Das Staatstheater am Gärtnerplatz wird zum Revuetheater!
La Cage aux Folles ist Musical in zwei Akten von mit Musik und Songtexten von Jerry Herman und basiert auf dem gleichnamigen Erfolgstheaterstück von Jean Poiret. Es wurde am 21. August 1983 im New Yorker Palace Theatre uraufgeführt und gewann daraufhin sechs Tony-Awards.
Inhalt
Georges besitzt in St. Tropez einen Nachtclub namens La Cage aux Folles. Der Star dort ist Albin, der allabendlich als Dragqueen Zaza auftritt und seit vielen Jahren Georges’ Lebenspartner ist. Das Paar lebt eine umfassende Liebe und eine ganz eigene Idylle, bis Jean-Michel, Georges leiblicher Sohn aus einem heterosexuellen „Fehltritt“ hereinplatzt. Über die Jahre liebevoll von Georges und Albin aufgezogen, konfrontiert er seinen Vater mit der freudigen Botschaft, heiraten zu wollen. Die Auserwählte heißt Anne und ist die Tochter äußerst konservativer Eltern. Der Vater gar ist Abgeordneter der Partei für Familie, Tradition und Moral und hat sich als Sittenwächter unter anderem auf die Fahnen geschrieben, nach seiner Wahl Vergnügungsstätten wie das La Cage zu verbieten.
Im Vorfeld der Hochzeit soll eine Familienzusammenführung stattfinden, das heißt, der Politiker nebst Gattin möchte die Eltern von Jean-Michel über Nacht besuchen. Jean-Michel möchte deshalb seine leibliche Mutter Sybil, zu der er die letzten Jahre eigentlich gar keinen Kontakt hatte, einladen. Außerdem möchte er ein Zusammentreffen der Schwiegereltern in spe mit Zaza verhindern.
Zaza ist tief getroffen, als sie hört, dass Sybil ihr vorgezogen wird. Doch angesichts der Liebe, die sie zu Georges und Jean-Michel empfindet, versöhnt sie sich mit diesem Gedanken. Als dann aber Jean-Michel das frivole, kunterbunte Zuhause der beiden in einen konservativen Bunker verwandelt, um bei den Schwiegereltern in Spe zu punkten, muss auch Georges Zaza gegenüber damit herausrücken, dass sie an diesem Abend gar nicht erwünscht sei, allenfalls könne Albin als Onkel Albert der Familienzusammenführung beiwohnen. Das bringt die Beziehung von Georges und Albin ein wenig ins Wanken, aber auch hier fügt sich Zaza nach einer gewissen Zeit und übt mit Georges unauffälliges und männliches Auftreten.
Als ein Telegramm von Jean-Michels Mutter eintrifft, dass sie nicht kommen wird, steht aber schon Familie Dindon vor der Tür. Da die Abwesenheit von Sybil nur schwer zu erklären ist, schlüpft kurzerhand Zaza in die Rolle von Jean-Michels Mutter.
Beim Dinner im Restaurant wird Zaza von der Besitzerin des Restaurants genötigt, ein Lied zu singen. Der ausgelasseneren Stimmung folgend ist Zaza in ihrem Element und reißt sich aus alter Gewohnheit wie bei ihren Nachtclubauftritten am Ende die Perücke vom Kopf – damit ist die Katze aus dem Sack.
Zurück in der Wohnung von Georges und Albin möchte Herr Dindon sofort alle Kontakte zu der in seinen Augen verkommenen Familie abbrechen, sieht sich aber mit einer Heerschar von Fotografen konfrontiert, die ihn dort ausgemacht haben und draußen auf ihn lauern. Um kompromittierende Fotos zu vermeiden, lässt er sich und seine Frau als Drags verkleidet von Zaza durch den Nachtclub inkognito hinausschmuggeln. Vorher aber hat ihm Zaza noch das Versprechen abgerungen, dass die beiden verliebten jungen Leute heiraten dürfen.
