Das Festspielhaus Neuschwanstein ließ sich über den Sommer einiges einfallen, um die Zeit, in der corona-bedingt keine großen Musicals gespielt werden dürfen bzw. an den auferlegten Regeln scheitern, zu überbrücken. Die Solidaritätskonzerte, die teils unter freiem Himmel stattfanden, teils bei schlechten Wetter im Saal, hatten einiges zu bieten: Gaben sich doch Musical-Hochkaräter wie Jan Ammann, Jan Rekeszus, Roberta Valentini, Michaela Schober, Christopher Brose, Odeo Kuipers, Kevin Tarte, Alexander Kerbst, Hannes Staffler, Matthias Edenborn, Christian Schöne, Milan van Waardenburg und Judith Caspari die Ehre.
Die gut besuchten Konzerte ließen keine Wünsche übrig. In kleinem, aber feinen Rahmen wurde hier stimmlich gezaubert vor der atemberaubenden Kulisse von Schloss Neuschwanstein. Das erste tatsächliche Musical nach langer Pause folgte dann am 18.9. im Saal des Festspielhauses: Die letzten fünf Jahre von Jason Robert Brown benötigt zwei Darsteller und zwei Musiker und ist damit natürlich prädestiniert für diese Zeit, die Abstandsregeln und Minimierung des Gruppengesang notwendig macht.
Die letzten fünf Jahre
Jason Robert Browns Meisterstück begeistert seit der Uraufführung 2001 das Publikum. Es behandelt kammerspielartig die Geschichte einer fünf Jahre andauernden Beziehung zwischen Jamie und Cathy und deren Ende. Beide Protagonisten singen immer abwechselnd ein Lied und erzählen so von ihrer ganz persönlichen Tragik. Richtig pfiffig ist dabei die Erzählweise an sich:
Jamie beginnt euphorisch und schildert den Anfang der Beziehung chronologisch: Kennenlernen, Verlieben, Zusammenziehen, Heirat, Schwierigkeiten, Tränen und Streit und schließlich die Trennung. Cathy wiederum steht zu Beginn des Stückes weinend da und rollt die Beziehung von der Trennung beginnend von hinten nach vorne auf. Beide Erzählstränge kreuzen sich einmal, dort gibt es auch ein gemeinsames Lied: Heiratsantrag/ Hochzeit.
Das Musical ist ein Phänomen an sich. Es erzählt eine sehr einfach Geschichte, wie sie tausendmal am Tag irgendwo auf der Welt passiert. Es benötigt kein Ensemble. Das Paar wird zwar durch Text und Spielweise in ein sie umgebendes Umfeld gebettet, es treten aber keine weiteren Charaktere bildlich auf, was die Handlung weitreichend unterstützt: Es geht um zwei Menschen, die ihre Beziehung nicht auf die Reihe kriegen, dritte sind da nur unmittelbar beteiligt. Die Lust und Last des Zusammenseins tragen die beiden alleine. Verschiedene Spielorte werden ebenfalls nur durch wenige Requisiten angedeutet. Alles in allem bleibt es ein sehr auf Musik, Text und Handlung reduziertes Musical. Trotzdem oder vielleicht genau deswegen wird nach und nach ein sehr facettenreiches Bild der Charaktere entfaltet. Der Zuschauer taucht Stück für Stück tiefer ein in das Zusammenleben der beiden jungen Künstler (Jamie ist Autor und Cathy Bühnendarstellerin/ Sängerin) und die Herausforderungen, die die Kombination der beiden Charaktere und ihrer Karrieren mit sich bringt.
Die Songs sind mit erfrischender einfacher Klarheit komponiert. Ersthörer finden zwar keinen Ohrwurm, der sich wiedergeben ließe. Allerdings sind es sehr eingängige Melodien, die den Texten und damit der Handlung ihren Lauf lassen. Erst nach mehrmaligem Genuss (dieses Musical eignet sich auch wunderbar einfach nur zum Hören) fallen Parallelen innerhalb der Songs auf und es stellt sich so mancher Aha-Effekt ein.
