RENT ist die rockige Adaption von La Boheme, der erfolgreichsten aller Puccini-Opern. Im großen und ganzen beschreibt Autor Jonathan Larson das Leben eine Gruppe junger Künstler in New York und deren Umgang mit Liebe, Freundschaft, Karriere und Schicksalsschlägen.
Jonathan Larson selbst ist Vorbild für die Hauptfigur Mark, einem Filmemacher mit viel Vision, aber wenig Antrieb. Larson umgibt sich im Stück mit Figuren, die aus La Boheme entlehnt wurden, aber auch mit Figuren, deren echte Vorbilder tatsächlich Freunde/ Bekannte von Jonathan Larson waren/ sind.
Tragischerweise starb Jonathan Larson – für RENT mit dem Pulitzer-Preis für Drama ausgezeichnet – am Tag der Premiere von RENT an einem Aortenriss. Er konnte so den Erfolg der Stückes, das zwischen 1996 und 2008 durchgehend am Broadway gespielt wurde, nicht mehr miterleben.
RENT – das Musical
Das Musical beschreibt die New Yorker Boheme aus Sicht des verhinderten Filmemachers Mark, der das ganze Leben seiner Freunde als Dokumentarfilm auffasst. Innerhalb eines Jahres begleitet er Roger, Mimi, Maureen, Joanna, Collins, Angel und Benny durch sich formende und auseinandergehende Beziehungen, Freud und Leid, Armut und Wohlstand, Protestkampf und umarmende Geborgenheit. Er beobachtet Menschen, die ins Leben finden und aus dem Leben gehen, Menschen, die sich mit sich im Reinen sind und die, die nicht zur Ruhe kommen.
Dadurch, dass der am Ende fertiggestellte Dokumentarfilm ein volles Jahr abbildet, baut das Stück innerhalb die Rahmens keine vollständig stringente Geschichte auf, sondern zeigt Entwicklungen und Schwerpunkte der Zusammenhänge.
Inhalt
Mark ist ein Filmemacher mit großer Vision. Er lebt zusammen mit Roger, einem Musiker, in New York in einer schäbigen Mansardenwohnung. Das Geld ist bei den beiden Künstlern immer knapp bis gar nicht vorhanden. Da beschließt Mark, einen Dokumentarfilm über sein Leben in New York zu drehen. Es ist der 24.Dezember:
Roger ist depressiv. Der Ex-Junkie ist HIV-positiv und geht seit dem Suizid seiner Freundin nicht mehr außer Haus. Aber er träumt davon, einen Hit zu schreiben.
Da taucht Benny auf. Er war Teil der WG zusammen mit Mark, Roger, Collins und Maureen. Dann hat er reich geheiratet und den Wohnblock, in dem das Apartment liegt, gekauft. Jetzt will er – entgegen eines Versprechens – zunächst die Miete von den beiden Freunden eintreiben. Diese widersetzen sich vehement. Schließlich wird klar, dass das Haus verkauft werden soll, um neuen, luxuriösen Wohnungen Platz zu machen.
Als der Strom ausfällt, klopft Mimi an Rogers Tür. Die Nachtclubtänzerin wohnt eine Etage tiefer und möchte sich Feuer für ihre Kerze borgen. Auf ihre deutlichen Avancen kann Roger nicht eingehen, obwohl ihm Mimi gefällt.
Maureen ist Marks Exfreundin. Sie hat ihn für die Anwältin Joanne verlassen und ist deshalb auch nicht mehr Teil der WG. Maureen ist Performance-Künstlerin und wird am Abend auftreten, um mit ihrer Show gegen jene Umgestaltung des Viertels zu protestieren, die das Apartment von Mark und Roger bedroht.
Der frühere Mitbewohner Collins ist ein Mathematikprofessor, der seinen Job verliert. Er wird in der Straße vor dem Apartment niedergeschlagen und ausgeraubt. Angel, eine Dragqueen, sammelt ihn auf und kümmert sich um Collins. Sie stellen schnell fest, dass sie neben ihrer HIV-Infektion noch vieles gemeinsam haben, verlieben sich ineinander und wohnen dann zusammen. Collins träumt von einer Bar in Santa Fee.