Musik
La Cage aux Folles ist geprägt durch die großen Revuenummern, die sich durch die Show ziehen. Daneben beinhaltet es das Lied Ich bin, was ich bin, das durch Gloria Gaynors Interpretation 1984 zum Welthit wurde.
Mascara ist ein Lied, das Albin singt, als er sich vor dem Spiegel in Zasa verwandelt. Dabei geht es aber nicht nur um die technische Verwandlung einer Person zu einer Dragqueen, sondern vielmehr um das warum und was es mit der Person macht. Wunderschön und intensiv.

Geschickt wird auch immer wieder der Song am Strand bemüht, ein wunderbar berührendes Liebeslied mit eingängigem da dadada– Refrain, das beständig im Ohr bleibt und neben den schmissigen Revuenummern die liebevolle Grundstimmung des Stückes wiedergibt. Das Orchester des Gärtnerplatztheaters unter Andreas Partilla spielt alles perfekt von schmissig bis lieblich und zart und ist wie immer ein Garant dafür, dass Musiktheater am Gärtnerplatz ein Highlight ist.
Inszenierung
Die Inszenierung ist wunderbar gelungen und besticht mit toller Choreographie und absolut perfektem Timing. Intendant Köpplinger agiert geschickt mit sehr drolligen kleinen Szenen und zeigt permanent viel Liebe zum Detail. Ich freue mich daran, wie aus dem Handtuch, mit Albin wedelt, immerzu Mehl heraus staubt.
Das Tempo in den komödiantischen Szenen ist hoch. Die hohe Kunst des Slapsticks beherrscht über weite Strecken das Stück und es entstehen skurril-hinreißende Szenen, etwa, wenn Butler/ Zofe Jacob/ Claudine bei der Ankündigung von Jean-Michels Hochzeit sein Entsetzen pantomimisch ausdrückt und dabei schlussendlich hinters Sofa fällt, bis nur die Beine in die Luft ragen. Ebenso zum Kichern komisch, als Albin erfahren hat, dass er nicht anwesend sein soll während der familiären Zusammenkunft. Er sitzt als Witwe zurechtgemacht mit Claudine im Café und als er mit beschwichtigenden Georges aneinandergerät, versucht er sich dramatisch-provokant mit der Kuchengabel zu erstechen.
Dass inmitten einer lauten, verrückten und manchmal schrillen Szenerie die Liebe von den leisen Tönen lebt, verdeutlicht sehr schön und poetisch ein Pantomime, der Albin und Georges auf einer Parkbank begleitet. Dieser hat einen roten Luftballon in Herzform dabei, mit dem er die Liebe nachempfindet. So holt er den Ballon an der Schnur ein, bis er wieder davon fliegt. Ich fand das eine ganz tolle Allegorie auf Albins und Georges Liebe, die immer zwischen ihnen ist. Eine lange und sorgfältig gepflegte Liebe, die nie im außen, lauten stattfindet, braucht an vielen Stellen keine Worte. Es sind mitunter die kleinen Gesten und Blicke, die die Liebe füllen.
Spannend und ein wenig provokant konfrontiert Köpplinger die Zuschauer mit Bigotterie: Als das heimische Wohnzimmer in Vorbereitung auf den Besuch umgestaltet wird, schleppt Claudine ein überdimensional großes Kreuz. Er trägt es wie Jesus Christus in der Passionsgeschichte herein. Statt einer Dornenkrone trägt die Zofe einen Blumenkranz.
Die überdimensionale Größe des Kreuzes verdeutlicht die Wichtigkeit, die die religiösen, in dem Fall eher konservativen Werte der Gesellschaft einnehmen. Zudem Claudine schleppt widerwillig das Kreuz quasi an die Hinrichtungsstätte, denn an diesem Ort werden, zumindest zeitweilig, zwei Individuen geopfert.

