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macht die Welt einen Platz zum Verweilen
3 Musketiere in Augsburg passt schon allein aufgrund des geschichtlichen Stoffes perfekt in die historische Umgebung der Freilichtbühne direkt an der alten Römerstadtmauer. Aber nicht nur das: die aus Magdeburg importierte Inszenierung bietet viele Highlights, so dass bei dem Stück nicht nur die Fans von Mantel- und Degenfilmen auf ihre Kosten kommen.
3 Musketiere als Musical
Inhalt
Das Musical hält sich relativ eng an die Romanvorlage von Alexandre Dumas von 1844. Historische Überhandlung ist der Glaubenskrieg zwischen Katholiken und den protestantischen Hugenotten. Formaler Herrscher in Frankreich ist Ludwig III., die Fäden im Hintergrund zieht allerdings Kardinal Richelieu, der die Hugenotten als Glaubensgegner ausrotten will. Richelieu will die Macht vollends an sich reißen, der Chef der Kardinalsgarde unterstützt ihn bei seinen umstürzlerischen Plänen.

Um den Hugenotten in Frankreich bei La Rochelle beizustehen, bereitet England seine Truppen vor. Zusätzlich steht die Unterstützung des Bündnispartner Spanien zur Debatte. Dies jedoch ängstigt Ludwigs Gattin Anna, selbst gebürtige Spanierin. Sie will diesen Krieg verhindern und setzt dabei auf ihre Beziehung zum englischen Herzog Buckingham, mit dem sie vor ihrer Hochzeit mit Ludwig III. einst eine amouröse Verbindung unterhielt. Um ihre guten Absichten auch dem König von England zu beweisen, gibt sie Buckingham ein wertvolles Colliers mit nach England.
Als Richelieu davon erfährt, plant er, die Königin auf einem Ball wegen dieser fehlenden Juwelen bloßzustellen, Hochverrat auszurufen und so doch den Krieg zu erzwingen.
Innerhalb dieser Staatsscharmützel liegen die persönlichen Schicksale und Lebenswege eingebettet: Allen voran der der jungen D’Artagnan. Dieser möchte dem Vorbild seines Vaters folgen und Musketier werden. Die Musketiere sind eine Gardeeinheit, die direkt dem König unterstellt ist, dem sie lebenslange Treue geschworen haben.

In Paris angekommen trifft er auf drei dieser Musketiere: Athos, Porthos und Aramis. Da sich D’Artagnan in einem plötzlichen Gefecht an deren Seite stellt, nehmen sie ihn zunächst als Freund auf ihre Seite. D’Artagnan verliebt sich unsterblich in Constance, die Kammerzofe der Königin Anna und erhält so Einblick in die politischen Machtspiele.

Als die Königin erfährt, dass Richelieu sie bloßstellen will, versucht sie, ihre Juwelen aus England zurückzuerlangen. D’Artagnan erhält auf Vorschlag Constances diesen Auftrag. Die Musketiere, die ihn zunächst begleiten wollten, werden gefasst und D’Artagnan ist auf sich allein gestellt.
Richelieu und sein Helfer Rochefort versuchen indes mit allen Mitteln, den Krieg voranzutreiben und D’Artagnan in die Finger zu bekommen. Dazu benötigt Richelieu die Spionage-Dienste von Milady de Winter. Sie ist aus der Verbannung zurückgekehrt, um endlich ihr Stigma loszuwerden: In jungen Jahren wurde sie von einem Priester vergewaltigt. Dies wurde ihr allerdings als Verhältnis angekreidet und sie wurde mit einer Lilie auf der Schulter gebrandmarkt: das Zeichen einer Prostituierten. Sie fand in Athos ihre große Liebe, doch dieser verstieß sie, als er später eben dieses Brandmal entdeckte und sich hintergangen fühlte.
Um also die Gunst der Kardinals zu erreichen, ist Milady versucht, diesem in die Karten zu spielen. Allerdings bleiben sämtliche Bemühungen erfolglos. Als letzten Coup gelingt es ihr, Constance zu entführen, um D’Artagnan, der die Juwelen der Königin in England mit sich führt, zu deren Herausgabe zu zwingen.