Inszenierung
Die große Bühne des Festspielhauses bietet enorm viel Platz und das Stück braucht nicht viel: Einen Pianisten und einen Gitarristen, einen Ausichtsturm auf den eine Leiter führt und diverse weiße Kisten.
In diesen befinden sich zahlreiche kleine Requisiten, außerdem werden sie wahlweise als Sitz-/ Schlafgelegenheiten genutzt. Beide Darsteller wissen großartig, mit diesem Setting umzugehen. Souverän nutzen sie den Raum, den die Bühne ihnen lässt. Sie wirken aber weder verloren noch ständig bemüht, die weite Bühne durch raumgreifendes Spiel verwenden zu müssen. Was sie aber perfekt nutzen, sind ihre Stimmen, ihr Spiel und die großartige Vorlage.
Um die Szenen eindeutig voneinander zeitlich abzugrenzen, wechselt Cathy tatsächlich für jedes Lied ihr Outfit, die Figur des Jamie tut das auch, wenngleich ein wenig minimalistischer.
Charlotte Heinke und Patrick Stanke standen schon 2005 bei der deutschen Erstaufführung in Wuppertal gemeinsam als Cathy und Jamie auf der Bühne. Auch die deutsche CD-Aufnahme ist ihr Werk. Insofern konnte man sich darauf verlassen, dass das eine runde Sache werden würde. Und so kam es dann auch:
Inhalt – Zusammenfassung
Ich steh weinend da
Das Stück beginnt mit Cathy, die sich selbst und die Zuschauer mit der Tatsache konfrontiert, dass ihr Ehemann Jamie die gemeinsame Beziehung beendet hat.
Jamie ist fort, und er kommt nicht zurück.
Jamie hat neue Visionen im Blick.
Cathy betrachtet gemeinsame Fotos. Sie wirkt in ihrem ganzen Schock aber eher unemotional, eher erstarrt. Doch sie fühlt sich verletzt und mutlos, sie gibt ihm die Schuld. Währenddessen ist Jamie auf der Bühne zugegen, man beobachtet ihn dabei, wie er umhergeht. So wird angedeutet, dass Jamie aus den Gedanken und ihrem Herz nicht so schnell verschwinden wird.
Spannend, dass sie davon singt, dass Jamie neue Visionen im Blick hat. Dieses Wort findet sich auch in Jamies Sprachgebrauch im nächsten Lied:
Meine Göttin
Der junge aufstrebende Schriftsteller Jamie beginnt seine Geschichte mit einer Liebeserklärung an Cathy. Er singt dabei in überschwänglicher Art davon, dass sie die Richtige ist und er jeden ihrer Fehler ertragen könnte. Außerdem macht er ihr mit dem Satz
Du bist die Geschichte für mein Buch.
eine sehr aussagekräftige Liebeserklärung: Er ist Autor, er schreibt. Und sie ist seine Inspiration.
Überhaupt ist der Text dieses Songs wunderbar witzig. Es ist der Text eines Mannes, der war mit Worten umgehen kann und zugleich auch einfach sprechen kann, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. So spiegelt sich Jamies Charakter und seine Begabung schon im ersten Lied.
Aber als ich dich gesehn hab,
Blieb mir glatt der Atem weg.
Tagelang glotzte ich nur das Telefon an,
Starr vor Angst wie der letzte Depp.
Ich war ausgesetzt in der Wüste, Voller Schmerzen, voller Qual!
Mein Volk hat gelitten seit ewiger Zeit,
Und es ist mir scheißegal!
Jamie klettert auf der Füssener Bühne hier nach oben, eine Leiter hinauf. Bildlich klettert er auf Wolke sieben und so gibt er sich auch: Verliebt, glücklich.
Und dann fällt der Satz, der das Lied mit Cathys vorheriger Klage verbindet:
Ja, die Vision in die ich mich verliebt habe bist du.