Am Abend verlässt Roger doch die Wohnung, um sich Maureens Show „Over the moon“ anzusehen. Er trifft wieder auf Mimi und beide nähern sich dezent an. Als Roger erfährt, dass auch Mimi HIV-positiv ist, gelingt es beiden, sich zu öffnen und ihre Verbindung spürbar zu machen. Im Life Cafe finden regelmäßig Sitzungen einer HIV-Selbsthilfegruppe statt. Schließlich bringt Mark Roger dazu, ebenfalls mit Angel und Collins daran teilzunehmen.
Am Silvesterabend versucht die Truppe, in ihre Wohnung im Wohnblock, der mittlerweile gesperrt ist, einzubrechen. Da taucht Benny auf, öffnet die Tür und die Freunde verbringen Silvester in ihrer alten Wohnung. Benny war früher mit Mimi zusammen und diese hätte ihn umgestimmt.
Der zweite Akt behandelt die Zeit des neuen Jahres bis hin zum nächsten Heiligen Abend.
Mark bekommt ein Jobangebot, von dem er nicht weiß, ob er es annehmen soll. Maureen und Joanne sind so unterschiedlich, dass sie sich immer mal wieder in den Haaren liegen, so auch am Valentinstag. Sie stellen ihre Beziehung in Frage, da beide sehr unterschiedlich sind, sich aber jeweils nicht für den anderen verbiegen wollen.
Roger kann mit Mimis Drogensucht nicht umgehen und ist zudem rasend eifersüchtig auf Benny, der mal mit Mimi zusammen war. Während all den Streitereien und Herausforderungen bricht bei Angel die Erkrankung aus. Von Collins rührend umsorgt, stirbt sie an Aids.
Der Tod von Angel bringt die Endlichkeit des Lebens so drastisch in die Gruppe, dass Veränderungen anstehen: Roger verkauft seine Gitarre und geht nach Santa Fee, während Mark tatsächlich das Jobangebot annimmt. Maureen und Joanna versöhnen sich endgültig, während Benny Collins finanziell unter die Arme greift und die Beerdigung von Angel bezahlt.
Doch Mark wird nicht glücklich in seinem Job. Er erkennt, dass das nicht das ist, wofür er brennt, kündigt und dreht weiter an seinem Film, den er seinen Freuden am Heiligen Abend schließlich zeigt. Die Freunde sind versammelt, nur Mimi nicht. Sie hat eine Entziehungskur begonnen, ist dann aber spurlos verschwunden. Roger ist in großer Sorge. Maureen und Joanne finden die sterbenskranke Mimi und bringen sie ins Apartment, wo Roger ihr seinen Song vorspielt. Es hat den Anschein, als ob Mimi stirbt. Doch am Ende überlebt sie unerwartet die Nahtoderfahrung und berichtet von Angel, der sie zurück zu Roger geschickt hätte.
Musik
RENT wird als Rockmusical bezeichnet. Tatsächlich spielt hier auch kein klassisches Orchester, sondern eine Band. Alle Lieder atmen nicht nur durch die starken Gitarren eine situative Energie. Was ebenfalls im Gedächtnis bleibt, sind Popballaden wie das vielleicht bekannte Seasons of Love.
Darüber hinaus werden in den Ensemblenummern unheimlich dichte Klangteppiche gewebt, die wahnsinnig beeindruckend sind. Dabei wirkt es, als wäre die Musik selbst die Choreographie.
Viele Lieder aus dem ersten Teil kommen als Reprise im 2. Akt wieder vor. Die Lieder öffnen quasi die jeweilige Storyline und schließen sie am Ende wieder, zum Beispiel Lass mich deine Heimat sein oder Du musst wissen.
In eine harmonische Gesamtkomposition fügt sich neben der völlig irren Protest-Performance sogar ein Tango Maureen ein.
