosigkeit oder auch Überraschung, um mich zu begeistern.
Situationskomik
Abseits der Tanzerei sind manche Szenen aber wunderschön situationskomisch auschoreographiert und meisterhaft umgesetzt: Etwa, wenn keiner mitbekommen soll, dass Vivian in Edwards Hotelzimmer ist und Edward deren persönliche Gegenstände in unbeobachteten Augenblicken dem Pagen zuwirft. Da funktioniert einwandfrei und luftig, da bekommt das Musical die Leichtigkeit und auch einen Hauch von Augenzwinkern, die die Filmvorlage an vielen Stellen vorgibt.
Auch, dass Edward zum Ende nicht in der Limousine daherkommt, sondern auf dem Werbeschild Wild Horses reitet, ist so ein augenzwinkernder Gag, der allen gefällt.
Schön gemacht sind auch immer die Fahrstuhlszenen mit dem Pagen, der sowieso eine wirklich herzige Rolle im Stück bekommen hat.
Laufwege
Was mich in der Tat mehr als einmal irritiert hat, sind die Laufwege der Protagonisten. Die Bühne bietet nicht viel Platz und verfügt offenbar auch über kein Drehelement. So kommt es, dass Edward schon mal eineinhalb Runden auf der Bühne läuft, um endlich irgendwo anzukommen. Das mutet echt seltsam an und sieht aus wie im Laientheater.
Bühnenbild
Der erste Akt ist – wie schon erwähnt – sehr schnell. Offensichtlich sollte ja viel originalgetreu übernommen werden. Wenn aber noch Lieder in die Geschichte hineingebaut werden, muss das alles rasend funktionieren, damit das auch zeitlich hinhaut. Blitzschnell verändert sich daher auch das Bühnenbild: Die Bühne wird ständig durch Fassadenteile verändert, ständig werden Einrichtungsgegenstände rein- und rausgefahren. Sehr viel Unruhe bringt das in den ersten Akt.
Dabei kann man den Bühnenbildnern keine Vorwürfe machen, die haben ihre Sache pfiffig gelöst: Durch die vielen verschiedenen Fassadenteile findet man sich gut zurecht in der Geschichte. Prägnante Elemente des Films werden dabei aufgegriffen: Es gibt natürlich die Feuertreppe, es gibt das Hotelzimmer. Und es gibt, als Highlight, die Loge in der Oper. Dann kann man nicht meckern, denn sogar fehlende Teile, wie den Fahrstuhl, ist dauernd präsent und wenn dann noch der abwärts fahrende Hotelpage im Boden verschwindet, dann gefällt diese Spielerei den Zuschauern hörbar.
Interpretation
Der Film ist altbekannt, von vielen dutzende Male gesehen und es wurde genug darüber geschrieben. Darüber muss ich keine Worte mehr verlieren. Anders verhält es sich mit dem Musical.
In meinem Fazit fällt es steril aus, glatt, poliert. Und unterscheidet sich damit komplett von der Filmvorlage. Beim Film geht es nur vordergründig um das Komplette, um das Glatte, um den Hochglanz. Und trotzdem wird jede Nuance dazwischen beleuchtet und bringt die ersehnte Lebendigkeit .
Intention des Musicals
Pretty Woman – das Musical setzt meines Erachtens einen falschen Schwerpunkt. Es macht sich nicht die Mühe, eine Geschichte zu entwickeln, sondern allein, eine wiederzugeben. Prinzipiell ist das kein Hindernis, aber auch nicht von Anfang an eine sichere Bank.
Meine persönliche Schlüsselszene im Film ist die, als Edward sich plötzlich einen Tag frei nimmt, um ihn mit Vivian zu verbringen. Als er sich Zeit nimmt, ihre Welt kennenzulernen, etwas Neues abseits seiner Wirklichkeit entdeckt. Erinnert ihr euch, wie Vivian Edward nötigt, seine Schuhe auszuziehen? Das ist so symbolreich und so aussagekräftig: Er erlaubt sich, den Boden unter den Füßen zu fühlen. Mit beiden Beinen selber im Leben zu stehen. Nicht mit Chauffeur irgendwo hin gebracht zu werden. Sie zeigt ihm, wie sich reales Gras unter nackten Füßen anfühlt. Etwas, was es in seinem Alltag nicht gibt.
Wieso J.F. Lawton, der Autor des Drehbuchs, der auch die Adaption für die Bühne übernommen hat, diese Szene weglassen hat, andere aber originalgetreu in ganzer Länge übernommen hat, erschließt sich mir überhaupt nicht. Die Errungenschaft dieser Geschichte bleibt nämlich so auf der Strecke: Nämlich das Sich-Einlassen auf den anderen, die Erlaubnis an sich selbst, dass es anders gibt als das eigene. Und das ist etwas, wovon das Musical zu wenig hat: Die Entwicklung und die Neugier, auf der diese Entwicklung basiert und das wunderbare, liebende Zutrauen in die jeweils andere Person. Das ist das Haaaaaach, im Film, was dem Musical fehlt.
