Die aktuelle Spielzeit der Bühne Baden steht unter dem Motto Religion und Glaube, passend zum Motto wählte Intendant Michael Lakner die Stücke der Saison thematisch passend aus. So gelangte Der König und ich nach Baden auf die Musicalbühne. Das oscarprämierte Stück des hochdekorierten Autorendous Rogers/ Hammerstein kann trotz sehr guter Castleistung auch in Baden nur bedingt überzeugen. Zu zäh und wenig tiefgreifend in der Figurenzeichnung ist es angelegt. Da kommt auch die unaufgeregte Inszenierung von Leonard Prinsloo nicht dagegen an. Und trotzdem bleibt eine gewisse Spannung, wenn man wahrnimmt, wie zeitlos bestimmte Thematiken bleiben.
Der König und ich – das Musical
Ich hatte auf meiner Reise mal wieder meine Mutter dabei, die sich im Musicalbereich so gar nicht auskennt. Umso spannender, dass sie diesmal besser Bescheid wusste als ich. Bereits 1951 wurde dieses Stück uraufgeführt. Yul Brunner hat in mehreren Versionen den König von Siam verkörpert, im Film von 1956 wurde er für seine Darstellung sogar mit dem Oscar belohnt. Ein Old-School-Musical also?
Die Geschichte beruht auf den wahren Erlebnissen der Lehrerin Anna Leonowens, die von Margret Landon im Buch Anna and the King of Siam verewigt wurden.
Inhalt
Im Jahr 1862 kommt Anna Leonowens als Witwe eines Soldaten mit ihrem Sohn Louis nach Siam. Sie kommt einer Anfrage des Königs Mongkut, eines absoluten Herrschers, nach, die 67 Kinder und zusätzlich seine Lieblingsfrauen nach westlichem Vorbild zu unterrichten. Der Start gelingt nicht konfliktfrei, da der Herrscher seine Zusage, Anna würde in einem eigenen Haus und nicht im Palast wohnen, nicht einhält.
Ihr wird Lady Thiang zur Seite gestellt, die ihr quasi als Dolmetscherin in allen Alltagsfragen und als Sprachrohr des Königs dient.
Anna ist eine energische Frau mit modernen Prinzipien. Um die einzuhalten, tritt sie dem König mutig und auf Augenhöhe entgegen, was bei allen größtes Erstaunen und Unbehagen auslöst.
Der König ist weder angetan von Annas Methoden noch vom modernen (und auch ihm unbekannten) Schulstoff, doch seine Not und die Faszination für Annas Wissen und Auftreten stimmen ihn milde. Anna kümmert sich indes liebevoll um die Kinder, die sofort einen Draht zu ihr finden.
Unter diesen Mädchen ist auch Tuptim, ein Mädchen, dass der König vom Herrscher aus Burma geschenkt bekommen hat. Sie muss im Palast als eine der zahlreichen Frauen leben, dabei liebt sie heimlich Lun Tha.
Da erfährt der König, dass er von der westlichen Welt für barbarisch gehalten wird und Siam englisches Protektorat werden soll – eine Schmähung, die er nicht auf sich sitzen lassen kann. Er berät sich mit Anna, die ihm vorschlägt, ein Bankett nach westlichem Vorbild zu geben und so die Vorwürfe zu entkräften. In dieser Diskussion gibt Anna dem König immer das Gefühl, er selbst steuere alle Ideen dazu bei, dabei kommen diese alle von Anna selbst. Beim Bankett wird eine adaptierte Version von Onkel Toms Hütte gespielt und getanzt, welches ein voller Erfolg wird – bis auf einen Gefühlsausbruch Tuptims, die sich an ihre eigene unglückliche Situation erinnert fühlt. Tuptim nutzt schlussendlich den Abend zur Flucht.
Sie wird gestellt, der erboste König bestraft sie mit Schlägen, Lun Tha findet den Tod. Anna wird Zeuge dieses barbarischen Akts und versucht, das Mädchen zu schützen, argumentiert aber vergeblich. Hochgradig erregt und enttäuscht vom König kündigt sie ihre Stellung und will abreisen.
