Der Held meiner frühen Kindheit war seit jeher Winnetou. Abgelöst wurde er in meiner Jugendzeit von einem anderen Edlen: Robin Hood.
Ausgehend vom Englischbuch in der 7. Klasse, in dem ich die Geschichte vom Edelmann, der den Reichen nimmt und den Armen gibt, kennenlernte, begeisterte ich mich zunächst für den Charakter des edlen Helden. Mit Robin Hood – King of Thieves* und einem darin unvergleichlich genialem Alan Rickman als Sheriff gewann auch die Gegenseite für mich an Intensität, begeisterte mich für die Nebenfiguren, was die im Jahr 2006 begonnene BBC Serie Robin Hood* noch verstärkte.
Robin Hood ist so universell: Gut gegen Böse, Abenteuer und Liebe, Prunk und Armut,Mittelalter und Neuzeit, britisch und doch universell. Hier kämpft der Thron gegen die Waldhöhle, edel gegen niederträchtig. Es ist alles in allem und immer dem einen hehren Ziel unterworfen: Gerechtigkeit für alle. Für mich ist Robin Hood einfach alles. Kurz: Ich LIEBE Robin Hood.
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Im Alter von 12 Jahren war ich das erste Mal in meinem jungen Leben auf einem Popkonzert. Mein Bruder arbeitete beim örtlichen Veranstalter und setzte mich und meine Familie kurzerhand auf die Gästeliste, von der andere abgesprungen waren. Vom Künstler kannte ich vorab nur ein Lied – einen Schmusesong. Auf der Bühne erschien ein unscheinbarer, kleiner Mann und entfachte ein wahres Feuerwerk an Popmusik auf der Bühne. Ich war fasziniert, ich war beseelt. Der Name des Künstlers war Chris de Burgh.
So gesehen hat sich Dennis Martin und das Team von Spotlight Musicals da schon was vorgenommen. Zwei so prägende Episoden meiner Kindheit in einem Musical zusammen zu bringen – oha! Welche Herausforderung. Natürlich weiß ich, dass das Musical in völliger Unkenntnis meines Lebens und ohne Bezug zu meiner Vergangenheit entstanden ist. Und trotzdem: Robin Hood ist den meisten Menschen bekannt und für viele sicher eine prägende Geschichte. Und auch Chris de Burgh werden genügend Leute kennen. Insofern ist ein Musical, das beides zusammenbringt, schon ein gewagtes Vorhaben, da es gehörig an vorhandenen Erwartungen scheitern kann.
Aber wer nicht wagt auch nicht gewinnt. Und Spotlight Musical hat gewonnen mit dieser Weltpremiere. Auf ganzer Linie.

Robin Hood – Das Musical ist alles das, was ich mit Robin Hood verbinde und oben beschrieben habe. Es ist leidenschaftlich, es ist energetisch, es ist voller Action und voller Liebe, durchaus mit Humor. Es ist laut und leise, es ist treibend und innehaltend, es ist wohlwollend und hinterhältig. Es erzählt eine bekannte Geschichte und schafft doch den einen oder anderen Überraschungsmoment. Dabei liefert es eine stringente Handlung mit ganz weit auserzählten einzelnen fantastischen Bögen. Es lebt gleichermaßen von den Hauptdarstellern, die allesamt brillieren und einem Ensemble, für das das Wort perfekt wohl eher eine Untertreibung ist. Es beherrscht die großen Balladen wie die temporeichen Tanznummern, es erzählt zielstrebig und hält doch immer wieder inne. Es hat einen Showstopper im ersten Akt und ein Ende, wie ich es mir gewünscht habe.
Robin Hood ist perfektes Musicaltheater in jeglicher Hinsicht. Vor allem die Energie des Ensembles über die drei Stunden ist unheimlich mitreißend, gleichzeitig erreichen Geschichte wie Charaktere ein ausreichende Tiefe, um ein Meisterwerk auf die Bühne zu bringen. Prädikat: außerordentlich mit der Empfehlung: unbedingt anschauen!
Robin Hood – Die Legende
Robin Hood ist zunächst die Hauptperson mehrerer Balladen und dann sogar von mehreren Balladenzyklen, die im späten Mittelalter entstanden sind und sich zu einer umfassenden und im Laufe der Zeit immer wieder anders interpretierten Sage entwickelte. Im Kern geht es um einen Räuber, der im Sherwood Forest haust.
Dabei hat sich das Erscheinungsbild dieses Robin Hood dramatisch gewandelt: Vom gemeinen Dieb über einem der Bürgerrechte enthobenen Kämpfer gegen die herrschende Obrigkeit bis hin zum Verfechter sozialer Gerechtigkeit, der den Reichen nimmt und den Armen gibt, wurden der Figur über die Jahrhunderte immer mehr positive Eigenschaften und Motive angedichtet. In der Neuzeit wurde die mittelalterliche Figur so zu einem echten Helden, dessen Ansinnen zeitlos und edel ist. Zahlreiche Adaptionen des Stoffes in den letzten Jahrzehnten einigt so die Idee eines englischen Adligen, der sich König Richards Kreuzzügen anschließt, in Palästina kämpft und nach seiner Rückkehr nach London sich auflehnt gegen die Ungerechtigkeiten, die die englischen Herrscher – meist in Gestalt des Sheriffs von Nottingham und seiner rechten Hand Guy of Gisbourne – an der Landbevölkerung verüben. Nachdem ihm die Bürgerrechte entzogen wurden, zieht er sich zurück in den Sherwood Forest und formiert mit weiteren Geächteten einen Widerstandstrupp. Prägende Kennzeichen seiner Person sind der ausgeprägte Gerechtigkeitssinn, die Gabe, andere von seiner Idee zu begeistern und diese anzuführen und -das Bild am prägendste Eigenschaft: er ist der wohl Beste Bogenschütze Englands und schafft damit beinahe Unmögliches.
Erst später wurde ihm Lady Marian zur Seite gestellt, die die – im Ursprung oft grausamen – Episoden um eine romantische Note ergänzt.
Das Musical
Inhaltszusammenfassung
1. Akt
Robin von Locksley, Sohn des Earl of Huntington, beschließt am Tage seiner Hochzeitsfeier mit Marian, Tochter des Sheriff von Nottingham, König Richard auf seinem Kreuzzug zu folgen. Mit von der Partie ist Guy of Gisbourne, der Sohn des Kastellans von Huntington.
Derweil herrschen in England zunehmend Willkürherrschaft und Ungerechtigkeiten vor, die Steuerlast für die Bürger zur Finanzierung des Krieges wächst ins Unermessliche. Diese Zustände verschlimmern sich unter der Herrschaft von König John.
Robin kommt unvorhergesehen aus dem Krieg zurück. Desillusioniert und traumatisiert kann er sein altes Leben und die Beziehung zu seiner Frau nicht mehr aufnehmen. Zu sehr ist er gefangen in den Bildern der Grausamkeiten eines doch für ihn damals richtigen Krieges.
Die von jeher schwelende Rivalität zu Gisbourne wächst, Gisbourne, zwischenzeitlich als Kastellan auf Huntington angestellt, verlässt das Schloss, und begibt sich in die Dienste von King John.
Mithilfe seiner Frau Marian, die ihn immer wieder an seine Pflicht als Mann und Adliger erinnert, fasst Robin behutsam wieder Fuß. Nach dem Mord an Marians Vater verweigert Robin dem König den Gehorsam. Er wird verhaftet und Gisbourne spricht das Urteil: Tod durch Erhängen.
2. Akt
Im Kerker wartet Robin auf seine Hinrichtung und wird von Gisbourne gedemütigt. Schließlich wird Robin von Will Scarlett und anderen befreit und gemeinsam ziehen sie sich in den Sherwood Forest zurück.
Zwei Lager stehen sich von da an unerbittlich gegenüber: Robin, der zusammen mit Marian und den Geächteten für gerechte Verhältnisse kämpfen will und auf der anderen Seite King John, der von Gisbourne verlangt, alles zu unternehmen, damit Robin Hood gefasst wird.
Der Widerstand gegen King John hat auch die Barone des Landes erreicht. Sie wollen mithilfe Robins erreichen, dass King John die sogenannte Magna Carta unterzeichnet. Der Gesetzestext soll vor allem dem Adel politische Unabhängigkeit sichern. Robin zwingt John schlussendlich dazu, die Carta zu unterzeichnen.
Marian wird währenddessen von Gisbourne aus dem Sherwood-Versteck entführt. Im Kampf um Marian verletzt Gisbourne Robin schwer, doch Marian tötet Gisbourne. Eine heilkundige Äbtissin rächt sich an Robin für ihr in jungen Jahren erlittenes und von Robins Vater verursachtes Leid, indem sie den verwundeten Robin vergiftet. Robin stirbt in Marians Armen.
Diese beschwört die übrigen Männer, Robin Hoods Vermächtnis weiterzuleben und weiterhin gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen.
Inhalt: Die Lieder im Kontext
Die Welt wird still
Das Musical beginnt 1179 mit der Auseinandersetzung zweier Jungen: Robin von Locksley ist der Sohn des Earl of Huntington, sein Freizeitgefährte gleichen Alters ist Guy von Gisbourne, der Sohn des Kastellans. Beide wachsen miteinander auf, stehen aber in starker Konkurrenz zueinander. Gisbourne hat Probleme damit, dass Robin der Ranghöhere ist. Robin fällt das in seiner herablassenden Art zunächst gar nicht auf.

