Friedensreich Hundertwasser, 1928 in Wien geboren, gehört zu den größten Künstlern unserer Zeit. Der Maler und Architekt war eine facettenreiche Persönlichkeit, die nicht nur für sein künstlerisches Schaffen bekannt war, sondern auch für seine ganzheitliche Sicht auf den Menschen im Kontext seiner natürlichen Umgebung.
Hundertwasser – das Musical nähert sich dieser Person auf einzigartige, geradezu experimenteller Weise. Die Hommage an eine herausragende, aber auch sperrig wirkende Persönlichkeit gerät ebenso herausrragend, zugleich aber auch komplex und künstlerisch wie Hundertwasser selber. Über drei Stunden entfaltet sich das Musical langsam zu einem farbigen Bild, so dass am am Ende ein Gesamtkunstwerk steht, auf das es sich einzulassen lohnt.
Hundertwasser – das Musical
Komponist Stefan Holoubek vertont gemeinsam mit Texter Rolf Rettenberg, dem Autor von Ludwig2, die Geschichte von Hundertwasser in Episoden, die Einblicke geben nicht nur in dessen Leben und dessen Kunst, sondern in dessen Selbstverständnis, dass der Mensch nur im Kontext der Natur natürlich sein kann.
Regisseur Dirk Schattner konnte gemeinsam mit Benjamin Sahler bei der Ausgestaltung sogar Hundertwassers einzige Tochter Heidi Trimmel dazu bewegen, die großformatig projizierten Bilder im Hintergrund zu gestalten.
Inhalt
1. Akt
Paris: Hundertwasser und sein Künstlerfreund Rene Bro entwickeln ein gemeinsames Verständnis, dass es keine Normen, freie Formen geben sollte. Tod der Symmetrie predigt der junge Künstler.
Der Freigeist bleibt auch nach seiner Berufung als Professor an die Kunsthochschule in Hamburg unkonventionell: er fordert den Tod der geraden Linien und kehrt der Hochschule schon nach kurzer Zeit den Rücken.
In der Stadt Wien, mit der Hundertwasser lebenslang ein ambivalentes Verhältnis verbindet, hält er – von Rene Bro angestiftet – ein Nacktrede und schließlich ein Manifest für eine natürliche Architektur.
Mr. Money möchte ihn gerne aggressiv vermarkten, die Wiener Kulturstadträtin zeigt sich dieser Vermarktung offen, da ihr die Wiener Kultur eintönig erscheint. Hundertwasser einigt sich mit Mr. Money.
Hundertwassers Mutter klagt über ihr Leid, das das dritte Reich über sie und die Familie gebracht hat und das sie nie losgelassen hat. Sein Verhältnis zur Mutter, die ihn nach dem frühen Tod des Vaters allein aufgezogen hat, ist innig, verstehend, annehmend. Er ist sich der Last, die die Mutter trägt – keiner ihrer Anverwandten hat den Holocaust überlebt – mehr als bewusst. Er trägt zeitlebens die schwer dara, seiner Mutter dabei nicht helfen zu können.
Eine Mutter kann 12 Söhne trösten, aber keine 12 Söhne eine Mutter.
Die Mutter wünscht sie für ihren Fritz eine unterstützende Frau an seiner Seite, ein konservatives Leben. Aber Hundertwasser hat unterdessen ein Schiff gekauft, um seinen Visionen ein Stück näher zu kommen, denn:
Künste und Schiffe sind Inseln der Freiheit.
Er möchte mit diesem Schiff mit Namen Regentag nach Australien und Neuseeland aufbrechen.In Wien derweil geht der Ausverkauf der Kultur seinen natürlichen Weg. Von Mozart ist nur noch der Kommerz übrig – die Mozartkugeln –, kein kultureller Inhalt mehr. Da kommt der Stadtkultur Hundertwasser gerade recht. Hundertwasser schlägt aus den Kontroversen um seine Person Kapital.
