Diese Produktion der Wiener Volksoper hat wirklich alles, was einen unterhaltsamen Musiktheaterabend braucht: Tolle und textlich berührende Musik, von einem frisch aufspielenden Orchester dargeboten, ein freches Stück, das in seinen schrillen Momenten nichts überzeichnet und die leisen Momente tief auskostet. Und vor allem mit Drew Sarich als Albin/Zaza und Viktor Gernot als George zwei Hauptdarsteller, die diese Geschichte so detailreich auskosten, dass das Publikum der Vorpremiere am Ende komplett geschlossen aufsprang, um seiner Begeisterung in Standing Ovation zurückzugeben.
Einen Käfig voller Hingerissener wird wohl jede Vorstellung zurücklassen und das Stück der neue Renner in der Volksoper werden.
La Cage aux Folles – das Musical
Inhaltsangabe
George besitzt in St. Tropez einen Nachtclub namens La Cage aux folles. Star dort ist Albin, der allabendlich als Dragqueen Zaza auftritt und seit vielen Jahren Georges Lebenspartner ist.
Das Paar lebt eine umfassende Liebe und eine ganz eigene Idylle, bis Jean-Michel, Georges leiblicher Sohn aus einem heterosexuellen „Fehltritt“ hereinplatzt. Über die Jahre liebevoll von George und Albin aufgezogen, konfrontiert er seinen Vater mit der freudigen Botschaft, heiraten zu wollen. Die Auserwählte heißt Anne und ist die Tochter äußerst konservativer Eltern. Der Vater gar ist Abgeordneter der Partei für Familie, Tradition und Moral und hat sich als Sittenwächter unter anderem auf die Fahnen geschrieben, nach seiner Wahl Vergnügungsstätten wie das La Cage zu verbieten.
Im Vorfeld der Hochzeit soll eine Familienzusammenführung stattfinden, das heißt, der Politiker nebst Gattin möchte die Eltern von Jean-Michel über Nacht besuchen. Jean-Michel möchte deshalb seine leibliche Mutter Sibyl, zu der er die letzten Jahre eigentlich gar keinen Kontakt hatte, einladen. Außerdem möchte er ein Zusammentreffen der Schwiegereltern in spe mit Zaza verhindern.
Zaza ist tief getroffen, als sie hört, dass Sibyl ihr vorgezogen wird. Doch angesichts der Liebe, die sie zu George und Jean-Michel empfindet, versöhnt sie sich mit diesem Gedanken. Als dann aber Jean-Michel das frivole, kunterbunte Zuhause der beiden in einen konservativen Bunker verwandelt, um bei den Schwiegereltern in Spe zu punkten, muss auch George Zaza gegenüber damit herausrücken, dass sie an diesem Abend nicht erwünscht sei, allenfalls könne Albin als Onkel Albert der Familienzusammenführung beiwohnen. Das bringt die Beziehung von George und Albin ein wenig ins Wanken, aber auch hier fügt sich Zaza nach einer gewissen Zeit und übt mit George unauffälliges und männliches Auftreten.
Als ein Telegramm von Jean-Michels Mutter eintrifft, dass sie nicht kommen wird, steht aber schon Familie Dindon vor der Tür. Da die Abwesenheit von Sibyl nur schwer zu erklären ist, schlüpft kurzerhand Zaza in die Rolle von Jean-Michels Mutter.
Beim Dinner im Restaurant wird Zaza von der Besitzerin des Restaurants genötigt, ein Lied zu singen. Der ausgelasseneren Stimmung folgend ist Zaza in ihrem Element und reißt sich aus alter Gewohnheit wie bei ihren Nachtclubauftritten am Ende die Perücke vom Kopf – damit ist die Katze aus dem Sack.
Zurück in der Wohnung von George und Albin möchte Herr Dindon sofort alle Kontakte zu der in seinen Augen verkommenen Familie abbrechen, sieht sich aber mit einer Heerschar von Fotografen konfrontiert, die ihn dort ausgemacht haben und auf ihn lauern. Um kompromittierende Fotos zu vermeiden, lässt er sich und seine Frau als Drags verkleidet von Zaza durch den Nachtclub inkognito hinausschmuggeln. Vorher aber hat ihm Zaza noch das Versprechen abgerungen, dass die beiden verliebten jungen Leute heiraten dürfen.