Spannenderweise wurde auf der anderen Seite die berühmte Szene in der Oper wunderbar auskomponiert und toll umgesetzt. Da gehts ja auch drum, dass Vivian eine völlig neue Welt kennenlernt und fasziniert ist. Aber diese Szene gibt halt auch mehr her, ist bekannt und beliebt.
Es ist aber für Geschäftsmann Edward, der in persönlichen Dingen immer scheitert, mindestens genauso schwer, seine Schuhe im Park auszuziehen wie für Vivian, eine Oper zu sehen.
Das wunderbare an dieser Geschichte, an dieser Liebe, ist, dass es beide sich erlauben, relativ unvoreingenommen in die Welt des anderen bedingungslos einzutauchen. Daraus bezieht Pretty Woman seine Romantik und aus dem Crash der Welten zieht der Film seine Konflikte, aber auch seinen großartigen Charme.
Romantik, Konflikt und Charme bleiben im Musical leider allzu sehr auf der Strecke.
Darsteller
Mark Seibert spielt Edward Lewis
Mark Seibert ist einfach ein schön anzuschauender Mann und deshalb rein äußerlich schon mal top besetzt. Zudem nimmt man ihm ab, dass er quasi im Anzug geboren ist und dass er gewohnt ist, etwas darzustellen. Also zunächst mal: hervorragende Ausgangssituation.
Jetzt hab ich lange genug darüber geschrieben, dass dieses Musical so glatt ist. Und in genau diese Beobachtung fügt sich Mark Seibert absolut passend ein. Egal, wann ich ihn auch gesehen habe, Seibert ist für mich der Inbegriff des glatten Typs, ohne Ecken und Kanten und immer schwer zu greifen. Auf diese Musical-Adaption passt er also perfekt. Wirklich gut gecastet, denn er verkörpert Edward in genau dem Stil, wie es das Musical will. Das ich prinzipiell mit dieser sterilen Art ein Problem habe, ist da einfach mein persönliches Pech.
In meinen Augen war Edward im Film weniger der Womanizer, sondern eher einer, dem Beziehungen immer weniger wichtig geworden sind, weil er es einfach nicht kann. Ich hatte ihn immer so ein bisschen in die Asperger-Ecke gestellt, denn im Film wird schon sehr deutlich, dass er ein sehr komplexer Charakter ist, der sich auf seine Geschäfte konzentriert, weil er bei allem anderen regelmäßig scheitert. So allerdings ist Edward im Musical nicht konzipiert. Er kommt hier als galanter Schönling rüber, sicher auf allen gesellschaftlichen Parketts und das auch im zwischenmenschlichen Bereich. Dabei sollte Edward eigentlich auf dieser Ebene ein sehr unsicherer Charakter sein. Auch Vivian gegenüber ist er von Anfang an auf zwischenmenschlicher Ebene schon sehr positiv und galant eingestellt. Im Film fand ich ihn eher belustigt und geschäftsmäßig. Der Charakter wird also nicht sonderlich tief beleuchtet.
Aber, wie schon gesagt, das muss man der Musicalversion anlasten, dass da das ein oder andere einfach nicht tief genug beleuchtet oder ausgespielt wird. Mark Seibert macht das, was von ihm verlangt wird, mehr als gut.
Gesanglich war dieser Abend aber nicht sein bester. Vor allem in der Höhe war er sehr dünn (das bemerkten auch meine Mädls, die Mark Seibert nicht kannten und per se keine Musicalexperten sind). Ich laste es hier mal einer schlechten Tagesverfassung an. Dass er singen kann, hat er einfach schon zu oft bewiesen.
Außerdem durfte er zweimal sein Hemd ausziehen, und das entschädigt die meisten.
Marcella Adema spielt Vivian Ward
Dass eine Zweitbesetzung schlechter ist als die Erstbesetzung ist so ein Vorurteil, dass sich bei Menschen hält, die der Musical-Szene eher fern sind. Menschen, die ein Stück auch drei oder viermal oder gar noch viel öfter sehen, wissen, die Zweitbesetzung ist in der Regel der Erstbesetzung ebenbürtig ist. Ich habe Patricia Meeden nicht gesehen, es spielte an diesem Abend Marcella Adema. Und sie war für mich der Volltreffer schlechthin.