Hundertwasser malt. Kennzeichen sind die Farben, von denen er selbst sagt, dass der Regen die Farben erst richtig intensiv macht.
An einem Regentag beginnen die Farben zu leuchten. Deshalb ist ein trüber Tag, ein Regentag, für mich der schönste Tag.
Er lernt eine Japanerin kennen und nennt sie Amenoki – Regentag.
Als Hundertwassers Mutter stirbt, trauert er um sie. Amenoki ermuntert ihn, loszulassen. Gemeinsam gehen sie auf Reisen.
2. Akt
Amenoki und Hundertwasser sind auf See, aber der Geist seiner Mutter begleitet ihn. Amenoki hat Heimweh. Sie hadert mit dem Leben auf dem Schiff, mit dem „Nie-ankommen“. Sie sehnt sich nach einem Zuhause, einer Familie. Sie träumt davon, dass Hundertwasser sie heiratet, muss aber erkennen, dass das ein Traum bleiben wird.
Schließlich überstehen beide auf ihrem Schiff Regentag einen heftigen Sturm.
Derweil werden Hundertwassers Bilder vervielfältigt und auf den Markt gebracht. Hundertwasser sichert das ein beständiges Einkommen. Es steigert seinen Bekanntheitsgrad. Damit beginnt aber auch der kommerzielle Ausverkauf. Es entsteht die Idee des Hundertwasserhauses. Das Haus, der Wohnraum, ist für Hundertwasser nach der Haut und der Kleidung die sogenannte dritte Haut eines Menschen, er widmet demnach der Architektur verstärkte Aufmerksamkeit.
Amenoki und Hundertwasser sind derweil in Afrika gelandet. Eine Frau namens Afrika besingt den Überlebenskampf der Afrikanerinnen und Afrikaner durch den Kolonialismus, aber auch durch die Bürgerkriege.
Unter dem starken Eindruck dieser Begegnung und der eigenen Machtlosigkeit („Ich bin a Maler, kein Politiker“) angesichts der Gewalt auf der Welt, mit der Geschichte der eigenen Familie im Hintergrund, nennt sich Hundertwasser ab diesem Zeitpunkt mit Vornamen Friedensreich.
Seine Reisen führen ihn noch in die USA, das zu der Zeit von den politischen Krisen rund um den Vietnamkrieg geschüttelt wird.
Zurück in Wien feiert man das Hundertwasserhaus. Bro wirft Hundertwasser vor, er hätte sich verkauft und kritisiert die Form des Hauses. Hundertwasser hält dagegen:
Vom Himmel aus sollte jedes Haus aussehen wie eine Wiese, von der Erde wie ein Schloss.
Hundertwasser eckt an mit seiner Architektur, viele können nichts anfangen mit seiner architektonischen Revolution gegen die Wohnanlagen.
Die Menschen bauen Wohnanlagen – Anlagen kommt von Lager!
Hundertwasser besucht mit Amenoki die Wohnung seiner verstorbenen Mutter. Er reflektiert, dass er wieder zurück zu seinen Anfängen will, dass er sich wieder auf sich, auf sein Inneres konzentrieren will und sozusagen als Befreiungsschlag möchte er wieder zurück nach Neuseeland reisen. Amenoki erkennt, dass sie nie ganz zu Hundertwasser vordringen konnte und entschließt sich, Hundertwasser zu verlassen. Emotional verabschieden sie sich voneinander.
Hundertwasser ist wieder in Neuseeland. Die Zeit des Menschen ist wie eine Spirale. Der (Lebens-) Kreis schließt sich.
Versucht nicht, zu realistisch zu sein. Die Leinwand ist die Weltkarte, die Seele des Malers. Seine Hand übernimmt es, die weißen Flecken, die Meere, die unbekannten Kontinente mit seinen Farben auszufüllen.