Für Gott und den König
Diese hymnenartige Liedzeile begleitet den Zuschauer durch das ganze Stück. Zum ersten Mal erklingt sie in der 2. Szene: Gisbourne dient als junger Mann in der Garde von John, dem Bruder König Richards, der wiederum auf Kreuzzug im Heiligen Land ist.
Es thematisiert die Opferbereitschaft der Bevölkerung, wie sie auch von der Obrigkeit erwartet wird.
Was für ein Mann bist du?
John lobt den Mut Gisbournes, macht aber auch dessen Herkunft zum Thema (Er ist nicht mal ein Sir). Er trifft damit eine Nerv bei Gisbourne und fordert ihn weiter heraus, indem er ihn fragt: Was für ein Mann bist du? Wer willst du sein, wo willst du hin?
Währenddessen ist in Huntington die Hochzeitsfeier von Robin von Locksley und Marian im Gange. Dabei entpuppt sich Robin als ein hochnäsiger Widerling, der seinen Vater verachtet und mit seinem eigenen Leben als Earl nichts anfangen kann. Guy von Gisbourne stört diese Szene. Er ist im Auftrag von John da, um Unterstützung für den König einzufordern.
Ich flieh in den Krieg
Robin packt die Gelegenheit beim Schopf und entscheidet sich, dem König zusammen mit Gisbourne in den Krieg zu folgen. Nur weg vom Vater, der ihn für missraten hält. Nur so glaubt er, ein Held zu werden, der dem Namen Locksley würdig ist.
Das nachdenkliche Stück zeigt die verlorene Seite des hochnäsigen Jünglings.

Entrechtet, geächtet, so gut wie tot
Während Robin im Heiligen Land kämpft, geht das Leben in England seinen Gang. Das Volk leidet unter Ungerechtigkeiten und Willkür, wie Will Scarlett am eigenen Leib erfahren muss. Der Kriegsheimkehrer findet seine Ländereien beschlagnahmt, zurückbekommen wird er sie nicht mehr. Als er sich dagegen wehrt, wird er vom Sheriff von Nottingham zum Gesetzlosen erklärt. Eine durch eine Kapuze („Hood“) verborgene Gestalt platzt in die Szenerie und klagt diese Ungerechtigkeit an. Es ist Marian, die mit ihrem Vater hart ins Gericht geht.
Was für ein Mann bist du (Reprise)
Marian fristet weiterhin ihr Dasein in Huntington, als Gisbourne sie aufsucht und erklärt, Robin sei im Kampf gefallen. Er bleibt als Kastellan auf Huntington, hat er doch die Absicht, Marian für sich zu gewinnen. Damit würde er zum Earl aufsteigen und Robins Platz einnehmen.
Wie ein guter Vater
Robins Vater sieht sein Erbe dahinschwinden und möchte Marian schwängern, um einen echten Locksley als Nachfahre zu haben, doch Marian wehrt sich und erschlägt den Earl.

Dinner
Überraschend kommt Robin aber dennoch wenig später aus dem Krieg zurück: schwer traumatisiert scheint es ihm unmöglich, sein altes Leben wieder aufzunehmen, auch eine Annäherung an seine Frau findet zunächst nicht statt. Sie gehen sich aus dem Weg und als er doch eines Abends zum Dinner auftaucht, wird die Distanz zwischen den Eheleuten sichtbar. Sie sind sich fremd, und beide sind von Zukunftszweifeln geplagt.

