oder: Was alles an einem einzigen Musical-Abend perfekt sein kann. Der Glöckner von Notre Dame ist in meinen Augen so gewaltig, dass man die Wirkung nicht ansatzweise beschreiben kann.
Geschichte
Das Musical erzählt die Geschichte vom Glöckner Quasimodo nach der Vorlage des Romans „Der Glöckner von Notre Dame“ von Viktor Hugo. Und diese Geschichte wird auf der Bühne tatsächlich erzählt:
Erst auf der Bühne schlüpft der Quasimodo-Darsteller nach der einleitenden Vorgeschichte in seinen „Buckel“ und sein Kostüm, das Ensemble spinnt die Story weiter und leitet den Zuschauer durch das bunte Treiben auf der Bühne, verfeinert und kommentiert das Geschehen.
Die meisten Akteure werden erzählend namentlich vorgestellt oder tun das selbst: Sowohl Frollo als auch der Hauptmann stellen sich tatsächlich selber vor und erklären ihr Dasein. Auch der Zigeunerfürst Clopin erhält ausreichend Raum, sich und Seinesgleichen zu beschreiben. Es entsteht das wohlige Gefühl, dass all diese Menschen auf der Bühne nur für den Zuschauer da sind, dass sie ohne Selbstzweck einen an die Hand nehmen und durch ein wunderbares, wenn auch tragisches Abenteuer führen.
Es rührt in mir einen sehr kindlichen Teil, wenn sich auf der Bühne die Chorgestühl-Balustraden in Hausdächer verwandeln und die Steinfiguren plötzlich menschlich zu Quasimodo sprechen.
Das Musical hält gekonnt die Waage zwischen einer Geschichte aus einer fernen Zeit, quasi einem Märchen gleich und bildet andererseits doch die bitterböse Wirklichkeit ab. Da tönt Claude Frollo seinen Hass auf alles Fremde und Unbekannte als lebende rechte Ikone hinaus, dass man sich schämt, hunderte Jahre, nachdem diese Geschichte von Victor Hugo erdacht wurde, immer noch in einer Gesellschaft zu leben, die Menschen abseits der Norm nicht zu schützen und schätzen vermag. Auf der anderen Seite erzählt sie von der Liebe und der Zuneigung jenseits aller Grenzen und von einem Ort, „wo noch Wunder möglich sind“ und lassen hoffen, dass dies auch hier und heute geschehen kann.
Perfekt: Eine Geschichte, die Märchen und aktuelles Zeitgeschehen gleichermaßen ist; eine Geschichte, die einen kindlich berührt und erwachsen in die Pflicht nimmt.
Musik
Die Musik ist ein Mix aus wunderbaren Balladen, wirklich überragenden Chorstücken und herrlicher Ensemble-Leistung. Die Instrumentierung und das Arrangement lassen hie und da Pathos aufblitzen, intensive Rhythmik erzeugen Sinnlichkeit. Die Glöckchen für Quasimodo halten ihn sehr lange in kindlicher Naivität, während Frollo immer sehr bedrohlich wirkt.
Die Musik vermag es, der Zigeuner tragische Heiterkeit in Töne zu gießen, sie trifft den verzweifelten Hass des Frollo genauso wie die naive Neugier und demütige Haltung von Quasimodo.
Der Glöckner von Notre Dame ist als Stück deshalb so einzigartig, weil die Musik die eigenen Emotionen so gekonnt stützt, ganz explizit diese auch anspricht und aufstachelt und sich deshalb eine enorme emotionale Wucht entfalten kann.
Darüber hinaus spielt es gekonnt mit den Charakteren. Wo Quasimodo das helle sehnsuchtsvolle „Licht des Himmels“ haucht, scheint Frollo mitten im „Feuer der Hölle“ zu stehen. Wo zuerst die Zigeuner am sechsten Januar ausgelassen tanzen, stellen sie Quasimodo sogleich an den Pranger, züchtigen ihn.