Inszenierung: Bilder eines Lebens, Bilder einer Vision
Die magische Spirale
Hundertwasser – das Musical ist nicht einfach ein Musical. Es ist ein Gesamtkunstwerk, bei dem sich die einzelnen Episoden nach und nach ineinander fügen. Das Leben Hundertwassers gibt dabei den roten Faden vor.
Ob man will oder nicht, alles kommt immer wieder.
Das Leben, die Natur unterliegt einem ständigen Kreislauf:
Das zentrale Element in Hundertwassers künstlerischem Schaffen ist die Spirale. In ihr sieht er das Leben versinnbildlicht:
Der Baum wird sich von unseren Leibern nähren und irgendwann wird jemand mit seinem Holz ein Schiff bauen. Alles wird einmal so, wie es begann.
In einer bildhaften Hommage an Hundertwassers gerät so auch die Erzählweise zu einem Symbol: Das Musical beginnt mit dem Ende, indem Hundertwasser quasi eine Rückschau auf sein Leben eröffnet. Es erscheinen alle seine Weggefährten, um sich in die für die Geschichte notwendigen Rollen zu begeben. Im Laufe des Stückes werden sie ihm immer wieder begegnen.
Sogar in kleinsten Kleinigkeiten findet sich dieses Symbol wieder: Wenn Hundertwasser mit seiner Mutter am Kaffeetisch sitzt, serviert sie ihm Mohnstrudel. Sieht man genau hin, findet sich auch im Strudel eben jene magische Spirale, die Hundertwasser als zentrales Element seines Schaffens betrachtete.
Bildhaftes Erleben
Auf fantastische Weise malt dieses Musical Bilder. Es benutzt Analogien, Allegorien, Metaphern. Im Epilog sind Hundertwasser und seine unsichtbare Freundin/ Inspiration/ künstlerische Schaffenskraft zu sehen, die er Kunterbunt nennt. Zu Beginn erweckt er Kunterbunt zum Leben, in dem er sie mit einem Pinsel anmalt. Er bringt Farbe in sein Leben, er erweckt seine Kreativität zum Leben. Er beginnt, die Leinwand eines Lebens zu füllen.
Malen ist wie träumen
die Leinwand ist die Seele des Malers
Dann ergeben sich Episode für Episode mal sehr realistische, mal eher künstlerische oder philosophische Szenen, die alle bildhaft für das Leben und Schaffen dieses Menschen stehen.
Das spannende ist, das man darauf warten kann, wie sich das Kunstwerk entfaltet. Es genügt nicht, ein Bild oder eine Episode zu bewerten, denn erst am Ende ist das Bild, das von Hundertwasser gezeichnet werden soll, vollständig.
Und damit bleibt man ganz eng an den Gedanken Hundertwassers, der den Mensch in größerem Zusammenhang sieht. Alles hängt miteinander zusammen, alles steht miteinander in Verbindung. Das wahre Leben ergibt sich nur in einem Kontext, da wir mit unserer Umwelt so eng verbunden sind.
Musik
Stefan Holoubek traut sich an die großen Melodien. Schon der Auftakt mit Fahr übers Meer bringt eine wunderschöne, tiefgehende Melodie, ist ein elegischer Aufbruch und die Aufforderung, sich immer zu neuen Ufern zu bewegen. Immer darauf zu, denn „Stillstand ist Tod“, wie Hundertwasser sagt.
Ganz besonders genußvoll ist auch das Stück über den Regen, das atmosphärisch wunderbar Hundertwassers inniges Verhältnis zum Wasser, zum Regen beschreibt. Oder wie es an anderer Stelle heißt:
Sanft fällt der Regen: alles im Lot
Im Rock’n’Roll-Stil kommt die Stadtkultur von Wien, und bietet ein köstliches und hintersinniges Lied über die Wiener Kultur, die mehr dem Kommerz als dem kulturellen Inhalt verpflichtet ist.
