Augsburg ist die Stadt der Fugger. Die reichste Familie des Mittelalters hat diese Stadt geprägt. Vor allem Jakob Fugger der Ältere ist in der Stadt präsent, gründete er doch 1521 die älteste Sozialsiedlung der Welt, in der bedürftige katholische Augsburger für kleines Geld leben konnten und auch heute noch in gleicher Form existiert.
Jakob Fugger der Reiche war seinerzeit der reichste Mann der bekannten Welt. Sozusagen der Bill Gates des 15./ 16. Jahrhunderts. Reich durch Innovation und entschlossen in der Idee, einfach mal mehr oder andere Dinge zu wagen als die Mitmenschen und dabei auch nicht immer nur zum Wohle der Kundschaft handeln. Daneben sozial engagiert, so wie eben heute Bill Gates mit seiner Stiftung weltweit operiert. Fugger war, der Zeit geschuldet, bei seinem sozialen Engagement lokal deutlich eingeschränkter. Er baute in seiner Heimatstadt Augsburg die Fuggerei, jene Sozialsiedlung, in der bis heute noch bedürftige katholische Augsburger für ’n Appel und ’n Ei wohnen dürfen. Ob das tatsächlich aus innerem Antrieb, Armen zu helfen geschieht oder das Karma bestochen werden soll, das konnte man früher und kann man auch heute nicht nachprüfen. Fest steht: Die Bewohner der Fuggerei müssen sich beim Einzug verpflichten, täglich für das Seelenheil des Stifters zu beten. Ja, so heißt die Devise in der freien Wirtschaft bis heute: Eine Hand wäscht die andere und wo einem Bill Gates positive Berichterstattung in den Medien bei seinen Vorhaben nützt, so hoffte Fugger wohl auf positives Feedback der Bedürftigen beim Schöpfer persönlich.
Über diesen reichen Kaufmann schrieb Stephan Kanyar ein Musical, das natürlich in Augsburg seine Uraufführung am 30.6.2018 (zur Rezension) hatte. Durch Corona um zwei Jahre ausgebremst, kam es jetzt zur Wiederaufnahme auf der Freilichtbühne vor historischen Mauern in Augsburg. Mit dabei war wieder Chris Murray als Jakob Fugger und Katharina Wollmann als seine spätere Frau Sybilla junior. Prominent neu besetzt waren die Rollen der Sybilla senior mit Katja Berg und die des Finanzgegenspielers Welser mit Alexander Franzen.
Herz aus Gold
Aus dem Leben des Jakob Fugger ist nicht mehr viel bekannt abseits seiner dokumentierten Finanzgeschichte, die ihm zum reichsten Mann der damaligen Welt machten. Diese aber finden Einzug in das Musical, bilden quasi den historischen Rahmen des Stückes. Da geht es zum einen darum, mit welchen Ideen Jakobs die ohnehin wohlhabende Kaufmannsfamilie Fugger zum Global Player aufstieg, die es ihnen ermöglichte, in die Kaiserwahl mit einzugreifen. Scharmützel wurden ausgetragen mit den Welsern, ebenfalls Kaufmannsfamilie in Augsburg. Diese historisch verbrieften Wahrheiten verbinden sich im Musical aber mit der privaten Seite des Jakob Fugger. Davon ist nichts mehr bekannt, außer, dass er mit Sybilla verheiratet war.
Wie tickt ein Mann privat, der beruflich Risiken eingeht, sich an Neuerungen wagt, taktisch klug agiert und Erfolg um Erfolg vorweisen kann? Kanyar strickt ein Beziehungsdrama der besonderen Art um Jakob Fugger, das viel Emotionen enthält und -gerade in mittelalterlichen Verhältnissen- nicht weit hergeholt scheint.