Schau, ich lächle
Cathy, jetzt noch kurz vor der Trennung, hegt die Hoffnung, dass alles trotz Krisen und Widrigkeiten wieder gut wird.
Die beiden haben sich getroffen in Ohio, wo Cathy auf mit dem Theater auf Sommertournee ist. In einer Art Selbstbeschwörung fordert sie von Jamie mehr Rücksichtnahme. Wieder befindet sich Jamie mit auf der Bühne, er sitzt mit dem Rücken zum Publikum. Er bleibt dem Zuschauer damit unnahbar und distanziert, wie er es auch Cathy gegenüberbleibt schon ist.
Sie versucht, gute Mine zum bösen Spiel zu machen und schluckt viel. Sie muss viel schlucken in dieser Beziehung, an der sie festhalten will und spielt das großartig aus. Cathy möchte Kompromisse machen. Sie möchte ein Wir-Gefühl beschwören, dass es so nicht (mehr) gibt.
Bei dir geht’s immer nur um eins,
Und das bist halt
Du und du und immer nur du.
Cathy wird hier sehr emotional in der Vorwürfen an ihren Ehemann. Denn sehr rasant zerstören sich hier ihre Hoffnungen. Zunächst besucht Jamie sie, dann wird klar, er muss früher nach Hause. Dann bleibt er tatsächlich nur einen Tag, ihren Geburtstag wird er nicht mit ihr feiern. Und dann kommen die großen Vorwürfe. Es geht schnell in diesem Lied, der Verfall der Beziehung und auch die Erkenntnis für Cathy, dass sie Jamie emotional nicht mehr erreicht. Und diese rasante Achterbahnfahrt spürt zu Beginn auch Jamie, aber anders:
Es geht ein bisschen zu schnell
Hier erlaubt uns Jamie einen Blick auf seine Karriere: Der junge Autor zieht einen großen Deal an Land, der berufliche Erfolg kracht vollkommen unerwartet in sein Leben. Es läuft und er mag es gar nicht glauben, hüpft aber nur zu gerne an dieser Haltestelle in den vorbeifahrenden Schnellzug.
Bei so einem Lauf,
Da hört man nicht auf.
Es ist nie genug.
Bei allem, was ich tu,
Schieß ich mit Vollgas nach vorn!Mancher, der schafft’s mit der Kunst nie ans Licht.
Mancher sucht Liebe und findet sie nicht.
Mancher verwechselt das Ganze nur schlicht.
Das wiederum beschreibt Jamie sehr genau. Möglicherweise hat er da was verwechselt. Die euphorischen Gefühle für Cathy just in dem Moment, als seine Karriere einfach davongaloppierte… Da hat er sich womöglich mitreißen lassen. Wie auch Cathy sich zunächst mitreißen lässt:
Ich bin Teil davon
Cathy lässt sich mitreißen vom Erfolg ihres Ehemannes. Doch während Jamie im Führerhaus weiter auf den Wegstrecken des Erfolges manövriert, sitzt sie im letzten Wagon und versucht, sich mit ihrer Rolle zurechtzufinden. Sie ist hübsches Beiwerk, sie nimmt den Platz ein, der übrig bleibt. Sie hat keine Kontrolle über ihre Karriere, auch nicht darüber, wie ihre Beziehung zu Jamie läuft.
Ich bin ein Teil davon,
ich richte mich nach ihm.
Das ist die Rolle, die ich spiel
ich bin Teil davon oder nicht?
Er erschafft die Welt,
die uns umgibt.
Er ist der Autor, der in seinen Büchern eine eigene Welt erschafft und so überlässt Cathy es Jamie und den Umständen, ihre Realität zu gestalten. Ihr fehlt die Eigeninitiative völlig. Sie ist sich dessen auch bewusst, aber kann und möchte nicht gegensteuern.