Ich weiß nicht, wer du bist
Sehr einfühlsam werden beide Charaktere beleuchtet. Robin ist psychisch schwer angeschlagen und hat Angst, seinen Platz und seine Bestimmung nicht zu finden. Es schmerzt ihn, dass er es nicht würdigen kann, mit Marian eine eindrucksvolle, starke Frau an seiner Seite zu haben. Auch Marian hat das Gefühl, ihren Gatten nicht zu kennen, und sie hat Sorge, dass sie nie zum im vordringen wird. Hatten die Eheleute vorher schon keine Zeit, Gemeinsamkeiten zu entdecken und auszuleben, so kommen jetzt noch die Erlebnisse in Abwesenheit des anderen hinzu, die beide geprägt haben. Wahrheiten werden nicht ausgesprochen, die Angst vor Missverständnissen ist groß. Und dennoch bleibt ein Hoffnungsschimmer: Ich weiß nicht, wer du bist, doch fremd bist du mir nicht.
Diese Ballade ist ein Liebeslied auf eine etwas andere Art. Die wunderbare ruhige Harmonien weisen aber schon auf ein dahinter liegendes Happy-End für die Liebe hin.
Der Weg, der mir gebührt
Gisbourne sieht mit dem Auftauchen Robins die alten Rivalitäten wieder aufleben. Seine Pläne sind durchkreuzt, es kommt zu einer Auseinandersetzung.

Die Barone/ König John
Guy kehrt nach London zurück. Dort leidet in England das Volk für Gott und den König. Nachdem König Richard tot ist, entbrennt der Kampf um die Nachfolge. Die Mutter von Richard und John bestimmt den Neffen Arthur zum neuen König, was John in Rage bringt und zur Tat schreiten lässt: er lässt Arthur ermorden und sich als König ausrufen. Die Barone des Landes formieren sich zum Widerstand.
Woran kann ich noch glauben?
Der desillusionierte Robin sucht Ruhe vor seinen Erinnerungen in der Stille des Waldes: er kommt nur schwer mit den inneren Bildern, die der Krieg hinterlassen hat, zurecht. Die Gräueltaten eines vermeintlich „richtigen“ Krieges stürzen ihn in tiefe Abgründe: Woran kann ich noch glauben?
In diesem Lied verdichten sich seine Zweifel, sein innerer Kampf, den er seit Kindheit fechtet. Es gipfelt in der Zeile Ich spür mich nicht mehr.
Dieses Lied hat Showstopper-Qualitäten. Es legt die radikale Bewusstwerdung einer getriebenen Seele dar und schafft die Möglichkeit, die Wende einzuleiten.
Komm, wir lassen Fünfe g’rade sein
Dort im Wald lebt der geächtete Will Scarlett. Ein Mönch namens Bruder Tuck versorgt ihn und seine Leidensgenossen. An dieser Stelle interpretiert Tuck eine beschwingte Swing-Nummer.
Es ist eine humoristisches Lied im Stil von Balu-der-Bär Probier’s mal mit Gemütlichkeit im Dschungelbuch und versucht, dem niedergeschlagenen Will Scarlett ein wenig Hoffnung zu geben.

Manche Wunden heilen nie
Marian wird unterdessen Zeugin der Folgen einer stümperhaften Abtreibung. Die Äbtissin, die die junge Frau rettet, setzt zu einer Abrechnung an mit den Männern, ihren Taten und klagt dabei auch unverhohlen den alten Locksley an. Die laute Wut der Ordensfrau lässt darauf schließen, dass sei weiß, wovon sie singt.
Du bist nicht allein auf dieser Welt
Daraufhin entbrennt eine erneute Diskussion zwischen Robin und Marian. Sie wirft ihm vor, tatenlos in Selbstmitleid zu zerfließen statt das Leid seiner Untergebenen zu sehen und redet ihm ins Gewissen.
Robin ist hin- und hergerissen. Er sieht Marian und ihre Vision, andererseits möchte er keine Verantwortung für andere Menschen übernehmen: Das Vorbild seines Vaters ist im Abschreckung genug. Robin will niemanden regieren (Zitat).
Marian erinnert ihn an seine Pflicht, die mit dem Privileg, adelig zu sein, einhergeht: Du bist der Earl von Huntington.
Es ist dies die längst überfällige schmerzhafte Auseinandersetzung mit dem Vater und dessen Werten.
Eine neue Zeit
An einem Festtag in Nottingham gibt sich König John die Ehre, allerdings verbunden mit der Information, noch mehr Steuer zu erheben. Er distanziert sich von seinem Bruder König Richard und verspricht: Mit mir kommt eine neue Zeit
Wieder erklingt hier eine hymnenhafte Zeile, die so ins Ohr geht, dass man sie nicht wieder los wird. John ist manisch in seiner Art und so ist diese Liedzeile mehr Drohung als Versprechen.
Woran kann ich noch glauben (Reprise)
Dies bewahrheitet sich sogleich, denn John ermordet vor den Augen aller den Sheriff von Nottingham. Jetzt begehrt Robin öffentlich auf und verweigert dem König den Gehorsam. Der Sheriff lässt ihn als Hochverräter verhaften und noch vor Ort uns Stelle durch Gisbourne den Prozess machen. Das Urteil lautet Tod durch den Strang und Robin wird abgeführt.

PAUSE
Der Weg, der mir gebührt
Robin wird im Kerker vor der Hinrichtung von Gisbourne verhöhnt und gedemütigt. Wieder geht es Gisbourne dabei um die Frage, wer denn wohl der bessere Mann sei.

Lehnt euch auf
Aber Robin wird vom als Soldat verkleideten Will Scarlett und von Marian befreit und ruft das Volk zum Ungehorsam gegen König John auf. Dabei wird Gisbourne durch einen Pfeil Robins im Gesicht verletzt.

Freiheit für Notthingham
Daraufhin zieht sich Robin endgültig mit den Geächteten in den Sherwood Forest zurück und deklariert auch hier Freiheit für Nottingham. Dieses Lied ist ein Popkracher schlechthin, bedient er sich doch des von Chris de Burgh 1982 veröffentlichten Melodie zu Don’t pay the ferryman.