Ruhige Lieder wie Wenn es ganz still wird, entfalten sich groß, wechseln sich ab mit starken Rhythmen wie das Happening.
Bühne, Choreographie, Kostüm
Der Bühnenaufbau wird geprägt durch eine begehbare Plattform, die ein Schiff darstellt. Dieses kann mittels Drehbühne aber auch in den Hintergrund rücken.
Dort zeigen sich auf große Leinwand projiziert, Bilder im Stile Hundertwassers. Gemalt wurden sie von seiner einzigen Tochter Heidi Trimmel. Obwohl man sie manchmal bewusst gar nicht so wahrnimmt, tragen sie doch zu einer ruhigen, friedlichen Atmosphäre bei.
Hundertwasser war dem Element Wasser sehr verbunden, so dass auch das für das Festspielhaus Neuschwanstein charakteristische Wasserbecken eine zentrale Rolle zukommt: Amenoki kommt über das Wasser zu ihm, seine Mutter geht nach ihrem Tod durch das Wasserbecken zurück in den Kreislauf der Erde.
Viele der auftauchenden Figuren sind Allegorien und deshalb auch im Kostüm sehr eindeutig.
Die Japanerin Amenoki trägt Kimono, Afrika trägt ein buntes afrikanisches Kleid und Turban. Kunterbunt, seine Kreativität, seine künstlerische Seele, die ihn seit Kindheit begleitet, ist kindlich mit Latzhose und einem Hut auf dem Kopf, der aussieht wie eine halb geöffnete Blüte. Mr Money fährt Cadillac und trägt einen glitzernden Anzug. Die Kulturstadträtin von Wien trägt österreichisch rot-weiß-rot gestreift.
Wirklich toll gemacht und sehr einfallsreich sind die Kostüme des Tänzerinnen. Einmal sind sie die von Hundertwasser verteufelten geraden Linie. Dann symbolisieren sie – schwarz gekleidet mit goldener Haube – Mozartkugeln.
Hundertwasser selbst ist sehr detailreich realistisch gekleidet mit Bart und mit Hut ähnelt Felix Martin dem großen Künstler sehr.
Die Choreographie (Anna Martens, auch Kunterbunt) schöpft aus dem Vollen: Auch hier werden Bilder gemalt, die Tänze und Bewegungen der Tänzerinnen haben alle Sinn.
Wunderschön werden manche Bilder ausgestaltet: So wird das Meer zu Beginn vom Ensemble versinnbildlicht mit langen blauen Tuchbahnen vor dem Schiff. Inspiriert von der Ferrero-Roche-Werbung bauen die Tänzerinnen mit ihren Köpfen als Mozartkugeln die berühmte Rocher-Pyramide.
In Tod der gerade Linie werden die Tänzerinnen zu ebendiesen geraden Linien, bewegen sich, bevor sie schließlich zu Fall gebracht werden.
Beim Lied Copyright sehen alle aus wie ein Schwarz-weiß Kopie, schön anzusehen die Bewegungen, in denen die weißen Mappen beständig weitergereicht werden und sprichwörtlich durch alle Hände gehen.
Die Rollen und ihre Darsteller
Friedensreich Hundertwasser: Felix Martin
Hundertwasser ist anders als die ihn umgebenden Menschen. Er hat andere Vorstellungen, hat eine andere Art, zu denken. So kommt er manchmal exzentrisch rüber. Aber durch alle Exotik blitzt doch immer auf, wie sehr er der Seele und der Natur der Menschen verbunden ist. Er verknüpft die Dinge anders und betrachtet den Menschen nicht isoliert von der Natur, sondern in einem System. Wenn der Mensch innerhalb dieses Systems lebendig sein soll, dann muss das Systems selbst lebendig sein. So ist Hundertwasser, der den Schrecken des Holocaust erlebt hab, gegen jede Gleichförmigkeit, die ihn an marschierende Truppen erinnern. Tod der geraden Linie – so sein Motto. Stattdessen Farbe und Individualität, so dass sich jeder frei entfalten kann, frei atmen kann. Er dehnt diese Idee auch auf die Architektur aus, denn Die Häuser sind für die Menschen da, nicht die Menschen für die Häuser.