Nachdem auch das scheitert, und Richelieu ihrer Bitte nach Vergebung eine endgültige Absage erteilt, bringt Milady de Winter Constance um. Als sie sich Athos gegenüber sieht, fleht sich ihn noch einmal um dessen Liebe an. Als dieser sich ebenfalls abwendet, begeht die Milady Selbstmord.
Nachdem die Intrigen aufgedeckt wurden, werden Richelieu und Rochefort verhaftet und D’Artagnan offiziell in die Garde der Musketiere aufgenommen.
Musik
3 Musketiere ist voll wunderbarer Musik, allerdings fehlt der ganz große Ohrwurm dann doch. Das ist immer ein zweischneidiges Schwert. Wenn das Musical durchwegs begeistert, braucht es eigentlich keinen dieser vielbeschworenen Ohrwürmer, so auch hier. Allerdings hätte man als Zuschauer schon gern ein Stück, das man immer einwandfrei mit eben diesem Musical identifiziert.

Einzig das selbstbewusste Statement „Ich bin zurück“ von Mylady de Winter hat diese Qualität. Allerdings taucht es schon Mitte des 1. Aktes auf, was diesem Titel doch ein wenig die Showstopper-Funktion nimmt, da zu dieser Zeit das Musical noch zu wenig an Fahrt aufgenommen hat. Der Showstopper ist dann eher Richelieus „Nicht aus Stein“ im zweiten Akt, in dem er in einer groß angelegten Arie sich selbst Absolution erteilt für den Krieg, den er dabei ist anzuzetteln.
Ansonsten besticht das Stück durch eingängige Popnummern, die auch immer wieder stark gitarrenlastig daherkommen und so das ganze ein wenig rockig färbt.
Auf der anderen Seite finden sich wunderbare Musicalballaden, allen voran das Trio von von Königin Anna, Constance und MyLady Wer kann schon ohne Liebe sein, in dem alle drei von ihren Erfahrungen und Träumen mit der Liebe berichten. Mich hat das auch textlich so berührt:
Milady: Einst war ich sein
Anna: Stets bleib ich sein
Constance: Bald bin ich sein
Das charakterisiert die Damen so toll: Die Milady lebt gezwungenermaßen immer mit den Schatten ihrer Vergangenheit, trägt sie als Last: war. Die Königin ist mitten im Leben und in der Verantwortung, ist als Herrscherin eine Konstante: bleib. Constances Leben umfängt die Leichtigkeit der Jugend, sie muss nur an das Morgen denken. Und so verwebt dieses Duett die Schicksale der Frauen mit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Wirkung der Musketiere
Schwere Kost in leichtem Gewand: 3 Musketiere ist trotz alles Schwere des Themas mit Kriegsabsichten, Intrigen, enttäuschter Lieber und Mord an vielen Stellen mit jungendlicher Leichtigkeit gespickt: Die Musketiere kreuzen nicht nur die Degen, sondern verstehen sich auch auf Wortduelle. Da schleichen sich Albernheiten ein, es darf geschmunzelt oder herzhaft gelacht werden. Die Bandbreite reicht dabei von spaßiger Veralberungen über Gedichte voller Esprit bis charmante Übertreibung und Running Gags.
Außerdem ist die jugendliche Naivität des jungen D’Artagnan gerade im wahrsten Sinne des Wortes entwaffnend und ein wohltuender Gegenpol zum kühl-strategisch agierenden Richelieu.
Die Musketiere sind eindeutig charakterisiert: Athos ist der grüblerische, verletzliche. Porthos der humorige und Seele von Mensch, der dem Leibeswohl zugetan ist, während Aramis der leichtfüßige Frauenschwarm ist. So spielen sich diese drei wie eine gut gecastete Boygroup die Bälle zu.
Schlussendlich ist das Stück spannend und tragisch, aber überaus schwungvoll und an genug Stellen auch augenzwinkernd und gewitzt. Es wird geliebt und geschmachtet, gekämpft und gefochten, intrigiert und offen gehasst und obwohl am Ende ausnahmsweise mal kein Hollywood-Happy End, steht, bleibt es nur an wenigen Stellen drückend und damit wirklich gute Unterhaltung. Mein ehemaliger japanischer Tanzlehrer, der immer sehr kreativ mit der deutschen Sprache umging, würde an dieser Stelle sagen: Es schwungt.
Inszenierung der Musketiere
Das Staatstheater Augsburg hat für die Freilichtbühne die Inszenierung von Ulrich Wiggers übernommen, wie er sie 2019 im Theater Magdeburg zur Aufführung brachte. Dieser musste nur in Sachen Bühnenbild abweichen, denn das große Rund der Freilichtbühne muss und darf natürlich anders bespielt werden als eine Theaterbühne.
Bühne
Wie eingangs erwähnt, passen geschichtliche Stoffe wunderbar auf die Augsburger Freilichtbühne, die am Wallgraben der historischen Stadtmauer errichtet wurde. Diese Stadtbauer stellt so eine zweite bespielbare Ebene neben der eigentlichen Bühnenfläche dar. Dieses Platzangebot erlaubt es, Aufbauten sämtlicher Szenen fest zu installieren und mehrere Spielorte gleichzeitig darzustellen, ohne dass Umbauten stattfinden müssen.

