Aunahmen bestätigen die Regel! Heute gibts auf meinem Musicalblog mal ausnahmsweise keine Rezension eines reinen Musicals. Das Genre, das heute Gegenstand meines Artikels ist, nennt sich Komisches Oratorium. Es geht also auch um Musiktheater und da die Anleihen am Musical durchaus groß sind, hat das hier auch seine Berechtigung. Deswegen und vor allem, weil ich es aus vollem Herzen empfehlen kann. Perfekte Unterhaltung am Gärtnerplatztheater also beim Komischen Oratorium Das Leben des Brian!
Echt jetzt? Das Leben des Brian ist doch ein Film!
Das Leben des Brian – der bekannteste Film der Komikertruppe Monty Python ist schon längst zum Kult geworden. Egal ob Zitate wie Immer nur ein Kreuz oder das bekannte Lied Always look on the bright side of life… irgendwo ist fast jeder schon mal damit konfrontiert worden.
Weniger bekannt ist die Tatsache, dass Python-Mitglied Eric Idle Mitte der 2000er Jahre aus der Filmvorlage zusammen mit dem Musiker John Du Prez ein musikalische Hommage an den Film verfasste: Es entstand ein sogenanntes Komisches Oratorium mit dem Titel: Not the Messiah – He’s a very naughty boy, das 2007 in Toronto seine Uraufführung hatte.
Am Donnerstag, 15.7.21 feierte das Stück am Münchner Gärtnerplatztheater seine Premiere – auf Deutsch! Thomas Pigor, der sich zuletzt für den Erfolg des Gärtnerplatz-Stückes Drei Männer im Schnee verantwortlich zeichnete, steuerte die deutschen Texte bei.
Die Frau schaut hin war dabei – und ich hatte einen Heiden-Spaß!
Was genau ist denn ein Oratorium?
Ich bemühe hier mal kurz Wikipedia, da ich davon ausgehe, dass sich nicht alle Musical-Geher auch mit diesem Genre auskennen:
Oratorium (kirchenlat. oratorium „Bethaus“, von lat. orare „beten“) nennt man in der musikalischen Formenlehre die dramatische, mehrteilige Vertonung einer zumeist geistlichen Handlung, verteilt auf mehrere Personen, Chor und Orchester. Es ist eine erzählend-dramatische (also mit Handlungselementen durchsetzte) Komposition.
Ja, und gemäß dieser Definition hat der Eric Idle mit der Bezeichnung seines Werkes tatsächlich den richtigen Titel gefunden!
Es gibt ein Orchester, einen Chor und fünf (eigentlich sechs) Solisten. Alle Protagonisten -bis auf den sechsten- stehen die ganze Zeit hinter ihrem Notenpult auf der Bühne, auf der auch sowohl das Orchester als auch der Chor platziert wurden.
Es ist also einem konzertant aufgeführten Musical sehr ähnlich. Aber ein Oratorium unterliegt ganz stark dem Einfluss der geistlichen Geschichten und klingt deshalb immer opulent nach Kirche, nein, besser nach Dom oder Kathedrale. Die Orchestrierung orientiert sich da ebenfalls dran und so hört man zuweilen barockes Chembalo. Der Chor singt vielstimmig und immer im Wechsel mit den Solisten. Dabei wird ein musikalisches Thema oder auch ein bestimmter Textbaustein immer wieder von den verschiedenen Stimmen aufgenommen und quasi weitergereicht und oft dramatisch verdichtet.
Das Leben des Brian – ein komisches Oratorium am Gärtnerplatztheater (Regie: Nicole Claudia Weber)
Bühne/ Ausstattung
Klar, dass Monty Python nicht mit einem klassischen kirchlichen Oratorium aufwarten kann – so von wegen dramatisch und so. Hier wird alles, was an Kennzeichen eines Oratoriums auf die Schippe zu nehmen ist, auch genauso behandelt!
Zunächst gleicht aber der Aufbau dem eines Oratoriums: Das Orchester hat auf der Bühne Platz genommen, ebenso der Chor. Die fünf Solisten stehen/ sitzen jeweils hinter ihrem Notenpult. Allerdings nimmt man auch sofort war, dass an jedem Notenpult (auch jeden einzelnen Chorsängers) jeweils ein Eimer befestigt ist, in dem offensichtlich Requisten zu finden sind (zunächst einmal nur die Römerhelme erkennbar.)