Lady Thiang überbringt ihr kurz vor dem Auslaufen des Schiffes einen Brief des mittlerweile schwer erkrankten Königs. Die ehrlichen Worte rühren Anna, so dass sie dem König noch einen Besuch abstatten will. Sie findet ihn auf dem Sterbebett. Der König proklamiert seinen ältesten Sohn, Prinz Chulalongkorn, zum Nachfolger und ringt vor seinem Tod Anna das Versprechen ab, zu bleiben. Als erste Amtshandlung des neuen Königs befiehlt dieser – ganz im Sinne seiner Erziehung durch Anna – dass die Begrüßung des Königs durch das Auf-den-Boden-Knien ersetzt wird durch einen bloßen Knicks.
Bögen
Gestaltung der Geschichte
An sich ist die Geschichte ganz geschickt konstruiert. Bestimmte Motive kehren immer wieder, zum Beispiel der Ausspruch etcetera etcetera, eine Redensart, die der König als eines der ersten Dinge von Anna lernt. Ferner wird auf das Alte Testament mehrmals von beiden Bezug genommen.
Geschickt wird dezent darauf geachtet, dass im Laufe des Stückes die Beteiligten – in der Hauptsache Lady Thiang – immer sichereres Englisch spricht.
Der weiteste Bogen spannt sich über die Generationen hinweg: Zwar verstirbt der König am Ende, aber seine Idee, dass es Neuerungen braucht, lebt weiter in seinem Sohn. Als junger Mann ist er noch nicht so den Traditionen verhaftet, offen für Neues und geprägt durch seine Lehrerin. So ist es ihm möglich, als erste Amtshandlung die Unterwerfung bei der Begrüßung durch einen Knicks zu ersetzen.
Figurenzeichnung
Das große Manko des Musicals ist die Charakterzeichnung der Figuren selbst. Die Autoren verlassen sich zu sehr auf die Geschichte an sich, auf das historische Vorbild. Natürlich besticht diese durch das Thema und der Clash of Cultures ist an sich schon spannend. Aber er reicht nicht, um ein Musical drei Stunde zu tragen. Dafür bedürfte es eine tiefere Zeichnung der Figuren. Sie machen wohl eine Entwicklung durch und deren Ergebnisse sind stellenweise sichtbar. Allein wie es dazu kommt, bleibt oftmals im Dunkeln. Das macht die Story zäh, weil man dem Charakter nicht nur die Geschichte folgen möchte. Stellenweise wirken sie dadurch auch unglaubwürdig. Der König erklärt Anna, dass keiner im Raum den Kopf höher tragen dürfe als der König. Wenn er also sitzt, müssen alle anderen sitzen. Und Anna folgt ihm. Man kann an Patricia Nessys Spiel erkennen, dass da zuvor eine kurze Phase des Überlegens ist, ein Abwägen. Aber die Geschichte versäumt hier, deutlicher darauf hinzuarbeiten, wie Anna mehr und mehr Verständnis für die Art des König entwickelt.
Auch dem König selbst wird diese Entwicklung nicht zugestanden. Er ist angelegt wie ein trotziges Kind, der seine vernünftigen Ansichten immer von Gefühlen wie Stolz Überheblichkeit überdecken lässt. Seine besondere Weitsicht, mit der er Anna an den Hof bestellt, wird selten erwähnt, er erscheint rückständig und ungebildet. Das Warum wird viel zu wenig ausgeführt.
Man bleibt den Figuren so seltsam fern. Natürlich erheitern manche Szenen, manche rühren ein. Aber in der großen Gesamtschau fällt auf, dass man sich emotional nicht bindet, weder an Anna, noch an den König.
Mit Tuptim und Lun Tha verhält es sich ähnlich. Sie verharren in ihrer ausweglosen Situation und bekommen keine Chance, sich und ihr Seelenleben darzustellen, so dass deren Liebesgeschichte als bloße Staffage verkommt.