Insgesamt gefällt diese in sich stimmige Inszenierung wirklich gut, schon allein das hohe Tempo ist einfach bemerkenswert. Jammert man auf hohem Niveau, ist es lediglich die Szene im Restaurant, die mir zu schwach ausfällt. Zasa singt, alle stimmen nacheinander ein, bis Zasa am Ende wie gewohnt ihre Perücke vom Kopf zieht und dabei versehentlich alles aufdeckt. Hier ist viel Gewusel und Zasa bekommt meiner Meinung da nicht ganz die (alleinige) Bühne, die es bräuchte, um sie so in Fahrt zu kriegen, dass sie sich eben ganz vergisst.

Irritiert war ich durch eine – zumindest für mich – augenscheinliche Inkonsequenz: Während der Ouvertüre laufen Bilder auf einer Leinwand, die die Entwicklung der LGBTQIA+-Community und deren Rechte im Rückwärtsgang zeigen. An sich eine schöne Idee und ja zum Thema passend. Aber irgendwie passt das überhaupt nicht zur Intention von Autor Jerry Herman , dem Autor von La Cage aus Folles und auch nicht zur verschriftlichten Einstellung Köpplingers. Beide lassen sich im – wie immer wunderschön gestalteten und höchst informativen Programmheft – darüber aus, dass nicht mit erhobenen Zeigefingern gearbeitet werden soll.
Jerry Herman sagte einst: Aber wir waren nicht darauf versessen, eine politische Botschaft zu vermitteln. … Wir haben einfach ein Musical gemacht.
Köpplinger selbst wird in eben diesem Programmheft folgendermaßen zitiert: „La Cage aux Folles ist mir da progressiv genug. Ich muss keine Schilder auf die Bühne tragen lassen, um auszudrücken: `Jetzt demonstrieren wir.´ Das erreicht die Herzen nicht so wie echte, glaubhafte Charaktere in gut erzählten Geschichten.“
Das bringe ich für mich jetzt nicht zusammen. Es sieht nämlich eben so aus, dass Köpplinger zu Beginn Schilder aufstellt, die den Menschen die Denkrichtung weisen sollen. Dass der LGBTQIA+-Communitiy lange unrecht getan wurde und das auch heute noch an vielen Stellen so ist, ist damit schön herausgearbeitet, beinhaltet aber eben doch den politischen Bezug, den Herman nicht wollte und eine Direktheit, die Köpplinger nicht für notwendig befindet.
Das Musical steht tatsächlich für sich selber. Es ist so einzigartig komponiert und auf die Bühne gebracht. Eine perfekte Liebesgeschichte, bei der hemmungslos gelacht werden kann und die ein Happy End hat. Die Charaktere sind so echt und dabei so unendlich liebevoll miteinander. Wer da nicht kapiert hat, dass es vollkommen gleich ist, wer wen liebt und warum, dem kann man eh nicht mehr helfen.
Kostüme: Alfred Mayerhofer
Ich finde es einfach grandios, dass Albin eine so klassische Frisur hat. Gar nicht so weiblich mit langen Haaren oder Locken. Ich finde den Haarschnitt perfekt, er unterstreicht seine Weiblichkeit in gleicher Weise, wie er öffentlich nicht so wirklich als das auffällt.
Spannend finde ich, dass der männliche Teil des Duos, nämlich Georges, längere Haare hat als Albin. Ich mag das als Hommage von Georges an seinen Partner.
Albins „Matrosenanzug“ hat eine starke Andeutungen von Weiblichkeit, aber nicht zu viel, der Öffentlichkeit wegen. Da ist keine Provokation, sondern da wurden Grenzen perfekt ausgelotet. Auch sein Anzug am Ende, in hellblauem Glitzerstoff mit Rüschenhemd, ist da einfach perfekt.
Zasa trägt große Robe mit Rüschen und Glitzer, irgendwo zwischen elegant und großer Show.
