Jeder hat ja bestimmte Ideen, wenn er Musical-Titel hört. Und da ja in letzter Zeit wirklich alles vermusicalt wird, mehren sich auch die Momente à la Daraus wollen die ein Musical machen?. So ging mir das mit Sherlock Holmes. Echt jetzt? Kann das gehen? Um meine Antwort vorweg zu nehmen: Ja, es geht. Es geht sogar herausragend gut!
Sherlock Holmes, der Meisterdetektiv, erfreut sich seit seiner Erschaffung 1886 von Sir Arthur Conan Doyle, noch immer immenser Beliebtheit. Natürlich hat da auch die BBC-Serie Sherlock mit den beiden göttlich guten Darstellern Benedict Cumberbatch und Martin Freeman dazu beigetragen, dass Sherlock „en vogue“ ist. Im Januar kam schließlich nach 7-jähriger Entwicklung das Musical Sherlock – The Next Generation ins First Stage Theater nach Hamburg. Schon damals hätte ich es – trotz oder vielleicht wegen meiner Zweifel – gerne gesehen, das war aber logistisch nicht machbar. Umso mehr habe ich mich gefreut, dass es jetzt im Deutschen Theater in München ein Gastspiel gab. Ich hab mir die Preview angesehen und war: begeistert.
Handlung
Ich beschreibe im Folgenden die Handlung des gesamten Stückes. Wer also gerne noch ein wenig im Unklaren bleiben möchte, um selber mitzuraten, der sollte diesen Teil des Artikels überspringen! SPOILER ALERT.
Das Stück beginnt mit Irene Adler, die einzige Frau, für die Sherlock Holmes je Gefühle entwickelt hatte. Sie hat einen berühmten Diamanten aus Ägypten geschmuggelt, wird dabei aber von einem unbekannten erschossen. Außerdem gibt es einen kurzen Einblick in die sehr bekannten Episode „Reichenbachfall“. Dort hinunter stürzen Holmes und sein Widersacher Moriarty im Zweikampf. Während Holmes diese Episode überlebt hat, verkünden die Extra-Ausgaben der Tageszeitung Moriartys Tod.
Knapp 25 Jahre später ist Meisterdetektiv Sherlock Holmes noch genauso unterwegs wie eh und je. Pfeife, Hut Lupe, zu Hause in der Baker Street, in der sich die gute Mrs. Hudson um sein leibliches Wohl kümmert. Wie ein altes Ehepaar wird da schlagfertig gestichelt und sich geneckt. Immer an Holmes Seite natürlich Dr. John Watson.

Zunächst scheint es, als würde sich der große Detektiv langweilen müssen, denn mal wieder ist kein interessanter Fall in Sicht. Das ändert sich jedoch, als Holmes und Watson eingeladen werden zu einer Ausstellungseröffnung im Britischen Museum. Dort soll das Auge der Horus, ein Diamant, feierlich enthüllt werden. Holmes trifft dort auch noch auf John, einen ihm unbekannten jungen Mann, der ähnliche Fähigkeiten der Wahrnehmung hat wie Holmes. Lady Margaret möchte Holmes diesen jungen Mann als neuen Assistenten schmackhaft machen. Holmes reagiert empört.
Natürlich wird diese Auge des Horus entwendet, der ägyptische Premier erschossen. Ein Fall für Sherlock Holmes!
Im weiteren Verlauf lernt der ominöse John, von dem der Zuschauer nur nach und nach Einzelheiten erfährt, Ms. Catherine Mason kennen. Die angehende Ärztin ist die emanzipierte Tochter der Museumsleiterin und fällt John buchstäblich in die Arme. Auf der Jagd nach dem Mörder und dem Diamanten verbeißen sich sowohl Sherlock zusammen mit Watson sowie John in Begleitung von Catherine in den Fall. Zwischen den letzten beiden entspinnt sich sogleich eine Romanze.
Auf dem Ball des Botschafters schließlich erhoffen sich alle neue Hinweise. Es findet eine vorsichtige Annäherung zwischen Sherlock und John statt. Der Ball wird aber unterbrochen durch Schüsse und eine Botschaft Moriartys: Bald werdet ihr alle ausgelöscht. Watson liegt bewusstlos am Boden und Sherlock – ist verschwunden.