Foto: Christian POGO Zach
Der Chor und die Instrumenalisten sind dezent in schwarz gekleidet, die männlichen Solisten erscheinen im Frack, die Damen in Abendrobe. Soweit, so klassisch.
In fünf Abschnitten wird dann die Geschichte des Brian erzählt.
Für den vielleicht einzigen Leser, der die Story noch nicht kennt, hier nocheinmal die Kurzzusammenfassung:
Zur selben Zeit wie Jesus von Nazareth wird unweit von Jesus Geburtsstätte und ebenfalls in einem Stall Brian geboren. Seine Mutter Mandy ist Melonenverkäuferin, sein Vater ein römischer Soldat, der sich sofort nach dem erotischen Stell-dich-ein mit Mandy aus dem Staub macht. 30 Jahre später wird Brian, der sich mittlerweile aus Hass auf die Römer der Judäischen Volksfront (Achtung: nicht der Volksfront von Judäa!) angeschlossen hat und dort Judith kennen- und liebengelernt hat, durch eine Verwechslung zum Messias auserkoren und gekreuzigt.

Foto: Christian POGO Zach
Die Vorlage Das Leben des Brian ist skurril, beißend, irritierend, infantil, satirisch, parodistisch, kritisch, albern. Manche (die wenigsten) halten sie für dämlich und platt, dabei ist der Film in höchstem Maße intellektuell und in vielen Szenen bis heute zeitlos. Und genauso ist dieses komische Oratorium. Es atmet den Monty Python-Stil, man spürt das. Bis auf wenige Ausnahmen sind alle Kultszenen erhalten. Was haben uns die Römer schon groß gebracht?, Ihr seid alle Individuen – ich nicht!, die verlorene Sandale, Pontius Pilatus samt Sprachfehler…
Es sah so aus, als hätte tatsächlich jeder Theaterbesucher den Film gekannt, und da machen die Zuschauer es dem Ensemble wirklich leicht.
Das Stück wiederum macht es auch dem Zuschauer leicht. Für mich war es perfekt! Daran haben großen Anteil die deutschen Texte von Thomas Pigor.
Texte
Jetzt ist das mit deutschen Texten von Musik, die ursprünglich auf englische Texte ausgerichtet war, nicht immer ganz einfach. Das Englische hat einfach eine andere Sprachmelodie als das Deutsche. Außerdem funktionieren eine ganze Menge von Monty Pythons Gags ausschließlich über den Wortwitz – eine große Herausforderung für den Texter. Aber Thomas Pigor hat das so genial gelöst! Natürlich gibt es so Stellen wie
er hörte nicht auf zu schreien
sein Name war Brian
oder eher skurrile Reime wie
Judith von Judäa
ich erwart vom Leben mea (mehr).
Aber das passt so gut in die Art dieses Oratoriums, dass nichts und niemanden Ernst nimmt, nicht mal sich selber. Ich habe mich königlich amüsiert.
Aus dem We love sheep aus der englischen Fassung macht Pigor hier Wir finden Schafe scharf. Funktioniert super, macht Spaß, passt hervorragend in die Musik. Es bleit rhythmisch, es bleibt spaßig.

Foto: Christian POGO Zach
Bei der Übertragung aus dem Englischen wird auch regional gearbeitet. Aus den Dudelsack-Klängen beim Stück Du bist derjenige, der wird im Deutschen ein Lied mit bajuwarischem Blechbläser-Einschlag samt Statist im Lederhosen-Outfit. In meinem Augen alles richtig gemacht!
Musik
Ich habe schon das ein oder andere Oratorium hören müssen (musisches Gymnasium!) ohne mich wirklich dafür zu begeistern. Grund sind immer die langen getragenen Sätze und die Motive, die hundertmal durch alle Stimmen gesungen werden, so dass man das Gefühl hat, dass nie was vorangeht.
Bei Das Leben des Brian beginnen die einzelnen Lieder immer sehr getragen, mitunter dramatisch und choral-artig im mehrstimmigen Chorsatz, man wähnt sich in einer Kirche. Da finden sich Anleihen auf den Händelschen Messias, da wird zügellos Schostakowitsch parodiert.
Und plötzlich ändert sich mit der Melodie, die Stimmung und man kommt irgendwo anders raus: in einem tangoartig geprägten Stück erklingen mexikanischen Trompeten, die Schafe haben IrishFolk-Anleihen. Gospelartige Hymnen tauchen auf oder popiger Musical-Sound.
Es war so humorvoll und so kurzweilig, weil man nie wusste, wo die einzelnen Lieder enden. Das ganze ist musikalisch so vielfältig, so spannend und immer wieder überraschend. So gefällt auch mir Oratorium!
Highlights
Highlights waren natürlich immer die Szenen, die man aus dem Film als Kulturgut schon kennt und auf die man natürlich wartet.
Ein Lied mit Ohrwurmcharakter für mich: Was haben die Römer uns schon groß gebracht?
Ich verlinke euch hier mal für einen ersten Eindruck ein Youtube-Video der englischen Version, aufgeführt damals in der Royal Albert Hall. Diese ist als DVD erschienen. Eric Idle singt auch selbst mit. Im Englischen heißt dieser Song What have the Romans ever done for us?