Ich oder du
Daran schließt sich ein weiteres Highlight an, wenn sich Gisbournes Hass auf Robin Hood in Ich oder Du vollends entfaltet. Mit erschreckend brutaler Kompromisslosigkeit stellt er sich Robins Ende vor, um durch diesen Triumph zu erfahren, dass er der bessere von beiden war.
Wir hab’n die Kohle
Die Gesetzlosen im Wald stehen Geld, Gold und Gut der Reichen und erfreuen sich daran: Wir haben die Kohle und der König nicht. Ein wildes Gute-Laune-Lied im Polkastil, dass den Gegensatz des gemeinen Volkes gegenüber den Reichen auch musikalisch betont.
Endlich frei sein
Über die Gemeinschaft mit den Geächteten und der Sinnhaftigkeit ihres Widerstandes finden Robin und Marian zueinander. Endlich frei sein ist ein wunderbares zartes und strahlendes Duett in bester Lovesong-Manier, voller Hoffnung und Erwartungen an ein gemeinsames Leben.
Robin Hood
Das darauffolgende Ensemblestück Robin Hood erinnert von der Machart ein wenig an Fassade aus Jekyll und Hyde und besingt den Mann, der es durch seine Taten nach und nach zu Ruhm bringt.

Die Äbtissin
Die Äbtissin wird zu Gisbourne gerufen, den noch immer die Wunde im Gesicht plagt, die Robin ihm bei seiner Befreiung zugefügt hat. Sie fasst es zusammen: Es scheint, als wäre nicht nur sein Gesicht verwundet, sondern seine Seele.
Gisbourne versucht, sie mit einem für die Äbtissin gewinnbringenden Deal auf ihre Seite zu ziehen, was diese zunächst ablehnt, nach einer Entdeckung jedoch durchaus in Erwägung zieht.
Für Gott und den König (Reprise)
Baron Fitzwalter kommt in den Wald, um die Geächteten für die Idee der übrigen Barone zu begeistern, King John die sogenannte Magna Carta unterschreiben zu lassen. Sie sichert dem Adel politische Unabhängigkeit vom König.
Entrechtet, geächtet, so gut wie tot
Robin sieht darin eine große Chance für bessere Verhältnisse im Land und befürwortet dieses Vorgehen, möchte die Carta aber um einige Punkte erweitern, um auch dem einfachen Volk bestimmte Rechte zu sichern. Sonst blieben sie gerechtet, geächtet, so gut wie tot.
Robin Hood (Reprise)
Während Marian im Sherwood Forest bleibt, ziehen Robin und seine Männer nach London. Dort taucht Robin im Schlafzimmer des König auf und droht ihm, ihm das Leben zu nehmen.

Der Kronschatz
Gleichzeitig stehlen die anderen den Kronschatz, um ihn an die Armen zu verteilen (Wir hab’n die Kohle und der König nicht). Der König sieht sich schließlich gezwungen, die Carta zu unterschreiben.
Als Robin zurück in den Wald kommt, muss er erfahren, dass Marian entführt wurde. Gisbourne erwartet ihn allein auf Huntington, um sich einem letzten Duell zu stellen.
Der Showdown ist geprägt durch Reprisen.
Ich oder Du (Reprise)
Marian wurde von Gisbourne mit einer Schlinge um den Hals auf einem Hocker platziert und er droht, sie zu töten. Er ermöglicht Robin einen Schuss mit dem Pfeil, der Gisbourne damals verwundete. Robin schießt Marian vom Seil, im darauffolgenden Kampf verwundet Gisbourne Robin mit dem Schwert schwer. Bevor sich Gisbourne auf Robin stürzen kann, um ihn endgültig zu töten, erschießt Marian Gisbourne mit eben jedem Pfeil.
Manche Wunden heilen nie (Reprise)
Die heilkundige Äbtissin ist zur Stelle und gibt vor, Robin mit einem Trank Linderung und Heilung zu verschaffen. In Wahrheit hat sie ihn vergiftet, um sich am Hause Locksley für ihr erlittenes Unrecht zu rächen. Einst schwängerte der Earl of Huntington die junge Magd. Ihr Kind musste sie anschließend im Kloster zur Welt bringen und zur Adoption freigeben.

Die Welt verschwindet (Reprise)
Robin Hood stirbt in Marians Armen.
Freiheit für Nottingham (Reprise)
Marian mahnt die übrigen Geächteten, weiter gegen Ungerechtigkeit zu kämpfen und so die Idee, hinter der Robin Hood stand, auch ohne ihn am Leben zu erhalten.
Musikstil
Dennis Martin und Chris de Burgh haben großes geschaffen. Die Musik empfinde ich als unheimlich kraftvoll. Sie trägt das Stück, schafft Atmosphäre. Es ist eine gute Mischung zwischen großen Solonummern, Duetten und grandiosen Ensemblenummern.

Ganz oft sind die Stücke mittleraltermäßig instrumentiert. Man hört Geigen und Flöten. Darüber gibt es irische Tanzmusik, wie sie auch ein Lord of the Dance vertanzt hätte, zudem viel richtig gute Popmusik und das nicht nur bei Freiheit für Nottingham.
Die Balladen sind allesamt wunderbar gemacht, weil sie auch textlich (Liedtexte: Dennis Martin, Christoph Jilo und Kevin Schröder) frei von jedem Kitsch sehr ehrlich rüberkommen.
Einige hymnenartige Liedzeilen bleiben einem dauerhaft im Ohr, auch, weil sie geschickt immer wieder als Reprise auftauchen. Nicht nur da tritt das Musical in die Fußstapfen der Päpstin. War es bei der Päpstin zum Beispiel Zum Ruhme der Familie, ist es hier Mit mir kommt eine neue Zeit oder die Liedzeile, die mich bis heute ohrwurmmäßig verfolgt: Du bist der Earl von Huntington. Die erinnert mich von der Tonfolge enorm an Coldplays Clocks. Überhaupt finden sich einige Anleihen an andere Musicals oder Popsongs. Sogar ein Teil der britischen Nationalhymne ist zu hören. Das macht die Musik eingängig.
Robin Hood zu Hause hören
Die CD-Einspielung des Musicals „Robin Hood“ in der Originalbesetzung gibt’s bei Sound of Music.*
Choreographie (Kim Duddy, Eleonora Talamini)
Die Choreographie besticht durch wahnsinnig schnelle, diffizile und absolut synchron ausgeführte Tanzbewegungen in den Ensemblenummern. Die sind unglaublich energetisch, machen das Stück darüber hinaus zu einem modernen Pop-Bühnenshow. Als Zuschauer ist man damit zugegebenermaßen bisweilen überfordert. Allerdings besticht das Musical durchaus mit ruhigen Szenen, die einen Ausgleich bieten.
Es gibt von Andy Blankenbuehler, dem Choreograph von Hamilton, einige Videos im Netz, die zeigen, wie er den Text des Musicals in Bewegung umsetzt. Das ist enorm spannend zum Anschauen und beweist einmal mehr, wieviel Arbeit in Choreographien steckt. Ich kann natürlich nicht mit Sicherheit sagen, dass das hier in ähnlicher Weise passiert, aber gerade bei Für Gott und den König sah es so aus: Die Handbewegung eines Kreuzes und dann eines gehaltenen Szepters war für mich augenscheinlich dem Text gewidmet. Ob das für die anderen Choreographien auch galt, wird sich mir erst erschließen, wenn ich es – was ich sicher tun werde – noch zwei oder dreimal gesehen habe.
Immer wieder taucht dabei natürlich auch die Gestik des Bogenschießens auf, ist Robin Hood doch der beste Schütze Englands.