Die Cagelles sind wunderbar ausstaffiert, egal ob silberne Glitzerbustiers oder CanCan-Röcke. Blickfang ist jeweils der aufwendige Federkopfschmuck. Immer eindeutig wenig, aber nie aggressiv-erotisch. Am besten gefallen mir die türkis-durchsichtigen Kostüme. Türkis wird oft mit Urlaub und Meer assoziiert, das passt zum Spielort St. Tropez und vermittelt Entspannung.

Dagegen ist Familie Dindon klassisch konservativ: Er im Dreiteiler, sie im (klein-)karierten Kostüm. Beim Zusammentreffen der beiden Familien trägt die Tochter quietschpink und es wird hier schon ersichtlich, dass sie geistig nicht zur schwarz-weiß-konservativen, sondern zur bunten Fraktion gehört.
Bühne: Rainer Sinell
Hauptsächlich spielt sich das Stück im Haus von Albin und Georges. Daneben gibt es das Revuetheater und ein Café.
Der Wohnraum des Hauses ist über und über in lila und barockem Gold gehalten.
Einige wenige, aber eindeutig-zweideutige Dekogegenstände wie das Bild eines nackten Hinterns und ein Phallus rücken die Wohnsituation in ein frivoles Licht.
Bei Lila handelt es sich übrigens um eine Farbe, die die im Spirituellen für eine Überschreitung der Grenzen zwischen den Dimensionen steht. Das finde ich ein spannendes Detail.
„Lila-Menschen sind äußerst kreativ und entscheiden intuitiv. Sie vertrauen ihrem Bauchgefühl und zeichnen sich durch einen individuellen Lebensstil aus.“ (Quelle:Artnight) Na, wenn da nicht mal unser Albin gemeint ist!
Die Ränge im Gärtnerplatztheater sind über und über bestückt mit blau-weiß-roten Lichtern (Licht: Peter Hörtner). So herrscht von Beginn an Revuetheater-Stimmung, der Zuschauer ist nicht nur Zeuge eines Musicals, sondern von Anfang an Teil einer Revue.
Die zurückhaltend gestaltete Bühne drängt sich trotz aller vielen liebevollen Details nicht auf, es ist ein würdiges Fundament für ein lebendiges Stück.
Wirkung
Dieses Stück ist ein Stück über die Liebe. Darüber, in welcher Gestalt sich Liebe äußert, darüber, ob Liebe etwas verlangen darf und was Liebe alles zu Geben vermag. Und das alles im Gewand einer locker-luftigen überdrehten Komödie.
Ich bin ein bisschen Bibel-affin, und eine Anspielung auf die Bibel beziehungsweise Jesus Christus erlaubt sich Joseph Köpplinger ja selber, daher:
Im Hohelied der Liebe (Bibel 1 Kor 13) steht:
Sie erträgt alles,
glaubt alles,
hofft alles,
hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf
[…]
Jetzt schauen wir in einen Spiegel
und sehen nur rätselhafte Umrisse,
dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht.
[…]
Jetzt erkenne ich unvollkommen,
dann aber werde ich durch und durch erkennen,
so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin.
Ich möchte nicht viele Worte dazu machen, außer: Anders als so lässt sich die Liebe zwischen den Protagonisten nicht beschreiben. Die Liebe zwischen den beiden so unvollkommenen Personen Albin und Georges wirkt vollkommen. Die Liebe von Georges zu seinem Sohn bringt ihn dazu, Albin, der als Elternteil sein Kind ja genauso liebt, zu verleugnen, der Sohn liebt so stark, dass er seinen Eltern dies auch zumutet. Das alles passiert in der Sicherheit, dass die Liebe als Fundament stark ist in dieser Familie.
Das ist die starke Hauptaussage dieses Stückes: egal, wer liebt, liebt richtig, solange er wahrhaft liebt. Es ist ein wundervolles Stück: egal, in welcher Stimmung man in Theater gekommen ist, man verlässt es versöhnt, beseelt und in Frieden.