Perfekt: die Musik, die alles, was in einem selbst aufgrund der Geschichte auftaucht, spiegelt; gefällige Ohrwürmer, die einen den ganzen Tag begleiten wechseln sich ab mit erhabener Chormusik, wie man sie sonst nur in großen Chorkonzerten hören kann.
Tonregie
Der Chor, der Teil des Stückes ist, und der Hall, mit dem Frollo manchmal unterlegt sind, versetzen den Zuschauer in das erhabene Gemäuer einer Kathedrale und dieses Klanggebilde entwirft so schon von vornherein ein ganz eigenes Gefühl des Aufschauens, das Gefühl, in einem riesigen Ganzen nur ein kleiner Teil zu sein.
Der Ton im Wiener Ronacher ist einzigartig, denn er hat den Wumms, den es benötigt, diese Geschichte so wirken zu lassen. Über alle Köpfe hinweg sucht sich der Klang seine Weg, durchdringt einen förmlich. Der Hall innerhalb Kathedrale wirkt grandios nicht nur auf der Bühne, sondern im auch im Zuschauerrund. Die Glocken jede für sich, der Rhythmus des Tamburins… alles ist wirklich exzellent gut abgemischt und aufeinander abgestimmt. Ähnlich gute Tonregie hab ich erst zweimal erfahren, zum einen bei der Päpstin in Füssen und bei Les Miserable in Concert in London.
Perfekt: der Mut, den Zuschauern die Wucht des Stückes auch durch die Lautstärke erfahrbar zu machen.
Das Orchester
Ohne jeden Zweifel wissen die VBW, wie sie Zuhörer-Ohren befriedigen und sparen deshalb nicht am Orchester. Exzellent geführt von Michael Römer, vermag es, nicht gegen den rauschenden Chor anzuspielen, sondern sich mit ihm zu vereinen und ein ungeheures Volumen in die Klanggebilde zu legen. Fabelhafte Akzente und tolle Dynamik machen den Besucher wunschlos glücklich.
Interpretation
Diese Geschichte ist so unheimlich vielfältig, dass ich diesen Punkt nicht mal ansatzweise ausführe. Nur so viel: Jedes Mal, wenn man den Glöckner schaut, wirkt er anders, und es liegt am Zuschauer selbst, das darin zu sehen, was für ihn selbst wichtig ist.
Perfekt: Der Glöckner von Notre Dame ist eine Fabel, eine Parabel, die jedem Menschen die Freiheit zugesteht, das für ihn mitzunehmen, was für ihn wichtig ist. Kein Holzhammer, keine Moral, die einem übergestülpt wird. Nur die bloße Frage: Mensch oder Scheusal, wer ist jeweils wer? Und die Möglichkeit, sich der vielschichtigen Antwort Stück für Stück zu nähern.
Draußen ist die Hymne für Quasimodo und es geht dabei nicht nur um das physisch Erlebbare außerhalb der Kirchenmauern, sondern um das Formen eines ICHS außerhalb der Vorstellung von Frollo. Um ein Leben außerhalb von Zwängen und Vorschriften, ein Draußen, außerhalb der Norm.
So erleben die Zigeuner ebenfalls ein Draußen, aber auf grundlegend andere Weise: Draußen als außerhalb der Gesellschaft stehend sind sie gezwungen, eine Parallelgesellschaft zu bilden. Ihnen bleibt der Zugang zu dem von Quasimodo besungenem Draußen ebenfalls versperrt.
Die Rollen und ihre Darsteller
Das perfekteste von allen Gewerken: Die Cast mit einer Meisterleistung.
Quasimodo: David Jakobs
Quasimodo ist ein kindlich naiver junger Mann, der den Glocken Namen gibt, um nicht in seiner Einsamkeit unterzugehen. Er freut sich an Geschichten, ist als Ausgestoßener von tiefer Dankbarkeit erfüllt denjenigen gegenüber, die sich kümmern oder es vorgeben. Er trägt stille Sehnsüchte in sich und erscheint gerade im Vergleich zu Frollo dadurch liebenswert und menschlich. Er ist sich seines Äußeren bewusst und weiß um die Gefährlichkeit, die sein Aussehen mit sich bringt. Zu allem Überfluss kann er aufgrund des Lebens im Schatten der lauten Glocken nicht mehr gut hören.