Diverse choreographische Einfälle und Kniffe lassen den Zuschauer staunen:
Als Robin zusehen muss, wie unschuldige Frauen auf dem Kreuzzug ermordet werden, ist es der Choreographie zu verdanken, dass dies trotz einfachster Mittel beklemmend wirkt: Die Frauen umgeben ihn, alle in unschuldiges Weiß gekleidet und gehen nacheinander zu Boden. Dabei hat jede von ihnen ein rotes Tuch, dass die jeweilige Verletzung symbolisiert. Eine schlingt sich das Tuch um den Hals, bevor sie fällt und man hat die grauenvolle Vorstellung im Kopf, wie ihr wohl die Kehle durchgeschnitten wurde; die andere lässt das rote Tuch aus ihrem Mund hervorquellen, eine dritte wurde durch einen Stich in den Bauch tödlich verwundet, so dass aus ihrer Körpermitte das rote Tuch zum Vorschein kommt.
Die Visualisierung bleibt rein von dem, was auf der Bühne passiert, also harmlos, und doch steckt darin das pure Grauen.
Und über alle Maßen choreographisch beeindruckend gelingt die Szene Die Barone/ König John.
Hier werden zwei Handlungssituationen gleichzeitig auf der Bühne gezeigt. Auf der perfekt genutzten Bühne stehen also alle Personen, die in beide Szenen auftreten. Es spielen aber immer nur entweder die Barone oder die Figuren der Szene König John. Die jeweils anderen erstarren jeweils. Das gibt eine ungeheuere Dynamik, eine Intensität und das Gefühl, dass hier alles Schlag auf Schlag geht. und wurde in bestem Timing aufgeführt.
Gearbeitet wird auch mit Bilder, die Raum zur weitreichender Interpretation lassen:
King John trägt einen glitzergoldenen Umhang. Das ist kostümtechnisch eindeutig seiner Position geschuldet, wird aber von der Inszenierung dann nochmal in anderer Art aufgegriffen:
Als Robin King John aufsucht, um ihn zu warnen, sehen wir eben jenen König sich mit weiblichen und männlichen Bettgenossen vergnügen – unter einem großen, goldenen Laken. Das ist über die schräge Ebene gespannt, und es sind mehrere Löcher ausgeschnitten, aus denen die vogelwilde Bettgesellschaft dann jeweils den Kopf streckt, um an der Szene teilzunehmen.
Für mich war das eine eindeutige Metapher darauf, dass sich John hinter seinem goldenen Königsmantel, seiner Stellung versteckt. nur punktuell auftritt und notfalls den Kopf wieder einzieht: Ein gespanntes Laken als Fortführung des goldenen Mantels, den er außerhalb des Schlosses trägt.
Darüber hinaus integriert die Choreographie sämtliche Umbauten mühelos in die Handlung ein.
Kostüme (Conny Lüders)
Die Kostümabteilung findet einen schönen Kompromiss zwischen dem, was sein muss, weil man es erwartet und Überraschendem: viel Leder, Umhänge, beim Adel Pelz zeugt von der Vorstellung mittelalterlicher Kleidung.
Bei Marian allerdings bricht man mit der Erwartung. Das Burgfräuleinkleid wird ersetzt durch eine moderne Kombination mit fließendem Rock. Marian setzt sich so ab von den anderen Figuren. Das schulterfreie Oberteil lässt sie zart und vornehm erscheinen. Sie sieht eher wie eine Frau aus heutiger Zeit aus, ohne zwischen den anderen Figuren deplatziert zu wirken.

Sie trägt keinen Pelzumhang wie die anderen Adligen widerspricht so augenscheinlich diesen Leuten und der damit einhergehenden Standesidee. Die Szene der Verhaftung ist dann auch die letzte, in der Robin Hood als rechtmäßiger Earl of Huntington noch Pelz trägt.
Die Kettenhemden der Männer sind aus einem Stoff, der Licht glitzernd reflektiert. Da viel mit Licht gearbeitet wird, ergibt das immer schöne Effekte.
Bühne / Sound
Das Bühnenbild (Hans Kudlich) besteht aus in Segmenten verschiebbaren spanischen Wänden, auf denen Videoprojektionen den Ort des Geschehens lebendig werden lassen. Wahlweise sind diese alle zusammengeschoben oder werden mittig geteilt, um dem Bühnengeschehen mehr Platz zu geben. So entsteht ein grüner Wald mit erstaunlicher Tiefe oder das Schloss Huntington. Mittig auf der Bühne gibt es eine Art Podest, das hydraulisch von der Vertikalen in die Waagrechte gebracht werden kann. Oft bespielt das Ensemble dieses Podest, wenn es in Schräglage eine Erhöhung bildet und so den Blick den Zuschauer automatisch dorthin lenkt. Die Schlacht im heiligen Land findet dort statt, Im Wald ist das quasi der Versammlungsort.