Rechts oben auf der Stadtmauer finden sich Spitzbögen und ein Kreuz, beides deutet eine Kirche an. Mittig führt eine breite Treppe von der oberen Ebene der Stadtmauer, die als Säulengang ausgeschmückt ist, hinab auf die Bühne.
Die wiederum beherbergt sämtliche Behausungen (Wirtshaus, Elternhaus…), und diese alle können ebenfalls auf der Dachebene bespielt werden.
Es geht also überall hoch her im wahrsten Sinne des Wortes. Diese Vielfältigkeit der bespielten Orte macht die ohnehin schon kurzweilige Inszenierung da nochmal interessanter und lebendiger.
Um das Orchester vor Regen zu schützen, spielt es traditionell „eingehaust“ und diese Überdachung wird in das Bühnenbild integriert. Überaus schade allerdings ist dieses Jahr, dass man die Musiker überhaupt nicht zu Gesicht bekommt. In früheren Jahren waren zumindest die Seiten transparent. Hier spielen die Musiker innerhalb einer Kulisse von Häusern.
Choreographie
Bei 3 Musketiere denkt man an Mantel- und Degenfilme, an sich kreuzende Klingen und wilde Fechtduelle. Und genauso präsentiert sich dieses Stück. Ein großes Augenmerk liegt für den Choreographen deshalb auf den Degenduellen.

Im Vorfeld sprach der Choreograph der Kämpfe Thomas Ziesch davon, dass es hier weniger um Kampf, sondern mehr um Tanz handelt. Und man kann das als Zuschauer durchaus nachvollziehen. Jeder Schritt und jeder Handgriff ist exakt vorgeschrieben. Eine unglaubliche Herausforderung für Choreograph und Ensemble. Das soll ja echt aussehen, kraftvoll, drohend, beängstigend. Gleichzeitig sollen die Musketiere leichtfüßig daherkommen.
Um es kurz zu machen: Es ist nahezu perfekt! Ich persönlich sitze da staunend wie ein kleines Kind, es ist einfach faszinierend. Und es gelingt allen beteiligten grandios.
Ein weiteres Highlight der Choreographie ist die Jagdgesellschaft: Das Ensemble selbst versammelt sich als Tiere um den jagenden König. Da tummeln sich Fasan, Luchs, Elch, Reh, Dachs, Waschbär,… das ist sehr herrlich zuzusehen.

Ähnlich beeindruckend setzt dann D’Artagnan mit einem Boot im 2. Akt nach England über, um die Juwelen von Königin Anna zurückzuholen. Hier werden nur Teile des Schiffsrumpfes im Bühnenbild angedeutet, während das Ballett die vom Sturm gebeutelte Schiffscrew absolut erstaunlich vertanzt.
Als kreativer Volltreffer erweist sich die Idee, das D’Artagnans Pferd – eher Gaul – Pommes de terres auf die Bühne zu holen, gespielt von zwei Statisten des Theaters, die in Vorderbeinen, Hinterbeinen und Kopf stecken. Diese wirklich genial zusammengebastelte Plastik eines Tieres kann die Zähne blecken, die Ohren drehen und sorgt für herzlich-freudiges Erstaunen bei den Zuschauern.