Inhalt
Familie Fugger residiert in Augsburg. Nach beendeter Ausbildung kommt Jakob Fugger aus Venedig nach Hause zur Mutter Barbara, die (noch) über das Familienunternehmen wacht, und den beiden Brüdern Ulrich und Georg Fugger. Die erworbene Weltoffenheit lässt ihn Augsburg furchtbar klein und spießig erscheinen (eigentlich passiert das jedem, der aus einer anderen Stadt nach Augsburg kommt, auch heute noch!). Aus dem Süden bringt er nicht nur die Idee mit der doppelten Buchhaltung mit, sondern auch die südländische Art zu feiern.
Er trifft auf Sybilla, seine Jugendliebe. Nach anfänglicher Freude muss er entsetzt feststellen, dass sie verheiratet und Mutter einer Tochter ist. Da er Sybilla nicht haben kann – sie macht ihm klar, dass sie ihren Mann trotz aller leidenschaftlicher Gefühle zu Jakob nicht verlassen wird – stürzt sich Fugger in seine Geschäfte. Er entwirft neue Geschäftsmodelle, geht Risiken ein und hängt bald Konkurrent Welser finanztechnisch gesehen ab. Als reichster Mann der Welt hat er auch Einfluss auf die Politik des Landes, gehören doch Fürsten und sogar Kaiser Maximilian zu seinen Schuldnern. Über all dem beruflichen Erfolg vergisst Jakob seine Jugendliebe nie, bindet sich deshalb auch nicht anderweitig. Auch nach dem Tod von Sybillas Mann weist Sybilla ihn ab, kann sie ihm doch im fortgeschrittenen Alter keinen Erben mehr schenken. Sie bietet ihm stattdessen die Hand ihrer Tochter. So kann sie Jakob zumindest nahe bleiben. Jakob ist nicht überzeugt, aber aus Liebe zu Sybilla heiratet er deren Tochter Sybilla junior.

Nach einem Jahrzehnt des ungebremsten Aufstieges ist auch Fugger nicht vor Krisen gescheut. Als der Kaiser sterbenskrank wird, muss Jakob fürchten, den Großteil seines Geldes zu verlieren. Er versucht, weiter innovativ neue Welten zu erkunden, während seine Ehefrau unzufrieden ist. Sie hat längst festgestellt, dass Jakob sie nicht liebt, sondern ihre Mutter verehrt. Diese stirbt mit der Erkenntnis, die falschen Entscheidungen im Leben getroffen zu haben. Als Martin Luther im Haus von Fugger verhört wird, begeistert sich Sybilla junior für dessen Lehre und verlässt Jakob. Am Ende seines Lebens hat Jakob Fugger zwar den Titel als reichster Mann der Welt vorzuweisen, steht aber ohne die Liebe seines Lebens allein da.
Lieder
Ouvertüre
Die Ouvertüre beginnt fanfarenartig und stimmt damit gleich auf das Thema ein: Das Leben des damals reichsten Menschen der Welt – was außer Fanfaren wäre da angemessener? Die fanfarenartigen Renaissance-Klänge aber verwandeln sich schnell und zielgerichtet in ein Potpourri der eingängigsten Themen des Stückes.
Opening
Vier Herolde beginnen schließlich das Stück und besingen Augsburg, Augsburg du mächtigste Stadt. Diese Hymne an die Heimatstadt findet ohne Umwege den Weg in des Zuhörers Ohr, vielleicht, weil es im Thema ein wenig an die Black Pearl aus dem Fluch der Karibik erinnert, eingetaucht in Dreiklangsfarben früherer Zeiten.Der Chor steigt mit ein und schöpft Höhen und Tiefen voll aus. Es wird uns der Heimkehrer Jakob Fugger vorgestellt, der im fernen Venedig eine Ausbildung zum Kaufmann erhalten hat. Empfangen wird er von seinen Brüdern Ulrich und Georg und seiner Mutter. Mit dem Geschäftsmann Welser kommt auch gleich der Gegenspieler in Sachen Geschäfte auf den Plan. Jakobs Familie sowie Welser stellen das traditionelle Gegengewicht dar zu Jakob Fugger, der, aus Italien kommend, neue Ideen sowohl in Sachen Finanzgeschäfte als auch Lebensfreude mitbringt.
Tanz!