Besonders clever kommt die Wand zum Einsatz, als ein Thron liegend darauf befestigt ist, King John auf die liegende Wand geht, und während sich die Wand in die Vertikale erhebt, auf seinen Thron steigt und so mehrere Meter über allen anderen schwebt – eine eindrucksvolle Visualisierung des Machtanspruchs.
Die Projektionen (Michael Grundner, u.a. Lady Bess, Wüstenblume, Elisabeth in Concert) zeigen stets unterstützend Bogengänge, Wälder mit wunderschönen Grünabstufungen, weite Ebenen, Burgen. Dabei sind die Projektionen nie dominant, immer in hervorragender Qualität, immer auch perspektivisch auf die Flächen passend.
Das Lichtdesign selbst transportiert die Stimmungen wunderbar, orientiert sich für meinen Geschmack bei den Wechseln bisweilen zu sehr am Rhythmus der Musik als am Fortgang des Inhalts und szenischen Wendepunkten.
Der Sound (Thomas Strebel, u.a. Tanz der Vampire) macht sehr vieles richtig, denn er sticht nicht hervor. Die Toneffekte, etwa zischende Pfeile, wirken natürlich. In der Musikabmischung erscheint das Orchester bisweilen im Verhältnis zum Gesang zu dominant, so dass Sänger manchmal nicht mehr verständlich zu hören sind. Vor allem im zweiten Akt trat dies auf, und vor allem bei piano gesungenen Passagen.
Inhaltliche Anmerkungen/ Interpretation
Die Frauenfigur Lady Marian
Das Musical hat inhaltlich eine sehr moderne Version des Stoffes geschaffen. Lady Marian verkommt nicht zur dekorativen Stafette, sondern erscheint hier als starke und in sich gefestigte Person. Sie weiß von Anfang an, welche Seite sie wählen will, welche Werte ihr wichtig sind. So wird sie zur wegweisenden Figur, durch die der Titelheld erst zum Held werden kann.
Dies reiht sich ein in eine mittlerweile beliebte und auch unbedingt notwendige Sichtweise im Musicaltheater, die die Frauen und ihre Verdienste miteinbeziehen und so die Stärke und Schaffenskraft von Partnerschaften hervorhebt.
So ehrt Lin-Manuel Miranda in Hamilton am Ende die Verdienste von Alexander Hamiltons Frau Eliza, ohne deren Schaffenskraft das Erbe des Alexander Hamiltons nicht in dieser Form gewahrt werden hätte können. Die Interpretation geht auch dahin, dass aus genau diesem Grund das Musical Hamilton heißt, so dass es sich nicht auf die männliche Hauptperson allein bezieht, sondern auch Eliza miteinbezieht.
Sogar „alte“ Musicals können durch pfiffige Inszenierungen ebenfalls einen Ausschlag in diese Richtung nehmen: So hat Alex Balga in seiner Inszenierung von Jesus Christ Superstar 2019 in Wien Maria Magdalena (Sandy Mölling) ein Could we start again please in den Mund gelegt, dass zum ersten Mal innerhalb dieses Musicals die Idee aufbrachte, dass sie – Maria Magdalena – diejenige war, die neben ihrer Unterstützung zu Lebzeiten Jesus auch diejenige war, die maßgeblich die Gründung der Kirche vorangetrieben hat und so verantwortet, dass das Christentum heute die größte Religionsgemeinschaft ist.
Hier ist also Marian hier zu einer herausragenden Leitfigur, ohne, dass sie auf der Bühne dem Helden, wie man ihn kennt, die Show stiehlt. Und ist im Stück darüber hinaus verantwortlich dafür, dass das, was Robin Hood ausmacht, weitergetragen wird.
Bezeichnenderweise tritt sie als erste – noch vor Robin – in eine Kapuze gehüllt auf.

Klar herausgearbeitete Gegensätze
Robin Hood – Das Musical besticht insgesamt mit Charakteren, die sorgfältig entwickelt werden. Das geschieht zum einen durch Solostücke, in denen die Protagonisten eine Innenschau betreiben. Zum anderen gehen die Figuren auch immer explizit in die Auseinandersetzung miteinander, um Unterschiede herauszuarbeiten.
Guy von Gisbourne und Robin Hood werden eingeführt als schon in der Kindheit rivalisierende Personen. Danach werden beide Figuren oft auch textlich parallel geführt, um die Unterschiede in den Charakteren offen zu Tage treten zu lassen.
Zu Beginn steht für beide die Frage: Wer bin ich, wer will ich sein? Für Gisbourne werden die Fragen von John aufgeworfen, eine Szene später stellt Robin stellt sie sich die selben Fragen. Von hier aus werden die Unterschiede immer deutlicher, zum Beispiel im Blick auf das Kriegsgeschehen:
Robin: wir waren wie Tiere
Gisbourne: wir waren Helden
Robin: niemand wird uns freisprechen
Gisbourne: ich bereue nichts
Für Gisbourne schließen sich diese Sichtweisen aus, nach seiner Sicht kann es nur Platz für einen geben: Ich oder du.
Marian und Robin hingegen kommen bei der Beantwortung der Frage: Wer will ich sein? zu einer innigen Gemeinsamkeit. Auch diese beiden Figuren werden bei ihrer Entwicklung parallel geführt und bekommen zur Verdeutlichung, dass sie eine gemeinsame Ebene gefunden haben, auch ein gemeinsames Lied: Endlich frei sein.
Historische Wahrheiten
Während Robin Hood als historische Person nicht belegt ist und möglicherweise gar kein reales Vorbild hatte, wurde die im Stück erwähnte Magna Carta tatsächlich 1215 unter König Johann Ohneland unterschrieben. Sie sicherte dem Adel gegenüber dem immer absolutistischer auftretenden Königen eine gewisse politische Freiheit und formulierte Rechte, die lange Zeit als Orientierung für andere Gesetzestexte galten. Im Musical wird die Magna Carta vom Sheriff von Nottingham entworfen. Schließlich möchte Robin Hood diese noch um drei zusätzliche Artikel ergänzt sehen:
- Die Geächteten bekommen ihre Bürgerrechte zurück
- Das Volk wird von seinesgleichen gerichtet
- Jeder Mensch wird frei geboren.
Die Idee, dass jedermann von seinesgleichen gerichtet wird, steht so dann auch tatsächlich als Artikel 29. Ich hab euch die Übersetzung von Wikipedia mal hier reinkopiert:
„Kein freier Mann darf entführt oder inhaftiert werden oder seines Eigentums oder seiner Regeln oder seiner Gewohnheiten enteignet, geächtet oder ins Exil verbannt oder sonstwie vernichtet werden; noch werden Wir ihn nicht weitergeben oder ihn verurteilen, außer durch rechtmäßiges Urteil der Seinesgleichen oder durch das Gesetz des Landes. Wir werden an niemandem das Recht oder die Gerechtigkeit verkaufen, verleugnen oder verhindern.“
– Magna Carta (1297)
Die Magna Carta gilt als die wichtigste Quelle des englischen Verfassungsrechts. Auch Thomas Jefferson wurde beim Entwurf der Bill of Rights und damit der Verfassung der USA indirekt von ihr beeinflusst.
Bei ihrer Unterzeichnung 1215 waren 25 Barone zugegen, darunter der im Musical namentlich genannte Baron Fitzwalter sowie Baron de Vesci. Ich persönlich mag es sehr, wenn Legende mit Historie verknüpft wird. Es gibt dem Stück in meinen Augen eine andere Mächtigkeit, wird mehr als einfach eine gute Geschichte.
Anleihen
Robin Hood bleibt im Kampf unbesiegt, stirbt aber dennoch dadurch, dass die Äbtissin ein übergroßes Verbrechen seines Vaters rächt.
Dass der Held stirbt, ist eher ungewöhnlich und lässt den Zuschauer oftmals unbefriedigt zurück (man denke an Winnetou 3). Aber es lenk den Blick auf die Frauenfigur der Lady Marian, die so über ihren Mann hinaus deutlicher wahr genommen werden kann.
Dass sie und die Verbliebenen Robin Hood nicht mehr nur mit der Person verbinden, sondern als eine Geisteshaltung, eine Bewegung beschwören, macht das Ende versöhnlich.
Das wiederum ist eine Anleihe an die vorhin schon zitierte Serie der BBC, in deren letzten Folge Robin Hood ebenfalls stirbt, die hinterbliebenen Freunde aber nach einer kurzen Trauerphase neuen Mut fassen und verstehen: We are Robin Hood.
Musikalische Anleihen sind einige zu finden, sowohl an Popsongs wie an großes Musicaltheater. Sogar Teile der englischen Nationalhymne sind zu hören.
Und eine Anleihe an meinen „Ur-Robin-Hood-Film“ von 1991 war auch zu finden: Warum bist du so wütend auf mich? Diese Frage stellt hier Robin seinem Widersacher Guy von Gisbourne, im Film stellt er sie Will Scarlett.
Die Rollen und ihre Darsteller
Robin Hood – Mark Seibert