Das Lied von Schmuel
Auch Jamie weiß, dass Cathy noch nicht ihre eigene Rolle gefunden hat. Es wird noch nicht groß thematisiert, aber es scheint, dass Cathy beruflich doch sehr erfolglos ist. Jamie bestärkt sie darin, weiter zu träumen. Es ist Weihnachten und er wünscht ihr den Durchbruch. Er tut das mit einem Vergleich: Er besingt den Schneider Schmuel, der durch ein Wunder am Ende seines Lebens noch einmal die Chance erhält seinen Traum zu verwirklichen.
Cathy, geh hin und werd glücklich.
Na na na na na
Ich gebe dir unendlich Zeit.
Dabei schenkt er ihr symbolisch eine Uhr.
Ein Sommer in Ohio
Der Zeitfaktor ist für Cathy nicht unerheblich: Denn schon wieder muss sie den Sommer tingelnderweise in Ohio verbringen. Wieder hat es nicht geklappt mit einem guten Engagement, obwohl sie Zeit in ihre Karriere investiert. Jetzt verbringt sie dort ihre freie Zeit ohne ihren Mann und spielt weder die Stücke, die sie möchte noch vor dem Publikum, das sie sich erträumt. Und wieder macht Cathy gute Mine zum bösen Spiel. Sie schreibt einen heiteren Brief an ihren Mann, sie möchte sich und ihn aufheitern. Aber es hat sich sehr spürbar eine Distanz zwischen den beiden ausgebreitet, die auch räumlich greifbar ist.
Die nächste Stunde
Geht es in Jamies letztem Lied um alle Zeit, die er Cathy schenken will, und in ihrem letzten Lied darum, dass die Zeit nicht für sie arbeitet, folgt doch der Höhepunkt des Stückes im Lied: Die nächste Stunde. Denn das ist, was zählt. Für eine Stunde braucht es keine Visionen, nur sie und ihn. Jamie macht Cathy einen Heiratsantrag, den sie annimmt .
Mach dich auf eines gefasst: Ich werd oft unpünktlich sein. Ich komm zu spät, meine Spezialität! Aber irgendwann treff ich doch ein.
Und wieder geht es um Zeit. Sie wird nicht rechtzeitig da sein, das sagt sie ihm schon vorher. Welch tolles Bild, denn so ist diese Beziehung: Jamie ist ihr voraus. Sie hechelt hinter her.
Und doch nimmt sie Jamies Bild von Schmuel auf und fragt:
Warum sind alle in Hast? Warum beeilen sie sich?
Sie hätten alle Zeit der Welt. Sie versprechen sich die Liebe für Immer und trotzdem heißt das Lied Die nächste Stunde. Ich mag diesen textlichen Kniff!
Wär die Welt perfekt
Für den Zuschauer möglicherweise überraschend und irritierend, lässt sich Jamie darüber aus, dass er, seit er verheiratet ist, bei anderen Frauen so viele Chancen hat, auf die er jetzt aber verzichten muss. Er bewegt sich in einer schillernden Welt des Erfolges und Erfolg macht sexy. Damit hadert er und ähnlich wie Cathy am Anfang selbstbeschwörend davon singt, dass alles gut ist, so singt auch jetzt Jamie davon.
Doch schon gut, schon gut, schon gut..
Er liebt seine Frau, erkennt aber schon, dass diese Glamour-Welt, in die er sich begeben hat nur bedingt zur Realität mit Cathy passt. In diese Szene eingebettet übt Cathy für ein Vorsingen
Und nach all der Einsamkeit Hältst du mich fest und warm. Mein Herz ist voll von dir
Es beschreibt das Bild der Beziehung sehr genau: Er, dem nichts genug ist, der an jeder Ecke irgendeine Möglichkeit sieht, dem der Erfolg zuläuft. Und sie, die nichts hat, außer ihren Ehemann.