Musik
Schon die Ouvertüre präsentiert die Laufrichtung des Musicals: Große Showmusik, Canacan, laute Bläser. Die Musik macht das Herz weit und lässt die Beine zucken.
Ich bin, was ich bin ist in der englischen Fassung I am what I am zu Weltruhm gelangt und somit das bekannteste Lied, aber nicht der einzige Ohrwurm im Stück. Traumhaft und süß das Lied im Sand, gut gelaunt, groß und nur ein klein bisschen pathetisch Die schönste Zeit.
Die großen Ensemblenummern wie La Cage aux Folles binden das Ensemble vor allem am Anfang und am Ende ein, setzen der Geschichte den passenden Rahmen, auch musikalisch.
Wirkung
Geht man unbedarft an das Stück heran, erwartet man vielleicht ein buntes, überzogenes Spektakel, ein regenbogenfarbener Zeigefinger für mehr Toleranz und eine Menge Klischees. Nichts davon trifft zu auf La Cage aux Folles. La Cage aux Folles ist lustig und sehr unterhaltsam, freudig und mit einer Menge Komik versehen. La Cage aux Folles ist aber auch leise, tief und vor allem grundehrlich.
Es ist in der Tat sehr bunt und laut an vielen Stellen, aber nicht wirr bunt, sondern Schicht für Schicht schält es allerlei aus der Geschichte und den Figuren.
Zaza/ Albin
Die Hauptfigur Albin alias Zaza steht natürlich im Fokus. Das Stück lässt sich am Anfang relativ viel Zeit, diese Figur und ihren Ist-Zustand zu beleuchten. Da geht noch nicht viel vorwärts, es zieht sich ein bisschen. Aber das ist notwendig, denn es wird gezeigt, wer diese Hauptfigur ist, und zwar in vielen Facetten:
Da ist zum einen der unsichere Albin: Der ist leicht aus dem Konzept zu bringen. Als George zu spät kommt, wird er kopflos, ist gekränkt und hat Angst, George an jemand anderen zu verlieren. Da verhält er sich fast kindlich, da sind die Gesten groß und die Stimme überschlägt sich. Drama pur.
Verwandelt er sich aber in Zaza, dann dringt aus ihm plötzlich eine innere Stärke. Hier fühlt er sich frei und sicher, da ist Lebenslust, Sinnlichkeit.
Beide Teile ergeben zusammen die Person, die wir sehen und – sehr genau auch ausgespielt schon zu Beginn – die George so liebt. Die starke Rampensau Zaza und den verletzliche Albin, das geht ineinander, ist verschmolzen. Es geht hier nicht darum, dass sich ein Mann verkleidet und das genießt. Es geht nicht um ein Spiel, sondern dieser Figur sind beide Teil immanent.
Das Lied Mascara erzählt davon ehrlich und dadurch, dass Albin/ Zaza so offen eingeführt wird, fasst der Zuschauer schnell vertrauen in die Figur, fühlt sich ihm nahe.
George
George ist der ruhige Gegenpart, der Realist. Der, der mit beiden Beinen auf dem Boden steht und auch sehr diplomatisch nach allen Seiten ist. Und George macht dem Publikum vor, wie man mit Zaza umgehen kann: Die Eigenheiten liebevoll annehmen, Respekt entgegenbringen und ihr tiefste Bewunderung zollen. George bleibt gelassen, hört zu und findet immer die richtigen Worte.
George und Zaza, das ist ebenfalls eine Einheit. Die haben sich gesucht und gefunden. Und welche Freude sich in mir ausbreitet, dass dem Publikum diese Liebe so selbstverständlich vorkommt, ohne, dass da jemand sagen muss: Toleranz bitte! Das passiert hier von ganz alleine und macht die Stärke des Musicals aus.
Jean-Michel
Jean-Michel hingegen, der Sohn von George, verlangt von beidem schließlich in einer Szene, für 24 Stunden auf alles zu verzichten, was euch persönlich Spaß macht und alles, worauf ihr persönlich stolz seid.
