So, liebe Blog-Gemeinde! Lange habt ihr nichts mehr von mir gehört. Aber Corona nimmt einem aber auch wirklich jede Möglichkeit, Musical live zu sehen. Im Sommer gab es das ein oder andere Konzert, aber das passt nicht so wirklich zu mir: ich möchte Geschichten erzählt bekommen. Die zahlreichen gestreamten Angebote befriedigen diese Sehnsucht auch nur so ansatzweise. Live-Theater ist eben durch nichts zu ersetzen.
Ich hab mich bis jetzt verstärkt meinem anderen Hobby gewidmet: der Kinderkirche. Ich betreibe einen YouTube-Kanal, auf den ich und mein Team jeden ersten Sonntag im Monat eine Folge Kinderkirche dahoim hochladen. Es geht um Grundlagen des christlichen Glaubens, erklärt von (meinen) Kindern für Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter. Mein Anliegen ist es, Kindern ganz gezielt zu zeigen, was sie mit diesen doch eher theoretischen Grundlangen in ihrem Leben anfangen können.
Da gab es diesen Sonntag die Palmsonntags-Folge. Gemeinsam mit meinen Kindern hab ich versucht, zu erklären, welche Bedeutung dieser Tag für gläubige Menschen hat. Haaaaalt, nicht aufhören zu lesen, weil du denkst, och Gott, jetzt will sie jemand bekehren.
Will ich überhaupt nicht. Hier schreibe ich darüber, weil mich die Beschäftigung mit diesem Thema wieder einmal darauf gebracht hat, wie genial Tim Rice und Andrew Lloyd Webber eines meiner Lieblings-Musicals, Jesus Christ Superstar, komponiert und getextet haben. Und an diesen Gedanken möchte ich euch Musical-Begeisterte gerne teilhaben lassen. Vielleicht ist für euch da die ein oder andere wertvolle Hintergrund-Info dabei.
Jesus Christ Superstar erzählt die letzten Tage aus dem Leben von Jesus Christus und ist deshalb kurz vor Ostern thematisch aktuell. Die Verfilmung aus den 70ern ist normalerweise jedes Jahr im Fernsehen zu sehen (dieses Jahr leider nur auf ÖIII). Ein großer Teil der Drew-Sarich-Fangemeinde (deren Teil ich bin) gibt sich dieser Tage großartigen Erinnerungen hin, gab es doch lange Jahre traditionell in Wien um Ostern semikonzertante Aufführungen des Musicals mit Drew als Jesus.
Jesus Christ Superstar – genial getextet
Es wird ja immer wieder betont, dass JCS kein religiöses Musical an sich ist. Es wird nirgends die Göttlichkeit Jesu thematisiert. He’s a man, he’s just a man: Jesus ist ganz Mensch und genau da lehnt sich das Musical an die Bibel an, deren Ansinnen es ist, Jesus auch als Mensch darzustellen.
Daher ist es auch nicht als religiös zu verstehen, dass Rice unheimlich viele Bibelzitate nutzt. Wie jeder andere gute Autor hat Rice einfach genau recherchiert.
Hosanna
Schauen wir uns hier also den Palmsonntag an: Was passiert da in der Bibel?
Jesus war mit seinen Jüngern immer unterwegs, als Wanderprediger ist er vor allem in Galiläa in Erscheinung getreten. Direkt vor den Ereignissen, die JCS thematisiert und die Christen als Karwoche begehen, war Jesus in Bethanien.
Um wie alle Juden feierlich das Passah-Fest zu begehen, ziehen Jesus und seine Jünger in das nahe gelegene Jerusalem. Er wird von einer riesigen Menschenmenge willkommen geheißen, denn viel hat man gehört von diesem wundersamen Mann: Er tut Gutes, er begeistert die Massen und er spricht immer vom Reich Gottes, dass allen offen steht:
There is not one of you, who cannot win the kingdom
the slow, the suffering, the quick, the dead.
Die Menge bricht in lautes Rufen und Singen aus , als Jesus tatsächlich in die Stadt kommt. Hosanna erklingt es überall. Hosanna ist ein biblischer Psalmenruf. Eigentlich heißt er übersetzt „Hilf doch“ und ist an eine höhere Instanz gerichtet, einen König oder Gott. Dieser Psalm ist im Judentum ein Höhepunkt der Pessach-Liturgie und, wir erinnern uns, Jesus kam nach Jerusalem, um eben dieses Fest zu feiern.