Da taucht Sybilla auf, Jakobs Jugendliebe. In einem wunderschönen Duett entfaltet die Musik und der Gesang der beiden Hauptdarsteller ein klares weiches Bild vom zärtlichen Versprechen, immer zusammenzubleiben, welches sie sich als Kinder gegeben haben. Jakob hat diese Idee über die ganze Zeit seiner Abwesenheit bewahrt, ja geradezu geschützt. Mit liebevoller Eindringlichkeit erinnert er Sybilla an dieses Versprechen, ihm und seiner unkonventionellen Art zu folgen: Komm lass dich gehen, ich geh mit. Die Art und Weise, wie harmonisch das Lied komponiert wurde, setzt hier schon den unmissverständlichen Akzent, dass diese beiden Menschen etwas besonderes verbindet.
Dem ebenfalls in Sachen Geldgeschäften agierenden Welser, der Regeln und Traditionen verhaftet ist und Jakob aus mehreren Gründen skeptisch gegenübersteht, erklärt Jakob seine Idee des Fortschritts: Wenn man die Schritte nur so weit setzt, wie einen die Alten gelehrt haben, wie kommt man da vom Fleck?
Familienquartett
Auch seiner Familie muss Fugger erst die groben Züge seines Wirtschaftens erläutern. Dabei ergibt sich folgendes Bild: Jakob ist der Visionär, die Brüder halten an traditioneller Kaufmannskunst fest, die Mutter ist Jakob eher zögerlich zugewandt: Daraus entspinnt sich ein spannendes Quartett. Im gesprochenen Dialog klingt außerdem die moralische Seite an der Art des Geldverdienens an. Ist es christlich, mit Schulden und mit Krieg Geld zu verdienen?
Nach oben
Aber Jakob will Nach oben. Eingebettet in diese Szene entfaltet der Song seine ganze Kraft: Langsam beginnt das Lied mit einer Art Bestandsaufnahme des Jetzt und steigert sich gekonnt, der Vision Jakobs gleich, in Höhe, Dynamik und Lautstärke immer weiter nach, bis schlussendlich Fugger auf seinem Schreibtisch stehend den Ort andeutet, den er in der Welt erringen will: Nicht nur nach oben, sondern ganz nach oben.

Gefühle kann ich mir nicht leisten
Ausgestattet mit dem nötigen Wissen und dem passenden Selbstbewusstsein hat Jakob bald seine Mutter von seinen wirtschaftlichen Ideen überzeugt. Ihre Sorge gilt so nun vielmehr dem Privatleben ihres Sohne: Ihr Jüngster macht keine Anstalten, die Bücher auch mal zur Seite zu legen und sich um einen Erben zu bemühen: Dein Verstand strebt unaufhaltsam nach vorn, aber dein Herz hast du hinter dir gelassen. Sehr hübsch wurden hier in der Musik durch Staccato die Spitzen verdeutlicht, die Barbara Fugger gegen den in Frauendingen völlig desillusionierten Sohn loslässt. Genau diese Desillusion trägt Chris Murrays Fugger dagegen breit zur Schau. Gegensätzliche Musik für gegensätzliche Standpunkte funktioniert auch in diesem Lied einwandfrei. Desillusion macht sich dann aber auch bei der Mutter breit. Auf Goldmünzen sitzend offenbart sich auch bildlich das Dilemma des übermäßig Reichen, der alles haben kann und doch erkennen muss: Gefühle kann ich mir nicht leisten.
Schach
Die Geschäftsbeziehung zu Welser ist eine ambivalente, denn zu verflochten sind die Finanzstricke der beiden, ihr Duell versinnbildlicht ein Schachspiel: Das Ensemble wird dazu optisch zu Schachfiguren gemacht. Im Kampf Fugger gegen Welser bleibt zwar die ein oder andere Sache undurchsichtig, aber klar ist: gewinnen wird der, der mehr Mut hat und sein Spiel konsequent verfolgt.