Wirkung
Wow, hier ist extrem viel Tragik am Start, das Musical erscheint auf den ersten Blick überfrachtet mit schweren Themen. Die HIV-Infektionen mancher Figuren war in der Entstehungszeit Mitte der 90er Jahre immer noch ein heißes Eisen und gleichzeitig die Tragik noch deutlich intensiver. Neben zahlreicher weiterer individueller Probleme wie Suizid, Drogensucht, Eifersucht, wirtschaftliches Überleben oder Depression werden auch gesellschaftspolitische Themen angepackt wie etwa die Kritik an der Gentrifizierung. (Ganze Wohnviertel wurden und werden auch heute noch umgewidmet, attraktiver gemacht, um das dortige Klientel gegen zahlungskräftige Mieter zu ersetzen.)
Das ist bisweilen schwere Kost und gerade im ersten Teil geht es einem wie Roger: Man bleibt so ein bisschen hängen in all den Schwierigkeiten.
Aber alles in allem bildet das Musical einfach ein hartes reales Leben ab und fasziniert dabei mit den individuellen Figuren: Jeder geht anders mit den Themen seines Lebens um. Manchem kommt man nicht aus, anderes wiederum kann man selbst gestalten. Innerhalb dieser Dialektik entsteht eine wirklich spannende Geschichte, die man nicht nur tragisch erlebt. Denn das Musical strotzt nur so von hoffnungsvollen Momenten, die allerdings öfter im Kleinen wirken:
Die Art, wie im Life Cafe mit den Ängsten und Sorgen umgegangen wird, ist weniger betrüblich als vielmehr annehmend und unterstützend. Die Liebe zwischen Collins und Angel ist vollkommen selbstverständlich und überstrahlt in ihrer Einfachheit und Zurückgenommenheit die ganze Szenerie. Benny findet wieder halbwegs in die Gruppe.
Es strebt nicht auf ein Ziel hin, es geht auch nicht um irgendeine Moral, sondern um den Fluss des Lebens mit all seinen Stromschnellen. Alle sitzen irgendwie im gleichen Boot.
Bei La Boheme, das ich vor ewigen Zeiten Mal gesehen habe, hat mich wahnsinnig gestört, dass sich alles auf den Tod von Mimi hinkonzentriert. Dadurch, dass Mimi hier überlebt, entzerrt sich das Stück sogar rückwirkend und macht eben jenen Fluss deutlich. Jeder kämpft, keiner bleibt allein zurück, und so wird es auch weitergehen.
Ich gehe hier nichtweiter auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu La Boheme ein. Dazu liefert der Wikipedia-Artikel zu RENT einiges an Input. Mein Augenmerk liegt auf der Besprechung des Musicals.
Ich habe RENT trotz der schicksalhaften Ereignisse als unglaublich lebensbejahend erlebt. Dies ist auch der Inszenierung von Gil Mehmert zu verdanken.
Inszenierung (Gil Mehmert)
Bühnenbild/ Ausstattung
La Boheme spielt in Paris, RENT in New York. Gil Mehmert schreibt im Programm-Faltblatt selbst, er habe bewusst eine Wohnung ganz oben gewählt, so dass erkenntlich wird, dass die Freunde über den Dingen stehen.
Dazu passt auch die geniale Zwei-Ebenen-Bühne: Das Apartment befindet sich auf einer Hebebühne, die nach oben gefahren wird, um darunter zum Beispiel dem Life Café oder anderen Schauplätzen Raum zu geben. Die Freunde wohnen schon ganz oben, entschwinden ihren Problemen dann aber zusätzlich auch mal gerne.
Das Apartment selbst hat die Anmutung eines Gewächshauses. Aber hier sind ja auch Künstler, deren Leben daraus besteht, Dinge zu kreieren, quasi wachsen zu lassen.
Die Hintergrundkulisse der New Yorker Wolkenkratzer ist absolut hinreißen echt gelungen, aus dem Schornstein neben Marks Wohnung raucht es permanent heraus. Sogar ein für New Yorks Dächer typischer Wasserspeicherturm ist im Bühnenbild enthalten.
Marks Mutter ist ein paar Mal per Telefonanruf gegenwärtig. Jedesmal lässt Regisseur Mehmert sie auf einer Schaukel sitzend in luftiger Höhe von links nach rechts über die Bühne schweben.