Ich habe im Vorfeld auch das Buch, also die Romanvorlage, zu Rate gezogen und siehe da: Ich habe auf Seite 44 aufgehört. Es war zäh und langweilig erzählt. Rogers und Hammerstein taten es Margret Landon wohl gleich. Schade um die spannende Ausgangssituation.
Themen
Zwei vollkommen unterschiedliche Kulturen treffen aufeinander und obwohl sie von beiden Seiten freiwillig und gewollt ist, verläuft die gewünschte Annäherung nicht konfliktfrei. Diese Tatsache ist auch in unserer heutigen Zeit aktuell in allen Teilen der Welt bis vor der eigenen Haustür sichtbar.
Die Bereitschaft, etwas Neues anzunehmen, wird gleichzeitig begleitet von einer starken Abwehrreaktion: Es stellt sich eine große Verlustangst ein, die Angst, etwas von sich selbst zu verlieren, wenn man etwas, was lieb und vertraut ist, aufgibt oder durch etwas anderes ersetzt.
Politik sollte in einem Blogpost über ein Musical eigentlich kein Thema sein, aber es hat mir schon zu denken gegeben, wieviel Mut dieser König besitzt im Gegensatz zu manch anderen in heutiger Zeit. Er, der Barbar besitzt die Weitsicht, sich und sein Reich zu öffnen und anzupassen, er muss dies als Chance ergreifen in einer sich ändernden Welt.
Anna, die Vertreterin der westlichen, zivilisierten Welt, ereifert sich zunächst sehr missionarisch. Aber die Zeit und die emotionale Bindung an die Kinder oder auch an Tuptim verhelfen ihr zu einer differenzierteren Sichtweise. Auch sie öffnet sich dem Fremden.
Es ist eine überraschend einfache, aber universelle Feststellung, dass eine Annäherung zweier unterschiedlichen Standpunkte Zeit, Respekt und Verständnis für den Gegenüber braucht. Und hin und wieder ist ein Vermittler – heute würde man Mediator sagen – wie Lady Thiang nützlich.
Die Kinder nehmen in der Geschichte eine Sonderrolle ein. Denn die Kinder sind Anna und des Königs Berührungspunkt. Über dieses schmale, verbindende Element versuchen sich der König und Anna anzunähern. Für beide sind die Kinder das größte Kapital: Für Anna in Form ihrer Leidenschaft für den Beruf und für den König sind sie die Zukunft des Reiches, vor allem in Person des Thronfolgers auch die Ernte: Was er mithilfe von Anna sät, wird unter dem Thronfolger aufgehen. Dabei sind Kinder diejenigen, die ihre Konflikte offen austragen, sich trauen, nachzufragen oder zu provozieren und schließlich eine Lösung finden. Dieses Themenkomplex wird unter anderem durch Annas Sohn Louis und König Mongkuts Sohn Chulalongkorn schön ausgespielt und verdeutlicht.
Ein weiteres Thema ist das Sein und Schein. Was genau geb ich von mir Preis, was gereicht mir zum Nachteil, wie muss ich mich präsentieren und was macht das mit mir, wenn ich mich verstelle?
Da geht es Anna nicht anders als dem König. Gleich in der Eröffnungsszene erklärt sie ihrem Sohn, man sei nur so kühn, wie die Welt dich sieht. Der König möchte nicht als bararisch gelten und unternimmt alle Anstrengungen, diesen Schein aus der Welt zu schaffen. Aber wenn man voneinander lernen will, muss man einen Blick in sein unverstelltes Ich lassen. Dieser Blick ins Innere ist für beide, für Anna wie den König, so intim und dabei faszinierend, dass eine emotionale Verbindung entsteht. Die Liebe wird nur zart angedeutet und das ist auch gut so. Da ist die Geschichte Gott-sei-Dank nicht Märchen, sondern so realistisch, zu respektieren, dass es aus einer Vielzahl von Gründen nicht zu einem Liebesverhältnis kommen kann.
Musik
Die Figuren sind nicht auserzählt, aber es fehlt überdies etwas Essentielles:
Der König und ich hat zu wenige Melodien, die mich als Musicalfan mitreißen. Bekannt ohnehin ist allenfalls die Polka Shall we dance. Gerade im ersten Akt sind die Melodien sehr gediegen und ein wenig beliebig. Ohnehin ist die Songdichte nicht sehr hoch: Es ist ein unheimlich dialoglastiges Musical.