Rice kombiniert sehr clever Hosanna mit:
hey JC, JC would you smile at me
sanna ho sanna hey Superstar!
Er nimmt also mit Superstar modern das auf, was die Menge damals mit Hosianna ausdrücken wollte: Du bist der Superstar, du bist der, in dessen Nähe wir uns gut fühlen. Wir schauen auf dich. Du bist unser Idol!
Den Hohepriestern im Tempel ist das ein Dorn im Auge. Jesus verursacht zu viel Aufruhr. Denn nicht nur die eingefleischten Jesus-Fans sind auf den Beinen, sondern viele andere, die sich anstecken lassen. Wie eine Welle schwappt die Popularität Jesus über die Menschen. Kritisch beäugen sie dieses Treiben, sehen, dass sich darin umstürzlerische Kräfte vereinigen könnten und wollen dem entgegen wirken. Die Bibel schreibt dazu:
Und etliche der Pharisäer im Volk sprachen zu ihm: Meister, strafe doch deine Jünger! (Lk 19,39)
Tell the rebels to be quiet
We anticipate a riot
This common crowd is much too loud
Tell the mob who sing your song
That they are fools and they are wrong
They are a curse
They should disperse
Rice zeigt hier ganz schön die Stellung der Gelehrten gegenüber dem einfachen Fußvolk. Diese sind für sie zunächst die rebels. Anschließend steigern sie sich in ihrer Wortwahl. Von common crowed über mob bis hin zu fools und schließlich curse.
Genau, wie sich Jesus Popularität steigerte und er mehr und mehr Fans hinter sich versammelte, in gleichem Maße steigert sich die Furcht und der Hass der Priester.
Als letztes steht der Wunsch nach disperse, also, dass sich die Menge auflöst. Als sie glauben, dass sie das so nicht mehr durchsetzen lässt, beschließen sie, Jesus als Anführer zu töten, um der Bewegung ihre Identifikationsfigur zu nehmen.
In der Bibel heißt es dann (LK 19,40)
Er antwortete und sprach zu ihnen: Ich sage euch: Wo diese werden schweigen, so werden die Steine schreien.
Why waste your breath
Moaning at the crowd,
Nothing can be done to stop
The shouting,
If every tongue were still
The noise would still continue
The rocks and stones themselves
Would start to sing
Ich finde es wunderschön, wie Rice textlich hier diesen einen Satz aus der Bibel ausgestaltet. Aus Ich aber sage euch macht er sinngemäß:
Why waste your breath
Jesus hat das Sagen und alles, was den den Priestern bleibt, ist verschwendete Energie.
Und er geht noch weiter: Nicht nur die Priester kommen gegen ihn nicht an. Sondern nichts und niemand: Nothing can be done
Sogar das Wort shouting für Schreien bringt Rice tatsächlich unter. Statt weiter auf die Priester einzugehen, wendet sich Jesus lieber wieder an die Seinen:
Sing me your song but not for me alone Sing out for yourselves for you are blessed. There is not one of you who can not win the kingdom The slow, the suffering, The quick, the dead.
The Suffering steht für die Leidenden. Dazu gibt es genug Bibelstellen, in denen Jesus Menschen von körperlichen und seelischen Gebrechen geheilt hat.
Und the dead hat Jesus eindrucksvoll bewiesen in den Tagen, bevor er nach Jerusalem kam: In Bethanien hat Jesus Lazarus, einen Freund, von den Toten auferweckt (Joh 11, 1–45).
Da keiner von uns zu Ostern Jesus Christ Superstar live sehen kann, hab ich mir gedacht, ich verlinke euch hier mal ein kleines Highlight, dass auf YouTube zu finden ist: Es ist der Mitschnitt eines Hosanna aus der konzertanten JCS-Aufführung 2008 im Wiener Ronacher.