Die Häuser sollten seiner Meinung lebendig sein. Sicher mutet das manchmal seltsam an, etwa, wenn er dabei etwas propagiert, dass man Schimmel nicht bekämpfen soll, weil er alles lebendig mache.
Man merkt Felix Martin an, dass er sich tief in die Rolle des Hundertwasser gewühlt hat. Er nähert sich dieser Rolle respektvoll und ganzheitlich. Er erscheint zwar individuell, aber immer vollkommen stringent. Man spürt, dass Hundertwasser nur für Außenstehende Ecken und Kanten hatte, aber für sich selbst auf einer großen Reise war, für die er der Kapitän war. Eine friedliche Seele, hat man den Eindruck und Felix Martin macht einem in seiner Darstellung überhaupt erst bewusst, was dieser Mann je suchte, was seine ganze Kraft in Anspruch nahm und was er sich in seinen Vornamen geschrieben hatte. Ein persönliches Friedensreich.
Felix Martin erlebt man auf der Bühne unglaublich eins mit der Figur, eins mit dieser Idee. Dabei strömt aus ihm das Charisma nur so heraus, dass man sich der Figur wenn auch nicht sofort störungsfrei nähern, so doch auch keine Sekunde entziehen kann.
Das wahrhaft faszinierende für mich war, dass von ihm eine tiefe innere Ruhe ausging. Mich hat diese Darstellung wahrhaft berührt. Denn es war nicht nur eine würdige Darstellung einer Person der Zeitgeschichte, sondern das facettenreiche Porträt eines Menschen. Erhebend, wirklich nachhaltig beeindruckend.
Dazu gehört natürlich auch die wunderbare Stimmfarbe von Felix Martin, mit der er immer und besonders auch im Wiener Dialekt ganz fabelhafte Sprechkultur bietet. Im Abschiedsduett entsteht eine erhabene Harmonie mit Amenoki – Leah Delos Santos.
Hundertwassers Mutter: Isabella Dartmann
Isabella Dartmann bekam für die Darstellung der Mutter Hundertwassers nach jedem ihrer Auftritte Szenenapplaus. Mit unglaublich klarer Stimmen bis in die Höhen vermochte sie den Liedern ganz klare Linien zu geben. Ihre zarte Zerbrechlichkeit war deutlich spürbar, das erfahrene Leid erschreckend greifbar.
Das intensive Porträt einer Frau, der das (Über-)Leben keine echte Wahl ermöglicht hatte und die darum die Wahl ihres Sohnes nicht immer nachvollziehen kann.
Amenoki: Leah Delos Santos
In Venedig lernt Hundertwasser seine Gefährtin kennen. Er fragt sie nicht nach ihrem Namen, er fragt lediglich, was Regentag auf japanisch heißt – Amenoki. So nennt er die Freundin. Hundertwasser sagt selbst:
Bei Regen leuchten die Farben intensiver.
Offensichtlich ist sie die Person, die ihm ein intensiveres Empfinden ermöglicht oder von der er es zumindest erhofft.
Amenoki steht ihm nach dem Tod der Mutter bei und ermuntert ihn, seinen Träumen zu folgen. Dann aber beginnt sie nach langen Jahren auf See, mit genau diesem Leben zu hadern. So sehr Hundertwasser immer aufbrechen und entdecken will, so sucht sie einen Anker. Er könnte dieser Anker sein, bleibt da aber zu unverbindlich und so sucht Amenoki einen sicheren Hafen. Wenn schon keine Familie, dann einen Ort, an dem sie ankommen kann.