Foto: Christian POGO Zach
Der gesungene Geschlechtsakt von Judith und Brian, der sich aus lauter Ohs und Ahs zusammensetzt, war ebenfalls großartig anzuhören, aber vor allem auch anzusehen: Die Damen Sängerinnen und Herren Sänger sind nämlich allesamt großartige Schauspielerinnen und Schauspieler!
Die banale Sandale war super (hier ertönen bekannte Händel-Halleluja-Klänge), aber auch alle Teile, an denen die Solisten mit dem Chor interagieren. Dieser war so integriert, dass man ihn quasi als zusätzlichen Solist betiteln könnte. Er sang die Handlung vorwärts, widersprach oder bekräftigte, immer auch gerne mit Requisiten auf dem Kopf oder in der Hand. Viel mehr also als reine Hintergrundmusik!
Was mich ehrlich auch beeindruckt hat und ich finde auch, dass das dazu beigetragen hat, dass es mir über alle Maßen gefallen hat, ist die Tatsache, dass das ganze kurz und knackig bleibt. Dafür sind ein paar Szenen weggefallen (Romanes eunt domus zum Beispiel oder die Steinigung, die nur kurz erwähnt wird), aber das klappt trotzdem großartig. Es ist prägnant und trotzdem stimmig und die Idee nutzt sich nicht ab. Ich bewundere das, wenn Kunstschaffende nicht selbstverliebt alles bis zum letzten ausreizen.
Intellektueller Anspruch
Expositioniert wirken manche Szenen in diesem Non-Stop-Gesangswunder dennoch. Eric Idle lenkt da sehr geschickt die Aufmerksamkeit der Zuschauer und schafft so Platz für bedeutende Themen wie Ich wär gern eine Frau.

Das sticht exponiert und ein wenig leiser, aber nicht weniger skurril hervor und unter der ganzen Satire trifft es auf diese Art nicht nur einen humorvollen, sondern auch einen durchaus ernsten Punkt der heutigen Zeit.
Bei Brians Dialog mit dem Chor darüber, dass alle Individuen sind, verhält es sich ähnlich. Ich spare mir an dieser Stelle eine ausführliche Interpretation und stelle einfach fest, dass es Eric Idle den intellektuellen Anspruch des Films trotz allen Humors auch im Komischen Oratorium unterbringt. Chapeau!
Die Solisten
Erwin Windegger: Evangelist, Stan, Mr. Cheeky
Julia Sturzlbaum: Judith/ Sopran
Anna Agathonos: Mandy/ Alt
Maximilian Mayer: Brian/ Tenor
Alexander Grassauer: Reg/ Schwanzus Longus/ Bass
Peter Neustifter: diverse Rollen, Pontius Pilatus
Ich kann hier wenig die Einzelleistungen beschreiben, ich würde mich in unzähligen Wiederholungen verlieren. Denn alle waren ausnahmslos fantastisch. Natürlich vor allem gesanglich. Anna Agathonos und Alexander Grassauer habe ich vorher noch nicht gehört oder gesehen. Sie kommen beide von der Oper und haben tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Grassauer hat eine beneidenswert volle Tiefe, bringt Persönlichkeit auf die Bühne. Anna Agathonos hingegen hat mir so unglaublich gut gefallen, weil sie Brians Mutter so gesten- und mimikreich gestaltet hat. Jede Handbewegung, jedes Augenrollen, jedes Rücken am Kopftuch – da war mehr Schauspiel zu sehen in diesen eineinhalb Stunden als mancherorts in drei Stunden nicht.