Der physisch starke, von der Statur her eher kleine Große ist voller Sehnsucht nach allem, was ihm laut Frollo verwehrt bleiben muss. Das innere Kind in ihm fand niemals die Erfüllung seiner Bedürfnisse, so etwas wie ein eigenes ICH hat er nie entwickelt. So sieht er seine Erfüllung in der ihm zugedachten Aufgabe, ahnt aber, dass es mehr gibt in der Welt da draußen. Darüber ist er weniger erzürnt, ob seines kindlichen Gemüts eher wehmütig.
David Jakobs ist ein alter Hase im Quasimodo-Geschäft, dementsprechend hat er die Figur des Quasimodo tief durchdrungen. Er weiß, an den richtigen Stellen Akzente zu setzen, vermag es, das Publikum durch seine eigene Geschichte zu führen. In geradezu unheimlicher Weise stellt er eine Harmonie her zwischen seinem Gesang und dem Orchester. Es ist, als wären beide miteinander verwoben, am schönsten zu hören in Draußen und der Flucht nach Ägypten. Gerade diese Sangesleistung war von einer Brillanz, die mit Sicherheit nur schwer zu erreichen ist.
Im Zusammenspiel mit Abla Alaoui kehrt er eine ehrfurchtsvolle, aber liebevolle Bewunderung hervor, innerhalb derer er durch Esmeraldas Zuneigung tatsächlich beginnt, seine Umwelt und sein Ich, das bis dato durch Frollo gelenkt wurde, selbstständig zu erforschen. Da nimmt ihn Esmeralda gefangen mit ihrer emphatischen Art, da lernt Quasimodo etwas kennen, was die Sehnsucht ach draußen weiter anfacht. Mut ist die vorherrschende Eigenschaft Quasimodos im 2. Akt.
Beständig glaubhaft schafft es Jakobs, diesen Quasimodo wachsen zu lassen allein durch die Kraft der Liebe und des Verständnisses. Die erlebten Rückschläge gehen tief, und Quasimodos nach außen gar nicht so sichtbare physische Kraft entlädt Jakobs am Ende in einem stimmlichen Ausbruch der Extraklasse.
Quasimodo: Charles Kreische
Natürlich ist es für mich nicht bei einem Mal „Glöckner“ geblieben. Beim zweiten Besuch spielte Charles Kreische die Titelrolle und hat mich ebenfalls begeistert.
Er spielt Quasimodo sehr erfrischend, setzt andere Akzente und nähert sich der Figur ein wenig anders. Während Jakobs die Figur durchdrungen hat und sie in Perfektion spielt, fehlt Kreische genau diese Routine, und das ist gut so. Bei ihm sieht alles so gelebt aus, der steht anders in der Szene, frischer, wacher. Das soll bitte nicht als Kritik an David Jakobs verstanden werden. Wo Jakobs mit seiner gesamten Erfahrung einfach für sich steht, erlaubt sich Kreische zum Beispiel, Pause ein klein wenig länger zu ziehen, Blicke minimal zu überziehen. Er legt noch mehr Aufmerksamkeit auf die kindliche Neugier, wirkt hin und wieder überraschter und gibt dem Zuschauer mehr die Idee, dass auf der Bühne sich gerade etwas live entwickelt. Wo sich Jakobs mit dem Stück verwoben hat und mit ihr mitgeht, geht Kreische der Story eher entgegen.
Mich hat Charles Kreisches‘ Quasimodo über alle Maßen begeistert.
Esmeralda: Abla Alaoui
Esmeralda ist die Beste unter den Guten, sie ist die personifizierte Nächstenliebe, quasi die Jesus-Figur: Verstoßen ob ihrer Herkunft (also schon von Geburt an heimatlos), dann auf der Flucht – und in ihrer gütigen, den Menschen zugewandten Art für die konservativen Geistlichen eine Gefahr, für die sie am Ende in den Tod geht.