Seh in mir, was ich bin
Jakob und Sybilla haben längst eine Affäre miteinander begonnen. Er will, dass sie ihren Ehemann verlässt, sie kann und will es nicht. Zum einen würde es Schande bedeuten, zum anderen glaubt sie, nicht die richtige Frau für Jakob zu sein, dem sie aus Altersgründen keinen Erben mehr schenken könnte. Deshalb bittet sie Jakob, ihre Tochter zu heiraten. Mit der fixen Idee, ihr nicht erlangtes Glück an ihre Tochter weitergeben zu können, löst sie zunächst Entsetzen bei Jakob aus. Der allerdings willigt aus Liebe zu Sybilla senior ein und heiratet in einer pompösen Zeremonie Sybilla junior.
Nach oben (Reprise)
Der zweite Akt ist geprägt sowohl von familiärer als auch geschäftlicher Krise. Kaiser Maximilian ist sterbenskrank und Jakob Fugger fürchtet, das viele Geld, das er ihm geliehen hat, zu verlieren. Renaissance-Motive begleiten die Rufe der Herolde Vivat dem Kaiser, dem Kaiser vivat! und künden vom Auftritt des Kaisers, während in einer Reprise von Nach oben sich Jakob fragen muss, ob er auf seinem Weg nicht vielleicht zu wagemutig über das Ziel hinausgeschossen ist.
Seine Geschäfte und die Krisen binden ihn stark ein, aber neben ihm immer an seiner Seite steht weiterhin Sybilla senior. Sie hilft ihm tatkräftig und Jakob ist dankbar, dass Sybilla, wenn auch auf andere Weise, die Stütze seines Lebens ist.
Du durftest mich nicht zwingen
Diese Situation ist für Sybilla junior nicht hinzunehmen und führt zu einem aufwühlendem Duett der beiden Sybillas, Mutter und Tochter. Sybilla junior fühlt sich vernachlässigt – emotional und körperlich – und ist sich schon lange der Tatsache bewusst, dass Jakob nur ihre Mutter liebt, während diese ihre eigenen verdrängten Träume und Wünsche auf ihre Tochter projiziert hat: Du stelltest mich auf den Platz, auf dem du einst standest. Die Tochter voller klagt energetisch ihr Leid, ihre aufgestaute Wut bringt die Mutter dazu, sich lautstark zu verteidigen. Ein kraftvolles, treibendes Stück, dass der Dramatik der Situation absolut gerecht wird.

Neue Welten, ferne Welten
Während also die Frauen einen Generationenkonflikt ausfechten, muss Jakob Fugger schauen, wie er die unsicheren Geldgeschäfte durch weiter Investitionen stützen kann. Er sucht dazu zusätzlichen Profit in Neuen Fernen, neuen Welten jenseits des Ozeans. Die Tatkraft, die Jakob Fugger auf zwischenmenschlicher Ebene fehlt, steckt er weiter in seine Geschäfte, während sich Konkurrent Welser mit dynamischen Geschäftsprozessen schwer tut und weiterhin der statischere der beiden bleibt. Sehr schön immer wieder gegenübergestellt und verdeutlicht, worauf sich Fuggers Erfolg gründet.
Herz aus Gold
Diese Dualität, Erfolg im Geschäft blüht auf dem Misserfolg in Sachen Liebe, mündet im titelgebenden Lied Herz aus Gold, dem wohlerdachten Showstopper für Hauptdarsteller Chris Murray. Auf einer Treppe aus Golddukaten wandelnd, auch wieder in Richtung Nach oben (!), rechtfertigt und erklärt Jakob seinen gewählten Weg, erklärt sich selbst, dass ein Herz aus Gold eben kalt bleibt.
Gold als kaltes hartes Metall, mit dem er sich wappnet gegen Gefühle, das seine weiche Seite schützt vor Leidenschaft und Schmerz.
Wo bin ich geblieben?