Schaut es euch an, ich mag das sehr. Die Videoqualität ist nicht gut, aber das Lied ist spannend umgesetzt. Zum einen mag ich, dass Drew als Jesus den letzten Hosanna-Refrain selbst mitsingt in einer unglaublich schönen geführten Melodie. Zum anderen liebe ich Serkan Kayas Interpretation des Judas hier. Der tritt hier sehr provozierend dem Hohepriester gegenüber auf: Wie er da auf diesen Stühlen rumsteigt… Spannenderweise ist er so am Ende des Songs eben diesen Priestern sehr nahe, im Gegensatz zu den anderen Jüngern. Bei Would you die for me steht er für das Publikum deutlich sichtbar auf Seiten der Gegner…
Simon Zelotes
Unter Hosanna zieht Jesus also in die Stadt Jerusalem ein und hat dort wohl einigen Aufruhr verursacht. Es steht geschrieben (LK 21,10):
Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und fragte: Wer ist der? Die Menge aber sprach: Das ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiläa.
Und so beginnt das darauf folgende Lied Simon Zelotes, indem es diese wilde Erregung in Jerusalem thematisiert. Die Menschen sind aus dem Häuschen und setzen sofort Hoffnung in den heilbringenden Propheten und dessen Nähe zu Gott:
Christ you know I love you
did you see i wave
I believe in you and god
so tell me that I’m saved.
Tim Rice schrieb also nicht nur den einen Palmsonntags-Song, das elegische und rühmende, eher getragene Hosanna. Sondern er beleuchtet auch noch die wahre Fan-Hysterie. Die Raserei, bei der den Menschen gar nicht mehr so wichtig ist, wofür der Gehuldigte überhaupt steht. Da, wo hemmungslos übertrieben wird:
Touch me, touch me, Jesus,
Kiss me, kiss me, Jesus
Und so versammelten sich an diesem Tag wohl wahre Anhänger Jesus, Menschen, die von ihm gehört hatten und neugierig waren und Menschen, die sich sofort von der Hysterie um diese Person anstecken ließen. Aber auch Leute, die die Hoffnung hatte, Jesus würde dafür sorgen, die lästige Herrschaft der Römer zu beenden. Sein Auftauchen in Jerusalem war für sie offenbar sichtbare Hoffnung auf den ersehnten Umsturz. Denn Jesus hatte bewiesen, dass er die Leute um sich sammeln und anführen konnte.
Stellvertretend für diese Anti-Römer-Gruppierungen kommt hier einer der Apostel, Simon, zum Zug. Simon wird in der Bibel nur in der Apostelliste erwähnt und trägt dabei den Beinamen Zelot.
Die Zeloten waren eine Gruppierung, die sich zum Ziel gesetzt hatte, die Römer mit Gewalt zu vertreiben. Denn in ihrer Idee war die Umkehr zu Gott und seinen Weisungen untrennbar mit der Aufkündigung des Gehorsams gegen irdische Herrschern verbunden.
Aus diesem Wissen um den Beinamen Zelot kreieren Rice und Webber also einen ganzen Song. Simon möchte die herrschende Begeisterung zugunsten seiner Idee ausnutzen. Die Menge ist eh aufgewiegelt. Und darum spricht er:
Christ, what more do you need to convince you
That you’ve made it and you’re easily as strong
As the filth from Rome who rape our country
And who’ve terrorized our people for so long?There must be over fifty thousand
Screaming love and more for you
And every one of fifty thousand
Would do whatever you ask him to
Die Zahl 50.000 ist diesem Zusammenhang sehr interessant. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Stadt Jerusalem grob geschätzt sowieso nur etwa 40.000 Einwohner. Natürlich waren im Zuge des Pessach-Festes deutlich mehr Menschen in der Stadt. Und doch erscheint die Zahl erstaunlich. Es verdeutlicht, wie viele Anhänger Jesus um sich hatte, und wovor die Hohepriester solche Angst hatten: Vor der puren Masse, die Jesus imstande wäre, zu mobilisieren. Und die Fan-Hysterie würde noch das übrige tun. 50.000 verrückte Fans, da würde auch in unseren Zeiten die Polizei mit einem Großaufgebot ausrücken!
Vielleicht lässt aber Tim Rice diesen Simon bewusst übertreiben. Es geht ja nicht um absolute Zahlen, sondern darum, seinen Freund Jesus zu überzeugen, dass es schon allein zahlenmäßig eine reelle Chance gibt, die Römer in die Schranken zu weisen.
Deshalb rät er Jesus, die Menge zu manipulieren, um das eigene Land von den Römern wieder zurückzuerobern, wieder Herr im eigenen Haus zu sein. Dieses we will win ourselves a home ist in der nachfolgenden Strophe zu hören:
Keep them yelling their devotion
But add a touch of hate at Rome
You will rise to a greater power
We will win ourselves a home!