In der Baker Street, in der John mittlerweile auf Mrs. Hudson’s Geheiß wohnt, ist alles in Unordnung gebracht. Inspektor Lestrade trifft dort auf John und warnt ihn eindringlich davor, sich in die Ermittlungen einzumischen. Dabei hat er noch keinen Plan, wer Drahtzieher des Verbrechens sein könnte.
Sowohl der Bürgermeister Strong, als auch die Witwe seines verstorbenen Geschäftspartnerspartners, Lady Margaret Chamberlain, könnten ob ihrer obskuren Geschäfte verwickelt sein, oder möchte man beide gerne in den Fall verwickelt sehen, um sie aus dem Weg zu haben?
John und Catherine ahnen bald, dass die Lösung des Falles mit Ägypten zu tun haben muss. Sowohl Dr. Watson, als auch Irene Adler und Mrs. Mason haben dort vor 20 Jahren Zeit verbracht. Doch Mrs. Mason reagiert ungehalten auf die Fragen ihrer Tochter Catherine zu dieser Episode ihres Lebens.
Als Catherine und John der Lösung aber unaufhaltsam näher kommen, werden sie überfallen und gefangen, auch Sherlock taucht bei den Verbrechern gefangen auf. Mrs. Mason enthüllt ihr Geheimnis: sie ist die Schwester von Jim Moriarty und ihr Ziel war es, Sherlock Holmes auf den Plan zu rufen, um ihn aus Rache in die Falle zu locken. Schlussendlich können die Verbrecher aber allesamt überwältigt werden.
Interpretation/ Einordnung
Das Musical verknüpft ganz locker und reibungslos mehrere Handlungsstränge:
Zum einen gibt es den zu lösenden Fall: Wer steckt hinter dem Diebstahl des Horus-Diamanten und dem Mord am ägyptischen Premier? Diese Erzähleinheit als reine Kriminalgeschichte betrachtet bleibt eher unbefriedigend. Er ist schon nicht so spannend, wie Serienkenner das von Sherlock gewohnt sind. Aber er ist ähnlich vielschichtig, es gibt viele, viele Puzzleteile. Ehrlich gesagt wurde es immer verwirrender als erhellender. Vor allem hat sich mir nicht immer erschlossen, welcher Verdächtige welches Motiv gehabt haben soll. Die Rolle von Lady Margaret und dem Bürgermeister zum Beispiel bleibt sehr obskur. Mancher Wendung konnte ich nicht folgen. Die Auflösung passiert schnell und fällt auch nicht so sehr befriedigend aus. Ratefüchse und Anhänger eines bloßen „Whodoneit“ kommen nicht so recht auf ihre Kosten. Andererseits entführt uns gerade diese Krimigeschichte an exotische Schauplätze: Der asiatische Club Golden Triangel oder der ob der Ausstellungseröffnung ägyptisch präsentierte Schauplatz des Diamanten im Britischen Museum. Für manche vielleicht zu viel des Guten.

Warum mich persönlich Unzulänglichkeiten beim Krimiplot nicht gestört haben, liegt am zweiten Erzählstrang, der wirklich grandios ausgestaltet wird. Nicht ohne Grund heißt das Musical im Untertitel: The Next Generation.
Das Musical stellt nämlich die zentrale Frage: Altert ein Sherlock Holmes tatsächlich derart, dass irgendwann eine neue Generation her muss? Unvorstellbar. Eine Figur wie die des Meisterdetektivs ist ja per se alterslos. Und doch umkreist das Musical diese spannende Frage beantwortet diese auch überaus charmant:
Sehr liebevoll wird uns ein gealterter Sherlock Holmes gezeigt. Mit immer noch messerscharfem Verstand, aber in der Bewegung vielleicht ein bisschen langsamer. Er selbst gibt sich wie eh und je:
- Mütze – Check!
- Lupe – Check!
- Pfeife – Check!
- Schwierig im Umgang mit anderen Personen – Check!

Ob er altersstarrsinniger geworden ist, lässt sich gar nicht sagen, war Sherlock Holmes ein gesellschaftlich sowieso immer schwieriger Zeitgenosse. Mit Mrs. Hudson pflegt er eine Beziehung, die einer alten Ehe gleicht, aber trotzdem immer auf eine gewisse Distanziertheit gründet. Fall-müde ist er auch nicht: Die Szene, in der Watson ihm in Frage kommende Fälle vorliest, ist musikalisch wie choreografisch entzückend gelöst.