Diese Geistlichen wissen um ihre eigene Beschränktheit, um die eigene Bräsigkeit in Sachen Glauben und Menschenliebe und verbergen dies aber geschickt vor der Welt und sich selbst. Und da kommt dieses scheinbar ungebildete Mädchen voller Lebensfreude und macht von Natur aus, einfach aus dem tiefsten Inneren ihres Selbst, so viel mehr richtig als der sich um die Kirche verdient machende Frollo.
Nicht nur, dass Frollo sich vollends auch körperlich nach ihr verzehrt. Es ist weniger die Anmut, die Schönheit ihres Dasein, das aus ihrem Inneren leuchtet, die Frollo so sehr anzieht. Es ist ihre Lebenslust, ihre Freiheit, ihre Selbstbestimmtheit.
Abla Alaoui zeichnet dieses junge Mädchen in ganz natürlichem Glanz. Und man kommt unweigerlich zu dem Schluss, dass sie Frollos Bruder Jehan in der Lebenslust ähnlich ist, dabei aber nicht ganz so kompromisslos wie dieser und gemäßigter. Frollo bekommt in Esmeralda alles aufgetischt, wogegen er sich schon einmal bewusst im Vergleich zu Jehan entschieden hat.
Abla Alaoui geht in ihrem Spiel ganz auf ihren Spielpartner ein, auch auf Quasimodo. Den behandelt sie sanft wie ein Kind und dennoch auf Augenhöhe. Ihre ganze Herzlichkeit und Liebe strahlt auf ganz natürliche Weise. Charmant und gelöst gibt sie sich Quasimodo gegenüber. Dem Hauptmann gegenüber ist sie anfänglich misstrauisch, aber selbstbestimmt.
Die wichtigere Beziehung aber für die Bühne ist die von Esmeraldo zu Frollo. Andreas Lichtenberger harmoniert unglaublich gut mit Abla Alaoui. Zwischen beiden schwingt das unaussprechlich unheilvolle immer mit, die Aufeinandertreffen machen den Zuschauer atemlos. Spannend – im wahrsten Sinne des Wortes: diese beiden Charaktere sind innerlich so weit entfernt voneinander, dass jegliches Band, das beide verbinden könnte, zum Zerreißen „gespannt“ ist.
Von Anfang an macht Alaoui das sichtbar. Sie gibt sich unnahbar, aber Frollos Haltung trifft sie schwer. Die ganze Unsicherheit ihrer Figur, die sich aus ihrer Herkunft und ihrer Stellung ergibt, bleibt sichtbar und dennoch bleibt sie sich treu. Daraus entsteht die ganze Tragik von Esmeralda und die kann man spüren bis in die letzte Reihe.
Liebe Abla Alaoui, wie du liest, bin ich wirklich tief beseelt von deiner Darstellung der Esmeralda. Deine Esmeralda ist so viel mehr als eine rassige Zigeuerin, die den Männern den Kopf verdreht. Sie ist Inbegriff von so vielem: Barmherzigkeit, Güte, Selbstbewusstsein, Zugewandtheit zum Leben und den Menschen, Aufrichtigkeit, Mut, Stärke, das Einstehen für sich und für andere.
Und alles das ist in der Darstellung sichtbar.
Der „Tanz zum Rhythmus ihres Tamburins“ hat soviel Grazie und Anmut, spielerische Leichtigkeit und nur ansatzweise einen Hauch von Erotik. Mehr die Idee von körperlichem Selbstbewusstsein, der Ausdruck des „Sich-Wohlfühlens“ in sich selbst.
Das überhaupt bringt den Zuschauer erst auf die Idee, dass die erotische Komponente allein nicht das sein kann, was Frollo so anzieht.
Und dass es die anderen oben genannten Dinge sind, das macht Abla Alaoui sichtbar und ermöglicht dadurch dem Zuschauer eine tiefergehende Wahrnehmung der Figur des Frollo.