You’ll get the power and the glory
For ever and ever and ever
Er kündigt Jesus an, durch einen Sieg über die Römer unsterblich zu werden: forever and ever and ever.
Auch für dieses Lied verweise ich via YouTube auf den Simon Zelotes aus der 2008er Aufführung. Hier wird er gesungen von Rob Fowler und der steigt dermaßen genial in das Lied ein, das muss man gehört haben!
Poor Jerusalem
Das Musical hält sich so eng an die Bibel, das ist den meisten Zuschauern vielleicht gar nicht bewusst. Über meine Kinderkirche bin ich darauf gekommen. Da hab ich den Kindern erklärt:
Er kam ohne Schwert und Mantel, er kam ohne Pferd (das galt als Kriegstier). Er hatte keine Trommeln an seiner Seite, sondern Psalmen-Gesänge. Und dennoch kamen Menschen -im Musical eben Simon- auf die Idee, Jesus solle sich einer Auseinandersetzung mit den Besatzern stellen. Allein im militärischen Sieg sieht er the power and the glory.
Da bleibt auch Jesus nur ein Kopfschütteln.
Neither you, Simon
nor the 50.000
nor the Romans
nor the Jews
nor Judas
nor the Twelve
nor the priests
nor the scribes
nor doomed Jerusalem itself
understand what power is
understand what glory is
understand at all.
Jesus tadelt hier alle. Keiner hat begriffen, worum es geht. Auch in der Bibel gibt es ein Kapitel, es ist überschreiben mit Klage über Jerusalem (Lk 13,34–35). Dort spricht Jesus:
Jerusalem, Jerusalem, die du tötest die Propheten und steinigst, die zu dir gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken versammelt unter ihre Flügel; und ihr habt nicht gewollt!
Jesus klagt darüber, dass der die Kinder Jerusalems unter sich versammeln will. Im Text von Tim Rice benennt er sogar explizit diese alle: Römer und Juden, Judas und die Jünger, Priester und Schriftgelehrte. Ganz Jerusalem möchte er versammeln, alle Einwohner der heiligen Stadt, keinen nimmt er aus, auch nicht Judas, der ihn verraten wird und auch nicht die Priester. Allen möchte er die Geborgenheit einer Mutter/ eines Vaters schenken. Doch keiner kann das annehmen, sie verstehen nicht, sie haben nicht gewollt. Sie verschließen ihre Augen vor der Wahrheit:
You’d see the truth, but you close your eyes
Dies war nur ein sehr kleiner Ausflug in Welt von JCS. Ihr seht, es gibt immer etwas zu entdecken in diesem grandiosen Musical. Meine Seite wird in den nächsten Wochen dazu weiter ausgebaut. Schaut gerne wieder vorbei, um noch mehr zu entdecken!
Wenn ihr gleich mehr lesen wollt: Es gibt eine Rezension zu JCS mit Drew von 2018 (zwei Teile), und eine von der Aufführung 2019,
außerdem JCS im Gärtnerplatztheater mit Armin Kahl 2018,
oder auf der Augsburger Freilichtbühne 2019
oder mein letztes Theatererlebnis vor dem Lockdown: Salzburg im März 2020!
Viel Vergnügen beim Lesen und in Erinnerung schwelgen!
Roger
Liebe Julia
Ich danke dir herzlich, dass du mich mit deinem Beitrag (endlich) wieder einmal zurück zu diesem Musical und in die Tiefe seiner Texte und Melodien gebracht hast. Beeindruckend, was für Details und Bezüge du da offenlegst und mir (uns) die Augen und Ohren dafür öffnest. Hoffen wir, dass die Neuinszenierung in St.Gallen dann doch einmal noch zu sehen ist (geplant ist sie ja für die laufende Spielzeit)… https://www.theatersg.ch/de/programm/jesus-christ-superstar/1994
Julia Stöhr-Schlosser
Danke für deine freundlichen Worte! Die Karten für St.Gallen lagen schon bei mir zu Hause 😏. Ich hoffe, wir kommen alle noch in diesen Genuss! Liebe Grüße aus Augsburg!
Steffi
Sehr interessant deine Eigeninterpretation, wenn auch biblisch/theologisch nicht korrekt.
Julia Stöhr-Schlosser
Hallo Steffi! Danke für deinen Beitrag. Was ist denn dann biblisch/ theologisch korrekt?