Der Ring zum Zweiten!
Nach einem Besuch der Generalprobe der letzten Spielperiode (hier gehts zur Rezension) habe ich auch heuer die Möglichkeit wahrgenommen, das Stück von Frank Nimsgern zu sehen. Mein Fazit fällt diesmal noch deutlich positiver aus! Ja, ihr lieben Leser, dieser Ring wird jetzt richtig gut!
Ich bin kein Experte geworden, ich habe es jetzt erst zum zweiten Mal gesehen. Daher kann ich euch nicht sagen, wo genau was in welchen Details verändert wurde. Aber ich kann sagen , dass es deutlich runder daherkommt und viel inspirierter. Das Stück ist gewachsen, gereift, oder ich mit dem Stück. Wie auch immer.

Steigerung
Er hat mich nicht so ganz losgelassen, der Ring in Füssen. Der war gut, keine Frage, allerdings schon mit einigen deutlichen Abstrichen. Eine epische sehr breite Geschichte mit grandiosen Darstellern trifft auf eine Menge Popmusik. Mir fehlte manchmal die Tiefe der Geschichte, manchmal hatte ich das Gefühl, es füge sich insgesamt nicht alles ineinander. Ein zu wenig an Drama wurde durch das Vorhandensein von ein wenig Kitsch leider nicht kompensiert. Mich trieb die Frage, wohin das Stück mit mir wollte. So war Der Ring unterhaltsam und vor allem in der Inszenierung mit Bühnenbild und Licht effektvoll, aber die große emotionale Wucht wollte sich nicht einstellen. Denn die Geschichte ist und bleibt weit weniger dramatisch, als man es auf den ersten Blick unter Nibelungenring vermuten würde.
1. Akt
Göttervater Wotan ist als Alleinherrscher gelangweilt, müde, genervt. Zwerg Alberich klaut den Ring der Macht und berauscht sich daran. Wotan holt ihn durch eine List zurück, Alberich erschafft darauf aus Eisen und Stahl Siegfried, damit dieser ihm den Ring zurückholt. Wotan legt sich überdies mit seiner Tochter an und Siegfried kämpft mit dem Drachen.

Soweit der erste Akt, der das alles erzählt. Füssen inszeniert immer groß, bildgewaltig, farbig und bedeutungsschwer. Das ist toll anzuschauen, aber irgendwie beschleicht mich das Gefühl, als hätte diese Geschichte diese Opulenz nicht verdient. Denn dieser Inhalt ist eben zwar manchmal, aber nicht immer opulent.

Die Macht als Hauptthema, ja, das ist perfekt umgesetzt und aufgearbeitet. Schon das Was die Macht aus den Menschen macht von Alberich Chris Murray gibt die Richtung vor. Zeigt eben die Kraft und Energie, die diese Macht mit sich bringt. Die Power des Liedes, der Gitarrenriffs, bringt Alberich auch so auf die Bühne. Eine Belebung in allen positiven Aspekten und ebenso in allen negativen: Aggression, neidvolles Begehren, Wut… Das Musical bringt damit etwas auf die Bühne, was jeder Zuschauer nachvollziehen kann. Dabei greift die Inszenierung, die Musik, die Geschichte und die Stimmen der Darsteller auf großartigste Weise ineinander. Auch das Ensemble ist immer kraftvoll an die Macht gebunden, wie ich im vorherigen Artikel schon ausgeführt habe.

Das Musical greift aber zusätzlich andere Themen auf, lässt sie aber relativ unbehandelt einfach nebenherlaufen.
Ich fand zum Beispiel das Thema Vergänglichkeit sehr berührend und spannende. Wotan singt davon. Er allein ist der, der Götter wieder in die Sterblichkeit zurückführen kann. Er selbst ist unsterblich, davon aber ziemlich gelangweilt. Das ergibt ein wunderschönes Lied Ich hab sie kommen und gehen sehn. Aber als Thema hat es sich nicht so leicht mit dem Rest der Handlung verknüpft. Es ist ein herausgegriffener interessanter Aspekt, dessen loses Ende immer mal wieder auftaucht, letztlich aber für mich nirgends befriedigend eingeflochten wird.
Was hervorragend gelungen ist, ist die Szene, in der Siegfried mit dem Drachen kämpft. Am Ende des 1. Aktes ist das tollstes Erzähltheater, elegisch überhöht. Ausgezeichnet in der Idee, in der Choreographie, in der Ausführung. Ein Meisterwerk.