Sherlock Holmes selbst ist sowieso der Meinung, er brauche keinen neuen Assistenten, nix da Next Generation. Sein Umfeld beurteilt das jedoch anders. Zugleich erweist sich ein neuer Fall als vielschichtig. Und John, der Waisenjunge, ist einfach unglaublich gut. Fast so wie Holmes…
Schon auf dem Botschafterball nähern sich beide Figuren ein wenig an. Doch wirklich anfreunden kann sich Holmes nicht mit dem Jungspund. Die Macht des Schicksals allerdings grätscht dazwischen: Natürlich wirkt die Geschichte ein wenig konstruiert, wenn herauskommt, dass dieser John der Sohn von Irene Adler und Sherlock Holmes ist. Aber es erklärt zum einen das große Talent des jungen Mannes und es macht es Sherlock Holmes dann doch möglich, seinen Platz zunächst zu teilen, um ihn später vielleicht dann ganz abzugeben. Und das, ohne sein Gesicht zu verlieren.

Mich erinnert dieser Teil der Geschichte sehr an den Terence-Hill-Film Mein Name ist Nobody. Dort verhilft ein junger, talentierter Mann einem alternden Revolverheld zu einem würdevollen Abgang.
Und so wird die Frage, ob Sherlock Holmes Hilfe durch die nächste Generation braucht, befriedigend für alle beantwortet:
Nein, brauchen tut Holmes John und seine Hilfe nicht. Aber es ist doch schön und wunderbar, sie dennoch zu haben!
Rudi Reschke, Christian Heckelsmüller und Jo Quirin helfen Sherlock und seinem Erbe sicher und wunderbar leicht ins neue Jahrhundert. Dabei arbeiten sie mit Gegensätzen: Sherlock Holmes lässt sich noch ganz dem letzten Jahrhundert verhaftet, von seiner Haushälterin Tee servieren, geht aber auf Ganovenjagd mit Dr. Watson – reine Männersache! John recherchiert im Team mit einer gebildete emanzipierte Frau an seiner Seite, die ihm übrigen Medizin studiert und deshalb den würdigen Nachfolger von Dr. Watson werden wird. Sehr schön konstruiert!
Das Wundervolle dabei ist, das beide Lebensentwürfe einfach nebeneinander stehen bleiben dürfen, ohne gewertet zu werden. Sherlock bleibt Sherlock, er muss nicht abdanken oder verschämt erkennen, dass er es nicht mehr kann. Hier ist ein ganz wunderbarer Generationenübergang gelungen: Sherlocks Sprung in die neue Zeit bleibt liebevoll, charmant und vor allem würdig.
Musik
Es ist mir in den letzten Jahren nur einmal passiert, dass ich aus einem Musical nach Hause gekommen bin mit einem Ohrwurm, den ich den ganzen Nachhauseweg gesungen habe. Das war bei Drei Männer im Schnee. Ansonsten hab ich viele gute Stücke gesehen, aber der Ohrwurm, der fehlte mir jedes Mal. Hier nicht.
(K)ein Fall für Sherlock Holmes ist ein Stück, dass so pfiffig ist und dabei den Charakter des Stückes und seiner Figur einzigartig trifft. Akzentuiert, auf den Punkt und so ein bisschen old-school ist dieses Lied wie gemacht für Ethan Freeman als Sherlock. Ich hab es den Kids vorgesungen und seitdem tönt es aus dem ganzen Haus…
Das geniale an der Musik ist, dass man immer glaubt, man würde die Lieder irgendwoher kennen. Es ist großartiges Können, wenn man sich sofort vertraut fühlt mit den Kompositionen. Stellenweise ist das mit Sicherheit Absicht, etwa, wenn man sich in der Ouvertüre an die Titelmusik der Serie Sherlock erinnert fühlt. An anderen Stellen fließt die Musik einfach leicht ins Ohr. Es geht hier eine tiefe Verbeugung in Richtung des Komponisten Christian Heckelsmüller.