Kostüm
Wie schon so oft auf der Freilichtbühne artet auch dieses Musical in eine regelrechte Garderobenschlacht aus. Derart opulente Kostüme sind ein Markenzeichen in Augsburg und nicht erst seit dem Fugger-Musical versteht man sich gerade auf historische Kostüme. Allerdings sind die Kostüme in 3 Musketiere ebenfalls – mit der Inszenierung zusammen – aus Magdeburg übernommen.

Nichtsdestotrotz wird alles aufgefahren, was geht. Schon zu Beginn, als D’Artagnan nach Paris kommt, ist da Ensemble eine Augenweide. Es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie wunderbar da die Kostüme aufeinander abgestimmt sind, so dass sich trotz der Individualität der Kleidung ein stimmiges Bild ergibt. Der Chor darf dann noch opulent in großer goldener Ballrobe auftreten samt Perlenhauben in den Haaren. Heraus sticht aber die Jagdszene, in der das Ballett als Tiere auftritt: sehr einfallsreich und wirklich gefällig wurde hier gearbeitet.
Gleiches gilt für die Kostüme der Solisten:
Die Zartheit von Constance, ihre natürliche jugendliche Eleganz wird durch das Kostüm mit den zarten Puffärmelchen unterstrichen.

Königs geben sich eindeutig in royalblau mit Hermelin, später auf dem Ball in dekadent-gold, der Kardinal trägt blutrot, und zwar nicht nur Soutane, sondern er hat darunter im wahrsten Sinne des Wortes die Hosen an.
Milady de Winter kommt im Lederoutfit mit wallend wasserstoffblonder Mähne und trägt zu Beginn ein Bolero mit dunklen Federn. Damit wird auf ihren Text Bezug genommen, was ich einfach liebe:
Lange war ich vogelfrei.
Das ist vorbei!
Das ist vorbei!Wie der Phönix ersteh ich neu
Und steige hoch empor.
Die alten Wege geh ich neu,
Stärker als zuvor.
Ich spreize mein Gefieder.
Und ich blicke stolz umher.
Licht
Die Lichtregie erwähne ich tatsächlich noch extra, da sie an mehreren Stellen im Stück wegweisend ist: Teil des Stückes ist ein kurzes Feuerwerk. Dies wird mit nur sehr wenig Pyrotechnik gezündet, bevor es dann mittels Beleuchtung auf die Kulissen gezaubert wird. Ich fand das überaus kreativ.
Richelieus Szene wird sehr gut ausgeleuchtet, in dunkelrot erscheint da die Treppe, auf die ein weißes Kreuz projiziert wird.
Und schließlich wartet der Abend mit einem wirklich tollen Einfall am Ende auf: Erst kreuzen die vier Musketiere ihre Degen, das Ensemble steht da ebenfalls in Vierergrüppchen zusammen und legen die Hände aufeinander. Und als letztes legen sich die Scheinwerferstrahlen in ebenso gleicher Idee am dunkeln Nachthimmel kreuzartig übereinander. So ein erhabenes Ende hab ich selten gesehen. Bravo!
Die Rollen und ihre Darsteller
D’Artagnan: Florian Peters
Florian Peters ist perfekt besetzt in dieser Rolle. Er gibt dem jugendlichen Helden den Raum für eine echte Reifung. Zunächst präsentiert Peters einen naiven Jungspund, der relativ blind seinem Vater nacheifert und dabei eher einem Ideal folgt als echte Ahnung zu haben, was dieser Dienst bedeutet. Der Zwang, sich zu beweisen, tritt dann aber immer weiter in den Hintergrund, denn der junge Mann muss die ihm wichtigen Werte wie Mut, Tapferkeit, Aufrichtigkeit, Ehre und Freundschaft nach und nach füllen. Und so füllt auch Peters den D’Artagnan mit weiteren Facetten, lässt ihn Gefühle erfahren, tief ausloten, eine Balance finden.