Abla Aloui stellt diesen Charakter in so klarer innerer Schönheit dar, dass man nicht umhinkommt, sie mit einer Heiligen zu vergleichen.
Erzdiakon Claude Frollo: Andreas Lichtenberger
Es ist gar nicht leicht zu beschreiben, mit welcher Wucht und Selbstverständlichkeit Andreas Lichtenberger dieses Stück an sich reißt im wahrsten Sinne des Wortes.
Normalerweise würde man Quasimodo für die Hauptperson halten. Aber nicht, wenn Lichtenberger als Frollo auf der Bühne steht. Er dirigiert das Stück in eine Richtung, die seine Beziehung zu Esmeralda in den Mittelpunkt stellt und Quasimodos Figur förmlich an die Wand drängt.
Denn dieser Frollo ist schon allein stimmlich derart einnehmend, bebend, füllend. Lichtenberger kann mit dieser Stimme sofort den Charakter des Erzdiakons plastisch machen: ein Mensch, der in einer Kathedrale, in diesem riesigen Gemäuer aufgewachsen ist: Er nimmt sich hier den gesamten Raum im Stück und auf der Bühne, denn Frollo ist es gewohnt, laut und einnehmend zu sprechen und sich auch so zu geben.
Es fällt sofort die exzellente Artikulation von Andreas Lichtenberger auf. Diese Klarheit in der Sprechweise verdeutlicht umso mehr, dass man es mit einem Charakter zu tun hat, der Wert legt auf Regeln, auf Ordnung, auf Korrektheit.
Die Kirche, die Kathedrale gibt ihm die notwendige Stütze, die Macht, das Selbstbewusstsein. Die Kathedrale überdeckt alle Schönheitsfehler, macht ihn unnahbar und nahezu unfehlbar. Frollo singt mehrmals davon, dass Notre Dame für ihn immer ein Zuhause, ein Trost und eine Zuflucht war. Aus Angst vor sich selbst fühlt er sich hinter den dicken Mauern in Gegenwart religiös-sittsamer Menschen wohl, die Regelungen disziplinieren einen Mann, der bald merken muss, dass er sich selbst nicht disziplinieren kann.
wir müssen dem Drang nach Lust und Genuss widerstehen.
Seine Kirche gibt ihm Halt. Ohne sie im Rücken, außerhalb, verliert er sich in seinen Trieben, kommt er mit sich nicht zu recht. Draußen – dahin, wo sich Quasimodo sehnt und sich finden will, da verliert Frollo sich. Draußen im Gewühl dieser lebensfrohen Menschen wird Frollo unsicher und ist seinen Gefühlen ausgeliefert.
Im Inneren der Kathedrale kann er in einem schonungslosen Das Feuer der Hölle flehend bitten und reflektieren. In dieses Lied legt Lichtenberger so viel Verzweiflung, so viel Entsetzen und so viel Angst und kreiert mit seinem Stimmvolumen gemeinsam mit dem Orchester eine alles einnehmende klangliche Fülle.
Diese volltönende Beichte geht derart tief, und seine Schlussfolgerung und die Vehemenz, mit der er sie artikuliert und verfolgt, schockiert. Das hat mich zutiefst mitgenommen.
Die gesamte Gemäuer, das Frollo in Analogie zu seiner Kathedrale um sich errichtet hat, bricht in diesem einen Lied vollkommen zusammen, er präsentiert sich vollkommen schutzlos. Eine einzige junge Frau, die die Mauern im seine Seele zum Wanken bringt: Er hat gar keine andere Wahl mehr, als Esmeralda zu vernichten. Er hat sich selbst vorher schon selbst im Liebeswahn vernichtet.
So viele unchristliche Gefühle ruft Esmeralda in ihm hervor:
- Eifersucht schürt Esmeralda in ihm, da sie ein so viel besserer Mensch ist als er.
- Neid bricht aus ihm hervor, da sie ebenso wie Jehan sich der Schönheit des Lebens nicht verschließt und dennoch gütig und milde ist.