Insgesamt gefällt mir der 1. Akt musikalisch ein wenig besser. Er klingt ein bisschen frischer, ein wenig eindeutiger. Im zweiten Akt ähneln sich einige Stücke sehr. Oder sie weisen keine eindeutige Charakterisierung mehr auf, so dass ich am Ende gar nicht sagen konnte, wie welches Lied denn geklungen hat. Dazu kommt, dass im zweiten Akt sehr viele Soli nebeneinander stehen. Man hat das Gefühl, es müsste jeder noch sein eigenes Lied bekommen. Das allein ist ja nicht verwerflich. Aber diese Soli kommen relativ schnell aufeinander, sie sind nicht mehr ganz so sorgfältig in die Handlung eingewoben wie im ersten Akt.
Die Musik wird dargeboten von nur wenigen Musikern. Piano, Gitarre, Bass, Drums, Percussion und ein Cello reichen hier aber aus, um einen wirklich schönen vollen Sound zu kreieren. Dabei wird sehr schön variiert, denn es gibt neben dem rhythmischen Kein Fall für Sherlock Holmes noch eine Reihe Balladen und aber sehr emotional kraftvolle Stücke wie Dr. Watsons Trauma-Lied oder das verzweifelte Dein Bild in dir von Sherlock.
Stellenweise war die Band sogar trotz der wenigen Musiker zu laut, aber ich habe die Münchner Preview gesehen. Da ist das in Ordnung, wenn der Ton noch nicht perfekt ist. Ich hoffe, das wird in den regulären Vorstellungen ein bisschen besser. Allerdings hab ich nicht sehr viel Hoffnung, ich bin mit der Akustik im Deutschen Theater eher selten zufrieden…

Weil mir die Musik sofort gefallen hat, habe ich mir die CD mitgenommen. Ein bisschen enttäuscht hat mich, dass die CD keine Live-Aufnahme ist. Die Studio-Versionen der Lieder klingen sehr sehr glatt. Einwandfrei, keine Frage. Mit dem frischen Eindruck des Musicals fühlen sie sich aber nicht ganz so einzigartig-charmant an.
Abseits der Melodien haben mich auch die Sprechtexte begeistert. In anderen Rezensionen kommen die nicht gut weg, werden als eher platt charakterisiert. Dieser Meinung kann ich mich nicht anschließen. Die Kabbeleien zwischen Ms. Hudson und Holmes entbehren nicht spitze Bemerkungen über die Eigenarten des anderen, der schnelle Schlagabtausch zwischen John und Catherine hat Esprit und Charme.
Lady Margaret ist immer für einen Lacher gut, die geht Holmes ganz besonders auf den Zeiger. Ich bin hier voll auf meine Kosten gekommen.
Bühne
Die Musiker nehmen auf der Bühne mittig in einem runden Pavillon Platz. Sie sind allerdings von einem Vorhang umgeben, auf den die Bühnenbilder produziert werden, umgeben. Beim Ball dann werden die Stoffbahnen zur Seite gezogen und schon sind die Musiker Teil des Balles, auf dem sie musizieren. Gefiel mir außerordentlich.
Durch eine Konstruktion aus Säulen und Treppen links und rechts ist der Pavillon auch oben begehbar und schafft so eine zweite Ebene. Der Platz auf der Bühne für die Darsteller ist demnach in der Mitte durch das Halbrund des Pavillons ein wenig eingeschränkt. Links befinden sich – wenn gebraucht – die Requisiten, die die Wohnung in der Baker Street darstellen. Das Setting wirkt einfach. Das meiste wird projiziert. Diese Projektionen sind aber zum Teil sehr gut gemacht, sie müssen schließlich trotz der halbrunden Projektionsfläche perspektivisch richtig erscheinen. Die zweite Ebene über den Musikern wird häufig genutzt (die erste Reihe im Theater bringt hier leider eher Nachteile für den Zuschauer, Stichwort Genickstarre!).