Marks Mutter nimmt gar keinen rechten Anteil an seinen Sorgen, sie schwebt über den Dingen, ist dem Alltag ihres Sohnes regelrecht entrückt, ebenso die Dame, von der Mark sein Jobangebot erhält. Beide sind nicht Teil des realen Beziehungsgeflechts.
In der linken Ecke der WG-Wohnung steht ein Skelett. Denn der Tod ist gerade für Roger allgegenwärtig. Der Tod ist der ständige Begleiter der HIV-positiven Menschen der 90er Jahre.
Trost und pragmatische Hilfe finden sie gegenseitig im sogenannten Life Café. Dort sitzen die Protagonisten (es sind hier 12!) kurzzeitig alle auf einer Seite des Tisches wie beim letzten Abendmahl von DaVinci. Der Querverweis auf die christliche Idee von Tod und ewigem Leben trifft vor allem Rogers verzweifelte Situation am besten. So wie die Jünger Jesu das ewige Leben suchen, so möchte auch Roger ja von Anfang an, dass etwas von ihm überdauert und das ist eine seiner Motivationen, ein Lied zu schreiben, das ein Hit wird.
Angel, die Verkörperung der allgegenwärtigen und selbstverständlichen Liebe, stirbt später, so dass es sich hier tatsächlich um ein letztes gemeinsames Abendmahl mit Angel handelt, der nicht umsonst einen so himmlischen Namen trägt!
Das ist übrigens nicht der einzige Verweis auf christliche Symbolik: Kurz vor Angels Tod wird auf der oberen Spielebene ein großes Plakat aufgestellt, auf dem ein sehr berühmtes Zitat der Bibel steht, nämlich der letzte Satz des Hoheliedes der Liebe aus dem Korintherbrief:
So now faith, hope, and love abide, these three; but the greatest of these is love.
Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.
Im Englischen übrigens heißt dieser Absatz schlicht „The way of love“ und Mehmert setzt durch dieses so zentral präsentierte Motto einen positiven Schwerpunkt.
Er macht darauf aufmerksam, auf was es ankommt. Das, was Roger wieder ins Leben finden lässt und das, was überdauert, auch wenn Angel stirbt: die Liebe. Das muss nicht zwangsweise die Liebe zu einem Partner sein. Das kann auch die Liebe zum Leben sein oder die Hingabe an eine leidenschaftliche Tätigkeit, sicher aber auch die Liebe zu sich selbst.
Den Weihnachtsbaum hingegen gibt es schon länger als die christliche Religion. Auch er fügt sich perfekt in die vorgegebene Deutungsebene ein. In der Szene auf dem Weihnachtsmarkt und danach gibt es nicht nur einen Weihnachtsbaum, sondern 12 an der Zahl. 12 Menschen auf der Bühne und für jeden einzelnen leuchtet ein geschmückter Baum auf der Ebene über dem Life Café. Es leuchtet jedem sein eigener Baum im Himmel.
Ein leuchtender Baum für jeden einzelnen. Und wenn bedenkt, dass das immergrüne Blatt- und Nadelwerk war schon zu antiken Zeiten ein Versuch war, die dunkle Jahreszeit weniger trostlos zu überstehen, so ist hier eine wunder- und hoffnungsvolle Botschaft enthalten.
Ein jeder ist anders geschmückt wie auch das Leben aller Figuren auf der Bühne jeweils anders ist. Jeder geht anders mit seinen Themen um. Diese Achtung der Individualität, diese Aufmerksamkeit allen gegenüber, das hat mich sehr beeindruckt. Das ist neben dem Way Of Love aus der Bibel eine sehr eindrückliche Botschaft.
Für jeden leuchtet ein Licht.
Kostüm (Falk Bauer)
Bei den durchwegs stimmigen Kostümen fallen ein paar besonders ins Auge: Als erstes hat mich Mimis Style zu Beginn fasziniert: sie trägt einen transparenten Jogginganzug (mit den drei Streifen an der Seite), als sie bei Roger auftaucht. Mimi kann und will nichts verbergen. Genauso offensiv wie ihr erster Flirt mit Roger gerät auch ihr Outfit.