Die Rollen und ihre Darsteller
Albin/ Zasa: Armin Kahl
Die Hauptfigur Albin ist anders: Er fühlt mehr, er bedient nicht das männliche Klischee, er ist für die Gesellschaft zu weiblich, er hat einen Hang zum Drama und liebt Glitzer. In seiner selbstgewählten Erscheinung ist er für andere eine Zumutung.
Anderssein ist per se nicht einfach. Es generiert oft eine tiefe Unsicherheit, wie weit man mit diesem Anderssein akzeptiert wird. Albins zarte Seele ist immer auf der Hut vor dem Verletzt-Werden. Dabei hat Albin einen liebenden Mann an seiner Seite: Georges liebt und akzeptiert ihn mit allem, was er ist und sein möchte. Dass da aber Zweifel bleiben, ist unübersehbar.

Im Revuetheater verwandelt sich Albin Abend für Abend in den Star der Bühne, in Zasa. Zasa ist selbstbewusst. Geschminkt und gestylt ist Albin auf der Bühne ganz in seinem Element. Da passt die Eigenansicht und die Fremdsicht zueinander, da wird das sogar von ihm erwartet. Alles das zu sein, was für ihn normal, für den durchschnittlich konservativen Mitbürger damals (und vielfach auch heute) jedoch unnormal ist.
Doch was bleibt am nächsten Morgen von der Kunstfigur Zasa? Was macht Albin aus? Jubeln alle nur Zasa zu? Ist sein Sein nur dann gerechtfertigt, wenn er eine Rolle bedient? Natürlich ist sich Albin bewusst, wer er ist und im Grunde weiß er auch, dass sein Leben gut und erfüllt ist, wie es ist. Aber Zweifel bleiben.
Und dann kommt Georges Sohn Jean-Michel ins Spiel, der die Tochter eines erzkonservativen Politikers heiraten will. Albin in seiner Andersheit ist nicht erwünscht. Es sind schlimme Kränkungen, die auf Albin herein prasseln und die ob des optimistischen, positiven Grundton des Musicals und seiner ganzen Komik gar nicht ganz so tief ins Bewusstsein dringen.
Der Sohn, den Albin wie eine Mutter aufgezogen hat, möchte ihn nicht dabei haben, aufgrund dessen, dass er ist wie er ist. Der Sohn geht sogar noch so weit, darzulegen, wie sehr er unter der Andersheit von Albin gelitten hat.
Also doch, abgelehnt ob seiner Art. Es trifft Albin tief, aber nicht tief genug, um sich aus lauter Liebe nicht doch selbst zu verleugnen.
Armin Kahl wurde wohl im Laufe seiner Karriere am Gärtnerplatztheater zur Chef-Transe auserkoren. Nach Fummel-Tragen in Priscilla – Königin der Wüste und Tootsie, schlüpft er erneut in Highheels und er tut es wie eh und je: Er fühlt sich tief ein in die unsichere Seele von Albin, der als Zasa erst so richtig aufdrehen kann.
Diese Komödie spielt mit Klischees, darum warten diese nur darauf, auch bedient zu werden. Allerdings muss genau ausgelotet werden, wie weit die Figur drüber gehen kann, ohne eine Karikatur zu werden. Das Echt-Sein ist das A und O dieses Stückes.
Armin Kahl ist ein Meister dieser Charakterzeichnung. Albin ist so vieles, so emotional, so zart und dabei aber so bestimmt in seiner Idee. Gleichzeitig ist er so tuntig, und auch eine Prise Verrücktheit muss bedient werden. Der filmreife Zusammenbruch am Anfang ist da ein wunderbares Beispiel. Drama, Drama, Drama: Da wird mit der Stimme gekiekst und gequietscht, durch jede Stresssituation hechelt Armin Kahl den guten Albin minutenlang bravourös durch und hyperventiliert meisterhaft bis kurz vors Umfallen.