Insgesamt haut einen das Bühnenbild zunächst mal nicht vom Hocker. Im Nachhinein muss ich aber sagen, dass ich nichts vermisst habe. Ich hatte nie das Gefühl, dass die Story besser unterstützt wäre, wenn das Bühnenbild umfangreicher gewesen wäre. Außer die leeren Sektgläser. Die hätte die Requisite schon befüllen können…
Kostüme
Ganz schöne, viktorianisch anmutende Kleidung wurde den Darstellern verpasst, Sherlocks Holmes trug den berühmten Hut, Dr. Watson gab sich im grauen Anzug deutlich seriöser. Die asiatischen Damen und Herren waren zwar einfach, aber ausreichend und passend gekleidet, ebenso die Ägypter. Man braucht einfach nicht viel, wenn es liebevoll gemacht ist.
Choreographie
Spitze! Sowohl die Laufwege der Darsteller als auch die Tanzszenen waren wunderbar anzusehen. Die hübschen Armbewegungen in der Ballsaalszene beim Walzer haben es mir besonders angetan. Da war die Choreographie sehr aufwändig! Der Tanz der männlichen und weiblichen Ägyptern im Museum kommt dagegen mit ganz wenig aus und wirkt trotzdem. Und natürlich muss man das erwähnen, wenn die Ensemble-Zusammenstellung es möglich macht, dass jemand Flickflack-Rückwärtssalto in Kombination springt!
Das Team verfügt darüber hinaus über einen eigenen Fight Choreographer. Mehrfach wird im Stück gekämpft. Diese Faustkämpfe laufen alle in Zeitlupe ab. Ich gebe zu, aus der ersten Reihe wirkt das nicht immer. Die Nähe nimmt da manchmal etwas vom Zauber. Aber ein witziger Kniff ist es allemal!
Passgenau war die Schrittkombination beim Lieblingslied Ein Fall für Sherlock Holmes. So passgenau, dass ich sie zu Hause noch nachtanzen konnte!
Wenn John Watson von seinem Trauma aus dem Krieg singt, werden die Krücken zu Gewehren, die Krankenhausbetten zu Gräben, um sich zu verschanzen. Ganz einfach aber bildlich wunderbar ausgedrückt. Dazu wirkt der anfängliche Sprechgesang John Watson wie Gewehrsalven!
Die für mich mit Abstand beste Szene im Musical ist die Szene, in der sich John zurückzieht in seinen Gedankenraum. Wenn sich Gesprächsfetzen und und Gedanken, Erinnerungen um ihn tummeln und er versucht, dieses Chaos zu ordnen oder besser: den einen Gedanken, der die Lösung bringt, zu identifizieren und festzuhalten! Zunächst sind nur die Stimmen zu hören, dann erscheinen auch die dazugehörigen Personen. Sie kommen John nah, sie umkreisen ihn. Das ist so toll gelöst, da war ich echt gepackt!

Darsteller
Sherlock Holmes – Ethan Freeman
Treffer – versenkt! Ethan Freeman passt wie die Faust aufs Auge in die Rolle des alternden Sherlock Holmes. Dazu trägt auch so ein bisschen die Ähnlichkeit zu Tony Shalhoub bei, der damals in der Fernsehserie Monk einen an schwerem Asperger-Syndrom leidenden Detektiv spielte, der von der Polizei immer dann hinzugezogen wurde, wenn die selbst nicht weiterkam. Die Parallelen sind unverkennbar und machen großen Spaß. Freeman gibt den Ermittler schrullig, überreizt das aber nicht und macht damit aus Sherlock Holmes einen sympathischen Charakter, der überschaubar bleibt.
Embed from Getty ImagesIch mochte sehr, dass er seinen Holmes nicht so bühnenfüllend gab, sondern eher zurückhaltend agierte. Die große Bühne gehört hier der nächsten Generation, die die für die Profilierung auch deutlich besser gebrauchen kann als er selbst. Die Chemie zu seinen Mitspielern stimmt, die Wortgefechte zwischen ihm und Ms Hudson sowie ihm und Lady Margaret sind amüsant-kurzweilig. Richtig aufdrehen und seine ganze Erfahrung und sein Können spielt er aus im Solo Dein Bild in mir. Diese kräftige Stimme kann so voll und durchdringend tönen.