Prinzipiell ist das kein Problem, solange zwei Voraussetzungen erfüllt sind:
- Die Dialoge müssen gut gemacht sein. Von spannend über tiefgründig, schnell oder vielleicht ironisch darf alles sein. Hier ist die spannende Konfrontation der beiden Hauptpersonen viel zu bedächtig erzählt, zu episch breit und dabei wird das Stück der vielschichtigen Beziehung der beiden durch die eher einfachen Dialoge überhaupt nicht gerecht. Man fühlt sich immer gebremst, da die Szenen viel zu lang sind.
- Die Lieder dazwischen müssen einfach zünden. Tatsächlich werden keinen Gassenhauer oder Motive präsentiert, die schnell identifizierbar ins Ohr gehen.
Als Highlight empfand ich im ersten Akt den Marsch der Königskinder. Der ist thematisch passend höfisch und doch frisch gehalten. Die Musik zur tänzerischen Interpretation von Onkel Toms Hütte gefällt sehr durch ihre erzählende Weise. Und zu guter letzt unterhält die Polka Shall we dance im 2. Akt.
Die ruhigen Lieder, zum Beispiel Tuptims Mein Herr, mein Meister oder auch das Liebesduett I have dreamed bleiben erschreckend beliebig und transportieren zu wenig Gefühl.
Aus dieser – damals wie heute – brisanten Konstellation wird so die behäbige Nacherzählung eines Romans, der Spannungsmomente über weite Strecken fehlen.
Die Umsetzung: Der König und ich der Bühne Baden
Bühnenbild
Monika Biegler (Ausstattung) hat eine sehr reduzierte Bühne erarbeitet. Prinzipiell mag ich das sehr, wenn nur angedeutet wird, wenn die Konzentration beim Stück bleiben kann. Allerdings glaube ich, dass dem biederen, eher spannungsarmen Stück ein wenig mehr Opulenz nicht geschadet hätte.
Zwar traten die wenigen Elemente wirkungsvoll hervor: Schmale Schiebeelemente mit Blütenmuster versprühen einen Hauch von asiatischer Ästhetik und werden zum Überblenden der Szenen eingesetzt. Sie geben der oftmals leeren Bühne ein wenig Struktur.
Videoprojektionen auf der bühnenüberspannenden Hintergrundleinwand geben den Schauplatz wieder, an dem sich die Protagonisten befinden oder bieten einfach nur eine Assoziation. Diese Bilder erlaubten einen interessanten Stilbruch. Es waren keine fotorealistischen Bilder, sondern im Zeichtentrick-/ Comicstil, dezent, aber liebevoll gehalten. Mir hat das sehr gefallen, zum Beispiel die Anfangsszene: Wenn Anna mit dem Schiff in Bangkok ankommt, bewegen sich stilisierte Wellen auf und ab, Wellen, wie sie ein Kind zeichnen würde. Dabei wird die Plattform, die das Schiff darstellt, langsam nach vorne bewegt.
Andere Bühnenelemente sind rar, verschiebbare Podeste sind Bettstatt, Schul-/ Sitzbänke. Die Geschichte ist dadurch relativ ortsunabhängig gehalten, allein der Bildhintergrund kreiert eine zarte asiatische Idee.
Es kommt durch diese Idee der Bühnengestaltung zur fehlende Tiefe der Figuren zusätzlich fehlende Eindrücke für das Auge. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Betulichkeit des Musicals durch eine andere Art der Bühnenausstattung ein wenig abgemildert worden wäre. Man hätte des Königs Idee von sich selbst dadurch deutlicher Stützen können, man hätte überhaupt zusätzlich über die Bühne vielleicht eine Idee des Palastlebens transportieren können und den ein oder anderen Spannungsmoment entstehen oder verstärken können. Mir hat die Idee des Bühnenbildes prinzipiell gefallen, aber für diese Art Musical halte ich es für eher unpassend.