Er findet den perfekten Zugang zu dieser Figur, so dass sie absolut liebenswert rüberkommt. Anders, ein bisschen verrückt, tuntig, aber echt und liebenswert. Obwohl man ständig schmunzelt und lacht über Albins Art, bleibt im Ganzen eine tiefe Ernsthaftigkeit. Innerhalb eines Klischees nimmt Armin Kahl diesen Albin Ernst: Armin Kahls Albin ist eine Person, die leibt und lebt und liebt.
Gesanglich hat Armin Kahl schon in vielen Produktionen klar gemacht, dass er diese „weiblichen“ Partien ohne Mühe über die ganze Stückzeit ohne Fehl und Tadel tragen kann. Die gesungene Verwandlung von Albin zu Zasa in Mascaraist grandios.
Ich bin, was ich bin durfte ich neulich schon beim Boyband-Special-Konzert in Füssen erleben und war begeistert. Eingeflochten in das Stück dringt Armin Kahl da in Dimensionen ein, die einen als Zuschauer einfach sprachlos zurücklassen.
Er beginnt mit einem einzigen wütenden, weinerlichen Satz: Ich bin, was ich bin. Wie Armin Kahl dieses Lied über einen extrem langsamen Anfang entwickelt, wie er sich Zeit lässt, um das wachsende Bewusstsein zu verdeutlichen und am Ende sein Sein vehement verteidigt: Dafür kann man nur tiefsten Respekt zollen.
Albin ist eine so tolle Figur und die Figur hat einen Meisterdarsteller wie Armin Kahl verdient.

Georges: Daniel Prohaska
Ich mag diese Figur so sehr, fast noch lieber als den tuntig-verrückt-sensiblen Albin. Denn Georges liebt so innig.
Georges ist schwul, im Gegensatz zu seinen geliebten Albin aber deutlich gesellschaftstauglicher. Er ist als Besitzer des Nachtclubs La Cage aux Folles hauptsächlich Geschäftsmann, muss also ganz anders in der Realität stehen als Albin. Neben diesem bleibt er der Unauffällige. Auffällig an ihm ist aber tatsächlich eines: Seine Liebe zu Albin. Er kennt ihn, jedes divenhafte Gehabe, jedes hysterisches Hyperventilieren, das Quietschen und die Zartheit seiner Seele.

Er weiß, wie er ihn zu nehmen hat, was Albin braucht, und auch wenn es ihn mitunter nervt, ist er doch sein Fels: Georges kann Albin beruhigen. Das sind so wunderbare Momente: Immer, wenn Georges Albin an die Anfänge ihrer Beziehung erinnert und so klar stellt, dass sich nichts geändert hat an seiner Liebe und gleichzeitig damit ein stilles Versprechen abgibt, dass sich das auch nicht ändern wird, egal, wie grotesk die Gesellschaft und die Situationen werden, in die sie geraten werden.
Die schönste Szene aber für mich ist die, wenn Albin singt: Ich bin, wie ich bin. Jetzt hat Armin Kahl das schon so großartig gemacht, es braucht für diese Szene eigentlich nichts anderes. Und dann steht da aber Georges still an der Seite und beobachtet Albin bei dieses immer lauter werdenden „Selbst“-„Bewusstsein“. Die Bewunderung und die absolute Hingabe von Georges an Albin, seine stille Zustimmung , seine Begeisterung für den Mut des Partners, wow, da kommt so viel zusammen und das macht diese Szene einfach magisch. Einmal so angesehen werden, wie Georges seine Liebe Albin anschaut!
Daniel Prohaska gibt einen auf dem Boden der Tatsachen stehenden Georges, der mit ganzer Kraft liebt. Er ist dabei immer sehr präsent, egal, ob er Albin seine Liebe versichert oder Verständnis für seinen Sohn aufbringen will. Gesanglich gefällt er ebenso in den leiseren Momenten und dreht aber als Gastgeber im La Cage so richtig auf.