Diese Forderung ist aus Jean-Michels Sicht zu verstehen, gleichzeitig Wort für Wort aber so absurd. Meint er das wirklich so? Wieso sollte ein Mensch das tun, sich verleugnen? Und damit sind wir genau da, wo wir hin müssen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Es geht nicht um Toleranz für einen Lebensstil. Sondern um das Wissen, das Vertrauen, dass jeder Menschen anders ist und keiner auf seine Individualität verzichten muss.
Andererseits zeigt das Musical auch sehr eindringlich, dass dies ein Auftrag an alle ist. In diesem Fall auch an Zaza.
Zaza findet die Idee der Hochzeit zunächst nicht so famos. Unser Kind will heiraten, was haben wir falsch gemacht?
Dass Mann und Frau miteinander zusammenleben, ist für sie eine schreckliche Vorstellung (wir sind menschliche Wesen, wir sollten es besser wissen). Auch Zaza hat eine Idee, wie Menschen zu sein haben. Überaus emotional wird das Ganze, wenn sich Jean-Michel lautstark seinem Vater offenbart, dass die Erziehung durch Zaza nicht das gewesen ist, was er gebraucht und gewollt hätte. So oft hätte er sich geschämt, nicht verstanden gefühlt. Er fühlte sich nicht gesehen.
Zaza muss das mit anhören. Es schmerzt sie tief. Aber sie zieht daraus auch eine Erkenntnis: Wenn jeder das sein darf, was er sein will, dann hat auch Jean-Michel das Recht, für sich einen anderen Weg zu wählen. Sich zu befreien, sich zu emanzipieren.
Und so lenkt das Musical die Aufmerksamkeit eben nicht auf die Akzeptanz genau eines Lebensstils. Sondern ganz allein aufs Mensch-Sein mit allem, was man ist. Jeder ist individuell, jeder verdient Aufmerksamkeit, damit wir uns gegenseitig das geben können, was wir persönlich auch für ein glückliches Leben brauchen.
Das tut es immens unterhaltsam, mit viel Komik und Musik, die lange im Ohr bleibt. Perfekt!
Ein Käfig voller Narren – die Produktion in der Wiener Volksoper unter der Regie von Melissa King
Bühne (Stephan Prattes)
Zu Beginn schweben die Le Cagelles, die Tänzer und Tänzerinnen des La Cage in ihren bunten Recycling-Kostümen von der Bühnendecke, jede auf einem eigenen Planeten sitzend. Denn das Universum ist groß und weit und genauso groß und weit sind die Ideen, in denen die Menschen ihr Leben leben und sich wohlfühlen, auch, wenn es scheint, sie kämen von einem anderen Planeten.
Ein überdimensionaler Ring ist das Hauptausstattungsteil der Bühne. Ist er nach oben gezogen, wird daran ein Vorhang befestigt, der das sehr bunte Appartement von George und Albin zeigt.
Weiter nach unten gelassen dient er als lange Tafel im Restaurant, wo er auch als Bühne und Laufsteg umfunktioniert wird.
Darüber hinaus gibt es noch den Garten des Lokals, in dem George und Albin oft sitzen. Der ist hinreißend, denn er glitzert und glimmert. Er ist ein bisschen mondän, ein bisschen Show und passt von oben bis unten zu Zaza und zu des Zuschauers Vorstellung von St. Tropez.
Für die großen Showmomente im La Cage selbst fährt einmal ein Käfig aus dem Boden. Natürlich, ein Käfig voller Narren. Er erinnert an einen stilvollen, runden Vogelkäfig, wie er häufig in alten Illustrationen zu sehen ist. Ein anderes Mal wird eine riesige aufgeblasene Katze auf die Bühne gezerrt. Dieses überdimensionale Tier nutzt Drew Sarich als Hommage an das im Ronacher laufende CATS und bemüht entsprechend auch gleich die passende Liedzeile (Mondlicht, schau hinauf in das Mondlicht)
Damit ist die Bühne zweckmäßig genutzt. Das Appartement bleibt dadurch ein bisschen eindimensional und eher plakativ denn detailreich ausgestattet. So aber wird zumindest der Spielfluss nicht gestört.