Ich komme voran
Wir blicken jetzt Cathy über die Schulter, wie sie eine Audition nach der anderen hinter sich bringt und dort eben genanntes Lied singt. Wie sie Hoffnung hat und zweifelt, den ganzen Betrieb in Frage stellt und doch kämpft. Es offenbart sich Cathys Schwäche nur allzusehr: sie ist zu wenig von sich überzeugt, stellt sich schnell in Frage. Das ist skurril, das ist komödiantisch perfekt und offenbart aber auch den ganzen demütigenden Prozess, den eine solche Auswahl mit sich bringt. Tapfer hält Cathy an ihrer Vision, nicht als Heimchen am Herd zu enden fest.
Wär ich nicht überzeugt von dir
An Cathy nagen die Selbstzweifel, die wiederum Stress in die Beziehung tragen. Jamie singt darüber. Er findet, sie steht sich selbst im Weg und damit ihm. Auslöser für den Streit ist eine Party, auf die Jamie gehen muss, eine Party des Verlages. Doch Cathy möchte nicht mitgehen. Jamie wirft ihr mangelnde Unterstützung vor und geht so gar so weit, ihr zu unterstellen, dass sie ihn bremse, nur weil sie beruflich nicht vorankommt. Es entbrennt ein heftiger Streit, in dem Jamie immer wieder beteuert, dass er an das Potential seiner Frau glaubt, aber sie selbst es in sich entdecken müsse.
Mir wird’s mal besser ergehn
Cathy, zeitlich ja mittlerweile am glücklichen Beginn ihrer Beziehung, singt darüber, dass sie eine genau Vorstellung davon hat, was sie nicht will, nämlich als eine Frau enden, die nur zu Hause auf ihren Mann wartet und auf die Kinder aufpasst. Und dass sie das Potential dazu hat.
Es ist ein fröhliches entspanntes Lied. Die vielen Kisten auf der Bühne hat Cathy umgebaut zu einem Bett. Sie sitzt im Schlafanzug darin.
Ähnlich wie Jamie sie als seine Göttin besingt mit allem, was seine Traumfrau auch für Fehler haben darf, so beschreibt Cathy, dass es ihr geht.
Sie benutzt sie übrigens die gleichen Worte im gleichen musikalischen Motiv wie zu Beginn, als sie Jamie vorwirft, die Beziehung zerstört zu haben:
Du und du und immer nur du.
Witzigerweise beschreibt sie in diesem Lied auch eine Liebelei mit einem anderen Mann, den sie kennenlernte und der sie wegen seiner Karriere verließ. Und dazu singt sie:
Mir wird es einmal besser gehen.
Keiner muss das erfahren
Hier ist wieder eine der genialen Stellen, an der alles miteinander verschwimmt. Jamie steht vor dem Bett und mit den ersten Zeilen, die er singt, denkt man, er singt Cathy an, die da im Bett liegt. Doch plötzlich fällt der Satz,
ich muss zu Cathy.
Jamie eine Affäre mit einer anderen Frau. Er ist einer Versuchung, wie sie ihm seine schillernde Karriere bietet, erlegen.
Er ist sich seiner Verfehlung durchaus bewusst, er hadert damit. Aber für ihn ist die Beziehung zu Cathy an dieser Stelle zu Ende. Das zeigt sich allein in dem Satz
Ich hab mein eigenes Buch umgeschrieben.
Er macht sich auf nach Ohio, um Cathy zu treffen.
Mach’s gut bis morgen/Ich konnte nie dein Retter sein
Beide verabschieden sich voneinander.
Sie, jetzt glücklich verliebt am Anfang der Beziehung stehend, verabschiedet Jamie nach einer gemeinsamen Nacht, verliebt, überschwänglich, sehnsuchtsoll.
Er, desillusioniert und müde vom täglichen Kleinkrieg, bricht seine Zelte in der gemeinsamen Wohnung ab und geht in ein neues Leben ohne Cathy.
Ich weiß schon, du willst So wortlos nicht gehn.
Doch sag jetzt nichts mehr.
Denn jedes Wort,
Jedes Gefühl,
Das lag in dem einen himmlischen Kuss.