- Missgunst übermannt ihn, die sich so rührend menschlich um Quasimodo bemüht und dieser sie als Freund wahrnimmt und damit ihn erreicht. anders als Frollo, der es nicht schafft, zu Quasimodo eine andere Beziehung aufzubauen als die eines Gebieters zum Untergebenen.
Aber es ist die verzweifelte Wut, die Frollo so gefährlich macht. Er läuft über vor Selbsthass und projiziert das alles auf Esmeralda. Und aus alter Tradition löscht man ein unkontrolliertes Feuer eben mit Feuer. Aus seiner brennenden Leidenschaft wird der Wunsch, Esmeralda zu verbrennen.
Mit ihr möchte er diese irdischen Gefühle, seine Triebhaftigkeit auslöschen, bis nichts mehr davon übrig ist, was davon zeugen könnte. Denn schon wie bei Quasimodo: nichts von sichtbarer Entfernung vom Guten und Edlen darf nach außen dringen, darf Gestalt annehmen.
Für mich persönlich ist Andreas Lichtenberger in einer Cast, die qualitativ schon ihresgleichen sucht, nochmal um wirklich ein ganzes Stück herausragender. Sein Spiel, seine Präsenz, seine Stimme. Die Schonungslosigkeit, mit der er sich den Charakter zu eigen macht, gleicht der Kompromisslosigkeit Frollos und macht seine Darstellung zu einem authentischen Highlight in dieser fabelhaften Produktion.
Hauptmann Phoebus de Martin: Roy Goldman
Er ist am Anfang ein stolzer Hauptmann mit einem gewissen Funkeln in den Augen, allerdings ist er nicht der Held, den man hinter einem strahlenden Hauptmann vermutet. Roy Goldmann lässt schon früh, noch ehe er es selbst formuliert, seine Zweifel bezüglich seines Dienstes und der Idee dahinter aufleuchten.
Wunderschön herausgespielt hat er meiner Meinung nach nicht nur die Liebe zu Esmeralda, sondern auch die Erkenntnis, dass – obwohl er Soldat und Hauptmann ist – sie tapferer und mutiger ist. Wenn er im Gefängnis zu ihr spricht: „Ich kenne Soldaten, die nicht halb so mutig sind wie du“, dann hat man das Gefühl, er spricht nicht von seinen Soldaten, sondern von sich selbst. Sie verleiht ihm alle Kraft, die er am Ende braucht. Ganz behutsam gelingt diese Szene im Gefängnis doch sehr intensiv. Man sieht, wie Roy als Phoebus nochmal ganz bewusst wahrnimmt, was Esmeralda alles verkörpert und wie er es versucht, in sich aufzunehmen, zu verwahren, so dass etwas von ihr über ihr irdisches Leben hinaus fortdauert. Das ist in der Musik auch so schön zu hören, wie er versucht, ihrer Idee nachzufolgen und zunächst immer ein Stück hinterherhinkt, bis beide „auf einem Level sind“. Roy Goldmann spielt da sehr körperlich, man erkennt das Beben, was ihn durchdringt. Bei Star Wars hieße das Wohl „eine Erschütterung der Macht“.
Phoebus war auf der Suche nach dem Frieden nach dem Krieg, hatte aber keine genaue Vorstellung, dass dieser Frieden so viel mehr sein kann als „Spaß und Freude“. In Esmeralda, besser, in ihrer Haltung dem Leben und den Menschen gegenüber, findet Phoebus etwas, was ihn nachhaltig beeinflussen wird. Ihr leuchtendes Vorbild wird ihn so auch in der Zeit nach Esmeralda leiten. Das ist auch der Darstellung von Goldmann zu verdanken, dass man spürt, welchen ungeheuren Wandel Esmeralda in ihm bewirkt hat. Dass Esmeralda nicht nur auf ihn wirkte, weil er in sie verliebt war, sondern weil er in ihr eine neue Idee von sich und den Menschen fand oder bestätigt fühlte.