Die Dragqueen Angel besticht durch ein paar schrille, im Endeffekt gar nicht so verrückte, aber hingebungsvoll kreative Outfits, deren wichtigster Bestandteil die Netzstrumpfhose ist. Mit den natürlichen Haaren aber hat man gar nie das Gefühl, dass sie sich verkleidet oder „drüber“ ist. Angel IST einfach. Es ist einfach ein Ausdruck ihres Körpergefühls und macht die Person absolut authentisch.
Collins trägt immer ein kariertes Hemd. Möglicherweise ein Hinweis darauf, dass er als Mathematikprofessor bis zu seiner Jobverlust einem kleinkarierten, aufgeräumten Leben am nächsten kommt. Gleichzeitig trägt er immer eine dicke Weste und eine Mütze, die immer an die drohende Obdachlosigkeit erinnern.
Schließlich kommt Maureen am Silvesterabend im Catwoman-Kostüm, um mit den Freunden die Wohnung einzubrechen. Catwoman, dem Comic nach eine Meisterdiebin mit eigenen moralischen Vorstellungen, ist auch Protagonistin eines Kinofilms von 2004. In diesem bricht die Hauptfigur in das Gebäude ihres Arbeitgebers ein, es geht um finstere Machenschaften und den Kampf dagegen. Als sie von den Gegnern in diesem Haus getötet und von einer Katze ins Leben zurückgebracht wird, wird sie zu Catwoman, die gegen das Böse kämpft. Eine sehr hübsche popkulturelle Referenz, als Maureen mit ihren Freunden ins Apartment einbrechen will und sich so gegen das System stellen möchte. Wie immer verleiht sie ihrer Überzeugung dadurch nachhaltig Ausdruck.
Die Rollen und ihre Darsteller
Mark Cohen: Christof Messner
Mark ist der „Sortierteste“ der Freunde. Er wirkt wie ein Nerd, der aus einem inneren Antrieb etwas schaffen will, und dabei auch sehr akribisch vorgeht. Relativ aufgeräumt wirkt er, für die Gruppe fast ein bisschen bieder. Im Gegensatz zu seinen Freunden wirkt sein Leben weniger dramatisch. Das liegt auch daran, wie er dem Leben begegnet. Durch seinen Entscheidung, einen Dokumentarfilm zu drehen, nimmt er mehr die Rolle als Begleiter denn als Aktiver ein, was seine Freunde gegen Ende auch thematisieren.
Er wirkt so, als nähme er sich bewusst raus aus dem Ganzen, erlaubt sich durch den Blick von außen, alles bewusst zu betrachten, bewahrt sich aber dadurch auch eine professionelle Distanz. So verarbeitet er die Trennung von Maureen ganz gut, in dieser Rolle erträgt er die Depression von Roger am besten, sowie die HIV-Infektionen der andern.
Er versucht beständig, sich nicht vereinnahmen zu lassen. Nicht von einem Job, der nicht seinen Ideen entspricht und auch nicht von seiner Mutter, die sich ohnehin wenig emphathisch zeigt. Aber wie die Mutter auf ihrer Schaukel von links nach rechts schwebt, geht ihr Blabla links rein ins Ohr und rechts einfach wieder raus. Aber Mark träumt von seinem großen Film. Und stellt ihn tatächlich nach einem Umweg fertig.
Schön kreiert Messner mit Jakobs schon die Auftaktszene; im Duett Tango Maureen singt und tanzt er mit Joanne-Darstellerin Amani Robinson harmonisch verbunden.
Den zurückhaltenden Charakter Marks trifft Christof Messner wunderbar. Zwischen all den großen und kleinen Schicksalsschlägen und Streitereien bleibt er unerschütterlich und doch emphatisch, Messner gibt dem Charakter, der ja meist durch seine Kameraarbeit außen vor bleibt, trotzdem eine Anteilnahme, eine spürbare Verlässlichkeit.
P.S.: Ab Dezember wird der ursprünglich als Mark vorgesehene Dominik Hees nach seiner Erkrankung die Rolle übernehmen.