Kostüm (Judith Peter)
Die Kostüme der Cagelles in der Anfangsnummer sind recycelt, das heißt, aus Alltagsgegenständen, die nach Gebrauch im Müll landen würden. Da gibt es Kleider aus Putzhandschuhen, aus Cola-Dosen, aus Absperrbändern und aus Manner-Tüten, sowie Kopfbedeckungen aus Einwegflaschen. Der Sinn dahinter hat sich mir jetzt nicht so wirklich erschlossen, aber zumindest umgesetzt fand ich es sehr fantasievoll. Wer nicht alles bewundern konnte, weil er eher hinten im Parkett saß, dem kann ich hier dieses Video ans Herz legen. Dort gibt es Einblicke in die Arbeit der Kostümherstellung für genau dieses Stück.
Die Showkostüme sind zum Teil wunderbar, zum Teil sonderbar. Ein großes buntes Potpourri und deswegen eigentlich ganz passend für das Stück. Da dürfen dann auch Teile dabei sein, über die man sich wundert.
Das Ensemble tritt darüber hinaus unter anderem auf in Richterroben (inspiriert von Ruth Bader Ginsburg, kürzlich verstorbene Beisitzende Richterin am Supreme Court in den USA und eine große Kämpferin für Chancengleichheit) auf, sowie in klassisch weißen Showkostümen mit überdimensionalen Federfächern.
Auch Zaza trägt natürlich bei ihren Auftritten große Kostüme: Die riesige Federboa in lila mit den dazu passenden glitzernden Overknees und einem ebensolchen Zylinder, und auch alle anderen: Zazas Outfits sind glamourös.
Aber auch Albins Alltagskleidung hat es mir angetan. Sie zeugt von Stil und Eleganz. Sie zeigen die ruhigere Seite, sie zeigen Albin, nicht Zaza. Ein großes Lob hier an die Kostümdesigner, die zu einem facettenreichen Bild dieser Figur beitragen. Dazu muss man aber sagen, dass Drew Sarich offensichtlich ALLES tragen kann. Ein schöner Mann ist offensichtlich nicht nur ein schöner Mann, sondern ein schöner Mensch!
Orchester (Leitung Lorenz C. Aichner)
Toll, toll, toll! Ich hatte mal einen Tanztrainer aus Japan, der mich in Gedanken oft noch heute begleitet mit einer bestimmten Aussage. Er hat seine Tanzpaare oftmals gelobt mit dem Ausdruck „es schwungt“ und ich liebe diesen Ausdruck bis heute, bin ich doch der Meinung, dass dieser Japaner eine Lücke im deutschen Wortschatz gefunden hat. Es schwungt ist die perfekte Zusammenfassung für das, was das Orchester der Volkoper geboten hat. Exzellent und mit viel Wumms und Verve klingen die Shownummern richtig mitreißend. Bei der Vorpremiere sind bisweilen die Sänger ein wenig untergegangen, so laut war das Orchester. Da bedarf es ein wenig besserer Feinabstimmung. Aber dieses Orchester kann die ganz große Show und auch sehr behutsam, voll und klar die leisen Momente.
Besonderheiten und Interpretation dieser Produktion
Die Inszenierung schafft vor allem eines: Normalität im Ungewöhnlichen und eine Gleichberechtigung zwischen den lauten und leisen Tönen.
Hauptaugenmerk liegt natürlich auf dem ungewöhnlich-gewöhnlichen Paar, dass besonders ist und zwar nicht aufgrund der Äußerlichkeiten, sondern aufgrund der Liebe, die sie zueinander empfinden für sich, für ihre Familie und für das Leben: Sie sitzen da im Garten, die beiden allein und sie strahlen und glitzern allein durch ihre Art, miteinander umzugehen. So wie der Garten glitzert von oben bis unten. Es passt ineinander. Denn dieses Paar strahlt selbst und genießt sich und das Leben:
Life is a celebration with you on my arm
It’s worth the aggrevation with you on my arm
Die Inszenierung verzichtet auf grelle Klischees, sondern bindet geschickt das Ungewöhnliche ins Gewöhnliche ein. So wird nicht nur die Exaltiertheit von Zaza betont, sondern auch der Stil und die Eleganz von Albin. Sie stellt ihm einen George zur Seite, der ebenfalls nicht dem Klischeetypus eines Nachtclubbesitzers oder schwulen Mannes entspricht. Dessen Anzug glitzert auch, aber mehr Varieté-mäßig.