Kostüme
Sehr klassisch trägt Anna ein stilechtes englisches Kleid mit weitem Rock – der König nennt es erstaunt geschwollen – was bei den Damen und Kindern für Staunen und Kichern sorgt. Natürlich ist die Kleidung das erste wahrnehmbare Anzeichen des kulturellen Unterschieds: Im Gegensatz zu Anna bleiben die Einheimischen ebenfalls traditionell gekleidet mit schmalen, farbenfrohen Kleidern, mit Pumphosen für die Kinder, mit blanken Männeroberkörper unter den offenen Hemdkitteln.
Die Kostüme verfolgen zusammen mit der Bühnenausstattung eine gemeinsame Linie: sie sind dezent und zart asiatisch. Und so ähnelt sich da auch mein Urteil: gerade beim König hätte es auch eine Stufe opulenter sein dürfen. Ich hatte mehr als einmal die Assoziation mit Schlafanzug…
Tuptim, das Mädchen, das dem König geschenkt wurde, als Figur mit eigener Geschichte und Soli, ist durch die Haarpracht mit den bunten Strähnen und ein wenig abweichender Kleidung sofort optisch von den anderen unterscheidbar, was ich immer wichtig finde, um den Zuschauer nicht zu verwirren.
Choreographie
Daran habe ich wenig auszusetzen. Sehr klassisch angelegt ist sie, und zwei Szenen sind mir dabei besonders im Gedächtnis geblieben:
König Mongkut stellt Anna seine Lieblingskinder vor. Da muss man herzhaft schmunzeln, wenn man sieht, dass auch ein autoritärer Herrscher mit der eigenen Brut bisweilen Disziplinprobleme hat, und gleichzeitig macht es die Kinder in ihrer Neugier und ihrer unbekümmerten Art so herzlich lebendig. Das ist sehr liebevoll gemacht. Überhaupt muss man der Bühne Baden das Kompliment machen, tolle Kinderstatisten ausgewählt zu haben: Arbeiten mit so vielen Kindern am Theater ist ein ungeheurer Kraftaufwand. Wie schön, dass man sich diesen Aufwand tatsächlich geleistet hat.
Eine starke Wirkung auf mich hatte außerdem die Darbietung am Abend des Banketts Onkel Toms Hütte. Auch wenn diese Szene sehr lang geraten ist, konnte ich mich seiner Faszination nicht entziehen. Die traditionelle asiatische Art, Geschichten zu vertanzen, war unheimlich stark.
Gerne wird in Baden der Laufweg von der Bühne weg um den Orchestergraben drumrum genutzt und diese einfache Idee ist immer wieder wirkungsvoll, so etwa, wenn man dort Annas Sohn und den Thronfolger zusammen beobachten kann.
Insgesamt ist die Inszenierung des Bühne Baden sehr geradlinig, unaufgeregt. Dadurch, dass Kostüm und Bühne zwar schön, aber sehr reduziert sind, hat man eventuell die Möglichkeit verschenkt, etwas mehr Spannung in das sehr bedächtige Musical zu bringen oder: einen interessanten Kontrapunkt zu setzen.
Die Figuren und ihre Darsteller
Die Darstellerriege ist top besetzt und gefällt durch und durch, allen voran:
Patricia Nessy als Anna Leonowens
Man kann die historische Person der Anna Leonowens schon bewundern, wie sie ihr Leben gemeistert hat. Eine taffe Frau wird uns da präsentiert mit klaren Standpunkten. Allerdings können Historiker heute belegen, dass die werte Frau Leonowens schon deutlich geschummelt hat bei ihren Angaben und einiges erfunden hat, um sich ins rechte Licht zu rücken.
Und so präsentiert uns das Musical eine Anna, die eine sehr genaue Vorstellung hat von dem, was -für sie- richtig ist, und das auch nach außen trägt. Wer aber eine Furie erwartet, wird enttäuscht: Anna weiß natürlich, sich zu benehmen und: sie lernt, sich zurückzunehmen. Sie weiß, wann sie den Tonfall ändern muss und damit genau, wie sie den König zu nehmen hat.