Amenoki wirkt wie eine leise, sich zurückhaltende Frau. Aber sie hofft und träumt. Sie versucht inständig, Hundertwassers Aufmerksamkeit zu erregen, ernst genommen zu werden als Teil einer Beziehung, Teil eines Gebens und Nehmens. Doch sie kann auch anklagend ihre Sichtweise vertreten und verlässt ihn trotz allen Bedauerns.
Leah Delos Santos sing mit einer wunderbaren Stimme! Sie klingt sehr poetisch. Sehr spannend zu hören, dass sogar die Stimmfarbe hier zu Hundertwasser passt. Ich mochte ihre Haltung, ihre Gestik. Leah Delos Santos zeichnet ebenfalls eine Person, von der eine besonderer Charme und eine besondere Ruhe ausgehen, abgerundet noch von einem zarten, exotischen Zauber.
Rene Brô: Daniel Mladenov
Hundertwassers Künstlerfreund Rene Bro ist zu Beginn derjenige, mit dem er sich auf künstlerischer Ebene versteht. In der Verbindung wie auch in der Auseinandersetzung mit ihm formen sich Hundertwassers Ideen aus. Brô stachelt ihn an, appelliert an ihn, fordert die künstlerische Revolution.
Im Gedächtnis bleibt eine wohlklingende Stimme, die trotz aller kunst-revolutionärer Gedanken mit einem Schuss Sanftmut aufwarten kann und der sympathische französische Akzent, mit dem er Brô spricht.
Mr. Money: Alexander Kerbst
In einer lässig anmutenden Rolle ist Alexander Kerbst der Macher in Person. Mit Cadillac und Glitzeranzug sowie Sonnenbrille kommt er daher als eine Mischung aus Falco, den Kerbst ja auch schon lange im Musical verkörpert, und Elvis und dem smarten Gebrauchtwarenhändler.
Kerbst lässt seinen Mr. Money die ganze Sache zwar zielgerichtet, aber nicht immer ganz ernst nehmen. Im Zusammenspiel mit der Kulturstadträtin merkt man, dass die beiden Darsteller nicht zum ersten Mal zusammen auf der Bühne stehen, die Chemie und das Zusammenspiel passen einfach.
Wiener Kulturstadträtin: Stefanie Kock
Diese Figur ist sehr überzeichnet und das mutet im ersten Moment sehr seltsam an. Diese schrille Figur im Gegensatz zu der Idee von der Natur des Menschen auf Seiten Hundertwassers. Aber schlussendlich ist das ein spannender Kniff: Zunächst sieht man Hundertwasser, nähert sich ihm und nimmt ihn als leicht exzentrischer Künstler wahr. Dann kommt die Wiener Stadtkultur ums Eck und es formt sich der Gedanke: Wer genau ist hier exzentrisch?
Möglicherweise sind es nicht die Künstler selbst, sondern wie sie wahrgenommen werden auf der anderen Seite. Auf der Seite der Kommerzialisierung, auf der Seite des Nutzen für eine Institution. Frei nach dem Rosa von Praunheim: exzentrisch ist nicht der Künstler, sondern die Situation, in der lebt/ arbeitet.
Stefanie Kock bringt diese Überdrehtheit in ihren Bewegungen und natürlich in ihre Stimme. Grell, aber trotzdem mit sauberer Artikulation singt und tanzt sie sich durch ihr Wiener Büro und fühlt sich Mr. Money nahe.
Afrika: Tamara Wörner
Afrika steht nicht für eine Person, sondern für das Empfinden, das dieser Kontinent in Hundertwasser aufleben lässt. Er habe in Marokko gelebt, erzählt er Amenoki, und die Menschen dort seinen alle von sich aus Maler. Er bewundert die Farben Afrikas und findet darin Inspiration.