Dr. John Watson – Frank Logemann
Dieser John Watson kam auf die Bühne und war mir von der ersten Sekunde an von Grund auf sympathisch. Sein seriöses Auftreten (man erkennt schon im Habitus den Engländer!), sein Aussehen (ich liebe den Backenbart!), sein Agieren mit Holmes.. Das alles war so wunderbar unaufgeregt authentisch. Ganz dezent bleibt er der Normalo an der Seite des Meisterdetektivs. Dass er aber mehr als nur ein Teil eines Duos ist, nämlich eine Persönlichkeit mit ganz eigener Geschichte, lässt er den Zuschauer sehen in seinem Lied. Hier wird er von einem Kriegstraum gequält und diese Qual, diese Zerrissenheit sieht man in seinem Gesicht. Ganz intensiv lässt er uns teilhaben und sein lauter Sprechgesang wirkt gespenstisch. Ein toller Darsteller in einer feinen Rolle!
John – Merlin Fargel
Die beiden „jungen“ Hauptdarsteller waren für mich das absolute Highlight. Merlin Fargel kann singen und spielen, fantastisch! Er balanciert seine Rolle sehr schön aus. Da ist der unsichere John, der Waisenjunge, der seinen Platz in der Welt noch suchen muss, ohne dabei hilflos und selbstmitleidig zu sein. Da ist der John, der ob seiner feinen Wahrnehmung sehr selbstsicher auftreten kann ohne arrogant zu wirken. Beispiel: Catherine fällt vom Fahrrad ihm direkt in die Arme. Anmerkung John: 125 Pfund Lebendgewicht! Außerdem ist die Frau freiheitsliebend, sie trägt kein Korsett! Das bringt er entwaffnend ehrlich und wirkt dabei kein bisschen anzüglich, aber auch nicht nerdig-verrückt.

Da ist der verliebte John, der sich behutsam erlaubt, so was wie ein Zuhause zu finden in Catherine. Das alles führt er stringent zusammen. Der Charakter des John macht das sehr greifbar. Er zeigt eine große Präsenz auf der Bühne, man folgt ihm gerne intuitiv.
Sein Zusammenspiel mit Catherine – Alice Wittmer – gelingt unangestrengt, warm und natürlich. Die Texter legen ihm aber auch tolle Zeilen in den Mund: Da singt John über seine erblühende Liebe zu Catherine: wie du mich berührst, die Gedanken führst…
Die Gedanken führst… das ist ein immens starkes Bild. Wenn John, der genau wie Sherlock immer Herr seiner Gedanken ist, für den das eigene Denken die Grundlage des Lebens scheint, dieses Bild zu verwendet, dass jemanden anderer seine Gedanken führt. Und wenn dieser John das auch noch zulassen kann, dann macht das das Lied und die Emotionen dahinter zu etwas Besonderem. Es unterstreicht die Einzigartigkeit dieser Beziehung, und deshalb nimmt man dem Pärchen auch ab, dass sie sofort so gut funktionieren.
Catherine – Alice Wittmer
Catherine Wittmer bringt so viel besondere Natürlichkeit mit. Ihre Stimme ist ganz fein gefärbt, sie bewegt sich ganz ungezwungen harmonisch und sie ist wunderschön! Mich hat sie begeistert.
Zunächst sieht es so aus, als käme Catherine aus gut situierten Verhältnissen. Das sie nicht sonderlich den Traditionen des alten Englands verhaftet ist, zeigt sich bald: Sie trägt kein Korsett, sie studiert Medizin, sie ist nicht auf den Mund gefallen und nimmt an Demonstrationen der Sufragetten (radikale Frauenrechtlerinnen in Großbritannien) teil. Das alles macht Wittmer transparent ohne dabei penetrant zu werden.

Der junge John irritiert sie zunächst und es ist ihr am Anfang schon unangenehm, sich die Gefühle einzugestehen. Aber nur sehr kurz. Dann nimmt sie das Geschenk an und ermittelt selbstbewusst an Johns Seite. Dabei kommt auch die Tragik ihrer Geschichte nicht zu kurz: Im selben Maße, wie sich Johns Familiengeschichte langsam entfaltet, bricht auf Catherines Seite eine mühsam gezimmerte Familienfassade zusammen. Während John Familie findet (er zieht aus dem Waisenhaus zunächst bei Ms Hudson ein, dann erfährt er, wer seine Eltern sind), verliert Catherine die ihre. Da fällt sogar der Satz: Ich weiß doch nicht mal, wer meine Familie ist!
