Letztes Jahr rief das Festspielhaus Neuschwanstein die Konzertreihe „Sommergarten Konzerte“ ins Leben, um trotz Corona-Auflagen den Zuschauern Kultur in perfektem Ambiente zu servieren.
Und auch in diesem Jahr gaben sich den Sommer über große Musicalstars die Klinke in die Hand. Bis aus Wien reisten dann Anfang September noch Maya Hakvoort und Drew Sarich an, um am See vor dem magischen Hintergrund des Schlosses Neuschwanstein, musicalbegeistere Zuhörer zu verzaubern.
Das Ambiente
Das Festspielhaus Neuschwanstein ist immer eine Reise wert. Ich schätze es als eines der schönsten Theater in Deutschland. Malerisch ist es am Forggensee gelegen, trotz aller modernen Anmutung ein urgemütliches Haus mit freundlichster Atmosphäre. Ich als Bayerin bin aufgewachsen mit den Königsschlössern und mit der Geschichte Ludwigs II. Aber auch Leute, die damit nicht in Berührung gekommen sind, spüren beim Anblick des imposanten Schloss Neuschwanstein diesen gewissen Hauch der Geschichte, eine Verbindung zu einer faszinierenden Vergangenheit.
Die Sommerkonzert-Reihe findet vor dem Festspielhaus in unmittelbarer Nähe zum Forggensee statt. Als Zuseher blickt man Richtung Bühne auf das Wasser und darüber hinaus auf den Berg und das wohl bekannteste deutsche Schloss, das sich märchenhaft und majestätisch gegenüber erhebt.
Kein Wunder, dass verschiedene Musicalstars die Reise hierher offenbar gerne antreten und manche schon den zweiten Sommer in Folge hier konzertierten. Diesen Sommer waren am See schon zu Gast zum Beispiel Jan Amann, Jan Rekeszus, Michaela Schober, Roberta Valentini, Chris Murray, Odeo Kuipers, Maximilian Mann, Milan van Waardenburg, Judith Caspari, Raphael Groß, Filippo Strocchi, Mark Seibert, Abla Alaoui und einige andere mehr.
Maya Hakvoort und Drew Sarich
Eine gebürtige Holländerin und ein gebürtiger US-Amerikaner, die beide in Wien, Österreich, leben und nach Füssen kommen, um einen Konzertabend zu veranstalten: Das klingt schon im Vorfeld nach einer Menge Vielseitigkeit und – um es vorweg zu nehmen – genau das hat sich auch bestätigt. Es war ein durch und durch vielfältiges und anspruchsvolles Programm, abwechslungsreich, schön zusammengestellt und höchst professionell dargeboten.
Songlist
Mir gefiel die Zusammenstellung der Lieder von Anfang an sehr gut. Das Konzert hob sich ab von denen, dich ich schon gesehen hatte. Es war tatsächlich ein Musicalkonzert. Ich mag nicht alle Konzerte über einen Kamm schweren, aber zu oft konzentrieren sich „Musicalkonzerte“ auf wenige Musicals, auf die Gassenhauer, die jeder kennt und die von vielen Fans ja auch erwartet werden. Das tragische daran ist, dass sich damit alle Konzerte irgendwie ähneln und sich oft sehr auf den Kommerz denn auf die Kunst konzentrieren. Hier waren so viele Stücke zu finden, die ich noch nie auf der Bühne gehört habe und das, zusammen mit der unglaublich stimmlichen Klasse der beiden Künstler, machte das Event zu etwas besonderem für mich.
Die Auswahl der Songs war also fulminant. Lieder aus Dear Evan Hansen, Pippin, Waitress, Vayana, … mein Musicalherz war nach diesem Abend vollauf gefüllt mit Eindrücken, die eben neu waren, die mich abseits von dem, was man immer hört, einhüllt in meine Leidenschaft für das Genre.
Im Nachhinein finden sich darüber hinaus einige inhaltliche Zusammenhänge der einzelnen Lieder, erschließen sich mir thematische Bögen. Ich habe deshalb bei der Erstellung der Songlist immer auch ein kurzes Stück des Textes beigefügt, um euch das ein bisschen zu erläutern und um euch einen Einblick zu geben, wie gut das alles miteinander harmonierte.