Eine große Zerrissenheit prägt den Charakter des Robin of Locksley, Earl of Huntington. Im Adelsstand geboren, distanziert er sich klar von der Art, mit der sein Vater seine Geschäfte und sein Leben führt. So bleibt Robin haltlos. Der Leere in seinem Leben und die Unausweichlichkeit, mit der er auf seine Zukunft als nächster Earl of Huntington zusteuert, lässt ihn in den Krieg ziehen.
Mit dem paradoxen Satz: Ich fliehe in den Krieg fasst er diese Situation zusammen. Auf der Suche nach wahrer Sinnhaftigkeit und nach etwas, wovon er glaubt, das ihn zum Adeligen bevollmächtigt, schließt er sich König Richards Kreuzzügen an. Und kommt vollkommen desillusioniert und traumatisiert von dem sinnlosen Unterfangen und der überflüssigen Gewalt gegen Unschuldige zurück. Wie gelähmt erscheint er, bis er sich Marian öffnen lernt, der er sich auf geheimnisvolle Art verbunden fühlt. Sie appelliert an sein Pflichtgefühl, an seine Moral, seinen Anstand und seine Verantwortung als Earl. Alles Dinge, die er früh gefühlt haben muss, aber in der Welt seines Vaters keinen Platz fanden.
Robin ist im ersten Akt also geprägt von der Suche nach Sinnhaftigkeit im Leben, nach Abgrenzung, nach dem, wofür er steht und lebt.
War er in Jerusalem nur einer von vielen und konnte das Grauen nicht verhindern, muss er in Nottingham zusehen, wie King John Marians Vater nach dessen Gegenrede ermordet. Es ist, als würde Robin dabei aufwachen. Die ihm unbekannten Toten seiner Träume treffen auf einen Mord an eine ihm nahestehende Person, trifft seine eigene Welt. Ab da wird er zu einem Mann, der weiß, wofür es sich zu kämpfen lohnt.
Mark Seibert ist momentan das Nonplusultra der deutschen Musicalszene. Keine große Produktion, in der er nicht auftaucht. Ich gebe zu, ich habe bis jetzt nicht zu den größten Fans von Seibert gezählt und sehe seine Art der Darstellung durchaus manchmal kritisch. Mit diesem Auftritt aber hat er tiefen Eindruck bei mir hinterlassen.
Optisch nimmt man ihm den Held mit dieser Statur, dieser Haltung ja sowieso ab. Aber darüber hinaus hat er mich gesanglich total überzeugt. Er intoniert ganz fein und bringt wahnsinnig viel Gefühl in die leisen Stellen. Dabei überzeugt er in allen Soli als auch in den Duetten mit seinen Gesangspartnerinnen. Er schafft es blendend, diese Duette so zu singen, dass weder er noch der Gegenpart im Mittelpunkt steht. Die leisen Momente mit Marian sind die, ich am meisten beeindrucken. Aber auch den Anführer gibt er authentisch. Vom selbstgefälligen Schnösel über den traumatisierten Zweifler zur Anführer: Der innere Wandel gelingt ihm glaubhaft und sicher. Eine wirklich umfassend perfekte Darstellung von Mark Seibert.
Marian – Marle Martens

Wie oben beschrieben ist Marian nicht nur romantisch schmückendes Beiwerk, sondern die Figur, durch die Robin Hood überhaupt zum Held werden konnte. Eine junge Frau, die früher als die männlichen Hauptpersonen, zu sich findet und für sich einsteht. Die um Robin als Mensch kämpft und als Ehemann.
Die Figur selbst ist der Marian aus der BBC-Serie sehr ähnlich: Adelig, aus gutem Hause, hat sie schon ohne Robin die Idee von Gerechtigkeit und setzt sich dafür auch ein. Dabei tritt sie hier wie in der Serie schon früh auch ohne Robin als Widerständler mit Kapuze („Hood“) auf.
In der besuchten Premierenmatinee spielte Marle Martens die Marian. Die tragende Rolle mit ihren wunderbaren Melodien füllt Martens einwandfrei. In der Hauptsache sind es große Duette mit Bühnenpartner Robin alias Mark Seibert, die tief ins Ohr und ins Herz dringen und auch nach Ende des Musicals lange nachhallen.
Das liegt an der wunderbaren Stimme von Martens und ihrer ganz natürlichen Art, mit der sie Marian ausstattet. Marian kann laut, bedient sich dieser Eigenschaft aber nur selten. Sie weiß, klug und selbstsicher durch sich selbst zu überzeugen.
Edle Haltung, edle Stimme, absolut sicher in Intonation und treffsicher in der Wahl der Lautstärke und Intensität: Marle Martens macht alles richtig, was es richtig zu machen gibt und besticht darüber hinaus mit einer sehr präsenten Beharrlichkeit, die aber immer sehr überlegt und reflektiert herüberkommt. Und mit einer glasklaren Stimme, die trotz aller gerader beschriebenen Beharrlichkeit immer Wärme, absolutes Bemühen, Wohlwollen und Liebe transportiert.
Selten habe ich so eine ausgewogene, in jeder Hinsicht tadellose Gesamtleistung gesehen, die sich so wunderbar in eine Gesamt-Ensembleleistung einfügt.
Guy of Gisbourne – Thomas Hohler