Das Appartement der beiden ist bunt, sehr bunt, aber nicht grell. Spannend wird es, wenn Jean-Michel dieses Zuhause umdekorieren möchte, um den Schwiegereltern zu gefallen. Da fällt der bunte Vorhang und hervor kommt dasselbe Appartement nur in schwarz-weiß.
So sieht der Abgeordnete der konservativen Partei sein Leben: Es gibt nur schwarz und weiß, gut und böse und wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Da fehlt alles individuelle, persönliche, die Zwischentöne und das Herz.
Das gemütliche Sofa wird getauscht gegen eine Kirchenbank. Lebensgenuss gegen Buße. Und statt des Bildes von Zaza im Andy-Warhol-Stil hängt da dann ein Kreuz mit dem leidenden Jesus: Das persönliche, das individuelle Ich wird getauscht gegen eine kollektive Schuldidee.
Was aber Einzug in diese Wohnung hält, und das fand ich eine sehr herzige Kleinigkeit: Der Käfig, in dem die Cagelles im Nachtclub tanzen, steht als kleine Vogelkäfig nachgebildet da, darin sitzt ein Pinguin (Pinguine sind halt schwarz-weiß).
Die Inszenierung wirkt herzlich, bunt, aber nicht überladen. Die Komik nimmt breiten Raum ein, die ruhigen, zwischenmenschlichen Momente gelingen prächtig, auch dank des famosen Hauptdarstellerpaares.
Am Ende bleibt mir ein Satz im Gedächtnis, den Zaza sagt und der durch die Starrköpfigkeit des Politikers noch mehr Gewicht bekommt: Ich höre immer zu!
Es zielt darauf, weniger zu denken und zu urteilen, sondern wahrnehmen, was ist. Wer der Gegenüber ist. Die Antworten werden vielschichtig ausfallen, aber sich immer auf den einen Satz herunterbrechen lassen:
Ich bin, was ich bin.
Die Rollen und ihre Darsteller
George – Viktor Gernot
Ich bin absolut hingerissen von Viktor Gernot und seiner Darstellung des George. Genau so, wie Viktor Gernot den George interpretiert hat, genauso muss ein Mann sein, der seit 20 Jahren eine emotionale und feinfühlige, dem Drama zugeneigte Partnerin an seiner Seite hat. George ist der Realist in der Beziehung. Er kommt neben Zaza ein wenig zurückhaltend daher, aber er ist auch der diplomatischere von beiden. Er kann Situationen analysieren und einen Drama-Sturm auch einfach an sich vorbei ziehen lassen kann. Sehr gelassen reagiert er, er hat ja schließlich auch beruflich mit Queens zu tun.
George liebt Zaza. Er bringt ihr so viel Bewunderung und Liebe entgegen. Er genießt Zaza als innig geliebten Teil seines Lebens und nimmt Zaza so, wie sie eben ist. Das bedeutet durchaus Anstrengung, Herausforderung. Aber George weiß, wie er Zaza zu nehmen hat, lässt sich nur selten aus der Ruhe bringen und findet immer die passenden Worte.
Auch nach 20 Jahre mit dir bekomme ich immer noch Gänsehaut.
Das ist, wenn man ihn so liest, ein so kitschiger Satz, aber aus George Mund ist er einfach nur grundehrlich. George lebt diesen Satz.
Die Figur des George ist für mich der heimliche Star des Stückes. Er leitet alle Figuren durch die Geschichte, indem er zeigt, dass man nach allen Seiten lieben kann und was das bedeutet.
So beeindruckend Drew Sarich auch ist und schon aufgrund des Outfits natürlich im Mittelpunkt steht, so hat mich doch dieser von Gernot dargestellte George extrem berührt.
Gesanglich gefällt er durch und durch: Viktor Gernot hat eine wunderbare Sprechstimme und eine sehr angenehme Sprechkultur. Gesanglich einwandfrei und wohlig, gefallen die Duette mit Spielpartner Drew Sarich besonders.