Roger Davis: David Jakobs
Roger ist HIV-positiv. Erfahren hat er das von seiner damaligen Freundin, die sich, ebenfalls mit dem Virus infiziert, aus Verzweiflung die Pulsadern aufgeschnitten hat. Dieselbe Verzweiflung hat auch Roger ergriffen und seitdem ist sein Leben zum Stillstand gekommen. Er freut sich an nichts mehr, er fängt nichts mehr an. Schließlich könnte es ja durch die Krankheit beendet werden. Irgendwann fällt der Satz, er sei schon drei Jahre tot. Denn Roger lebt nicht mehr, er sitzt die ihm verbleibende Zeit ab.
Mimis Avancen lehnt er ab, zum einen, weil die letzte Beziehung durch Suizid geendet hat, zum anderen, weil er sich lieber vollkommen der Schwermut verschrieben hat. Weil er mutlos ist.
Als beide dann doch zusammenkommen, ist die Beziehung geprägt von Rogers Eifersucht: So wie der Virus in seinem Körper lauert mit der Gefahr, sein Leben zu beenden, so sieht Roger auch Benny lauern, mit der Idee, er könnte der Grund für das Ende seiner Beziehung zu Mimi sein.
Und doch ist Mimi für ihn am Ende die Hoffnung. Für sie schreibt er das Lied, von dem er immer geträumt hat.
Er spielt der sterbenden Mimi sein fertiges Lied vor. Mimi war der Grund, warum er überhaupt wieder Verbindung zur Welt haben wollte. Für sie rentiert es sich, so etwas wie ein Vermächtnis zu haben, etwas, das ihn überdauert. Letztendlich „überdauert“ Mimi.
David Jakobs gibt sich viel Mühe mit der Figur des Roger: Er arbeitet subtil heraus, dass Roger gehemmt ist. Dass er nicht vorwärts kommen kann und dieser Schmerz leichter zu ertragen ist, wenn er es gar nicht erst versucht. Dabei führt er die Energie, die in ihm stecken würde, beständig mit der Figur mit. Mal hört man sie in den Gitarrenriffs, mal in der Wut oder der Verständnislosigkeit. Er hat etwas kraftvolles, das sich auch in der Konfrontation mit Mimi äußert.
Gesanglich ist Jakobs ja sowieso breit aufgestellt und packt hier alles aus: das Rockige steht ihm einfach, aber auch die ruhigen Passagen sind toll anzuhören.
Angel Dumont Schunard: Lukas Mayer
Lukas Mayers Figur Angel ist das Herzstück des Musicals – und das im wahrsten Sinne des Wortes. Er ist irgendwo zwischen Mann und Frau angesiedelt.
Ich bin ein besserer Mann als du und ’ne bessere Frau, als du sie je kriegst.
Was vielleicht auf den ersten Blick zerrissen scheint, ist in sich völlig stimmig und harmonisch, vollkommen eins mit sich.
Authentisch ist sie, die gute Angel, mit klaren Wünschen, Ideen, Vorstellungen. Angel formuliert sein Bedürfnis und seine Idee von Liebe: Heimat sein – Heimat finden, und ist auch vielleicht deshalb imstande, sie seinem Gegenüber zu erfüllen.
Die Liebe zwischen den beiden Männern ist stark. Angel macht daraus etwas ganz Einfaches. Angel verkörpert die Liebe zum Partner genauso intensiv wie die Liebe zum Leben, zur Show, zu sich.
Die Liebesbeziehung zu Collins entwickeln beide in aller Innigkeit und Zärtlichkeit. Eine Liebesbeziehung, die klar ist im Gegensatz zu der von Roger und Mimi und die mutig genug ist, sie im Jetzt zu leben.
Eine Liebesbeziehung, die nicht laut fordert wie die von Maureen und Joanne (take me or leave me), sondern in stiller Akzeptanz und vollem Respekt gelebt wird.
Ein wahrer Engel ist sie also, diese Angel. Der tragische Kniff des Musicals, eben die schillerndste, die authentischste Figur sterben zu lassen, schockiert den Zuschauer, bietet aber auch Möglichkeiten.