Schon allein optisch passt sie perfekt in die Rolle. Im Film gibt es die Szene, wo Edward und Vivian in der Badewanne sitzen. Da schlingt sie ihre Beine um ihn und erklärt ihm, dass ihr Bein von der Hüfte bis zum Zeh 105cm lang ist. Und als ich Marcella auf der Bühne sah, viel mir sofort dieses Zitat ein. Wahnsinn, Beine bis zum Boden hat diese Frau!
Aber viel wichtiger als die Äußerlichkeiten: Sie strahlt das aus, dieses Besondere, von dem alle singen und glauben, dass Vivian das hat. Man erkennt im Spiel zart die Entwicklung, die sie durchmacht, sie verleiht der Überforderung ebenso Ausdruck wie einer lässigen Unbekümmertheit und der Tatsache, dass sie für sich einsteht.
Ja, das hat perfekt gepasst, auch gesanglich. Da hat jeder Ton gesessen und zusammen mit ihrem subtilen Spiel war das eine wirklich grandiose Leistung!
Maricel spielt Kit de Luca
Mit ihrer Art, die irgendwo zwischen liebevoll-beschützender Puffmutter und schnoddrig-naivem Straßenmädchen angesiedelt ist, hat sie schnell die Sympathien auf ihrer Seite. Die Rolle ist – wie im Film – so gestaltet, dass sie das Publikum sofort auf ihrer Seite hat. Da hat man es als Darsteller ungleich leichter. Maricel nimmt diesen Ball auf und versenkt ihn locker: Sie punktet mit rockig-lauter prägnanter Stimme und enormer Bühnenpräsenz. Sie füllt diese Rolle aus bis ins kleinste Detail. Mit tollem Volumen füllt sie ihre Lieder und darf deshalb auch berechtigterweise am Ende den Gassenhauer Pretty Woman anstimmen.
Frank Logemann spielt Happy Man/ Hotelmanager
Eigentlich stand Paul Kribbe auf der Besetzungsliste an diesem Abend, und er eröffnete das Stück auf mit seinem ersten Lied. Es blieb zwar unklar, was genau passierte, aber nach ca. 15 Minuten erfolgte ein Abbruch. Kribbe konnte nicht weiterspielen und so wurde die Cast umgestellt. Nachdem alle umgezogen und neu verkabelt waren, schlüpfte Frank Logemann, der eigentlich die Rolle des James Morse verkörpert, in das Kostüm des Happy Man und schließlich auch in die des Hotelmanagers.
Mit dem Happy Man hat man eine Art Erzähler installiert, der die berühmten Anfangs- und Schlusssätze sagt und überdies einfach ein wenig durch die Geschichte führt. Frank Logemann gibt ebendiesen Happy Man überaus deutlich und wahnsinnig körperbetont. Mein Gott, der Mann kann sich echt bewegen. Toll!
Der Hotelmanager steht ihm per se gut zu Gesicht, den nimmt man ihm auch sofort ab. Ein wenig vornehm-pikierter hätte er für meine Bedürfnisse zu Beginn aber schon sein dürfen. Allerdings ist das Musical schon so gemacht, dass er überaus schnell der jungen Lady im knappen Outfit zu getan ist.
Was unbedingt betont werden muss, ist die wunderbare Artikulation. Man versteht echt jedes Wort.
Der Hotelmanager ist meine Lieblingsfigur im Film. Er zeigt kurz und prägnant der Wandel: Zunächst will Vivian schnell loswerden. Aber er erkannt auch als einer der Ersten, welch besonderer Mensch sich hinter dem leichten Mädchen verbirgt.
Einer seiner Anfangssätze lautet: Ich hoffe doch, dass ich sie nach Mr. Lewis’ Abreise hier nicht mehr sehe. Sein letzter Satz dagegen lautet: Kommen sie uns irgendwann mal besuchen.
Dass sogar ein unbeteiligter, steifer Hotelmanager dem unbekümmerten Charme (und nicht dem Äußeren) von Vivian erliegt und seine Meinung ändert, macht Pretty Woman erst so richtig zum Märchen. Frank Logemann erweckt eben diesen Hotelmanager auf der Bühne tadellos zum Leben.
Nigel Casey spielt Philip Stuckey
Meines Erachtens in einem großartigem Ensemble eher blass. Oder sagen wir so: Anders als erwartet. Stuckey ist in seiner Interpretation schon egoistisch und immer die treibende Kraft hinter den unwürdigen Geschäften, allerdings bleiben diese richtig fiesen Charakterzüge eher im Hintergrund. Er kämpft aber auch sehr mit dem Akzent, dadurch wirkt der Stuckey nie so ganz rund.