Eine Rückschau ganz ähnlicher Art betreibt auch Sybilla vor ihrem Tod: Wo bin ich geblieben, fragt sie sich und erkennt in einer schonungslosen Abrechnung mit dem eigenen Leben ihre Fehler: zum einen ist sie ihrer wahren Liebe nicht konsequent gefolgt, zum anderen hat sie ihre Tochter in eine Ehe gezwungen. Damals zweifelte sie nicht an der Richtigkeit ihrer Entscheidungen. Jetzt sieht sie ihr Leben mit andern Augen und erkennt:
wohin ich mich sehnte, steht jetzt mein Kind
Nichts tilgt die Schuld, schlecht war der Rat
Das Kind hat sich abgewendet, sie selbst hat Jakob zurückgewiesen: Am Ende ihres Lebens ist sie allein und rückwirkend ergibt keine ihrer Handlungen mehr Sinn.
Das Narrenschiff
Kaiser Maximilian und Jakob Fugger klüngeln anschließend noch um Geld und Macht und Maximilian gibt Jakob dank eines Geschäfts die Möglichkeit: setzt Segel in die neue Welt. Er singt von voll beladenen Schiffen und an dieses kurze Solo schließt sich der Song Narrenschiff an. Laut Programmtext wurde 1494 eine Moralsatire dieses Titels gedruckt, die zum Inhalt die Laster und Fehler der Menschen hat und in der eine Menge von Narren auf einem Schiff auf das fiktive Narragonien zusegelt. Das Lied ist in Komposition und Ausführung durch Ensemble und Chor beeindruckend. Rockig und volltönend hebt es sich in der Choreographie und Kostümen ab und stellt so einen Kontrapunkt dar. Es wirft mit der Liedzeile das Ziel der Fahrt ist der Wahndie Frage auf, inwieweit Reichtum oder das Streben danach glücklich machen. Möglicherweise läuft man einfach nur einer Narrheit hinterher, da am Lebensende der eigene Reichtum nichts nützt (das Schiff wird am Ende zerschellen)

Was macht uns fromm?
Zum Ende wird Martin Luther im Fuggerhaus zu seinen Thesen verhört (eine historische Tatsache). Da Fuggers Reichtum auch auf den Handel mit Ablassbriefen gründete, gegen den Luther vehement wetterte, nutzten die Schaffer von Herz aus Gold hier die Möglichkeit der Konfrontation von Luther mit dem katholischen Fugger. Seine Frau Sybilla junior lässt sich von Luther und seinen Ideen faszinieren und verlässt Jakob Fugger, der nun ebenfalls völlig alleine ist.
Finale
Zum Abschluss kommen – musicalgerecht – nochmal alle Hauptakteure zum Zug, Ensemble und Chor, alle vereinen sich im großartigen Finale, das zudem stimmungsvoll beleuchtet ist.

Inszenierung
Kostüm
Die fantasievollen Kostüme des Ensembleteils, das die reichen Patrizier darstellt, sind modernisierte Adelsgewänder mit tollen Kopfbedeckungen. Das alles ist in Rot-Grüß-Weiß gehalten, die Farben, die nicht nur dem FCA-Fan als Farben Augsburgs geläufig sind.
Familie Fugger tritt royal in dunkelblau auf, auch Jakob, der sich aber im Laufe des Stückes immer weiter “vergoldet”.
Ein optisches Highlight sind die Roben von Sibylla senior. Vor allem das in gelb und gold gehaltene Kleid verdeutlicht, dass sie für Fugger einen ähnlich hohen Wert besitzt wie sein Geld.
Sybillajunior tritt zu Beginn als Kind in einem Kleid auf, dessen Überstoff mit Blumen bestickt ist. Sucht dann am Ende Sibylle als junge Frau die Konfrontation als mit ihrer Mutter, erkennt man einen ähnlichen Stil. Die junge Frau ist stets das kleine Kind ihrer Mutter geblieben, fremdbestimmt und unfrei in den Entscheidungen.
Welser ist in rot-weiß gekleidet. Gleiche Region, aber die Konkurrenz. Habe ich vorhin schon die FCA-Farben angesprochen, komm ich nicht umhin, festzustellen, dass die bayrische Fußballkonkurrenz des FC Bayern ebenfalls rot-weiß gekleidet ist. Hier allerdings im Stück ist rot-grün-weiß der erfolgreichere Teil ;-). Es ist aber wiederum – wie beim Chor – die phantasievolle Kopfbedeckung, die am meisten hervorsticht.