Doch auch ohne Kenntnisse der einzelnen Texte fügten sich allein beim Hören die Lieder fließend ineinander, ließen einen Bogen spüren. Es war nicht nur eine Aneinanderreihung von Musicalsongs, sondern folgte wohl offensichtlich einer Idee. Und faszinierenderweise konnte man das auch tatsächlich hören.
1. Somewhere – West Side Story (Duett)
Nach einer charmanten Begrüßung starteten Drew Sarich und Maya Hakvoort den Abend mit dem bekannten Duett aus der West Side Story. Diese Eröffnung war wunderschön anzuhören: Schon im ersten Lied des Abends wurde die perfekte Harmonie zwischen den beiden Künstler spür- und hörbar: Da kam ein echtes Duett zustande. Ein Lied, in dem beide Stimmen gleichberechtigt miteinander und nicht gegeneinander antraten und wo die die eine Stimme trotz alle Kraft der anderen genügen Raum ließ.
Zusätzlich gab auch der Text des Liedes gleich das Motto für diesen Abend aus:
There’s a place for us
Somewhere a place for us
Peace and quiet and open air
wait for us
somewhere
Die Suche nach Ruhe und Frieden für einen selbst und die Seele, ist immer auch verbunden mit der Suche nach dem Platz, der zu einem passt. Ein Ort, an dem man einfach richtig ist und den es somewhere/ irgendwo auch geben muss. Egal, ob das ein physisch erlebbarer Ort ist oder ein Gefühl des Aufbruchs, der Freude, der Harmonie und der Angenommen-Seins durch andere oder einfach durch sich selbst. Und so singt Drew als nächstes sein…
2. Corner of the sky – Pippin (Drew)
Rivers belong where they can ramble
Eagles belong where they can fly
I’ve got to be where my spirit can run free
Got to find my corner of the sky
Maya antwortet mit…
3. Farbenspiel des Winds – Pocahontas (Maya)
Komm, renn mit mir im Schattenlicht der Wälder
Probier die süßen Beeren dieser Welt
Komm, wälze dich in ihrer reichen Vielfalt
Und du merkst, dass im Leben dir nichts fehlt
Die Konzentration auf das, was ist. Das zu schätzen, zu genießen, was man hat und das auch so zu lassen in dem Bewusstsein, dass es gut so ist! Dazu passend folgte das eher süßliche:
4. Nimm mich, wie ich bin – Jekyll & Hyde (Duett)
das thematisch in dieselbe Richtung geht: Bewahren, was man hat, und die Besonderheit anerkennen.
Für mich aus Jekyll & Hyde eines der schwächeren Lieder, weil – wie oben schon angemerkt – mir ein wenig zu süß und ein wenig zu dick aufgetragen. So ein bisschen penetrant. Ich kenne es von der CD und habe es auch sonst nur einmal live gehört, aber die perfekte glasklare Harmonie der beiden Vortragenden gaben dem Lied in meinen Ohren eine neue Richtung. Es klang viel mehr wie ein großes Versprechen als wie ein schwer zu erfüllender Wunsch.
Da hat mich auch die Liedzeile:
Sieh meinen Blick
und dann erzähl mir,
was Du drin siehst,
was Dich bewegt nun.
ganz anders bewegt als sonst. Das Versprechen, Heimat zu finden im Gegenüber, drang sich mir auf und auf einmal klang das Lied nicht mehr so süßlich wie sonst.
5. Ich bin bereit – Vaiana (Maya)
Es war sehr beeindruckend zu hören, wieviel Jungendlichkeit in Mayas Stimme erhalten geblieben ist. Sanft und begeistert singt sie sehnsuchtsvoll:
Ich weiß jeder hier auf dieser Insel
Ist für sie unentbehrlich
Find‘ ich den Platz für mich?
6. Draußen – Der Glöckner von Notre Dame (Drew)
Vor diesem Lied thematisierte Maya, dass sie Drew in Berlin kennenlernte und leitete so eine Anekdote ein, die Drew über seine Anfänge in Berlin erzählte. Charmant und kurzweilig erzählte Drew über seine Auditions für Der Glöckner von Notre-Dame. Und ich dachte mir gleich: Auch für Drew ging es dann darum, eine Herausforderung zu bewältigen, seinen Platz zu finden, sich zu finden, Heimat zu finden.