Das lag auch in seinem letzten Kuss, nämlich den, den er seiner Affäre gab.
Lass es dabei. Ich seh dir nur noch nach, wenn du gehst.
So oder so passt der Text auf ein traurig-wehmütiges Abschiedslied oder eben auf eines, wie es Cathy singt in voller Freude, auf das, was vor ihr liegt.
Cathy beteuert immer wieder, sie würde warten. Und nichts anderes hat sie getan, immer nur gewartet. Gewartet, dass das Glück endlich zu ihr kommen würde. Dann kam Jamie uns sie konnte das Glück nicht festhalten. Noch einmal wird am Ende des einen Freud und des anderen Leid deutlich.
Ich stehe am Klippenrand, Kann kaum die Balance halten.
Die Kluft ist lange schon zu abgrundartig.
Cathy steigt wie Jamie am Beginn ihrer Beziehung auf die Leiter. Doch sie tut das mit viel mehr Bedacht, viel langsamer. Aber auch sie kommt ganz oben an.
Die Darsteller
Charlotte Heinke/ Patrick Stanke
Beide Darsteller haben die deutschsprachige Uraufführung gespielt und auch die deutschsprachige CD eingesungen. Alte Hasen, möchte man da schon sagen und man weiß instinktiv, dass an diesem Abend nichts schiefgehen wird. Ist es auch nicht. Der Abend war ohne jeden Makel.
Die unglaublich Leistung beider Darsteller liegt ohne Frage daran, wie perfekt aufeinander eingespielt sie die Brillanz dieses Musicals dargelegt haben. Die zwei Erzählstränge laufen jeweils gegengleich und doch ist es so, als würde sich Jamie und Cathy mit ihren Liedern einen Dialog liefern. Natürlich kommt die Entsprechung immer erst viel später, aber die aufeinanderfolgenden Liedern halten sich doch auch immer ineinander fest, obwohl sie chronologisch nicht passen. Das ist ein besonderer Kniff, der sich bei guter Textkenntnis auftut. Aber wie die Lieder inhaltlich sich die Klinke in die Hand geben, war hier offensichtlich. So pointiert haben die beiden mit Spiel und Stimme gearbeitet.
Was mich überrascht hat, war die Klarheit, mit der hier dargelegt wurde, dass diese Beziehung zum Scheitern verurteilt ist. Anders als das letzte Mal, als ich das Stück gesehen habe (in Wien), stand hier schon von vornherein die Möglichkeit im Raum, dass das nix wird mit den beiden. Sogar bei der Hochzeit meinte ich, eine gewisse Distanz zu spüren. Und das lag nicht an dem coronabedingten Anstecken des Ringes auf Distanz! Ich fand das einen ungeheur intensiven Ansatz. Die Tragik nimmt da nochmal dramatisch zu.
Beiden nimmt man die Gefühle füreinander ab, und doch hat man gleichzeitig die Idee, dass die Beziehung von Anfang an für jeden in eine unterschiedliche Richtung steuert. Dass das so gedacht ist, ist für mich offensichtlich, denn so wurde ja auch die Erzählweise gewählt: in unterschiedliche Richtungen. Aber dass das auch so offen zu Tage tritt, dass das so ausgespielt werden kann, verblüffte mich dann doch.
Die beiden haben es geschafft, das Wesen der Beziehung von Jamie und Cathy zueinander nach und nach bis auf den Kern zu entblättern. Um dann festzustellen, dass man mit ähnlichen Ideen und Vorstellungen trotzdem vollkommen woanders rauskommen kann. Denn nicht nur die Umstände der unterschiedlich erfolgreichen Karrieren sind daran Schuld, dass die beiden Charaktere unfähig bleiben, etwas gemeinsames entstehen zu lassen.
Durch die zeitversetzten Ebenen agiert jeder allein, und genauso bleibt diese Partnerschaft eine, in der man immer weiter das Gefühl hat, das 1 plus 1 nicht zwingend ein Paar ergibt.