Jacob/ Claudine: Christian Schleinzer
La Cage aux Folles lebt von der Chemie zwischen den Darstellern von Georges und Albin, die sich ihren eigenen Kosmos geschaffen haben. Diese Inszenierung und vor allem die Darstellung von Christian Schleinzer haben die Bedeutung einer dritten Person drastisch verändert:
Anders als sonst habe ich Jacob/ Claudine nicht nur als Butler/ Zofe wahrgenommen. Jacob/ Claudine ist mehr als Stichwortgeber und dekorativer Mit„Quietscher“. Immer an Albins Seite ist er sein Verbündeter im Geiste Er ist genauso wie Albin und für diesen in albtraumhaften Situationen immer eine sichere Bank. Jacob ist Albins Entsprechung, seine Verstärkung, seine Versicherung, dass er richtig ist. Claudine eifert deswegen Albin nach, möchte auf die Bühne wie Zasa.
Er ist ihre rechte Hand, spricht von sich ja auch nicht als Butler, sondern als Zofe. Eine Zofe ist laut Wikipedia eine weibliche Person, deren Aufgabe die persönliche Bedienung einer vornehmen, meist adligen Dame ist. Er besteht also darauf, eine weibliche Person zu sein und es geht ihm nicht darum, den Haushalt zu machen, sondern um die persönliche Bedienung der Hausdame. Dieses persönlich tritt hier in der Inszenierung und mit Christian Schleinzer ganz stark hervor.
So wunderbar sitzt da Claudine mit dem über den Verrat trauernden Albin und hält ihr den Sonnenschirm. Dass auch nicht ein „sonniger“ Moment ihre dunklen Gedanken auflockert. Claudine gibt Albin hier das absolute Recht, so zu empfinden. Sie stützt sie und das ist eine ganz wunderbarer Dreh in der Inszenierung. Christian Schleinzer nimmt das exzellent auf.

Christian Schleinzer bedient munter tuntige Klischees, gibt dabei dieser Person hinter all dem Drama und der schrillen Überdrehtheit aber so viel Feinsinniges. In ihm leuchtet so viel Loyalität für seine Chefin und für die Sache an sich. Er ist so mitreißend komisch und sein Timing ist einfach perfekt. Aber er ist darüber hinaus auch über alle Maße herzergreifend.
Armin Kahl und Daniel Prohaska sind beide für sich und im Zusammenspiel einfach herausragend. Doch Christian Schleinzer als Jacob/ Claudine ist in jeder Hinsicht für mich das absolute Highlight. Chapeau!

Ensemble
Das Gärtnerplatztheater hat ein so fabelhaftes Ensemble, dass ich es unbedingt extra erwähnen muss. Sehr herzig finde ich die Tatsache, dass Paul Clementi als Jean-Michel seiner Mutter Anja Clementi als Marie Dindon gegenübersteht.

Hervorragend besetzt sind die Nebenrollen: Erwin Windegger strahlt absolut strenge Autorität als Politiker Dindon aus, Anja Clementi als Marie Dindon ist auf unterdrückte Art deutlich zugetaner und neugieriger. Paul Clementi ist ein wohlgeratener und ernsthaft verliebter Jean-Michel, während Florentine Beyer ihrer Anne eine schöne Prise Lebendigkeit und Zutrauen verleiht.

Große Stars sind darüber hinaus natürlich die Cagelles, die allesamt eine perfekte Vorstellung abliefern.
Fazit
La Cage aux Folles am Gärtnerplatztheater ist ein wunderbares Stück über die Liebe, dass voller Lebendigkeit ist und mit grandioser Situationskomik punktet. Die temporeiche Inszenierung von Hausherr Joseph Köpplinger ist in allen Gewerken perfekt gelungen. Für die Leistung der drei Hauptdarsteller – Armin Kahl, Daniel Prohaska und Christian Schleinzer – findet man schon beinahe keine Worte mehr, so fabelhaft gelingt Ihnen das Stück. Dem steht das gesamte Ensemble sowie das Orchester des Gärtnerplatztheaters in nichts nach.
La Cage aux Folles ist schlicht und einfach ein perfekter Theatergenuss.
Schreibe einen Kommentar