Und auch der Glöckner Quasimodo entdeckt für sich, dass es auch für ihn einen Platz geben könnte, nicht nur abseits, sondern mittendrin, unter den Menschen,
Draußen – Morgens an der Seine
Den Tag begrüßen
Draußen – Wo andre Menschen gehn
Wo’s Jubel gibt und grausen
Ich muss, um es zu sehn
Hier raus – In der Natur
Das Gebraus, Feld und Flur
Trank und Schmaus
Dann Retour Und Nachhaus
Einmal nur will ich hinaus!
Überhaupt passt die Thematik des Konzertes wunderbar in das Ambiente vor dem Schloss Ludwigs II., der zeitlebens unverstanden und abseits der Mainstream-Gesellschaft und politischer Ideen seinen Platz nicht fand.
Als es dann weiter ging mit dem…
7. Evita- Medley (Duett, Drew, Maya)
fühlte es sich ein bisschen wie ein Schnitt an. Der thematische Bogen war abgeschlossen. Es begann ein neuer. In meiner Wahrnehmung fand eine Wendung mehr ins Innere statt. Nicht mehr so sehr der Platz in der Welt, sondern mehr die Auseinandersetzung mit sich selber.
- Was für ein Zirkus
- Wein‘ nicht um mich, Argentinien
- Jung, schön und geliebt
- Walzer für Evita und Che
Oh, ich liebe Evita und beide haben das großartig gemacht. Ich mag es, dass Drew meist viel pointierter singt als viele andere. Es wirkt rhythmisch klarer und transportiert für mich sowohl die Art der Musik als auch den Inhalt nachhaltiger.
8. Bring him Home – Les Miserables (Drew)
Drew spricht einleitend über Heimat und das Gefühl dazu. Was ist Heimat? Wo findet man das? Wie bewahrt man ein Heimatgefühl?
Bring him peace
Bring him joy
He is young
He is only a boy
Ich bin kein großer Fan des Liedes an sich, obwohl Les Miserables zu den Top 3 meiner Lieblingsmusicals gehört, aber man kann sich der Faszination von Drew Sarichs Stimme da nicht entziehen. Diese spezielle Klangfarbe und diese reinen Töne, lang gehalten und perfekt ausgestaltet – das ist einfach perfekt.
9. Als hätten wir uns nie Goodbye gesagt – Sunset Boulevard (Maya)
Und wenn meine Hände beben
Dann nur deshalb, weil ich fühle
Dies hier ist mein Leben
Ein großes Lied einer großen Diva, gesungen von einer Maya Hakvoort, die eine unheimliche stimmliche Präsenz zeigte.
10. Waving through a window – Dear Evan Hansen (Drew)
Für mich ist dieses Lied und Drew Sarich das perfekte Match. Hier passt alles. Seine Stimme in dieses Lied, seine Art in den Rhythmus. Er nimmt sowohl das Treibende wie auch das Tragische dieses Songs so auf, es ist, als würde er sich mitreißen lassen und hat es aber ja trotzdem perfekt unter Kontrolle. Wenn er die letzte Silbe von window so nachdrücklich nach oben zieht, denk ich mir: dieses Lied wurde offenbar für ihn geschrieben. Das passt so wie die Faust aufs Auge. Ich mag das Original, aber Drew hat so eine kompromisslose Art, sich Lieder zu eigen zu machen. Und wieder singt er sehr viel kompromissloser, eher akzentuierter. Für mich persönlich das Highlight des Abends.
I try to speak, but nobody can hear
So I wait around for an answer to appear
While I’m watch, watch, watching people pass
I’m waving through a window, oh
Can anybody see, is anybody waving back at me?
11. Mein Sinn für Stil – Aida (Maya)
Mit vollem Körpereinsatz war da Maya vorne auf der Bühne dabei. Ich kann dem Lied insgesamt nicht sehr viel abgewinnen, aber so vorgetragen hatte das was: Peppig und selbstbewusst, voller Lebensfreude ging das ganze Publikum mit.
Oh, ich glaub an schöne Kleider,
Ohne einen guten Schneider
Ist das Leben ohne Spaß und ohne Schwung.