Albin/ Zaza – Drew Sarich
Wie bereits beschrieben, braucht das Musical erst eine Zeit, bis es sich eingekurvt hat. Die Story entfaltet sich sehr behutsam und gibt zunächst einmal dem IST sehr viel Raum. Und so beginnt auch Drew Sarich eher verhalten und beleuchtet zunächst einmal nur sein Inneres und gibt diesem Charakter genug Zeit und Raum, um zu wirken. Er geht nicht gleich in die Vollen. Damit behält er aber die Möglichkeit, sich rasant zu steigern. Schon innerhalb von Mascara ist das zu hören: der Beginn ist eher noch ruhig, so, wie Albin unsicher ist. Mit jedem Make-up-Zusatz aber kommt die Stärke in ihm hervor. Das hört man: da klingt sie leicht, beschwingt, dann immer selbstsicherer. Ich bin, was ich bin dagegen ist eine laute, an manchen Stellen kämpferische Selbstbestätigung und Aufforderung! Hier kommt Sarichs ganze stimmliche Power, seine ganze gesangliche Raffinesse und von Fans geliebte hohe Schlusston zur Geltung.
An dieser Stelle spürt man, wie ein Ruck durchs Publikum geht, hier ist der berühmte Funke übergesprungen.
Drew Sarich erreicht die Zuschauer als Albin wie als Zaza auf einer tiefen Ebene. Man hängt sich schnell an diese Zaza mit allem, was in einem selbst an Emotion ist, fühlt sich mit ihr verbunden.
Und da Viktor Gernot dieses Spiel so grandios mitspielt, fühlt man sich eins mit diesem wundervollen Paar und sieht sich mehr als Teilnehmer denn als Betrachter von außen.
Die Ausgestaltung der weiblichen Seite der Figur ist hinreißend ausgespielt. Er schlägt die Beine gekonnt übereinander und lässt die Fußgelenke immer ein wenig elegant kreisen. Er schlägt die Hände dramatisch vors Gesicht und überstreckt dabei die Finger. Er trägt theatralisch schwarz, nachdem er ausquartiert werden soll und Drew Sarich trägt dazu die passende Haltung, den passenden Gesichtsausdruck: stilvoll vorwurfsvoll.
Insgesamt schält er aus der Figur alle Facetten heraus, die sie nun mal hat: Die Unsicherheit, die Albin gerne im Drama ersäuft, weil sie dann besser zu ertragen ist. Die Zerbrechlichkeit, die er immer mit sich trägt und natürlich hervorkommt, wenn er so eine große Ablehnung erfährt. Aber auch die Stärke, wenn Albin zu Zaza wird und plötzlich die Führung des Abends übernimmt, an dem sie eigentlich gar nicht teilnehmen hätte sollen.
Exkurs: Drew und der Flamingo
Drew Sarich geht bei der Erarbeitung von Rollen immer auf die Suche nach tierischen Vorbildern. Albin/ Zaza sind für ihn mit dem Flamingo verbunden.
Natürlich passt dieser pinke Vogel schon allein optisch für diese Rolle. Aber ich komme so ein bisschen aus der Psychologie und bei den Schamanen gibt es sogenannte Krafttiere, die symbolartig für etwas stehen. Schlägt man nach unter Krafttier Flamingo, dann findet man zunächst die Umschreibung „Feinfühliger Liebesvogel“. Steigt man tiefer ein, geht es auch um Balance, denn der Flamingo kann auf einem Bein stehen, selbst in tiefstem Schlaf. Albin braucht sein alter Ego Zaza, um im Leben die Balance nicht zu verlieren.
Ich zitiere:
Fliegt der Flamingo als Krafttier zu ihnen, dann bringt er Liebe in ihr Leben. Es wird Zeit, sein Herz für die Liebe zu öffnen, die keine Grenzen hat[…]
Entdecken sie mit dem Flamingo als Krafttier zuerst die Liebe zu sich selbst neu, dann suchen und finden sie die Liebe in ihrem Leben und in der Natur neu.
Finden sie heraus, wo sie selbst gerade stehen und lassen sie den anderen dort, wo er ist.
Weiterhin lässt die wahre und tiefe Liebe dem Gegenüber die persönliche Freiheit ohne ihn loszulassen und hält ihn fest, wenn er wankt[…]
Keine Ahnung, ob Drew mit schamanischen Krafttieren arbeitet, aber ich finde das sehr verblüffend.