Patricia Nessy nimmt man vor allem die prinzipientreue Gouvernante ab, die sich nicht verbiegen lässt. Nicht aufbrausend, aber doch sehr energisch vertritt sie ihre Position gegenüber dem König, meist aus purem Unverständnis seiner Position. Gegen Ende des Stückes kehrt Nessy die verständnisvollere Seite Annas sehr heraus. Dass ihr die Wandlung nicht subtiler gelingt, liegt am Stück und habe ich oben schon ausgeführt. Ein wenig fehlte mir aber schon das später sich steigernde Interesse und die Neugier.
Gesungen hat Patricia Nessy hervorragend. Egal, ob sie ihrem Sohn und sich Mut zuspricht (zusingt: I whistle a happy tune), sie offensichtlich in liebevoller Erinnerung schwenkt (Hello, Young Lovers) oder den König auffordert: Shall we dance.
Intensiv gelingt ihr auch der entscheidende Augenblick: Der König und Anna berühren sich beim Tanz, ja, der König fordert diese Berührung vehement ein: da vermag es Nessy eine sonst im Stück fehlende Spannung aufzubauen, zu halten, zu zelebrieren.
Darius Merstein-MacLeod als König
Wieder muss ich kurz darauf eingehen, dass von den Autoren die Figur schon nicht sorgfältig entwickelt wurde. Was es dem Darsteller auch nicht einfach macht….
Wenn man König Mongkut im Nachhinein mit wenigen Worten beschreiben sollte, gelingt das nicht eindeutig. Despotisch, naja, schon irgendwie, aber nicht von innen heraus, sondern eher qua Definition durch seine Stellung. Autoritär auf jeden Fall, traditionsbewusst und sehr aufbrausend.
Was mich ein wenig schockiert hat, dass die berühmten Autoren des Stückes es zulassen, dass der König bisweilen einfältig wirkt. Nicht wegen der fehlenden Allgemeinbildung, sondern auch abseits wirkt er so. Als machte er ganz viele Dinge ohne Bewusstsein dafür, was das nach sich zieht. Dadurch fährt er keine klare Linie, sondern mäandriert zwischen dem Glaube an die Notwendigkeit der Bildung und verletztem Stolz.
Merstein-MacLeod versteht es, dem König eine ganz leicht ironische Note zu geben. Das macht die Figur über weite Strecken sympathisch und man lässt sich leichter auf ihn ein. Wenn er Anna versteckt um Rat bittet, kann man erkennt man, dass ihm das durchaus bewusst wird. Zeitweilig hat man das Gefühl, er spielt bewusst dieses Spiel, so wie dann auch offensichtlich, wenn Anna ihren Kopf nie höher als er tragen soll.
Er spielt mit beachtliche Präsenz und schweren Schritten voller Elan. Der Stolz treibt ihm zweitweise das Grinsen ins Gesicht, er kann sich aber auch hemmungslos im Zorn verlieren.
Insgesamt eine schöne Leistung von Darius Merstein-McLoud. Vor allem das Zusammenspiel mit Patricia Nessy gelingt fabelhaft. Überaus viel zu singen hat er nicht, vermag es dann aber schon, Emotion in die Stimme zu legen.
Ann Mandrella als Lady Thiang
Die mit Abstand beste Leistung des Abends lieferte Ann Mandrella mit ihrer Darstellung der Lady Thiang. In einer sehr natürlichen Art bringt sie schon allein durch Haltung und Gestik ihre Stellung im Haushalt des Königs zur Geltung. Zurückhaltung und dennoch eine klare Linie vertritt sie.
Ich kenne Ann Mandrella als Frau mit unglaublicher Energie, die sie oft in großen Gesten ausdrückt. Die Rolle hier in Baden verlangt von ihr eine stoische Zurückhaltung. Und das gelingt ihr vortrefflich, sie strahlt eine sehr erhabene Ruhe aus.