Johnny Galeandro spielt den Hotelpage Giulio
Ich muss ihn einfach erwähnen. Er hat so eine kleine aber feine Rolle und macht das einfach fabelhaft. Komödiantisch auf den Punkt (und wer mal selber Komödie gemacht hat, weiß, wie schwer das in Wirklichkeit ist) und einfach zum Anbeißen. Publikumsliebling. Zu recht!
Fazit
Pretty Woman unterhält. Ja, das tut es tatsächlich. Es ist amüsant, hin und wieder gibts was zu lachen. Es sind schöne Menschen auf der Bühne, die auch noch tolle Stimmen haben. Das Bühnenbild ist pfiffig.
Aber so richtig der Burner ist es nicht. Es ist zu berechnend dem Zuschauer gegenüber und verliert dadurch das Herzstück: die Romantik und den Charme, über weite Strecken vollkommen aus den Augen. Ist Pretty Woman – Der Film zuständig fürs Gemüt und fürs Herz, so ist Pretty Woman – Das Musical quasi der Gala-Bericht am Morgen danach: Perfekt in Hochglanzoptik, toll anzusehen, aber irgendwie hat man eine seltsame Distanz als wäre man gar nicht wirklich dabei gewesen.
Swetlana
Liebe Julia,
ich wollte ursprünglich einen Kommentar zu Ihrer Pretty Woman-Rezension schreiben aber es ist eher ein ganzer Brief geworden… 😂
Ich möchte mich auf diesem Wege ganz herzlich für Ihren Blog bedanken – denn seit ich ihn durch die zweite Päpstin-Rezension entdeckte, bin ich zu einer treuen stillen Leserin geworden und habe inzwischen fast alle Ihre Beiträge gelesen, selbst über die Veranstaltungen, die aufgrund der Entfernung oder verpasster Gelegenheit für mich nicht in Frage kamen. Ganz oft lese ich Musical- oder Konzertrezensionen aufgrund ihres Inhalts, als Entscheidungshilfe ob ein Besuch lohnenswert wäre, oder auch nach einer besuchten Veranstaltung aus Interesse wie andere das Stück wahrgenommen haben. Ihren Blog lese ich nicht nur deswegen, sondern weil mir Ihr Schreibstil dermaßen gut gefällt, dass ich das Lesen an sich wie bei einem guten Buch genieße und immer wieder darüber staune, wie pointiert Ihre Beobachtungen und wie bildhaft Ihre Wortwahl und Metaphern sind. Ein weiterer wichtiger Grund, warum ich Ihre Beiträge sehr schätze, ist, dass ich mich durch Ihre Beschreibung in die Vorstellung mitgenommen fühle. Auf eine seltsame Art und Weise haben Ihre Rezensionen schon einige Male mit den Eindrücken korreliert, die ich aus meiner Recherche zu den jeweiligen Stücken aus Audioaufnahmen, Videoausschnitten, anderen Blogbeiträgen etc. gewonnen habe. Da ich in Norddeutschland wohne, habe ich gerade zu den Füssener Produktionen viel recherchiert, um zu entscheiden, für welchen der drei Musicals (Die Päpstin, Ludwig2, Der Ring) ich 950 km Anfahrt bestreite… Am Ende ist es Ludwig geworden… 😊
Ich war auch wirklich gespannt, wie Ihr Bericht zu Pretty Woman ausfallen würde, weil dieses Musical bei mir auf der „nice to have“ Liste steht und ich tatsächlich Ihre Rezension abwarten wollte, um es evtl. auf die „must see“ Liste zu setzen. Nun ja, Sie bestätigten leider (oder für mein Budget eher zum Glück) die Befürchtungen, die ich auch bereits hatte. Das letzte Stage-Musical, das ich besuchte, war Anastasia und mein persönliches Fazit danach war: ganz nett, unterhaltsam und sehr „glatt poliert“ – ohne Ecken und Kanten, so mainstream wie möglich… Ihre Beschreibung von Pretty Woman weist deutliche Parallelen dazu auf… Ich vermute, dass es am aktuellen Stage-Konzept liegt, um ein möglich breites Publikum anzusprechen.
Ich freue mich, auch im Jahr 2020 viele neue Blogbeiträge von Ihnen zu lesen – gerne auch zu Musical-Besuchen in Mittel-, und Norddeutschland! 😉
Julia Stöhr-Schlosser
Liebe Swetlana! Vielen lieben Dank für deine freundlichen Zeilen! Es freut mich, dass dir meine Beiträge nicht nur gefallen, sondern sogar noch Entscheidungshilfe sind! Und ich hoffe sehr, auch mal nach Tecklenburg zu kommen. Liebe Grüße und weiterhin viel Spaß mit meinem Blog! Herzlich, Julia