Bühne
Fest stehen deine Türme und Mauern singen die Herolde über Augsburg und als „Ureinwohner“ der Stadt läuft es einem da ein bisschen kalt den Rücken runter, wenn man im Halbrund der Freilichtbühne sitzt vor eben historischen Mauern, die bis heute die Zeit überdauert haben.
Auf der Bühne selbst ist eine Drehbühne installiert, die Jakob Fuggers Büro als Spielstätte zeigt. Auf der anderen Seite sind mehrere Wände in Maueroptik installiert.
Rechts davon führt eine Treppe nach oben bis auf die Stadtmauer. Diese Treppe ist in Form von übereinander gestapelten Goldmünzen realisiert worden. Drei übereinandergelegte, überdimensionale Taler sind daneben drapiert, sie sind der Spielort von Mutter und Sohn Fugger beim Gespräch über Jakobs private Zukunft.
Optisch ist das wunderschön anzusehen, die Beleuchtung tut ihr übriges. Wahrlich majestätisch wirkt die Bühne, und natürlich fügt sich das historische Stück in das alte Gemäuer perfekt ein.
Choreographie
Die Choreographie nutzt die gesamte Weite der Freilichtbühne und nimmt geschickt den Inhalt der Geschichte auf.
Als Jakob nach Hause kommt, wettert er gegen die Spießigkeit der Augsburger und fordert südländische Gelassenheit. Das Ensemble nimmt diese zwei unterschiedlichen Sichtweisen auf und tanzt quasi ein battle Patrizier gegen Fußvolk, traditionelle Schritte gegen modernen Stil.
Dass Jakob Fugger seine Ideen im internen Familienduell mithilfe seiner Mutter durchsetzt, lässt das Blocking auch schön erkennen, so dass er am Ende des Familien-Quartetts an dem Platz sitzt, an dem zu Beginn der Szenen seine Mutter saß. Den Platz, den er bis zu seinem Tod nicht wieder hergeben wird.
Leider ein wenig unter den Möglichkeiten bleibt der Ensembleeinsatz bei Schach, der Konfrontation von Fugger und Welser. Diese Idee ist schön begonnen, verliert dann aber ein wenig seine Wirkung. Die Choreographie ist in weiten Teilen vielversprechend, aber nicht zu Ende gedacht.
Der lautstarke emotionale Zwist von Mutter und Tochter spielt sich auf der Drehbühne ab, die, wie die beide Frauen, ständig in Bewegung ist. Sie drehen sich – wie die Bühne – nur im Kreis, verheddern sich im Labyrinth der Gefühle.
Schließlich darf sogar noch Kaiser Maximilian per Kutsche auf dem Weg zwischen Bühne und Zuschauerrängen auffahren.
Rollen und Darsteller
Jakob Fugger: Chris Murray
Das Augsburger Publikum liebt Chris Murray und er hoffentlich auch sein Publikum!

Man kann das nachvollziehen, denn bei Murray fliegt der Funke sofort über. Man bekommt schon in der ersten Szene eine Verbindung zu diesem Mann, und je länger das Stück dauert, desto weniger wird einem bewusst, dass da jemand den Jakob Fugger spielt. Ich bin mir sicher, dass, wenn nächsten 1. April in der Augsburger Allgemeinen steht, dass sich nach intensiver Recherche herausgestellt hat, dass Chris Murray tatsächlich aus der Linie der Fugger stammt, Augsburg würde es glauben. Chris Murray ist Jakob Fugger. Und betont auch noch äußerst charmant im Stück: Ich bin Augschburger. Mit dem typischen sch-Laut sagen das tatsächlich nur Menschen so, die hier geboren und aufgewachsen sind und diejenigen echten Augschburger, die da im Publikum sitzen, würden Chris Murray am liebsten eine Kusshand dafür zuwerfen.