Lukas Mayer liefert eine unfassbare Leistung ab. Der Mann ist ein Gesamtkunstwerk. Welche Präsenz er herzustellen vermag, einfach, indem er die Bühne betritt. Seine Art, sich zu bewegen, ist mitreißend. Wie er offensiv auf den Charakter zugeht, ist mutig. Da ist so ein Draufgängertum auf der einen Seite, andererseits besticht er gerade in den kleinen ruhigen Szenen. Ich weiß gar nicht, was ich noch alles erwähnen soll, um auszudrücken, wie mich diese Darstellung in allen Facetten begeistert hat.
Bei Lukas Mayer passt einfach alles zusammen: Präsenz, Stimme, Bewegung. Man hätte sich niemand anderen für diese wichtige und tragende Figur Angel denken können.
Tom Collins: Alex Snova
Alex Snova als Collins bleibt neben Lukas Mayer als Spielpartner der weniger schillernde Part. Aber er macht das einfach toll. Er geht nicht unter, er stellt dieser schillernden Persönlichkeit Angel einen Mann an die Seite, der sich als Teil eines Duos versteht. Er formt in aller Ausführlichkeit und Detailverliebtheit einen liebenden Partner und kehrt dabei die Selbstverständlichkeit dieser Paarung schön heraus. Er besticht mit ganz inniger und aufrichtiger Zärtlichkeit. Umarmend fällt mir als Wort da ein.
Und obwohl die Beziehung der beiden überhaupt nicht so raumgreifend dargestellt wird wie die von Roger und Mimi oder von Joanne und Maureen, überstrahlt sie dennoch alle.
Wenn jemand den im zweiten Teil zentral auf ein Plakat gepinselten Satz aus der Bibel „Und so bleiben nur Glaube, Liebe, Hoffnung. Aber die Liebe ist das Größte von den dreien“ verkörpert, dann dieses Paar. Der Glaube an sich selbst als Paar, die Hoffnung, die die beiden HIV-Infizierten füreinander sind, die Liebe, die sie begleitet.
Zärtlichkeit legt er in seine Stimme, wenn er auf der Trauerfeier für Angel singt. Alex Snova besticht mit großer Klarheit in der Stimme, die aber dennoch viel Gefühl transportiert.
Man kann Tränen in die Augen bekommen, beobachtet man Snovas Collins, wie er sich hingebungsvoll um die durch die Krankheit schon geschwächten Angel kümmert. Liebevoll, zärtlich, aufmunternd, wie eine Mutter eigentlich. Und genau diese Liebe, die aufopferungsvolle, die gebende ist das eindrücklichste, was mir aus diesem Musical geblieben ist. Danke, Alex Snova.
Maureen Johnson: Bettina Mönch
Maureen wählt anders als Mark, der sich selbst zum Beobachter des Lebens macht, dabei still und abgeklärt rüberkommt, oder Roger, der sich seiner Depression vollends hingibt- den Angriff als Motto: Sie ist der personifizierte, augenscheinliche Protest, die laute Stimme für andere, aber auch für sich selbst.
Sie braucht die Bühne, sie definiert sich eher als Performancekünstlerin denn als Mensch. Das ist ein so unverzichtbarer Teil von ihr, dass sei darüber mit Joanne ernsthaft ins Streiten kommt. Die beiden Alphafrauen haben hier ganz schöne Probleme, ihre Beziehung zu definieren.
Bettina Mönch ist als Performance-Queen at its best. Unfassbar, was sie da an Energie raushaut. Wie sie die Performance zum Leben erweckt. In der Bewegung athletisch und elegant, herausfordernd und präsent, mit der Stimme voll und so laut, ohne zu schreien. Ich bin ja auch immer fasziniert, wie das alles technisch von statten geht. In welchem Rhythmus sie die verschiedenen Pedale drücken muss, damit die Soundeffekte funktionieren, und sich das alles harmonisch einfügt. Diese Choreographie… Wie lang übt man da dafür?
Auch außerhalb der Show, die Maureen gibt, ist sie selbstbewusst, laut, fordernd, aber auch liebesbedürftig.
Bettina Mönch schillert, verzaubert, aber schockiert auch. Und das mit einer nonchalenten Selbstverständlickeit und einer Wahnsinnsstimme: absolutly stunning.
Mimi Marquez: Patricia Meeden
Mimi wählt den augenscheinlich leichten Weg: Sie lässt sich vom Leben, wie es sich ihr bietet, mitreißen, nimmt mit, was es bietet und landet so in der Drogensucht. Diese finanziert sie mit freizügigem Tanzen in einem Club.