Ich brauch Stoffe, die mich streicheln,
Ich brauch Schnitte, die mir schmeicheln,
Denn nur dann fühl ich mich sicher, frei und jung
12. Moving too fast – Last 5 years (Drew)
O.k., Drew at its best! Last 5 years hat Drew schon gespielt und wieder war es eine Schau! Jetzt war es an ihm, vollen Körpereinsatz zu zeigen. Zuschauer klatschten bei der Performance mit, und es zeigte sich, dass Maya auf den Fingern pfeifen kann.
I’m feeling panicked and rushed and hurried
I’m feeling outmaneuvered and outclassed
But I’m so happy I can’t get worried
About this singular impression
I’ve got a singular impression things are moving too fast.
13. You matter to me – Waitress (Duett)
Gefühlvoll und einfach nur zum Seufzen schön brachten dann beide dieses Stück, das ein Innehalten war nach den beiden vorangegangenen.
I could find the whole meaning of life in those sad eyes
They’ve seen things you never quite say, but I hear
Come out of hiding, I’m right here beside you
And I’ll stay there as long as you’ll let me
Drew beendet dieses Duett stilvoll mit einem Handkuss.
14. Ich Gehör nur mir – Elisabeth (Maya)
Launig erzählte dann Maya: „Ich werde immer gefragt: Kannst du das eigentlich immer noch singen? Und die Antwort ist regelmäßig: Ja, ich kann.“
Und wie sie kann. Maya betont, wie sehr die Rolle sie geprägt hat und wie sie mit ihr verwachsen ist. Und das kann man hören und spüren. Das passt, da ist eine Innigkeit zwischen der Rolle und der Künstlerin hörbar, ein Sich-Verweben.
Und will ich
Die Sterne,
Dann finde ich selbst dorthin.
Ich wachse
Und lerne
Und bleibe doch wie ich bin…Ich warte
Auf Freunde
Und suche Geborgenheit.
Ich teile
die Freude,
Ich teile
Die Traurigkeit.Doch verlang nicht
Mein Leben,
Das kann ich dir
Nicht geben.
Denn ich gehör nur mir.
15. Come to me, bend to me – Brigadoon (Drew)
Come to me, bend to me, kiss me good day!
Darlin‘, my darlin‘, ‚tis all I can say
16. Seasons of Love – Rent (Duett)
Ein würdiger Abschluss des Konzertes bildete dieses wunderschöne und tiefsinnige Duett. Wie misst man ein Jahr? Welche Momente zählen? Was will man in Erinnerung halten? Was genau davon will man annehmen und was bildet dann also die Grundlage für das, was noch zu erleben ist und wie es wahrgenommen wird?
Its time now to sing out though
The story never ends
Let’s celebrate remember a year in a life
Of friends
Großer Applaus brandete auf, und natürlich gab es die erwartet Zugabe. Hier punktete Maya dramatisch mit Rebecca, während Drew mit Ja, Schatz von Bodo Wartke mit Sicherheit die ein oder andere hochgezogene Augenbraue erntete. Augenzwinkernd entließ er mit diesem für viele gewöhnungsbedürftigen, aber hochkomischen Song und einer Probe seiner Schauspielkunst die Zuschauer in die Nacht.
Fazit
Beiden Künstler waren herausragend.
Zum einen natürlich war die Interpretation der Lieder ein wahrer Ohrenschmaus. Aber auch darüber hinaus war eine Verbindung zu den Songs zu spüren. Die Verbindung, die Drew Sarich und Maya Hakvoort zu den Lieder persönlich hegen. Die Verbindung, die die Songs auf zauberhafte Weise untereinander miteinander verband. Es blieb zurück eine Harmonie nicht nur in den Ohren, sondern auch im Innern.
Es war ein wahrhaft magischer Abend:
berührend und berauschend,
sanft und seelenwärmend,
eindringlich und ergreifend
ehrlich und emotional
Für mich mit Sicherheit das beste Konzert, das ich bislang gesehen habe in einem wunderbaren Ambiente.
Ein Hochgenuss und danke ans Festspielhaus, dass sie es ermöglicht haben, diese beiden Künstler für dieses eine Konzert nach Süddeutschland zu holen.
Alle Fotos: Dr. Joachim Schlosser Fotografie, www.joachimschlosser.de
Schreibe einen Kommentar