Er trägt einen stolzen Habitus zur Schau, der aber wenig arrogant rüberkommt. Fugger ist von sich überzeugt, hat Visionen und ist durch und durch Geschäftsmann. Und obwohl er mit Ablassbriefen und Schulden handelt, reduziert Murray durch sein Spiel diesen Fugger eben nicht auf den knallharten Geschäftsmann, sondern als einen klugen Mann, der eine Leidenschaft für sein Metier hat. In seiner Unnachgiebigkeit ist er weniger starr und überheblich, vielmehr energiegeladen und visionär.
Beeindruckend gelingen ihm darüber hinaus die Szenen, die das Privatleben Fuggers betrachten. Beschwingt und überaus dankbar ist er, als er Sybilla wieder trifft, man merkt, wie Fugger sein Herz wieder öffnet und die Liebe fließt. Weist ihn Sybilla dann ab, hat Murray seine stärkste Szene: Diese Ablehnung ist für ihn Verrat, Trauer, Schmerz und einfach nicht zu begreifen. Das ist nicht einfach eine Niederlage, sondern es wird ihm ein essentieller Teil seines Lebens genommen. Das ist großartig ausgespielt in Mimik und Gestik. Nach außen beherrscht, brodelt es in ihm. Unaufhörlich ballen sich die Finger und Hände zu Fäusten. Da ist ein unausgesprochenes Entsetzen und Murray bewahrt diese Emotion. Immer wieder erkennt man in ihm den Liebenden, der sich nach außen nichts anmerken lässt, der aber diesen Verlust nie überwindet.
Gesanglich ist Chris Murray unglaublich ausdrucksstark. Er legt diese Stärke Jakob Fuggers in jeden Ton genauso wie die muntere Beschwingtheit zu Anfang mit Sybilla. Ihm gelingt es auch, stimmlich zu altern, am Ende klingt er anders als am Anfang.
Die langen Schlusstöne klingen klar und umfassend voll, geben dem Abend etwas Erhabenes, Besonderes.
Herz aus Gold ohne Chris Murray mag man sich gar nicht vorstellen, so sehr hat er sich diese Rolle zu eigen gemacht und so sehr freut man sich in dieser Rolle an seiner gesanglichen Klasse! Ich denke, Augsburg adoptiert demnächst diesen Weltklassesänger.
Sybilla senior: Katja Berg

O.k., wie schreib ich, dass es nicht kitschig oder platt klingt? Ich sag es, wie es ist: Das Wo bin ich geblieben war das stärkste an Sologesangsstück, das ich in den letzten Jahren gehört habe. Katja Berg hat eine Stimme, die ich nicht beschreiben kann. Sie geht einem durch und durch. Diese Kraft und Eleganz, diese Vehemenz und trotzdem immer auch eine Zartheit… ich weiß nicht, wie sie das macht, aber ich persönlich kann nicht genug davon kriegen. Mir stellen sich da alle Armhärchen auf und am Ende bin ich atemlos, weil mir da auffällt, dass ich während des Liedes möglicherweise kein einziges Mal geatmet habe, aus Angst, auch nur eine Zehntelsekunde zu verpassen.
Katja Berg spielt sehr viel mimisch, gibt ihren Gesichtsausdrücken eine große Vielfalt und spiegelt darin eine jede erdenkliche Emotion. Schon zu Beginn mit Jakob ist da überraschte Freude, aber auch ein wenig Verwirrtheit ob der auftauchenden Gefühle, da ist ein wenig Koketterie, da ist sie verschmitzt und aufgeregt.
Wenn sie sich gegen Jakob entscheidet, passiert diese Trennung erstaunlich leise und gefasst. Es ist eine Vernunftentscheidung.
Das Duett mit ihrer Bühnentochter Katharina Wollmann ist energiegeladen und treibend zugleich, gegen die Vorwürfe ihrer Tochter verteidigt sich Sybilla lautstark und vorwurfsvoll.
Alle Emotionen, die diese Figur ausmachen, entlädt Katja Berg dann im eben genannten Wo bin ich geblieben am Ende von Sybillas Lebens, es ist eine schonungslose Abrechnung mit sich selbst in einer Intensität, die ihresgleichen sucht.