Peters vermag mit dieser feinen Ausgestaltung sogar der Schlussszene die passende Bedeutung zu verleihen: am Grab seines Vaters betet er, die Musketiere suchen ihn dort auf und es wird erneut der Schwur abgegeben: Einer für alle und alle für einen. Diesmal aber ist der Schwur für ihn wirklich mit Inhalt gefüllt: Nach dem Tod des Vaters und seiner Liebe Constance gibt er ihn mit einem anderem Bewusstsein. Das hat mich beeindruckt, dass die Charakterentfaltung am Ende das Stück derart rundet. Florian Peters hat das das ganze Stück über sehr sorgsam vorbereitet. Großartig!
Gesanglich gefällt er sowohl in seinen Solostücken als auch in einem ein wenig schmalzigen Duett mit Bühnenpartnerin Larissa Hartmann.
D’Artagnan: Christopher Dederichs
An einem einzigen Termin, dem 8.7., stand Christopher Dederichs, der die Rolle des D’Artagnan schon 2018 in Winzendorf gespielt hat, auf der Bühne und ich möchte an dieser Stelle einmal die großartige Leistung von „Einspringern“ würdigen, die sich da mit vollem Elan und ohne Netz und doppelten Boden in eine Show werfen, die weitgehend ohne sie geprobt wurde. Ich bin da echt überwältigt und auch erstaunt, wie man sich in so kurzer Zeit eine Inszenierung aneignen kann. Gerade auf so einer Bühne wie die Freilichtbühne mit ihrer Größe und den Spielebenen… aber auch die Zweikämpfe, die ja bis ins kleinste Detail choreographiert sind. Unfassbar und daher gibts hier schon den ersten Extra-Applaus für Christopher, aber auch für Susanna Panzner, die zeitweise Katja Berg als Milady de Winter vertreten hat. Leider war es mir nicht möglich, eine ihrer Vorstellungen zu besuchen.
Mir hat Christopher Dederichs wahnsinnig gut gefallen. Es ist immer schwierig, zwei Darsteller zu vergleichen beziehungsweise darüber zu schreiben, denn der Leser wird möglicherweise einen als „Schlechteren“ wahrnehmen. Dabei ist das Quatsch, denn die Darstellungen sind allgemein auf einem so hohen Niveau und Geschmäcker sind bekanntlich verschieden.
Ich mochte seine starke Stimme, die schon im ersten Stück zum tragen kommt und ich empfand seine Unbekümmertheit als präsent und energetisch. Was ich von seinem D’Artagnan wahrgenommen habe, ist, dass er zwar ein Ziel hat, auf das er sein Leben ausrichtet, aber er ist mit dem Hier und Jetzt schon schwer beschäftigt. Das macht ihn sympathisch, vor allem, weil Christopher Dederichs mit ganz viel Mimik spielt und dabei ganz vielen Kleinigkeiten Raum gibt.
Kardinal Richelieu: Alexander Franzen
Alexander Franzen gab schon zweimal den Gegenspieler auf der Augsburger Freilichtbühne: In Chicago überzeugte er als windiger Anwalt Billy Flynn und im Fugger-Musical Herz aus Gold als Fuggers lebenslanger Konkurrent Welser.

Die Rolle als Richelieu hier steht ihm genauso auszeichnet wie die anderen davor:
Franzen unglaublich faszinierende Stimme ist prädestiniert für die Machtrollen: Sie erlaubt so viel Nachdruck, so viel Schärfe und wirkt dabei mal laut, mal knurrend, mal fies. Die ganze Autorität der Rolle, die Dominanz, führt Franzen schon allein mit der Stimme mit. Sein ganzer Habitus strahlt eine starke Bedrohlichkeit aus. Gepaart mit Arroganz und Machtgier unterstreicht Franzen so den Absolutheitsanspruch des Kardinals mit Stringenz.