Zigeunerfürst Clopin: Matthias Schlung
Matthias Schlung gibt den Zigeunerfürst stimmlich perfekt. Diese Mischung aus hinterhältiger Vorsicht und trotziger Präsenz ist umwerfend. Er steht für das Leben der Zigeuner, das ein täglicher Kampf ist. Er ist schlau, misstrauisch und natürlich auf seinen Vorteil bedacht. Aber er ist auch loyal und verlässlich. Clopin ist die Figur, der man sich am schwierigsten nähern kann, weil sie moralisch nicht einwandfrei ist. Aufgrund seiner Position in der Gesellschaft kann er das auch nicht. Mensch oder Scheusal? Diese Frage stellt sich ja nicht nur für Frollo oder Quasimodo, sondern auch für Clopin.
Aber auch auf ihn hat Esmeralda einen nachhaltigen Eindruck gemacht. Die Szene, in der er dem Hauptmann im Wunderhof die Hand reicht, ist von tiefer Ehrlichkeit und Hoffnung.
Schlung kehrt schon sehr den fiesen, weil immer verstoßenen Teil seines Clopin heraus, das gelingt auch stimmlich sehr gut. Verschmitzt, hinterhältig, schadenfroh kommentiert er das Geschehen.
Ensemble
Die Leistung des Ensembles, das über das ganze Stück hinweg in die verschiedensten Rollen schlüpft, muss hier gesondert und gebührend gewürdigt werden. Allesamt tragen zu diesem phantastischen Erlebnis bei. Mit unheimlicher Leichtigkeit wechseln die Darsteller in die Figuren und wieder zurück, glänzen mit präsentem Spiel und verleihen den Ensemblenummern ungeheure stimmliche Tiefe.
Das Stück spielt mit den Emotionen, arbeitet mit so viel Gegensätzlichkeiten. Da ist die ausgelassene Freude, dort ist der blanke Hass. Alles wird authentisch dargestellt, und was mir besonders gefallen hat: die Darsteller sind alle so „drin“. Da ist so viel Spielfreude zu sehen, so viel Ehrlichkeit im Spiel. Hmm, wie soll ich das beschreiben? Sie hüpfen mit so ungeheurer Wucht in ihre Rollen, leben da für kurze Zeit, um sie anschließend wieder zu verlassen. Das hat ebenfalls etwas tief berührendes, weil phantastisch-kindliches. Eine unheimlich tolle Leistung aller Beteiligten, die auch stimmlich alle perfekt zueinander zu passen scheinen.
Chor
Das besondere am Glöckner ist die Beteiligung eines extra Chores. Und dieser Chor hat es in sich: Die Damen und Herren im Bühnen-Chorgestühl singen in erhabener Harmonie und loten das Klangspektrum in allen Höhen und Tiefen aus. Die Dynamik dabei ist mitreißend: beginnt gerade das Olim als einstimmiger Choral, weitet es sich in alle Richtungen und in der Lautstärke. Wie ein Tsunami baut der Chor dieses Klangbild von unten her auf und entfaltet eine ungeheure Wucht, ohne, dass dabei irgendetwas an stimmlicher oder harmonischer Brillanz verloren geht.
Gemeinsam mit dem fabelhaften Orchester und dem ebenfalls stimmgewaltigen Ensemble wird hier Musik gemacht, die nicht nur in die Ohren dringt, sondern tief in die Seele.
Fazit
Der Glöckner von Notre Dame ist in meinen Augen so gewaltig, dass man die Wirkung nicht ansatzweise beschreiben kann. Die VBW nutzen alles, was das Musical eh schon besitzt, und kreieren ein Meisterwerk, weil sie zum perfekten Stück auch das perfekte Orchester, den perfekten Chor und eine perfekte Darstellerriege garnieren.
Mit perfekter Tontechnik und den anderen Gewerken zaubern sie aus Der Glöckner von Notre Dame einen wirklich in jeder Hinsicht perfekten Musicalabend.
Für Die Frau schaut hin fotografiert Dr. Joachim Schlosser
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