In dieser Spielzeit hat man innerhalb der Geschichte überdies noch eine deutlichere Akzentuierung vorgenommen in Richtung (Achtung!) Humor!
Gerade in diesem episch breiten und überraschungsarmen ersten Akt fügen sich einige lustige Szenen wirkungsvoll in das Geschehen ein. Ich kann gar nicht sagen, ob es die so alle letztes Jahr schon gab. Wenn ja, dann war eventuell das Timing in der diesjährigen Premiere einfach besser. Egal, ob gezielt gesetzte Lacher, wie der bekannte Luis de Funès-Witz „Nein! Doch! Ooh!“ oder hin und wieder fein aufblitzende Ironie: Der Ring wird hin und wieder aus seiner selbstgefälligen Bedeutungsschwere geholt. Das Musical nimmt sich an einigen Stellen nicht mehr so ernst und wichtig und das tut gut! Dabei wird die Geschichte nicht in Lächerliche gezogen oder ist jetzt hauptsächlich Komödie. Aber sie macht Spaß, sie unterhält, sie nimmt einen mit. Es ist richtig gutes, unterhaltsames Popcorn-Kino.
2. Akt
Hier wird ganz klar Fahrt aufgenommen auf das Ende hin: Die Macht des Rings und die Liebe werden als zwei gegensätzliche Pole installiert. Alles ist ein wenig schwarz-weiß gestrickt, alles geht sehr sehr glatt. Die spannenden Übergänge zwischen schwarz und weiß, dort, wo die Macht und die Liebe sich überschneiden, werden ein wenig schnell abgehandelt. Das ist so gewollt, es wird von der Inszenierung, Bühnenbild und Licht, auch gestützt. Das macht es einfach, der Geschichte zu folgen. Aber so wirkt sie auch ohne viel Reibung, ohne Herausforderung, ein bisschen platt. Im Liebesreigen zwischen Siegfried und Brunhilde verdichtet sich das für mich am offensichtlichsten: Sehen, verlieben, kompromisslos zueinander stehen. Sehr märchenhaft bleibt da die Geschichte, aber eben auch sehr vorhersehbar.

Die Grenzen zwischen Gut und Böse werden exakt gezogen, Machtbesessenheit steht moralischer Integrität gegenüber. Unausweichlich deshalb die Konfrontation der beiden Lager: Wotan gegen Siegfried ist eine vollkommen physische Angelegenheit zwischen zwei Unbesiegbaren: Siegfried, der, weil im Drachenblut gebadet, nur mehr an einer Stelle verwundet werden kann, und Wotan als alleiniger göttlicher Herrscher. Der Kampf mit Schwert gegen Stock ist toll gemacht, er ist hitzig und drastisch. Da bist du als Zuschauer voll dabei, wenn diese zwei wunderschönen Menschen mit geballter Kraft aufeinander losgehen! Da wird wieder die Energie frei, die an vielen Stellen musikalisch vorgegeben wird, die aber an einigen wenigen Stellen verloren geht.

Schade, dass die Väter/ Erschaffer dann so schnell und kompromisslos sterben müssen: Das geht alles wieder ein wenig schnell und glatt und ist daher eher überraschend als spannend.
Vielleicht lest ihr es aus meinen Zeilen heraus: ich stehe der Nibelungensage sowieso skeptisch gegenüber, halte sie für überbewertet. Dieser Ring hier in Füssen bietet aber auch mir als kritischem Zuschauer einiges.
Die Macht der Bilder
Ich mag die Bildgewaltigkeit in Füssen. Egal, welches Musical du da siehst, der visuelle Endruck ist unglaublich stark:
Wenn Alberich sich den Ring ansteckt, den er den Amazonen abgejagt hat, dann wechselt das Licht, dann schießt eine Fontäne aus dem Wasser und Murray lässt einen Urschrei hören. Das ist Theater mit so ziemlich allen Sinnen.
Lichtspiele in alle Farben, sinnig eingesetzte Effektstrahler. Ein fabelhafter choreographierter Drache, wie überhaupt das tanzende Ensemble. Natürlich das Wasser des Rheins zu Beginn (in dem Chris Murray auch mal sein Mikro versenkt…) sowie Alberichs dunkler Rückzugsort, der höllengleich unterirdisch, rot und aggressiv rüberkommt:

Nachhaltige Bilder werden im Festspielhaus in die Zuschauerköpfe gepflanzt. Die Bühne ist groß, gewaltig geradezu, und das nimmt man auch so wahr. Große Geschichte auf großer Bühne! Allen, die noch nie in Füssen waren, kann ich allein deshalb den Besuch nur ans Herz legen.
Wie bereits mehrfach erwähnt: die Geschichte kann mit dieser starken Bildhaftigkeit manchmal nicht mithalten. Gleiches gilt für die Musik. Zwischen Rock, Pop und Schlager pendelt das Musical geschickt, es ist mit Sicherheit für jeden was dabei. Überall da, wo die Musik richtig rockig wird, passt sie allerdings am besten zur Inszenierung. Und irgendwie ja auch zur Story: Macht kann man mittels Rockmusik sehr gut hörbar machen.
Die Liebe ist mir ein klein wenig zu verkitscht, die Balladen dazu auch textlich sehr süß. Rein musikalisch behalten die niederen Instinkte mit den kraftvollen und lauten Gitarrenriffen die Oberhand über die Liebe. Dass diese siegt, weil sie über eine andere Art Kraft verfügt, hätte ich gern auch in der Musik umgesetzt gesehen. Im persönlichen Rückblick erscheint sie mir zwar sehr natürlich, aber ohne wirklich machtvolle Texte und Melodien.
Besetzung
Das Werk als in seiner Gesamtheit ist beeindruckend. Aber einen der größten Trümpfe habe ich bis zum Schluss aufgespart: die Besetzung. Die ist klein: Vier Hauptrollen und die drei Rheinamazonen dazu: mehr Soloparts gibt es nicht. Aber fein: Bei der Auswahl sind Nimsgern und sein Team clever vorgegangen und haben sowohl optisch als auch stimmlich in jeglicher Hinsicht ins Schwarze getroffen. Die ist derart erstklassig, da vergisst man nicht nur einmal das Atmen. Fangen wir in der Hirarchie oben an:
Wotan – Jan Ammann:
Ich hab mich im letzten Artikel schon darüber ausgelassen, aber man kann nicht müde werden zu schreiben: Eine Wucht.
Jan Ammann hat eine Stimme, die so sehr erhaben wirken kann, so herrschend. Dabei bleibt sie aber ruhig und klar, autoritär. Würde man die Augen zumachen und den Text nicht verstehen, es wäre trotzdem sofort klar, welche Rolle er spielt. So kann nur ein Gott klingen! Und ich meine das nicht Teenie-Idol-kreischend „er singt wie ein Gott“, sondern beziehe das tatsächlich auf die Rolle des Wotan. Der kann nur so klingen.
Da klingt arrogante Selbstgefälligkeit,
Da klingt an Macht gewohnte Überheblichkeit,
Da klingt Desinteresse den Menschen gegenüber,
Da klingt die über allem lauernde Langeweile,
Da klingt ungläubiges Aufbrausen
Ja, da klingt auch der alleinige Machtanspruch vollkommen selbstverständlich.
Jann Ammanns verfügt allein schon stimmlich über die Legitimation, als Gott aufzutreten.

Und zusätzlich kann Jan Ammann an den geforderten Stellen soviel Spielwitz einstreuen, kann in einem oder zwei Worten oder Gesten entwaffnend komisch sein. Hinreißend. Zwischen seinem Gefolge steht er dandy-haft wie ein Dressman inmitten der swingenden Party und da gehört er einfach hin.

Gleichwohl erscheint darüber die Bürde, als Gottvater für alles Verantwortung zu tragen, deutlich. Und man hat bisweilen Verständnis für diesen depressiven Gott, der es aus eigener Kraft nicht so wirklich eine Wende schaffen kann und will. Jan Ammann ist in jeder Szene authentisch. In jeder Szene perfekt.
Alberich – Chris Murray
Ein Zwerg in Vollendung! Chris Murray verleiht dem machthungrigen Gnom viele unterschiedliche Facetten. Und er ist fabelhaft dabei.
Zunächst findet man ihn seltsam süß, einfältig, bald widerwärtig und verschlagen. Geradezu gespenstisch ist er im Hunger nach der Macht. Dann wieder süffisant und ironisch:

Murray ist ein Spieler, der voll in der Rolle aufgeht. Murray badet im Charakter (und im Rheinwasser). Murray ist immer ein klein wenig nah dran an der Übertreibung, er ist intensiv in allem, was er da so auf der Bühne treibt. Aber das macht den Zuschauern irrsinnig Spaß, das hört man an den Reaktionen.
Murray ist klassisch ausgebildeter Sänger wie Ammann auch. Ich finde es fantastisch, dass in diesem Musical diese zwei Stimmen so auftreten. Es hebt die Figuren auf die gleiche Ebene. Beide haben ein enormes Volumen. Und sie schaffen es beide, Ammann wie Murray, dadurch eine dichte Atmosphäre zu kreieren.