Ich mochte alle ihre Emotionen: die Verunsicherung, die Sorge um John und die starken Momente, in denen sie sich über die gesellschaftlichen Standards erhebt, ohne was zu sagen, sondern allein durch ihre Mimik und ihre Haltung. Sie zeigt da ein ganz ähnliches Selbstbewusstsein wie John. Ganz hervorragend gespielt und astrein mit der richtigen Menge Emotion gesungen!
Mrs. Mason – Stephanie Tschöppe
Von Anfang an streng und eher undurchsichtig, besticht Stephanie Tschöppe in ihrer Rolle als Mrs. Mason alias Mrs. Moriaty durch ihre Präsenz. Geradlinig und energisch, kompromisslos von Anfang, vermittelt sie aber dennoch die Tragik ihrer Figur. In der Vergangenheit verletzt, erklärt sie sich im Solo:
Die Liebe hat ihren Preis, setzt den Verstand auf Eis.
Sie hadert mit der Vergangenheit und kanalisiert das in Verachtung und Hass. Eine Rolle, die nicht sehr groß ist, aber Stephanie Tschöppe bewirkt auch durch ihre gesangliche Qualität, dass sie im Gedächtnis bleibt.
Ms. Hudson – Susanne Elisabeth Walbaum
Was wäre Sherlock Holmes ohne Mrs. Hudson? Sie gehört zu ihm wie der Nusskeks zum Tee. Sie weiß ihn zu nehmen wie er ist, sie hat gelernt, ihm Kontra zu geben. Susanne Walbaum gibt dieser Mrs. Hudson ein überaus sympathisches Gesicht. Ihr fällt außerdem die Aufgabe zu, John den Brief seiner Mutter Irene Adler vorzulesen. Dieser fällt naturgemäß sehr gefühlsbetont aus, und Susanne Walbaum lässt diese Gefühle auch allesamt durch die Stimme fließen.

Lady Margaret – Jeanne-Marie Nigl
Die Rolle, die gewollt immer nahe an der Grenze zur Übertreibung und der Slapstick wandelt, ist Lady Margret. Wohlgemerkt: Niemals hat Jeanne-Marie Nigl diese Grenze überschritten. Ihre Mimik und ihre Wandelbarkeit – sie spielt überdies auch noch eine Krankenschwester mit Hamburger Zungenschlag – haben mich total gefangen. Wie sie die Augen aufreißt, wie ihr ganzer Körper mitspielt, wie sie Situationen gekonnt auf die Spitze treiben kann: Herrlich! Ich habe mich sehr amüsiert, denn in der Art, wie sie spielt, kann sie auch singen. Da tut es einem fast leid, dass Lady Margret verhaftet wird!

Ensemble
Das ganze Ensemble ist in meinen Augen perfekt gecastet. Jeder einzelne bringt seine Individualität und Qualität auf die Bühne und dazu fügt sich alles zu einem großen Ganzen. Die Chemie stimmt einfach und trägt maßgeblich zu einer gelungenen Produktion bei.
Fazit
Sherlock Holmes – The Next Generation hat mich so sehr begeistert. Die Musik ist genial und eingängig. Darüber hinaus fand ich die Geschichte durch die liebevoll ausgestalteten Charaktere wirklich interessant. Da kann ich gut verschmerzen, dass ich manches Puzzleteil des Falles nicht ins fertige Bild gebracht habe. Bühnenbild und Ausstattung wirken an manchen Stellen einfach, aber niemals so, dass es die Musik oder die Geschichte beeinträchtigt.
Ich wünsche dieser Produktion nur das Beste. Sie ist von Leuten gemacht, die ganz viel Liebe und Leidenschaft mitbringen. Den Krimifans unter euch empfehle ich es nicht, aber die Sache mit dem Generationenwechsel und die Liebesgeschichte zwischen John und Catherine sind ist warm und schön.
Darum meine Aufforderung: Geht hin, schaut es euch an! Ihr werdet es nicht bereuen und unterstützt gleichzeitig Menschen, die es lieben, Musiktheater zu machen!
Dankeschön 🙏so ausgefeilt und respektvoll habe noch keine Rezension von unserem Sherlockmusical gelesen… und sage einfach Danke im Namen des Teams und gerne auf Wiedersehen 👋🏼 🕵️♀️