Robins Rivale ist ihm in jeder Hinsicht unterlegen. Gisbourne ist weder so stark noch so treffsicher mit dem Pfeil. Von Geburt an ist er der Rangniederere. Das nagt zeitlebens an ihm. Er richtet sein Leben aus, das zu tun, was es ihm ermöglicht, Robin Hood zu übertreffen, selbst zum Earl of Huntington aufzusteigen und damit zum Adel zu gehören. Sein moralischer Kompass kommt ihm dabei immer weiter abhanden. Anders als Robin Hood macht Gisbourne die Umwelt für sein Leid verantwortlich, versteht nicht, dass ihn sein Inneres blockiert.
Thomas Hohler gibt den Gisbourne von Anfang an mehr unzufrieden als suchend. Es geht ihm weniger um den Sinn in seinem Leben als um für ihn offensichtliche Ungleichbehandlung. In seinem sich steigernden Zorn bleibt aber eine gewisse Hilflosigkeit. Dadurch lässt er sich treiben, sowohl vom Hass auf Robin als auch durch König John.
Es ist die gezwungensten Figur im ganzen Stück und das transportiert er auch. Gesanglich zeigt er sich stark, in der Premierenmatinee musste man aber über ein oder zwei Wackler hinwegsehen. Das ist aber in Ordnung, ich finde ihn als Gegenpart gerade zu Seibert perfekt. Er bleibt derjenige in zweiter Reihe, ist aber auch selbst dafür verantwortlich.
King John – Christian Schöne

King John ist kompromisslos, manisch in seinem Verhalten, fast irre. Ihm fehlt jeder moralische Kompass, an Grausamkeiten hat er eine spielerische Freude, er ist selbstgefällig bis zum Letzten. Manchmal hat man die Idee, er nimmt das alles nicht wirklich ernst, bis man entsetzt feststellen muss, dass er es verdammt ernst meint. Niemals lässt er Zweifel, dass er mit kühnem strategisch Vorgehen seine Macht sichern will und sich daran berauscht.
Dieses psychische Auffälligkeiten am Rand des Wahnsinns lassen den Zuschauer hin und wieder schmunzeln, genauso oft aber bleibt einem aber das Lachen im Hals stecken. Beängstigend und überaus gefährlich ist dieser König.
Christian Schöne versteht es, dieser überdrehten Figur noch das gewisse Etwas zu geben. Er durchdringt diese Rolle bis ins Letzte, sowohl mit seinem körperlichen Einsatz als auch stimmlich. Er legt eine Entrücktheit an den Tag, die einen schaudern lässt. Er schaltet von lässiger Ironie um und wird zum distanzlosen Gebieter und das alles innerhalb kürzester Zeit auch in der Stimme. Bravo Christian Schöne!
Will Scarlett – Dennis Henschel

Die Rolle ist nicht groß und doch besticht Henschel damit, dem Volk ein Gesicht zu geben. Es hat mir imponiert, wie er das Opfer einer Willkürherrschaft glaubhaft transportiert: einem einfachen Mann wird Haus und Hof weggenommen. Er klagt an, weil er nicht versteht, wie das gerechtfertigt werden kann und wird zum leidenschaftlichen Kämpfer.
Ohne tragende Rolle macht Hennschel aber deutlich, wie wichtig es ist, diese Nebenrollen passend zu besetzen.
Ensemble

Die weiteren Nebenrollen sich perfekt besetzt: Reinhard Brussmann glänzt in einer Doppelrolle: Im ersten Akt gibt er den Vater von Robin, im zweiten Teil gehört er als Little John zum engen Kreis um Robin Hood. Zwei vollkommen unterschiedlichen Rollen, beide wunderbar ausgefüllt.
Melanie Gebhard gibt die Äbtissin mit mahnender Zurückhaltung, lässt dann aber die ganze aufgestaute Wut bravourös auch stimmlich in Hass umschlagen.
Andrè Haedicke ist als Bruder Tuck für den Humor zuständig und findet sich perfekt wieder in dieser Rolle.
Thomas Christ gibt einen bodenständigen, eher ausgleichenden Sheriff von Nottingham.
Dazwischen brillieren die weiteren Ensemblemitglieder alle. Sie leisten sowohl tänzerisch als auch gesanglich außergewöhnliches, und kreieren auch im Zusammenspiel wirkende individuelle Typen.
Fazit
Ich kann nur jedem raten, der die Möglichkeit hat: Schaut euch Robin Hood an. Ihr bekommt von allem etwas und davon das Beste. Das ist perfekte Unterhaltung: die Geschichte ist stimmig und rund, die Charaktere gut erzählt, die Musik überaus eingängig und die Darsteller allesamt fabelhaft. Action, Liebe und das Gute siegt (zumindest teilweise).
Danke Spotlight Musicals für dieses Erlebnis.
Ach ja: Für Robin Hood-Fans möchte ich noch auf eine andere Produktion über den Mann aus dem Sherwood Forest hinweisen:
teatro in Mödling bei Wien machen Musiktheater auf höchstem Niveau für Familien und Kinder. Mehr als einmal hat mich die Gruppe unter Führung von Norberto Bertassi begeistert. Uraufführung ist am 16.7. im Stadttheater Mödling.
Szenenfotos: Michael Werthmüller, Christian Tech, Ulli Mayer, alle Spotlight;
Schlussapplausfotos: Joachim Schlosser
Hallo.
Tolle Rezension.
Ab welchem Alter würden Sie das Musical empfehlen?