Lady Thiang ist über alle Maßen loyal, aber man hat nie die Idee, dass das eine unterwürfige, erzwungene Loyalität ist, sondern eine sehr verständnisvolle. Sehr subtil ausgespielt, denn man merkt Ann Mandrella als Lady Thiang die Liebe und Treue zum Herrscher an, ihr absolutes Vertrauen in alles, was er tut. Mit dieser bedingungslosen Loyalität kann Lady Thiang sich auch erlauben, den Herrscher vorsichtig zu lenken und seine Geschicke dahin zu bringen, wo er sie haben will. Sie ist ein heimlicher Macher des ganzen, die starke Frau, die hinter ihm steht und sicherstellt, dass er nicht vom Weg abkommt.
Ich bewundere diese Figur und wie Ann Mandrella mit so zurückhaltender Art und Weise das hinbekommt, diese Figur mit solcher Hingabe zu versehen.
Auch gesanglich zeigte sie die beste Leistung des Abends. Die tolle Stimme dieser Frau hab ich immer schon sehr bewundert, sie ist voluminös und warm. Außerdem ist sie darüber hinaus die einzige in der Riege, bei der ich in der letzten Reihe absolut jedes Wort verstanden habe.
Valerie Luksch als Tuptim und Beppo Binder als Lun Tha
Das junge Mädchen Tuptim ist innerlich zerrissen: sie gehört dem König und das ist ihr bewusst. Manchmal hat man die Idee, sie versucht zu verstehen, dass das eine Ehre ist, andererseits erkennt sie ihr Dasein als Gefangene.
Stimmlich hat Valerie das toll gemacht. Ebenso Beppo Binder, der die Rolle kurzfristig übernahm. Beide gehen allerdings ziemlich unter zwischen der umwerfenden Ann Mandrella, dem großgestigen König und der immer-präsenten Anna. Die Liebe der beiden ist überdies nicht sehr intelligent eingebunden in die Geschichte, sie steht so ein bisschen außerhalb und Luksch und Binder vermögen es logischerweise auch nicht, sie weiter in die Mitte zu Rücken. Es ist immer schade, wenn gute Leistungen aufgrund der Storyline nicht nachhaltig im Gedächtnis bleiben, denn zusammen zeigen sie eine wunderbare stimmliche Harmonie in den beiden Duetten.
Jonas Zeiler als Louis Leonowens und Melvin Hirschmann als Prinz Chulalongkorn
Die beiden jungen, aber überaus bühnenerfahrenen jungen Männer sind ein Traum an Natürlichkeit. Sie treffen die Idee ihres Liedes haargenau und singen ohne Fehl und Tadel.
Orchester
Das Badener Orchester: ein Traum, immer wieder ein Traum. Die Melodien fließen leicht dahin, die Bläser steuern mit prägnanten Ansatz immer wieder die raren dramatischen Momente, während die Querflöte zart im Ansatz Annas gesungene Verständniserklärung an die beiden heimlich Liebenden unterstreicht. Vor allem im Zusammenspiel mit dem Ballett macht dieses wunderbare Orchester die Onkel-Toms-Hütte-Szene zu einem Genuss, denn es erzählt, nimmt sich zurück und prescht wieder vor. Applaus!
Ballett
Das Ballett muss hier unbedingt hier auch Erwähnung finden, denn ich fand es einfach hinreißend. Die Bewegungen gelingen dem Ballett mit ganz viel Leichtigkeit authentisch und geschmeidig. Gemeinsam mit dem Orchester und der Cast das tragende Element dieses Musicals.
Fazit
Der König und ich hat mich nicht überzeugt. Daran ist aber nicht die Bühnen Baden und ihre Inszenierung Schuld. Bis auf die Ausstattung hat da für mich alles gepasst. Es muss dem unausgereiften Musical selbst angelastet werden, das viel Zeit auf die Figuren verwendet, dabei aber deren Entwicklung zu wenig aufzeigt. Dadurch handeln die Figuren nicht immer logisch und man bleibt ihnen seltsam fern. Das ist gerade für die Darsteller bedauerlich, denn die bringen in dem ihnen vorgegebenen Rahmen allesamt eine tolle Leistung.
Alle Szenenfotos: Christian Husar für Bühne Baden
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