Wenn Murray und Ammann gemeinsam singen, da harmonieren die so laut, so voll, so vollendet. Selten, dass ich Männerduette so sehr genossen habe!
Dann stimmt Murray das schlafliedartige Steig hinab kleiner Mann an, und diese Figur, die eben noch so niederträchtig und besessen schien, berührt dich auf einmal auf ganz anderer Ebene. Phänomenal, wie schnell er da wechselt vom widerlichen und rachsüchtigen Zwerg zu dieser zarten Vaterstimme!
Außerdem ist er ganz Profi: nachdem er schon in der ersten Szene sein Mikro zerlegt hat (oder eher verloren?) wurde das folgende Lied Playback eingespielt, bis er dann zum Handmikrophon griff. Auch einhändig war der Zwerg perfekt.
Siegfried – Christopher Brose

An der Physis von Christopher Brose kommt man schon allein des Kostüms wegen nicht vorbei. Wie schön, dass er dieser Figur aber auch Tiefe und Entwicklung verleiht: Der rohe, harte (aus Eisen und Stahl erschaffene) Krieger erwacht durch ihn zum Menschen, der nach und nach Gefühle entwickelt und lernt, mit ihnen umzugehen. Dass er dabei auch der Überforderung Ausdruck gibt, versöhnt mich so ein bisschen mit der deutlich gemachten schwarz-weiß Struktur des Musicals.
Stimmlich kann er den Krieger genauso perfekt besetzen wie den Liebenden.
Brunhilde – Anke Fiedler
Aaaahh, einfach nur Balsam für die Ohren. Ganz wunderbare Stimme, die ebenso mächtig ist wie die ihrer Spielpartner.
Sie arbeitet ganz klar eine Brunhilde heraus, die das Tun ihres Vaters verurteilt und sich nicht verbiegen lässt. Sie ist so die Gute, die Verlässliche, der Fels in der Brandung. Durch das ganze Machtstreben hindurch bleibt sie der moralisch integre rote Faden, dem der Zuschauer bereitwillig folgt. Und die einen – obwohl/ dadurch, dass sie ihren Vater ersticht – zum Happy End führt. Sie macht sehr zielstrebig ihre Haltung offenbar, zeigt die charakterliche Stärke der Figur klar, so dass der Zuschauer weiß, dass sie den von Siegfried empfangen Ring weitergeben wird. Das ist auch gut so, denn jedes Märchen arbeitet auf das gute Ende hin. Mit dem Wissen, dass es eine Gute gibt, freut man sich noch viel skrupelloser an den Bösewichten!
Die Duette mit Ammann gelingen ausnahmslos perfekt. Jede Silbe singt Anke Fiedler verständlich. Sie ist intensiv, sie ist laut, aber nicht zu laut. Sondern durch und durch ebenbürtig. Sie ist perfekt.
Fazit
Ich fasse nochmal zusammen: Ich mag den Nibelungenring nicht, den Ring in Füssen dagegen sehr. Es wäre nahezu perfekt, wenn mich nicht einige wenige Kleinigkeiten stören würden. Die betreffen das Zusammenspiel zwischen der ganz großen visuellen Idee und der Story, die meines Erachtens an manchen Stellen nicht viel hergibt. Die Liebe kommt mir in der Gesamtschau ein wenig kitschig vor. Das sind sie aber auch schon, meine Kritikpunkte.
Insgesamt ist Der Ring großes Kino: eine großes Geschichte, über weite Strecken große Musik, große Lichteffekte, große Bühne und große Darsteller. Und an den richtigen Stellen großer Humor.
Deshalb: Eindeutige Empfehlung: Anschauen! Es macht Spaß, wirklich!
Alle Fotos: Dr. Joachim Schlosser Fotografie
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