Julia Sturzlbaum war ebenfalls perfekt besetzt und sticht nicht nur allein in Träum deinen Traum hervor. Erwin Windegger ist wie gewohnt ein Multitalent und spielt diese Qualität in verschiedenen Rollen auf den Punkt aus. Und Maximilian Mayer als Brian ist eine Wucht. Intelligent aber naiv, überrumpelt, bemuttert, offenherzig und gutgläubig lässt er sich vor den anderen hertreiben. Er tut das gesanglich einzigartig.

Und dann ist da noch Peter Neustifter, der als einziger keine großen Einzelgesangsleistungen vollbringen darf, sondern die ganze Szenerie bereichert als quasi zur Szene passender Statist. Mal als steppendes Schaf oder feurige Flamenco-Tänzerin, als Wikinger/ Franke oder in bayrischer Tracht, als Gospelsängerin oder als Mrs. Betty Parkinson, bleibt auch er im Gedächtnis, weil er der ganzen Szenerie die typische Python-Skurilität verpasst. Und das ist schon hohe Schauspielkunst, dass man da geschickt auf der Klippe zwischen zu wenig und zu viel balanciert. Exzellent gelungen!

Der Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Der Chor steht hier als Chor tatsächlich mal deutlich mehr im Mittelpunkt als vielleicht in einem Musical. Durch die Rolle, die er einnimmt und dadurch, dass er so offentlich als Chor auf der Bühne steht und nicht irgendwie im Ensemble versteckt wird, dringt er anders ins Bewusstsein.

Der Chor hat seine Sache über alle Maßen perfekt gemacht. Wunderbar vollmundig und getragen klingen die klassischen Passagen und genauso voll, und im Timing exakt gelingen die Passagen, in denen der Chor in Kommunikation mit den Solisten tritt.
Er liefert klangvolle chorale Unterstützung, er verdichtet die Dramatik, an ihm spiegeln und reiben sich die Solisten. Nichts bringt die Sängerinnen und Sänger aus der Ruhe, weder eine Schafsmützen noch ein Wikingerhelm. Wirklich eine intensive Glanzleistung für die Ohren!

Das Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Unter der musikalischen Leitung von Howard Arman spielt sich das Orchester zielstrebig durch die verschiedenen Anleihen an Musikstilen, die im komischen Oratorium untergebracht sind und man kommt nicht umhin, die Freude nachzufühlen, die die Musiker offenkundig empfinden. Mich reißt das Gärtnerplatz-Orchester immer mit, ich empfinde es immer einen Tick schwungvoller als andere Orchester. Und so ist in dieser Aufführung die gewohnte Brillanz des Orchesters zu hören.
Fazit
Perfekte Unterhaltung, unbedingt anschauen! So viel Witz und Skurrilität, dabei so viel ernsthaft großartiger Gesang, tolle Schauspielkunst und all das schwappt auch vom ersten Moment ins Publikum.
Ich lege euch dieses Komische Oratorium ans Herz, wenn ihr
- den Film liebt und halb auswendig kennt
- einen schrägen Humor habt
- oder überhaupt Humor habt
- schon jemals ein Oratorium gehört habt
- schon jemals ein Oratorium hören musstet und euch das nicht wirklich geflasht hat
- etwas übrig habt für konzertant aufgeführte Geschichten
- euch vor Monty Pythons Lebenswerk verbeugen wollt
- einen durch und durch launigen Abend haben wollt
- kein Problem mit steppenden Schafen habt
- wissen wollt, wie sich das intime Zusammensein von Brian und Judith auf der Bühne als klassisches Duett anhört
- endlich mal wieder begeistertes Publikum erleben wollt
- schon immer mal Always look on the bright side of life im Theater grölen wolltet (mit Maske halt)
Kommt und staunt und lasst euch mitreißen wie das Premieren-Publikum. Immerzu gab es Szenen-Applaus, die Standing-Ovations zum Schluss der Vorstellung wollten gar nicht enden.
Mometan steht nur noch ein Aufführungstermin fest: Mittwoch, 21.7.21
Ansonsten nachschauen auf der Website des Gärtnerplatztheaters und sofort zuschlagen, wenn ein neuer Termin auftaucht!
Alle Bilder ohne explizite Angabe: Joachim Schlosser
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