In der Begegnung mit Afrika selbst aber stößt Hundertwasser erneut auf sein Trauma der Gewalt gegen Andersartigkeit, das in klarem Kontrast zur Schönheit Afrikas steht. Die Radikalität, mit der Menschen auf Linie gebracht werden oder weichen sollen, die umfassende Gewalt der Menschen gegeneinander in Kolonialismus und den Stammeskriegen kehrt hier in seinem Leben spiralmäßig wieder und veranlasst Hundertwasser, sich ab da an Friedensreich zu nennen.
Die Auslöschung lästiger und gegen die Norm lebender Individualität besingt Tamara Wörner eindrucksvoll, mit einnehmendem Rhythmus und vollen Tönen. Der Rhythmus bleibt ihr, sie groovt sich durch Happening ebenso -wenn auch ein wenig ruhiger Ein Ticket für den nächsten Zug. So sehr mit ihre Stimme gefallen hat: Leider war die Abmischung ihrer Stimme am Premierenabend nicht sonderlich gut, worunter leider das Textverständnis arg gelitten hat.
Kritik
Zu Beginn des Musicals stört man sich vielleicht als Musical-Fan an der Dialog-Lastigkeit des Stückes. Und es dauert etwas, bis man sich dem Charakter nähert. Eine ganze Zeit lang fremdelte ich, wie vielleicht sich noch heute viele Menschen an ihm stoßen. Seine Revolution war damals einfach eine andere. Sicher gibt es einige Menschen, die Strukturen aufbrechen wollen und den Menschen zu mehr Freiheit verhelfen wollen und wollten. Der Künstler Hundertwasser war wohl aber dennoch eine Ausnahme in seiner Art der Revolution.
Es ist ein Episodenmusical. Ein Erzähler fehlt. Man nähert sich dieser facettenreichen Figur über die einzelnen Bilder an. Erst nach und nach, sehr behutsam, entfaltet sich hinter dem Bild des exzentrischen Revoluzzers das Bild eines Menschen mit seiner Geschichte und seiner Mission. Choreographisch immer bestens unterstützt entfaltet sich das Kunstwerk, wenn man die vielen Bilder entdeckt, mithilfe derer hier eine Geschichte erzählt wird.
Normalerweise erzählen Lieder und Dialoge eine Geschichte, hier sind es mehr einzelne Episoden, die zusammengenommen ein Kunstwerk darstellen. Es werden Bilder gemalt und erst in der Gesamtschau offenbart sich ein künstlerisches Gesamtwerk.
Denn das ist das Musical ohne Zweifel: ein Gesamtkunstwerk. Einzelne Episoden fallen schwächer aus, manche scheinen sich zunächst nicht recht einfügen zu wollen in den Kanon. Gerade zum Ende des ersten Aktes aber gelingt es auf geradezu magische Weise, diese Einzelbilder, die Komponenten zusammenzuholen.
Im zweiten Teil gelingt diese Abrundung nicht mehr ganz so erhebend auch leidet die Figur der Afrika unter der schlechten Abmischung. So bleibt ihr Charakter wegen des fehlenden Textes ein wenig im Dunkeln.
Findet man Zugang zur diesen Bildern der Geschichte Hundertwassers, denkt man in Allegorien und Metaphern, dann stößt man auf ein wirklich berührend schönes facettenreiches Gesamtportrait eines faszinierenden Menschen. Wunderbare Musik von groovig bis elegisch, dazu der Ohrwurm Fahr übers Meer – runden einen gelungen Abend ab.
Ich bin sehr dankbar, dass es immer wieder Menschen gibt, die sich trauen, so etwas auf die Bühne zu bringen. Hier ist Musical nicht einfach nur Theater mit Musik, sondern hier entfaltet sich in wunderbarer Weise Kunst und Kultur.
Hundertwasser ist experimentell, exzentrisch, poetisch, philosophisch, liebevoll und berührend.
Und wirklich wert, es anzuschauen.
Für Die Frau schaut hin fotografiert Dr. Joachim Schlosser Fotografie.
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