Patricia Meeden formt eine sinnliche, begeisterungsfähige und emotionale Person, die versucht, alles mitzunehmen, was geht und das mit vollem Körpereinsatz.
Patricia Meeden zeigt sich aufreizend und energisch, und wie ihren Mitspielern ist ihrer Darstellung ein großes Maß an Natürlichkeit immanent. Sie begeistert mit ihrer Bewegungskunst, besser: Körperkunst. Man sieht ihr den Spaß am Clubtanz regelrecht an. Die stimmliche Ausgestaltung steht dem in nichts nach. Ihre Duette mit Jakobs gelingen auf Augenhöhe. Einfach nur wow.
Ensemble
Mit Solorollen glänzen überdies Amani Robinson als taffe und vorwärtsstrebende Powerfrau, die – anders als Collins an Angels Seite – sich nicht mit dem Platz im Schatten neben einer Frau wie Maureen begnügen will.
Pedro Reichert gibt den Benny in einer Art und Weise, dass man ihm anmerkt, dass die Rolle des Hausbesitzers etwas ist, was er erstrebt hat, aber nicht das, was zu ihm passt.
Aber nicht nur die einzeln hier besprochen Hauptakteure verdienen uneingeschränktes Lob. RENT lebt auch von der Stimmung, der Atmosphäre und die wird nun mal getragen vom Ensemble. Das macht ausnahmslos einen ungeheuer tollen Job. Dabei fügt sich jeder einzelne ein in die „Hood“, die Mitglieder übernehmen aber auch einzelne kleine Rollen im Fortgang der Geschichte.
Im einzelnen sind das Jadelene Panèsa, Richard S. Wolff, Friederike Zeidler, Antonia Kalinowski, Tamara Köhn, Julius Störmer, Max Aschenbrenner und Til Ormeloh.
Das Lebensgefühl, das sie kreieren, pendelt beständig zwischen „ich möchte mich zurechtfinden in dieser Welt, möchte sie mir zu eigen machen“ und dem „zurechtgerückt werden durch Autoritäten und Zwänge.“
Fazit
RENT als rockiges Pendant zu Puccinis „La Boheme“ besticht durch seine rockige Musik und die Tragik der Einzelschicksale. In der Inszenierung von Gil Mehmert in Dortmund kommt aber auch das Prinzip Hoffnung nicht zu kurz.
Am meisten hat mich seine Detailverliebtheit beeindruckt. Die Cast nimmt diese mit differenziertem Spiel auf, was sich auf die der Dynamik des Stückes auswirkt. Ausstattung und Kostüm sind auf den Punkt, die Band empfand ich als kraftvoll und ausgeglichen, ebenso die Lautstärke.
Fantastische Leistung zeigen neben der Band dabei vor allem Lukas Mayer als Angel sowie Alex Snova (Tom Collins), Patricia Meeden (Mimi) und David Jakobs (Roger). Aber auch übrigen Darsteller tragen zu einem unglaublich intensiven Theaterabend, bei dem Freud und Leid, Atem-anhalten und befreit durchschnaufen, gucken und hören sehr nah beieinander liegen.
RENT muss man sehen, denn es ist aufrichtig in seiner Tragik und hoffnungsvoll in seiner Wirkung. Die grandiose Cast arbeitet ein vielschichtiges Lebensgefühl heraus, das den Zuschauer vollends für sich einnimmt.
P.S.: An ausgewählten Terminen wird RENT in Anschluss an La Boheme aufgeführt. Die Oper ist ebenfalls von Gil Mehmert inszeniert und spielt auf der gleichen Bühne. Ein besonderes Highlight also, bei dem man das Augenmerk auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Stücke legen kann. Besonders an diesen Tagen, aber bestimmt auch an den anderen Spielterminen eine unbedingte Empfehlung!
Jadelene Panésa
Nach unserer derniere am 01.04.24 nochmal diese tollen Worte zu lesen!! Von ganzem Herzen danke!! ♥️ und viel mehr danke für die Zeit und fürs kommen