Sybilla junior: Katharina Wollmann
Katharina Wollmann war schon in der ersten Spielzeit als Sybilla besetzt und damals habe ich sie noch nicht so stark gesehen. Diese erfrischend aufspielende junge Frau hat sich enorm weiterentwickelt. Schon im bereits besprochenen Kiss me, Kate war sie der Garant für Schwung mit unglaublicher Präsenz und enormer Spielfreude.
Auch als Sybilla junior schafft sie es, dieser Figur eine eigene Kontur zu geben. Sie zeichnet eine junge Frau, die sich ihrer Mutter fügt, um sich dann leidgeplagt zu emanzipieren, mit ihrer Mutter zu brechen und ihren Ehemann zu verlassen.
Ist sie ihrem Ehemann gegenüber leise und unterwürfig, schleudert sie ihre Wut gegen ihre Mutter in einem fulminante Duett entgegen, in dem sich nicht nur die Tochter der Mutter ebenbürtig zeigt, sondern auch Katharina Wollmann der überragenden Katja Berg.
Befreit und aufgeschlossen gegenüber neuen Ideen – wie einst ihr Eheman wider Willen – entfaltet sie eine zarte Selbstbestimmung, auch in der Stimme.
Welser: Alexander Franzen
Der Konkurrent Fuggers um Geschäft, Macht und Geld ist der notwendige Sidekick, um die Person Fuggers zu entfalten. Sind manche Geschäftsdetails eher sperrig, so zeichnet doch die Beziehung der beiden unterschiedlichen Geschäftsmänner ein klares Bild von Welser wie auch von Fugger. Der eine ist der Tradition deutlich stärker verhaftet, ein wenig behäbiger, obwohl er eleganter und behände wirkt. Welser hofft auf Synergien, in deren Kielwasser er mitschwimmen kann, die Fugger aber nicht bereit ist, zu geben.

Alexander Franzen ist – genau wie im parallel am Gärtnerplatz laufenden Tootsie – ein Präsenzwunder. Er macht allein durch seine Sprech- und Singstimme den immer unterlegenen Welser zu einem würdigen Konkurrenten. Macht deutlich, dass er nicht von Natur aus der abgehängte Konkurrent ist, sondern ein ernstzunehmende Geschäftsmann. Klar in der Gestik füllt er diese Rolle auch mit einem edlen vornehmen Habitus aus.
Fazit
Herz aus Gold ist ein wunderschön komponiertes Stück, das einen weiten Spagat schlägt von großen Emotionen in einer erfundenen Liebesgeschichte zur historischen verbrieften Lebens- und Finanzgeschichte des reichsten Menschen der damaligen Zeit.
Es besticht durch den historischen Klang in der Komposition, der sich nicht bricht mit den modernen gefühlsstarken Balladen. Musikalisch aus einem Guss präsentiert sich das Gesamtwerk, hinterlässt oft durch hymnenartige Melodien und lang gehaltenen Schlusstönen ein erhabenes Gefühl, als gehöre man als Zuschauer selber in den Adel des Mittelalters. Das ist die Stärke des Stückes, dass man sich in einer anderen Zeit wähnt, und das Musical trotzdem modern bleibt. Die Geschichte ist rund, gerade das Drama um das Dreieck Jakob und die beiden Sibyllas, doch auch der Aufstieg von Jakob vom wohlhabenden Kaufmann zum reichsten Mann der Welt, weiß zu fesseln. An historischer Stätte aufgeführt, macht das nicht nur Augsburgern Gänsehaut.
Wunderbar, dass Komponist Kanyar die Augburger Philharmoniker selbst durch das Stück leitet!
Selbst, wenn sich bei der Wiederaufnahme-Premiere das ein oder andere Tonproblem eingeschlichen hat und ich mir prinzipiell mehr Wumms gewünscht hätte, ist Herz aus Gold immer einen Besuch wert.
Alle Fotos: Staatstheater Augsburg, Jan-Pieter Fuhr.
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