Zusammenspiel
Was unbedingt von Nöten ist, damit diese Geschichte in ihrer oben dargelegten Intention funktioniert, ist die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern. Es ist ein Paar, dass sich vor langer Zeit gesucht und gefunden hat. Die schlagfertigen Dialoge, die sie sich liefern, strahlen diese jahrelange Vertrautheit aus. Das wissen darum, was den anderen auf welche Weise triggert, das liebevolle schlagfertige Necken:
„Wie kannst du essen, während ich leide?“ – „Ich zwinge mich.“
So wird ein sympathisches Paar kreiert, dass im Miteinander ganz fest ist. Und das muss man spüren, man muss die Einheit fühlen, die beide ausstrahlen.
Die Chemie zwischen Drew Sarich und Viktor Gernot war einmalig.
Sie vermitteln eine gemeinsame Idee des Paares, die Idee von Respekt und Aufmerksamkeit. Wie das sprichwörtliche alte Ehepaar haben sich beide da eingelassen auf die Darstellung dieser bunten liebevollen Beziehung, die das ganze Stück und dessen Intention trägt. Da sitzen Sarich und Gernot zusammen Arm in Arm auf der Kirchenbüßerbank und man spürt, wie innig die zusammengehören. Und solche Leute auf der Kirchenbüßerbank? Die beiden, die so viel Liebe in sich tragen? Dieses Zusammenspiel zeigt die Intention des Musicals, da braucht es keinen erhobenen Zeigefinger!
Es ist etwas besonderes, wenn man so einer Darstellung beiwohnen darf. Ein Highlight in dieser ohnehin herausragenden Produktion!
Jean-Michel – Oliver Liebl
Der Sohn von George ist jung, verliebt und dabei ganz schön kompromisslos seinen Eltern gegenüber. Wie jeder junge Mann möchte er in Liebesdingen alles richtig machen und schießt dabei rasant über das Ziel hinaus.
Oliver Liebl gibt den verliebten jungen Mann glaubhaft. Zuckersüß überschäumend agiert er mit Juliette Khalil. Unangenehm und ungestüm brodelt es in ihm, wenn er George darlegt, was es bedeutet, von Zaza großgezogen worden zu sein.
Jacob, der Butler (die Zofe) – Jurriaan Bles
Der Butler von Zaza, der so gerne Zofe sein möchte, gefällt mit allerlei Auffälligkeiten, die sich wie ein roter Faden durchs Stück ziehen. Er ist zwar der Hausangestellte, wird aber nie herablassend behandelt und kann sich dadurch sehr frei entfalten, was Bles in seiner Rolle auch tut. Weder die Regie noch Jurriaan Bles lassen das aber ins Lächerliche kippen.
Herr und Frau Dindon – Robert Meyer und Sigrid Hauser
Wenn hier jemand der Lächerlichkeit Preis gegeben wird, dann das stocksteife Elternpaar der jungen Anne. Der Vater stets skeptisch, von sich und seiner Moral überzeugt, ganz Patriarch, der gewohnt ist, alles zu diktieren. Der glaubt, er sei das Nonplusultra und über den doch jeder entweder die Nase rümpft oder lacht. Robert Meyer gibt den Grantler großartig.
Star dieses Paares ist aber Sigrid Hauser als Madame Dindon. Die ist von Anfang an zwar zugeknöpft, aber man merkt schon bald, dass sie da raus will aus ihrem vom Gatten festgezurrten Grenzzaun. Die lässt sich herrlich anstecken, wenn Zaza Der schönste Tag schmettert. Und gestaltet ihren Miniauftritt als Bauchtänzerin im La Cage dann auch mit diebischer Freuden.
Fazit
Kunterbunt, tiefgängig, facettenreich, glamourös und ehrlich:
Mit Tempo, Witz und Charme eroberte La Cage aux Folles das Publikum der Vorpremiere. Ein mitreißend spielendes Orchester führt die beiden Hauptakteure Drew Sarich und Viktor Gernot sowie das spielfreudige Ensemble durch ein Stück, das ohne erhobenen Zeigefinger die meisten Klischees umschifft und ein wohlig-warmes Gefühl toller Unterhaltung zurücklässt.
Alle nicht anderweitig gekennzeichneten Fotos: Barbara Pálffy, Volksoper Wien
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