Eigentlich ist es klar, dass dieser Mann keine Gnade gegenüber der Milady walten lassen wird und doch zieht dieser Handlungsstrang genau aus dieser geradlinigen Haltung seine ganze Spannung, ihre ganze Tragik.
Erhabenheit, Autorität, das Macher-Gen kehrt Franzen nach außen. Sein energisches Vorangehen zeigt er nicht nur in der Stimme, sondern in der Haltung, in seinen schnellen, schweren Schritten. Dass unter dieser Oberfläche auch Platz für Zweifel ist, lässt einen schaudern im überwältigenden Solo „Nicht aus Stein“, in dem Richelieu sich seinen Dämonen stellen muss, die ihn trotz aller zur Schau gestellten Härte heimsuchen und er deshalb Absolution für sein kriegstreiberisches Tun in seinem Glauben an Gott sucht.
Milady de Winter: Katja Berg
Ich bin zurück singt Katja Berg in ihrem ersten Solo als Milady der Winter. Und ich möchte mich fortwährend bedanken, dass sie tatsächlich zurück in Augsburg ist. Für mich hat Katja Berg die schönste Stimme in der Musicaltheaterwelt überhaupt und es ist jedesmal eine Freude, sie mit dieser Stimme arbeiten zu hören. Da ist so viel Energie, so viel Kraft. Katja Berg kann so nachdrücklich laut singen, ohne dabei an Klarheit zu verlieren.

Schauspielerisch hat sie die interessanteste Figur, denn hinter Milady de Winters selbstbewusstem Auftreten zu Beginn steckt eine zutiefst gedemütigte Frau, die sich dem Kardinal unterwerfen muss, um wieder in ihr altes Leben zurückzukehren. Die Verzweiflung ihrer Figur ist so drastisch spürbar, so dass man nicht umhin kommt, Mitleid zu empfinden mit dieser aus Not kaltherzig agierenden Frau. Ständig versucht sie, im erbarmungslosen politischen Intrigenspiel den Kopf über Wasser zu behalten, bietet sich selbst immer wieder an, und kämpft an dieser Front ähnlich beharrlich wie die Musketiere mit ihren Degen. Oh, das ist so stark, so intensiv.
In jeder Szene löst Katja Berg einen wahren Gefühlssturm in mir aus, zum Beispiel in Wo ist der Sommer: Die einstige Liebe zu Athos ist noch so groß, so spürbar, gleichzeitig erliegt sie fast dem übermächtigen Schmerz, den die Erinnerung an eben jene Liebe auslöst. Katja Berg singt und spielt so, dass vollkommen klar ist, dass Milady keinen anderen Ausweg mehr sieht außer Selbstmord.
Wow, Katja Berg auf der Musketier-Bühne zu sehen, ist ein großes Geschenk. Wenn jemand nicht so recht, weiß, ob das Stück was für ihn ist: Hingehen, Katja Berg muss man als Milady de Winter gesehen haben.
Musketier Athos: Hannes Staffler
Mein Engel aus Kristall
zersprang in hunderttausend Scherben
und schnitt tief in mein Herz
Hannes Staffler ist als Athos ganz loyaler Kämpfer, motivierender Freund und der Gerechtigkeit verhaftet, wirkt aber weniger draufgängerisch, eher grüblerisch. In Haltung und Gestalt ganz aufrechter Mann lässt er von Beginn an durchblicken, dass es einen Grund für sein eher nach innen gekehrtes Auftreten gibt.

Athos ist nicht gebrochen, auch nicht desillusioniert, aber deutlich verletzt. Er selbst enthüllt den Grund dafür in Engel aus Kristall:Die zerbrochene Liebe zu Mylady de Winter. Er fühlte sich hintergangen und in einem grandiosen Solo steigert er sich von einer puren Rückschau immer weiter in Wut und Trauer. Es ist Retrospektive, eine Zustandsbeschreibung und gleichzeitig ein Aufarbeiten, ein Versuch, loszulassen, von dem er weiß, dass es sowieso nicht gelingt. Er trägt diese Last dann auch stimmlich und schauspielerisch konsequent mit sich, aber nicht ständig vor sich her, sondern macht sie zu einem authentischen Teil des Charakters.
Hannes Staffler ist ein sehr charismatischer Schauspieler. Man kann sich seiner Präsenz nur schwer entziehen. Die letzten Szene mit Milady de Winter – Katja Berg – macht Gänsehaut. Er lebt seine Verletzungen, erleidet sie erneut, erduldet sie, macht sie für den Zuschauer sichtbar. Und da finden sich die beiden Figuren Athos und Milady. Man gleitet mit beiden in den Schmerz, in die Erinnerung, denn in beiden Gesichtern spiegelt sich dasselbe.
Musketier Porthos: Patrick L. Schmitz
Der regelmäßig den großen Heinz Erhardt verkörpernde Schmitz passt auf die Rolle des gutmütigen, humorigen und entspannten, dauernd Baguette futternden Porthos wie Arsch auf Eimer.