Patrick Stanke hat den ersten Lacher des Abends auf seiner Seite: Zu Beginn singt er darüber, wie schnell alles geht in Jamies Leben und versichert dabei ins Telefon: Ich bin wirklich erst 23!
Ja, da schmunzelt das Publikum. So schnell vergeht das Leben, und trotz beinahe glaubhafter Versicherung ist Patrick Stanke nicht mehr 23, hat sich aber in seiner Rolle den jugendlichen Vorwärtsdrang vollends erhalten. Er staunt und genießt, kann rational kommentieren, lässt sich aber nur zu gern mitreißen vom großen Erfolg. Obwohl der überrascht wurde vom Erfolg ist es er, der stets souverän agiert. Das Lied über Schmuel gerät herzlich und anrührend. Er lässt später deutlich anmerken, wie Cathy ihn nervt, wie er keine Lust und Energie mehr für zwei aufbringen kann. Und doch bleibt er zeitweise emphatisch. Zumindest klingt es nicht kaltherzig, sondern durchaus verständlich und eher herausfordernd, wenn er Cathy so deutlich sagt,
Ich werd nicht verlier’n, nur damit es dir besser geht, Cathy. Nur weil du selbst nicht gewinnen kannst.
In manchen Diskussionen hab ich schon Unverständnis gehört über Jamie, und dass er seine Frau betrügt. Natürlich halte auch ich das nicht für einen klugen Schachzug und das ist mit nichts zu entschuldigen. Aber wie Patrick Stanke seinen Jamie hier anlegt, schafft man es doch leichter, ihm trotz allem Sympathie entgegenzubringen. Er ist entsetzt über sich und auch darüber, wie sich alles entwickelt hat. Dadurch, dass man immer diese Dissonanz zwischen beiden verspürt hat, erträgt man dieses Ende der Beziehung deutlich gefasster.
Stimmlich kann Patrick Stanke ebenfalls überzeugen, kleine und große Emotionen balanciert er in aller Klarheit gesanglich durch das Stück hindurch. Ebenso seine Bühnenpartnerin Charlotte Heinke.
Charlotte Heinke brilliert als Cathy, die eher introvertiert ist, zaghaft und abwartend. Es ist, als schaue sie mit ihren großen Augen immer erstaunt zu, was geschieht. Man hat die Ahnung, dass ihre Cathy sich gar nicht vorstellen kann, dass tatsächlich sie selbst in ihrem Leben Regie führen kann bzw. sich das nur eingeschränkt zutraut neben einem Mann auf der Überholspur. Cathy ist zögerlich und abwartend, gerät aber zunehmend unter Druck in einem Leben an der Seite von Jamie, der sich für den Rausch entscheidet. Ihre Gefühle sind die tieferen, auch, das ist in Heinkes Spiel sichtbar, wenn sie sich das gar nicht recht zugestehen mag. Sie hält mit ihrer Darstellung den Zuschauer geschickt in der Gefühls-Balance: Man mag Cathy, die Zurückhaltende. Man möchte sie in den Arm nehmen, weil ihr der Erfolg verwehrt bleibt. An dieser Stelle muss die großartige Szene des Vorsingen erwähnt werden. Komödiantisch agiert sie hier bei einer Audition und zeigt überspitzt die Skurilität solcher Vorsprechen. Und man stellt sich nur zu gern auf ihre Seite, wenn sie ihrem Mann vorwirft, keine Kompromisse eingehen zu wollen.
Am Ende haben es Charlotte Heinke und Patrick Stanke geschafft, eine gescheiterte Beziehung und deren Umstände auszubreiten. Dass man am Ende keinem per se die Schuld am Ende der Beziehung zuweisen kann, ist ein wirklich großartiger Verdienst der beiden Darsteller.
Die letzten fünf Jahre im Festspielhaus Neuschwanstein war Musical vom Feinsten. Danke an alle Beteiligten!
Alle Fotos: www.joachimschlosser.de
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