Die Figur macht einfach Spaß. Besonders amüsant gestalten sich die aufgrund seines vollen Mundes unverständlichen Textpassagen. So sorgt die Figur des Porthos dafür, dass man die Musketiere neben ihrer Funktion als königstreue Kämpfer auch als gewitzte Männergruppe wahrnimmt, als Freunde fürs Leben. Er verleiht dem Porthos eine gehörige Portion Selbstironie, versteht sich aber auch auf den ernsthaften Teil.
Musketier Aramis: Dennis Weissert
Unter den Musketieren hat der Aramis eine wenig dankbare Stellung. Porthos punktet mit Humor, Athos mit Schwermut, so geht der gut gelaunte, gut aussehende Aramis als fast „normal“ ein wenig unter. Dennis Weissert liefert hier eine vor allem stimmlich runde Performance innerhalb der Musketier-Boygroup.

Constance: Larissa Hartmann
Oh, das war sehr zauberhaft. Hartmann brilliert in der Rolle, da sie es vermag, sämtliche Facetten in der Balance zu halten. Denn Constance ist zwar zart, aber selbstbewusst, sie ist gefühlsbetont, aber nicht überschäumend, sie ist loyal und sie glaubt an die Liebe.
Das Duett mit D’Artagnan: Was ich will, ist alles gelingt ihr wirklich lieblich und nicht, dem Text entsprechend, schmalzig.

Sie ist eine zauberhafte elfengleiche Erscheinung und füllt ihre Rolle doch mit der ihr zustehenden Präsenz.
Conférencier / James/ Gardist: Marina Lötschert
Eine unbedingte Erwähnung ist die Leistung von Marina Lötschert wert, die den ganzen Abend auf der Bühne wirbelt in unterschiedlichen Rollen. Kommt als Conférencier ihre ausdrucksstarke Stimme so richtig zur Geltung, brilliert sie schauspielerisch als James – Diener des Herzogs von Buckingham – und wird dafür vollkommen zurecht mit frenetischem Applaus gefeiert. Komische Rollen sind da ja nicht sehr dankbar und verlangen ein wirklich gutes Gespür für die Situation, um nicht „drüber“ zu wirken. Ich fand die Darstellung fabelhaft, sie bleibt nachhaltig im Gedächtnis.

Ensemble/ Orchester
Das ganze Ensemble wirkt neben den genannten Solisten wunderbar zusammen, tanzt, singt und präsentiert sich insgesamt als fantastisch zusammengeführte Einheit.

Die Augsburger Philharmoniker unter Anna Malek erlebt man hier einmal mehr schwungvoll und sie punkten mit rockigen Tönen ebenso wie mit den elegischen großen Melodien.
Fazit: Anschauen!
Ein Wunder kann nur der erleben, der unbeirrt an Wunder glaubt.
Ja, da hab ich wohl unbeirrt an Wunder geglaubt, und es ist geschehen: Ein kleines Bühnenwunder bringt das Staatstheater Augsburg mit dem Musical 3 Musketiere auf die Freilichtbühne am Roten Tor.
Das tragische und dennoch gewitzte Stück punktet mit kreativen Einfällen, sorgsam ausgedachter und vielfältig genutzter Bühne und einer wirklich gut ausgewählten und harmonierenden Cast mit den Solisten-Highlights Katja Berg und Alexander Franzen. Ein Pflicht-Termin mindestens für alle Musiktheaterfans aus der Region, aber qualitativ so hochwertig, dass sich eine weitere Anreise ebenfalls lohnt!
Alle Fotos: Dr. Joachim Schlosser Fotografie. Verwendung der Fotos für Social Media und Web ist für Privatleute und Darsteller gestattet. Attribution: Dr. Joachim Schlosser für www.diefrauschauthin.de
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